"Erzählung von Christa Wolf, erschienen 1983. - Der Text adaptiert die von Aischylos in seiner Orestie erzählte Geschichte der trojanischen Königstochter Kassandra. Sie hatte von Apoll die Sehergabe erhalten, war dann aber von ihm gestraft worden, als sie sich seiner Liebe verweigerte: Niemand sollte je ihren Prophezeiungen Glauben schenken. Vergebens warnte Kassandra die Trojer vor dem Krieg mit den Griechen. Nach dem Untergang ihres Volkes wird sie von Agamemnon als Sklavin nach Griechenland verschleppt. Hier setzt Christa Wolfs Erzählung ein. Kassandra, vor dem Löwentor von Mykene stehend, weiß um ihren bevorstehenden Tod und um das Schicksal des triumphierenden Agamemnon..." (aus: Kindlers Literaturlexikon)
"Christa Wolf hat die Figur Kassandra lebendig phantasiert und sie aus dem Mythos in ein utopisches Einst als ihren Ort eingeschrieben - ein Einst, das die Vergangenheit und zugleich die Zukunft meint. Es war einst und wird einst sein eine Frau namens Kassandra, eine exemplarische Dissidentin, eine Frau am Schnittpunkt zwischen Patriarchat und Matriarchat, eine Frau, die für sich und ihresgleichen eine lebbare Alternative zum (männlichen) Gewalt- und Herrschaftsdenken sucht, eine Frau, die auf dem rechten Weg scheitert, aber dadurch ihn beglaubigt. Eine Erzählung von klassischer Wucht und Schwere, fast einschüchternd vollkommen" (profil, Wien)
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Knapp dreißig Jahre nach der Veröffentlichung von Christa Wolfs Werk "Kassandra" ist nun auch diese ungekürzte Autorenlesung erschienen, berichtet Rezensent Martin Maurach und stellt fest: Auch heute ist diese Erzählung noch aktuell. Allerdings hört der Kritiker den Text heute weniger als Reaktion Wolfs auf die DDR, sondern versteht ihn angesichts der weltweiten Konflikte von Religionen und Kulturen vielmehr als "Echo" auf frühere totalitäre Systeme. Die Allgemeingültigkeit ihrer Innenanalyse eines autoritären Staates erreiche die Autorin dadurch, dass sie mehr auf Reflexion als auf Geschehen und mehr auf den Kampf gegen Männermacht und Heldenideologie als gegen politische Programme setze, informiert der Rezensent. Als so wahrgenommene "Literatur einer zweiten deutschen inneren Emigration" kann er Wolfs Parabel auch heute noch unbedingt empfehlen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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'Ein Buch, das zum Mythos wurde.' Deutschlandradio Kultur