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»Igiaba Scego ist Italiens zurzeit wohl interessanteste Schriftstellerin.« Frank Hornig, Der Spiegel
Wie erzählt man die Geschichte einer Familie, wenn die gemeinsame Sprache in der Diaspora verloren geht? Wenn die Erinnerungen trügen und geliebte Verwandte seit Generationen in die ganze Welt zerstreut leben? In ihrem gefeierten autofiktionalen Roman geht die große italienische Erzählerin Igiaba Scego auf Spurensuche zwischen Mogadischu und Rom. Sie erzählt von verloren geglaubten Müttern und wiedergefundenen Brüdern, von einer Kindheit als Hirtin und der Schule in Rom-Nord, von…mehr

Produktbeschreibung
»Igiaba Scego ist Italiens zurzeit wohl interessanteste Schriftstellerin.« Frank Hornig, Der Spiegel

Wie erzählt man die Geschichte einer Familie, wenn die gemeinsame Sprache in der Diaspora verloren geht? Wenn die Erinnerungen trügen und geliebte Verwandte seit Generationen in die ganze Welt zerstreut leben? In ihrem gefeierten autofiktionalen Roman geht die große italienische Erzählerin Igiaba Scego auf Spurensuche zwischen Mogadischu und Rom. Sie erzählt von verloren geglaubten Müttern und wiedergefundenen Brüdern, von einer Kindheit als Hirtin und der Schule in Rom-Nord, von Verletzungen der Kolonialgeschichte, die sich über die Generationen tragen - und von der großen Hoffnung, die im Erzählen liegt.

»Scego schreibt blendend und dringlich, in einer Sprache, die ganz ihr gehört. Dieses Buch muss gelesen werden.« Jhumpa Lahiri

»Eine der wichtigsten Stimmen Italiens.« The Guardian
Autorenporträt
Igiaba Scego wurde 1974 in Rom geboren und stammt aus einer somalischen Familie. Die Literatur und das Lesen bezeichnet sie selbst als ihren Rettungsanker:  'In Büchern habe ich meine Geschichte, mich selbst und vor allem Afrika gefunden.' Scego studierte Literatur und Pädagogik, heute schreibt die Autorin mehrerer Romane und Erzählungen auch für Zeitungen und Zeitschriften wie 'L'Unità' und 'Internazionale' und ist Herausgeberin mehrerer Anthologien. 'Kassandra in Mogadischu' ist ihr erster Roman bei S. FISCHER. Verena von Koskull übersetzt Literatur aus dem Italienischen und dem Englischen. 2020 wurde sie mit dem Deutsch-Italienischen Übersetzerpreis ausgezeichnet. Sie lebt zwischen Brandenburg und Rom.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Die Kolonialvergangenheit Italiens in Somalia wurde in der Nachkriegszeit totgeschwiegen, weiß Rezensentin Andrea Pollmeier. Igiaba Scego, die mit der Erzählerin ihres autofiktionalen Romans gleichzusetzen ist, holt sie nun mit "poetischer Kraft" hervor, so die Kritikerin. Die Geschichte ihrer Familie, die aus dem italienisch besetzten Somalia nach Rom zog, macht die Autorin zum Teil einer weitreichenden Analyse über historische Traumata und und folgt dabei den "Methoden der Erinnerungsforschung", wie Pollmeier anmerkt. Feinsinnig und nicht vor der Komplexität der Realität zurückschreckend, führt Scego die Realität in der Diaspora vor Augen, so die Kritikerin, gleichzeitig spielt der Krieg gegen Äthiopien, für den Italien somalische Soldaten zwangsrekrutierte, eine zentrale Rolle: Das "Echo des damaligen Wahnsinns" wirkt in der Erzählerin nach und wird wohl noch viele Generationen nach ihr verfolgen. Dennoch liest man Kassandra als eine "Widerstandskämpferin", die in ihrem Unglück nicht verharrt, sondern sich Techniken aneignet, damit umzugehen, schließt die beeindruckte Rezensentin.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.10.2024

In einem Land
vor unserer Zeit
In Italiens kollektivem Bewusstsein ist die
Kolonialgeschichte kaum verankert.
Zwei Romane wollen das ändern.
VON JÖRG HÄNTZSCHEL
Auf der letzten Seite von Igiaba Scegos Roman „Kassandra in Mogadischu“ ist ein berückendes Foto zu sehen: Eine junge, schöne schwarze Frau zeigt einer ebenso jungen, ebenso schönen weißen Frau, wie man Sandalen näht. Sie stecken die Köpfe eng zusammen, die Lider über ihrer Arbeit gesenkt: zwei Engel des Friedens zwischen Nord und Süd, zwischen Schwarz und Weiß.
Die schwarze Frau ist Scegos Mutter, die Szene gab es wirklich. Doch sie wirkt wie ein utopischer Kontrapunkt zu der düsteren, von Leid und Gewalt durchzogenen Familiengeschichte, die die 1974 als Tochter somalischer Flüchtlinge in Rom geborene Schriftstellerin zuvor erzählt. Nein, nicht erzählt. Von der sie kreisend und schaufelnd Schicht für Schicht zutage fördert, dabei nicht nur gegen ihren Schmerz, sondern auch gegen ihre Fassungslosigkeit ankämpft, dass sich das alles tatsächlich so zugetragen hat.
Scegos Buch ist einer von zwei italienischen Romanen in diesem Herbst, die sich – unter umgekehrten Vorzeichen – mit Italiens Kolonialvergangenheit beschäftigen. Im kollektiven Bewusstsein ist sie, ähnlich wie in Deutschland, kaum präsent. Die Flüchtlinge aus Afrika haben daran nichts geändert, im Gegenteil. Ihre prekäre Präsenz hat das alte Klischee vom abgekoppelten Elendskontinent Afrika eher noch verstärkt.
Die zwei Bücher erzählen nun davon, wie eng Italien mit seinen Überseebesitzungen verstrickt ist und welche unterschiedlichen Rollen diese bis heute spielen: Müllhaufen und Männerspielplatz, Plantage und Traumort und Schlachtfeld. Migration, auch davon handeln diese Bücher, ist keine Bewegung von A nach B, sondern ein Hin und Her, ein ständiges Nichtganzloskommen und Nichtganzankommen, das im Bewusstsein Reichtum hinterlässt und Narben.
Beide Bücher handeln von Menschen, die in diesen changierenden Beziehungen aufgerieben werden. Um diesen „verdammten Krieg, der in uns wohnt“, zu benennen, kehrt Scego immer wieder zu dem somalischen Wort „jirro“ zurück, Krankheit, Übel, Schmerz. Sein schriller Klang durchsticht ihre aufgewühlte Prosa Dutzende Male, wenn sie beschreibt, was es in ihr anrichtete: Dass sie mit ihren Eltern in Rom in winzigen Butzen hauste, obwohl ihr Vater in Somalia ein bekannter Mann war; dass ihr Komplimente gemacht werden für ihr Italienisch, obwohl sie doch in Italien geboren wurde wie ihre Freundinnen; dass ihre Mutter immer nur so tat, als könne sie lesen und schreiben.
Der metaphorische Krieg wird für Scego am letzten Tag des Jahres 1990 real. Die Sechzehnjährige bricht gerade zu ihrer ersten Silvesterparty auf, als in den Abendnachrichten das Wort „Mogadischu“ fällt. In Somalia ist der Bürgerkrieg ausgebrochen. Erst kurz zuvor ist ihre Mutter zu einem Besuch in die Heimatstadt ihrer Familie geflogen. Fast zwei Jahre lang bleibt sie dort verschollen.
Aus dem Trauma dieser Abwesenheit holt Scego 30 Jahre später die unglaubliche Geschichte ihrer Familie hervor und versucht zu beantworten, wer sie selbst eigentlich ist. Ihre Mutter wuchs als Hirtin auf, sie liest Dante und Christa Wolf. Ihr Vater kämpfte als Botschafter und Politiker für die Unabhängigkeit, bis er sich 1970 beim Putsch von Mohammed Siad Barre in die Hauptstadt der einst verhassten Kolonisatoren rettete.
Ihren Roman schreibt die Erzählerin als „Brief“ an ihre Nichte Soraya, die in Montreal lebt. Doch diese Metapher dient vor allem dazu, das radikal intime Erzählen zu erlauben, das die große Stärke des Romans ist. Es verläuft in Selbstgesprächen, obsessiv und suchend, wie sie jemand in schlaflosen Nächten führt. Der Leser darf und soll mithören, wenn die Ängste und Verletzungen aus Scego herausbrechen wie das Essen, das sie in die Kloschüssel kotzt: „Ich kotzte Granatwerfer, Revolver, Maschinengewehre. Und Scharfschützengewehre, Kalaschnikows, Handgranaten, Aerosolbomben.“ Doch die Konstruktion fordert dem Leser anfangs einiges ab. Codes und Kontexte lassen sich nicht entschlüsseln, somalische Wörter purzeln durch die Sätze. Fremd ist auch der Leser, das lässt sich nicht vermeiden.
Doch angegriffen fühlen – als Weiße, als Europäer – soll sich niemand. An Abrechnungen hat Scego kein Interesse. „Gewalt gebiert weitere Gewalt“, schreibt sie. „Sieht man auch nur ein einziges Mal Blut fließen, wird man unweigerlich zum Vampir.“ Mit ihrem Brief an die Nichte hofft sie, das Weiterreichen von Traumata, Demütigungen und Verletzungen von einer Generation an die nächste zu unterbrechen: mit Sprache, mit Literatur.
Auch „Das große A“, der Debütroman der 1988 geborenen Schriftstellerin Giulia Caminito, 2016 erschienen und erst jetzt übersetzt, ist eine traumatische Familiengeschichte zwischen Italien und Afrika. Doch während Somalia bei Scego ein unheilbar vom Virus Gewalt befallener Ort ist, wird eine andere ehemalige italienische Kolonie, Eritrea, bei Caminito zum paradoxen Zufluchtsort. Während Scego verstehen will, wie es ihre Mutter aus der somalischen Steppe ins Rom der Gegenwart verschlagen hat, folgt Caminito einer Mutter und deren Tochter von Mailand nach Ostafrika. Auch diese Geschichte der Entwurzelung hat ihren Ursprung im Krieg, dem Zweiten Weltkrieg, und auch hier weint eine Tochter um ihre abwesende Mutter: Doch da hören die Gemeinsamkeiten schon auf.
Die egoistische Adele hat ihren Mann sitzen gelassen und ist nach Eritrea durchgebrannt. Ihre Tochter Giada hat sie bei deren mussoliniverrückter Tante am Rand von Mailand untergebracht, wo diese ratlos, hilflos und ungeliebt unter amerikanischen Bomben das Vergehen der Zeit erwartet.
Und tatsächlich, sie vergeht. Der Krieg ist aus, und die Mutter holt Giada in dieses große A. Doch so fantastisch, wie sie es sich in den Kriegsnächten ausgemalt hat, ist das fremde Land ihrer fremden Mutter nicht: In Assab, einer desolaten Kleinstadt am Roten Meer, betreibt sie eine ärmliche Bar, deren Hinterzimmer als Wohnung dient. Neun Jahre lang fällt kein Regen. Doch Giada will endlich ein Zuhause. Überstürzt heiratet sie den gut aussehenden Aufschneider Giacomo, Spross einer Familie neureicher Kolonialprofiteure, der sie mit seiner Untreue bald zu einer doppelt Heimatlosen macht.
Beides beschreibt Caminito meisterhaft: die winzige, harsche Oase, die sich ihre Mutter in der Wüste geschaffen hat, und die welkende Welt der eben noch auf großem Fuß lebenden italienischen Expats, der Diplomaten, Geschäftemacher und Konzern-Entsandten, denen dämmert, dass es für sie bald Zeit ist, die Kisten zu packen. Je dringlicher Afrika sie loswerden will, desto unklarer wird ihnen, was sie dort eigentlich wollten. Giada, die nirgendwo dazugehört, erkennt es als Erste: „Das wird wohl die Wüstenluft sein, das werden die Eukalyptusbäume und die Palmen sein. Es wird wohl so sein, dass hier alles verkehrt herum ist.“ Doch eine Welt, die richtig herum ist, wird Giada nicht mehr finden.
Wie Scego schreibt auch Caminito, die erst 28 war, als „Das große A“ erschien, über ihre eigene Familie. Ihre Urgroßmutter betrieb wie Adele eine Bar in Assab, ihr Vater stammt aus Eritreas Hauptstadt Asmara. Vielleicht liegt es daran, dass ihre fantastischen Schilderungen – auch wenn sie alles andere als verklärend sind – in einem leicht nostalgischen Sepia-Ton leuchten. Scego dechiffriert ihre Familiengeschichte mit der umfassenden Aufgeklärtheit einer Postkolonialistin von 2024. Caminitos Buch hingegen lebt von seiner historischen Immanenz, davon, dass ihren Figuren nie klar ist, was gerade mit ihnen geschieht, an welcher Weggabelung der Geschichte sie gerade stehen und wie man später einmal über diese italienische Kolonie am Horn von Afrika urteilen wird.
Caminitos Roman ist auch stilistisch ein Gegenentwurf zu dem von Scego. Sie schreibt elegant und abgeklärt, ihr Buch ist glänzend gemachtes Arthouse-Kino auf Papier. Doch bei aller literarischer Qualität: Dem Mahlstrom der Geschichte, von dem man bei Igiaba Scego mitgerissen wird, entkommt auch sie nicht. Heute, acht Jahre nach seinem Erschienen, würde sie ihr Buch, das in Afrika spielt, aber in dem kein Afrikaner vorkommt, wohl schon wieder anders schreiben.
Der Leser darf und soll
mithören, wenn die Ängste
aus Scego herausbrechen
Caminitos Roman ist
glänzend gemachtes
Arthouse-Kino auf Papier
Igiaba Scego:
Kassandra in
Mogadischu.
Aus dem Italienischen von Verena von Koskull.
Verlag S. Fischer.
Frankfurt am Main, 2024. 414 Seiten, 26 Euro.
Giulia Caminito:
Das große A.
Aus dem Italienischen
von Barbara Kleiner.
Wagenbach Verlag,
Berlin 2024.
272 Seiten, 24 Euro.
Wurde 1974 als Tochter somalischer Flüchtlinge in Rom geboren: Igiaba Scego.
Foto: Fredrik Sandberg / TT / IMAGO
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[...] Scego [verbindet] die Geschichte ihrer Familie und die des ostafrikanischen Landes in einem schillernd vielfältigen, von somalischen Vokabeln durchsetzten, autofiktionalen Roman. Ulrike Günther zwd Politikmagazin Sonderbeilage 20241101