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Als Fatih Çevikkollus Mutter starb, war das für ihn ein Wendepunkt. Sie litt an einer Psychose und war im Alter nicht mehr gesellschaftsfähig. Und er fragte sich: Gibt es einen Zusammenhang zwischen den psychischen Problemen und ihrem Schicksal als sogenannte Gastarbeiterin in den Sechzigerjahren in Deutschland?
Alle Arbeitsmigrant:innen kennen sie, denn sie steht symbolisch für den Traum vom baldigen Glück in der Heimat: eine ganze Wand aus Kartons, in denen alles verstaut wurde, was schön und wertvoll war - für das spätere Leben in der Türkei. Willkommen war man in Deutschland nicht, doch
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Produktbeschreibung
Als Fatih Çevikkollus Mutter starb, war das für ihn ein Wendepunkt. Sie litt an einer Psychose und war im Alter nicht mehr gesellschaftsfähig. Und er fragte sich: Gibt es einen Zusammenhang zwischen den psychischen Problemen und ihrem Schicksal als sogenannte Gastarbeiterin in den Sechzigerjahren in Deutschland?

Alle Arbeitsmigrant:innen kennen sie, denn sie steht symbolisch für den Traum vom baldigen Glück in der Heimat: eine ganze Wand aus Kartons, in denen alles verstaut wurde, was schön und wertvoll war - für das spätere Leben in der Türkei. Willkommen war man in Deutschland nicht, doch was hält man nicht alles aus, wenn es nur von kurzer Dauer ist? Es lohnte sich weder, die deutsche Sprache zu lernen, noch sich ein Zuhause zu schaffen, schließlich sollte es bald zurückgehen. Die Kinder wurden als Kofferkinder hin- und hergeschickt. Was macht es mit Menschen, wenn sie irgendwann merken: Der Traum zurückzukehren hat sich nicht erfüllt?

Fatih Çevikkollu beschreibt sein Leben und das seiner türkischen Familie, die Träume und Enttäuschungen seiner Eltern, und er spricht mit Expert:innen über die Folgen der Arbeitsmigration, die bis heute in den Familien Wunden hinterlassen hat. Ein Thema, das bisher nur in Fachkreisen behandelt wurde und dringend in den Mittelpunkt der Debatten gehört.

Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Fatih Çevikkollu ist ein deutscher Kabarettist, Theater-, Film- und Fernsehschauspieler und Sohn türkischer Eltern, die in den 60er Jahren als Arbeitsmigranten nach Deutschland kamen. Er studierte an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin und ging dann ans Düsseldorfer Schauspielhaus. Im Fernsehen spielte er die Rolle des Murat Günaydin in  Alles Atze.Für sein erstes Soloprogramm Fatihland wurde er 2006 mit dem Prix Pantheon Jurypreis ausgezeichnet. 
Rezensionen
Wie ein Betriebssystem, das nicht genutzt wird
Fatih Çevikkollu erörtert die Folgen der Arbeitsmigration am Beispiel seiner Familie

"Wir arbeiten jetzt und leben später." Dieser Maxime folgen Fatih Çevikkollus Eltern, als sie in den Sechzigerjahren im Zuge des Anwerbeabkommens zwischen der Bundesrepublik und der Türkei nach Köln kommen. Der Vater arbeitet bei Ford, die Mutter ist Näherin. Mit dem verdienten Geld finanzieren sie Reisen in die Heimat, in die sie auch endgültig zurückkehren wollen. Während seine Familie Deutschland nur als Zwischenstation betrachtet, wächst Çevikkollu als sogenanntes "Kofferkind" auf: Er wird zwischen der Türkei und Deutschland hin- und hergeschickt, so wie etwa 700.000 andere Kofferkinder in diesen Jahren.

Çevikkollu, heute Kabarettist und Schauspieler, schreibt: "Ich bin Deutscher, aber ich habe immer das Konzept der Türkei im Kopf. Wie ein Betriebssystem, das nicht genutzt wird, ein Upload, der nicht gestartet wird, aber immer präsent ist wie ein Avatar." In seinem Buch "Kartonwand" geht er der Frage nach, warum so viele Migranten unter psychischen Krankheiten leiden. Dabei widmet er sich jenen Stressfaktoren der Gastarbeiter, die als Auslöser für seelische Belastungen infrage kommen. Çevikkollu vertritt die These, "dass Migration eine Indikation ist, also ein zusätzlicher Faktor, der die Entstehung der Krankheiten begünstigt".

So sieht er einen Zusammenhang zwischen der Psychose seiner Mutter und ihrem "Absturz aus einer angesehenen Familie mit Bildung" zur Näherin in Deutschland. Hinzu kommen die Abwesenheit von Sozialplänen, die eine bessere Eingliederung in die deutsche Gesellschaft ermöglicht hätten, sowie das stetige Hinarbeiten auf eine Rückkehr in die Türkei. Redundanzen bleiben bei Çevikkollus Verfahren nicht aus, etwa wenn er fast alle Verwandten zur Psychose seiner Mutter befragt und auch der letzte Onkel die Schuld auf den Vater schiebt, der nach der Trennung von seiner langjährigen Ehefrau eine neue Partnerin hat.

Der Autor will mithilfe seiner eigenen Geschichte bestimmten Migrationsproblemen auf die Spur kommen. Zum Beispiel suchte seine Mutter plötzlich Zuflucht in den "Hinterhof-Moscheen" Kölns. Sie "waren ein Auffangbecken für Arbeiter:innen aus der Türkei, die sich in ihrer Sehnsucht nach Heimat und Zugehörigkeit alleingelassen fühlten und deshalb anfällig waren für religiöse Heilversprechen." Nicht zu vergessen das weite Feld rassistischer Anfeindungen gegenüber Arbeitsmigranten: Anschläge, wie die Mordserie der NSU, und das behördliche Versagen bei der Aufklärung solcher Taten führten dazu, dass Migranten sich nicht gesehen fühlen. "Es blieb ein beunruhigendes Gefühl, es gab keine Zuversicht, kein Vertrauen. Das Einzige, was übrig blieb, war: Zorn."

Welche Auswirkungen die Migration auf die Gesundheit der Gastarbeiter hatte, ist noch nicht ausreichend erforscht. Çevikkollu schöpft aus eigenen Erfahrungen, Literatur zum Thema und einem Gespräch mit dem Psychotherapeuten Ali Kemal Gün. Verbindliche Erkenntnisse werden sich so nicht gewinnen lassen, dennoch vermittelt das Buch einen lebhaften Einblick in das Leben von Gastarbeiterfamilien in Deutschland. MAI-CHARLOTT HEINZE

Fatih Çevikkollu:

"Kartonwand". Das Trauma der Arbeitsmigrant/innen am Beispiel meiner Familie.

Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2023. 208 S., br., 18,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Fatih Çevikkollu ist ein sogenanntes "Kofferkind": Seine Eltern sind als Arbeitsmigranten nach Köln gekommen, der junge Fatih bewegt sich ständig zwischen Deutschland und der Türkei hin und her, erklärt Rezensentin Mai-Charlott Heinze. Hier schreibt er darüber, wie sich diese Zerrissenheit anfühlt, besonders für seine Eltern, die irgendwann wieder in ihr Heimatland zurückkehren wollen, und darüber, inwiefern der Migrantenstatus psychische Erkrankungen begünstigt. Dafür bedient er sich vor allem der Lebensgeschichte seiner Mutter, zu deren Psychose er Verwandte befragt, was für Heinze irgendwann etwas redundant wird. Wissenschaftliche Erkenntnisse dazu, wie sich Rassismus und Fremdheitsgefühl auf die Psyche auswirken, sucht man hier vergeblich, dafür kann man aber einen aufschlussreichen Einblick in eine migrantische Familie bekommen, schließt die Kritikerin.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Fatih Çevikkollu sensibilisiert für den Umgang mit generationsübergreifenden Wunden und zeigt: Ein geplatzter Traum von der Rückkehr in die Heimat kann manchmal auch ein Neubeginn in der Fremde sein.« Agnieszka Schneider BR Fernsehen 20230925

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.09.2023

Wie ein Betriebssystem, das nicht genutzt wird
Fatih Çevikkollu erörtert die Folgen der Arbeitsmigration am Beispiel seiner Familie

"Wir arbeiten jetzt und leben später." Dieser Maxime folgen Fatih Çevikkollus Eltern, als sie in den Sechzigerjahren im Zuge des Anwerbeabkommens zwischen der Bundesrepublik und der Türkei nach Köln kommen. Der Vater arbeitet bei Ford, die Mutter ist Näherin. Mit dem verdienten Geld finanzieren sie Reisen in die Heimat, in die sie auch endgültig zurückkehren wollen. Während seine Familie Deutschland nur als Zwischenstation betrachtet, wächst Çevikkollu als sogenanntes "Kofferkind" auf: Er wird zwischen der Türkei und Deutschland hin- und hergeschickt, so wie etwa 700.000 andere Kofferkinder in diesen Jahren.

Çevikkollu, heute Kabarettist und Schauspieler, schreibt: "Ich bin Deutscher, aber ich habe immer das Konzept der Türkei im Kopf. Wie ein Betriebssystem, das nicht genutzt wird, ein Upload, der nicht gestartet wird, aber immer präsent ist wie ein Avatar." In seinem Buch "Kartonwand" geht er der Frage nach, warum so viele Migranten unter psychischen Krankheiten leiden. Dabei widmet er sich jenen Stressfaktoren der Gastarbeiter, die als Auslöser für seelische Belastungen infrage kommen. Çevikkollu vertritt die These, "dass Migration eine Indikation ist, also ein zusätzlicher Faktor, der die Entstehung der Krankheiten begünstigt".

So sieht er einen Zusammenhang zwischen der Psychose seiner Mutter und ihrem "Absturz aus einer angesehenen Familie mit Bildung" zur Näherin in Deutschland. Hinzu kommen die Abwesenheit von Sozialplänen, die eine bessere Eingliederung in die deutsche Gesellschaft ermöglicht hätten, sowie das stetige Hinarbeiten auf eine Rückkehr in die Türkei. Redundanzen bleiben bei Çevikkollus Verfahren nicht aus, etwa wenn er fast alle Verwandten zur Psychose seiner Mutter befragt und auch der letzte Onkel die Schuld auf den Vater schiebt, der nach der Trennung von seiner langjährigen Ehefrau eine neue Partnerin hat.

Der Autor will mithilfe seiner eigenen Geschichte bestimmten Migrationsproblemen auf die Spur kommen. Zum Beispiel suchte seine Mutter plötzlich Zuflucht in den "Hinterhof-Moscheen" Kölns. Sie "waren ein Auffangbecken für Arbeiter:innen aus der Türkei, die sich in ihrer Sehnsucht nach Heimat und Zugehörigkeit alleingelassen fühlten und deshalb anfällig waren für religiöse Heilversprechen." Nicht zu vergessen das weite Feld rassistischer Anfeindungen gegenüber Arbeitsmigranten: Anschläge, wie die Mordserie der NSU, und das behördliche Versagen bei der Aufklärung solcher Taten führten dazu, dass Migranten sich nicht gesehen fühlen. "Es blieb ein beunruhigendes Gefühl, es gab keine Zuversicht, kein Vertrauen. Das Einzige, was übrig blieb, war: Zorn."

Welche Auswirkungen die Migration auf die Gesundheit der Gastarbeiter hatte, ist noch nicht ausreichend erforscht. Çevikkollu schöpft aus eigenen Erfahrungen, Literatur zum Thema und einem Gespräch mit dem Psychotherapeuten Ali Kemal Gün. Verbindliche Erkenntnisse werden sich so nicht gewinnen lassen, dennoch vermittelt das Buch einen lebhaften Einblick in das Leben von Gastarbeiterfamilien in Deutschland. MAI-CHARLOTT HEINZE

Fatih Çevikkollu:

"Kartonwand". Das Trauma der Arbeitsmigrant/innen am Beispiel meiner Familie.

Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2023. 208 S., br., 18,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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