Jana, ehrgeizige Tochter eines abgewirtschafteten Hoteliers aus der slowakischen Tatra, hat nichts als ihre Schönheit, um ihre Träume von einem besseren, aufregenderen Leben im reichen Westen zu verwirklichen. Sie begegnet demProfiteur Gstettner, der von Wien aus seinen trüben Geschäften nachgeht - ob gefälschte Designermode oder verzweifelte Flüchtlinge,Gstettner handelt mit allem. Tone Kral, der Bauernsohn aus dem slowenischen Karst, der sich als Kellnerund Gigolo durchschlägt, und der gealterte Wiener Theaterkritiker Kalman komplettieren das Quartett lebenshungriger Existenzen, die in der Grauzone zwischen alter und neuer politischer Ordnung versuchen, sich durchzulavieren.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rose-Maria Gropp scheint angetan von Peter Roseis Hommage an die innereuropäische Migration vom Osten über Venedig nach Wien genau genommen, wo die Kellner Tonio heißen und kein Reigen mehr unschuldig ist. Vom fadenscheinigen Glück und Luxus, von unglückseligen Existenzen erzählt Rosei laut Gropp mit Sinn für literarische Vorgänger von Thomas Mann bis Schnitzler und gut genug, um nicht peinlich zu werden, sondern sarkastisch, lakonisch, mit der richtigen Prise Mitgefühl und Historie. Wie ein Krimi, findet Gropp.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.07.2018Hart ist es in den Bergen und der Ebene
Peter Roseis Roman "Karst" rechnet mit dem lotternden Luxus in Mitteleuropa ab
"Wer kennt die Hohe Tatra nicht?", heißt der erste Satz dieses schlanken starken Romans. Ja, wer kennt schon die Hohe Tatra?, möchte man Peter Rosei antworten; genau das will er. Wer "Karst" liest, hat danach mehr als eine Idee, warum Jana Soukrup aus der Kleinstadt Poprad, "in die damals noch kommunistische Volksrepublik Tschechoslowakei hineingeboren", unbedingt abhauen will. Jana, beinahe siebzehn Jahre alt, "eine empfindsame, eine poetische Natur, verträumt und zart" - das wird ihr gründlich vergehen -, ohne Mutter und mit einem elendiglichen Vater, hübsch und verführerisch, nimmt die erste Gelegenheit wahr. Gabor Kelemen ist ein junger Musiker im Kurorchester mit großen Hoffnungen, ungarischer Herkunft aus einer einst eleganten Familie in Kosice - "Sie kennen die Stadt Kosice? Nein?", fragt Rosei -, die nach dem Ersten Weltkrieg an die Slowakei fiel. Die Kelemens gingen nach Budapest, wo man nicht auf sie gewartet hatte. Jana folgt Gabor nach Budapest. Es wird der erste Schritt auf dem kurzen Weg, hinab in die seelische und körperliche Verkommenheit.
Peter Rosei verfolgt nicht nur das Schicksal seiner Jana, die er ohne Mitleid, aber mit Verständnis begleitet. Und er geht auch mit den Desastern seiner weiteren Personage nicht ins Gericht. Er führt sie schlicht vor, die ihr fadenscheiniges Glück zu machen versuchen, und dorthin, wo alle Leute so großartig zu leben scheinen - Wien natürlich. Rosei greift unter die polierte Oberfläche der Wiener Melange, bei solchen, die hierher aufgebrochen sind aus dem Osten, und solchen, die eingeboren sind. Das lässt sich wohl typisch austriakisch nennen, ist zugleich literarische Hommage an eine innereuropäische Migration, die so lange schon stattfindet, unterhalb der allgemeinen Aufmerksamkeitsschwelle.
Rosei eröffnet einen frivolen Reigen unglückseliger Existenzen, die ihr - vielleicht sogar vorhandenes - Kapital an Geist, Seele und Leib vergeuden. Die einen, weil sie es nicht besser wissen; einer jedenfalls, der das bessere Wissen hätte haben müssen. Die lebensgierige Jana lässt sich vom halbseidenen Geschäftemacher Gstettner in Budapest angraben - "Wird so um die dreißig sein, vielleicht. Ein Vertreter? Ein Anwalt? Na, ich weiß nicht." Sie folgt ihm nach Wien, den lotternden Luxus genießt sie erst einmal. Tone Kral kommt aus Slowenien, vom Karst her, arbeitet in Venedig als Kleingangster und Kellner, nennt sich "Tonio". Er reißt im Café am Markusplatz Georg Kalman auf, den Wiener Theaterkritiker vor der Abhalfterung, der "seinen sechzigsten Geburtstag schon länger hinter sich" hat. Fortan sitzt Tonio dem Kalman im Nacken, bis nach Wien; denn: "Kalman wurde nicht enttäuscht. Bestimmt nicht. Es war zu schön gewesen. Schöner, als er sich das vorgestellt hatte." Die vier Menschen verwachsen zur grotesken Gruppe. Der Karst wird ihr Schicksal.
Zweifelsohne gönnt sich Rosei, gewissermaßen subkutane, Anspielungen an literarische Vorgänger. Seit Arthur Schnitzler ist kein Reigen in Wien mehr unschuldig, kein süßes Mädel sowieso; seit Thomas Mann kein Tonio, kein Venedig, kein Kellner mehr. Rosei macht das aber noch einmal ziemlich gut: sarkastisch wie seine Vorgänger und mit einer Lakonik, manchmal gar Härte in der Sprache, durch die Mitgefühl noch dringt - geschickt getarnt als eine unerwünschte Regung des allwissenden Autors. Denn er erzählt, gebündelt in seinen Protagonisten, auch die Historie derer, die voller Hoffnungen vom Osten nach dem Westen wandern.
Die 175 Seiten von "Karst" lassen sich, wenn nicht als eine Kriminalstory, so doch als eine Geschichte über kleinere und größere Verbrechereien lesen. Entstanden aus der Unfähigkeit, sich einzufügen in den Sog der gleißenden Illusion vom gelungenen Leben, der klassischen Vorspiegelung des westeuropäischen Kapitalismus mithin, als Ablösungsmodell einst kommunistischer Falschversprechungen in den östlichen Teilen Europas.
In einem Nachwort, das Peter Rosei "Quellcode" nennt, greift er, sich erinnernd an eigene Reisen, aus, von Bosnien über Ungarn und Österreich, bis nach Ohio, wo im Sezessionskrieg die Demarkationslinie zwischen den Nord- und Südstaaten verlief. Und wo 2016 die Erschießung von acht Menschen stattfand, bekanntgeworden als "The Rhoden Family Murders"; bis heute ist das Blutbad unaufgeklärt. Es ist zu ahnen, was er mit dieser unerwarteten Volte andeutet, blutgetränkt ist auch der Karst. "Tausende, wenn nicht Hunderttausende haben hier ihr Leben gelassen", heißt es einmal, "ihr Blut ist versickert wie der Regen, der, da mag es schütten, was es will, sofort im porösen Boden verschwindet." Keine weitere Moral. Am Ende steht ein Kinderabzählreim, in slowenischer Sprache, es lässt sich verstehen: Und raus bist du.
ROSE-MARIA GROPP
Peter Rosei: "Karst".
Roman.
Residenz Verlag, Wien 2018. 176 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Peter Roseis Roman "Karst" rechnet mit dem lotternden Luxus in Mitteleuropa ab
"Wer kennt die Hohe Tatra nicht?", heißt der erste Satz dieses schlanken starken Romans. Ja, wer kennt schon die Hohe Tatra?, möchte man Peter Rosei antworten; genau das will er. Wer "Karst" liest, hat danach mehr als eine Idee, warum Jana Soukrup aus der Kleinstadt Poprad, "in die damals noch kommunistische Volksrepublik Tschechoslowakei hineingeboren", unbedingt abhauen will. Jana, beinahe siebzehn Jahre alt, "eine empfindsame, eine poetische Natur, verträumt und zart" - das wird ihr gründlich vergehen -, ohne Mutter und mit einem elendiglichen Vater, hübsch und verführerisch, nimmt die erste Gelegenheit wahr. Gabor Kelemen ist ein junger Musiker im Kurorchester mit großen Hoffnungen, ungarischer Herkunft aus einer einst eleganten Familie in Kosice - "Sie kennen die Stadt Kosice? Nein?", fragt Rosei -, die nach dem Ersten Weltkrieg an die Slowakei fiel. Die Kelemens gingen nach Budapest, wo man nicht auf sie gewartet hatte. Jana folgt Gabor nach Budapest. Es wird der erste Schritt auf dem kurzen Weg, hinab in die seelische und körperliche Verkommenheit.
Peter Rosei verfolgt nicht nur das Schicksal seiner Jana, die er ohne Mitleid, aber mit Verständnis begleitet. Und er geht auch mit den Desastern seiner weiteren Personage nicht ins Gericht. Er führt sie schlicht vor, die ihr fadenscheiniges Glück zu machen versuchen, und dorthin, wo alle Leute so großartig zu leben scheinen - Wien natürlich. Rosei greift unter die polierte Oberfläche der Wiener Melange, bei solchen, die hierher aufgebrochen sind aus dem Osten, und solchen, die eingeboren sind. Das lässt sich wohl typisch austriakisch nennen, ist zugleich literarische Hommage an eine innereuropäische Migration, die so lange schon stattfindet, unterhalb der allgemeinen Aufmerksamkeitsschwelle.
Rosei eröffnet einen frivolen Reigen unglückseliger Existenzen, die ihr - vielleicht sogar vorhandenes - Kapital an Geist, Seele und Leib vergeuden. Die einen, weil sie es nicht besser wissen; einer jedenfalls, der das bessere Wissen hätte haben müssen. Die lebensgierige Jana lässt sich vom halbseidenen Geschäftemacher Gstettner in Budapest angraben - "Wird so um die dreißig sein, vielleicht. Ein Vertreter? Ein Anwalt? Na, ich weiß nicht." Sie folgt ihm nach Wien, den lotternden Luxus genießt sie erst einmal. Tone Kral kommt aus Slowenien, vom Karst her, arbeitet in Venedig als Kleingangster und Kellner, nennt sich "Tonio". Er reißt im Café am Markusplatz Georg Kalman auf, den Wiener Theaterkritiker vor der Abhalfterung, der "seinen sechzigsten Geburtstag schon länger hinter sich" hat. Fortan sitzt Tonio dem Kalman im Nacken, bis nach Wien; denn: "Kalman wurde nicht enttäuscht. Bestimmt nicht. Es war zu schön gewesen. Schöner, als er sich das vorgestellt hatte." Die vier Menschen verwachsen zur grotesken Gruppe. Der Karst wird ihr Schicksal.
Zweifelsohne gönnt sich Rosei, gewissermaßen subkutane, Anspielungen an literarische Vorgänger. Seit Arthur Schnitzler ist kein Reigen in Wien mehr unschuldig, kein süßes Mädel sowieso; seit Thomas Mann kein Tonio, kein Venedig, kein Kellner mehr. Rosei macht das aber noch einmal ziemlich gut: sarkastisch wie seine Vorgänger und mit einer Lakonik, manchmal gar Härte in der Sprache, durch die Mitgefühl noch dringt - geschickt getarnt als eine unerwünschte Regung des allwissenden Autors. Denn er erzählt, gebündelt in seinen Protagonisten, auch die Historie derer, die voller Hoffnungen vom Osten nach dem Westen wandern.
Die 175 Seiten von "Karst" lassen sich, wenn nicht als eine Kriminalstory, so doch als eine Geschichte über kleinere und größere Verbrechereien lesen. Entstanden aus der Unfähigkeit, sich einzufügen in den Sog der gleißenden Illusion vom gelungenen Leben, der klassischen Vorspiegelung des westeuropäischen Kapitalismus mithin, als Ablösungsmodell einst kommunistischer Falschversprechungen in den östlichen Teilen Europas.
In einem Nachwort, das Peter Rosei "Quellcode" nennt, greift er, sich erinnernd an eigene Reisen, aus, von Bosnien über Ungarn und Österreich, bis nach Ohio, wo im Sezessionskrieg die Demarkationslinie zwischen den Nord- und Südstaaten verlief. Und wo 2016 die Erschießung von acht Menschen stattfand, bekanntgeworden als "The Rhoden Family Murders"; bis heute ist das Blutbad unaufgeklärt. Es ist zu ahnen, was er mit dieser unerwarteten Volte andeutet, blutgetränkt ist auch der Karst. "Tausende, wenn nicht Hunderttausende haben hier ihr Leben gelassen", heißt es einmal, "ihr Blut ist versickert wie der Regen, der, da mag es schütten, was es will, sofort im porösen Boden verschwindet." Keine weitere Moral. Am Ende steht ein Kinderabzählreim, in slowenischer Sprache, es lässt sich verstehen: Und raus bist du.
ROSE-MARIA GROPP
Peter Rosei: "Karst".
Roman.
Residenz Verlag, Wien 2018. 176 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main