»10 Best Books of 2022.« The New York Times Book Review
»Brillant, einzigartig, feministisch. Claire-Louise Bennett ist eine großartige Autorin.« Sinéad Gleeson
Mit atemberaubender Intensität erzählt die preisgekrönte britische Schriftstellerin Claire-Louise Bennett die Geschichte einer jungen Frau - vom Entdecken des eigenen Körpers, vom Beharren auf Unabhängigkeit und von der grenzenlosen Liebe zur Literatur.
In einer Arbeiterstadt einer Grafschaft westlich von London kritzelt ein junges Mädchen Geschichten auf die letzten Seiten ihres Schulheftes, berauscht von den ersten Funken ihrer Fantasie. Als sie heranwächst, werden alles und jeder, dem sie begegnet, zum Brennstoff für ihr Talent: der russische Mann mit dem alten kastanienbraunen Auto, der in dem Supermarkt, in dem sie an Kasse 19 sitzt, einkauft und ihr ein Exemplar von Nietzsches »Jenseits von Gut und Böse« zusteckt. Der immer größer werdende Stapel an Büchern, in denen sie sich verliert - und wiederfindet.
»Brillant, einzigartig, feministisch. Claire-Louise Bennett ist eine großartige Autorin.« Sinéad Gleeson
Mit atemberaubender Intensität erzählt die preisgekrönte britische Schriftstellerin Claire-Louise Bennett die Geschichte einer jungen Frau - vom Entdecken des eigenen Körpers, vom Beharren auf Unabhängigkeit und von der grenzenlosen Liebe zur Literatur.
In einer Arbeiterstadt einer Grafschaft westlich von London kritzelt ein junges Mädchen Geschichten auf die letzten Seiten ihres Schulheftes, berauscht von den ersten Funken ihrer Fantasie. Als sie heranwächst, werden alles und jeder, dem sie begegnet, zum Brennstoff für ihr Talent: der russische Mann mit dem alten kastanienbraunen Auto, der in dem Supermarkt, in dem sie an Kasse 19 sitzt, einkauft und ihr ein Exemplar von Nietzsches »Jenseits von Gut und Böse« zusteckt. Der immer größer werdende Stapel an Büchern, in denen sie sich verliert - und wiederfindet.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Helena Schäfer hätte sich etwas mehr Identifikationspotenzial gewünscht in Claire-Louise Bennetts autobiografischer Coming-of-Age-Story. Die Geschichte einer Büchernärrin erzählt die Autorin laut Schäfer sprunghaft, oberflächlich, repetetiv und ohne sinnstiftende Figuren oder Konstellationen. Auch wenn Schäfer darin schließlich die Selbstbezogenheit der Erzählerin und die Abgetrenntheit von ihrer Umwelt gespiegelt sieht, macht ihr das die Lektüre nicht eben leicht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Wenn man einen Klassiker so begreift, als würde er eine literarische Form gewissermaßen vollenden, dann handelt es sich bei Claire-Louise Bennetts 'Kasse 19', so muss man es wohl sagen, um einen Klassiker der Gegenwart.« Felix Stephan / Süddeutsche Zeitung
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.11.2023Das Mädchen, das später ich sein würde
Beobachtungsgabe trennt von der Welt: Claire-Louise Bennetts romanhafter Erlebnisbericht "Kasse 19"
Wir leben, indem wir lesen. Für die namenlose Erzählerin in Claire-Louise Bennetts autobiographischem Roman gibt es kaum einen Unterschied zwischen beidem. Mit etwa vierzig blickt sie auf ihre Jugend und die Zeit als junge Erwachsene zurück. Dabei erinnert sie sich kaum an Freundschaften oder klassische Stationen des Erwachsenwerdens. Ihr Reifegrad bemisst sich stattdessen an den Büchern, die sie zu einer bestimmten Zeit gelesen hat, und an jenen, die sie noch nicht gelesen hat, aber später lesen will: "Bonjour Tristesse", "Anna Karenina", "Frankenstein", "Zimmer mit Aussicht". Manchmal liest sie nur Bücher von alten Männern, von einem bestimmten Zeitpunkt an nur noch Bücher von Frauen: Joan Didion, bell hooks, Annie Ernaux, Ingeborg Bachmann, Anaïs Nin, Anna Kavan, Ann Quin.
Der Leser erfährt einige biographische Eckpunkte der Erzählerin, die sich mit jenen der Autorin decken. Die Erzählerin wächst wie Bennett im Südwesten Englands auf. Der soziale Aufstieg der Eltern wird anhand von Dingen geschildert: sonntags Croissants, Shampoo mit Bananenduft, maßgefertigte Jalousien, Ballettschuhe. Die junge Frau studiert Literatur und Theaterwissenschaften in London. In den Sommermonaten jobbt sie im Supermarkt an der titelgebenden Kasse 19. Später wandert sie nach Irland aus. Sie schreibt und liest. Abgesehen von diesem groben Rahmen gibt es keine Handlung.
Andere Personen kommen nur am Rande vor: meistens ältere Männer oder übergriffige Partner, die nicht damit klarkommen, dass die Erzählerin eine Frau ist, die schreibt. Die brüchigen Beziehungen werden oft über Bücher vermittelt. In der Schule ist sie fasziniert von ihrem Lehrer. Sie schenkt ihm selbst geschriebene Geschichten. Im Supermarkt begegnet sie einem russischen Mann, der ihr Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" schenkt. Wechselnde Partner im Studium schreiben Gedichte, empfehlen ihr Bücher oder zerreißen das, was sie geschrieben hat.
In Gedankenschleifen erinnert sich die Erzählerin daran, wie sie mit dem Schreiben begonnen hat: in einer Schulstunde. Sie malt das Gesicht des angehimmelten Lehrers in ihr Schulheft und löscht es danach mit einem Gewirr aus Kugelschreiberkreisen aus. Dabei gerät der Stift in Fahrt und entwickelt ein Eigenleben. Aus der Linie werden Wörter, und aus den Wörtern werden Geschichten. In denen ist Raum für Morbides, für Weltekel. Hände werden aufgegessen, blassgelbe Klumpen formen sich, Fäden sprießen aus Fingern und verheddern sich. Meistens gehen am Ende Bücher oder Personen in Flammen auf. Die Geschichten stiften Unbehagen. Ihre Form ist wie der Inhalt experimentell und wirr.
Die Erzählerin ist stets auf der Suche nach einer Stimme, die zu ihr passt. Am Anfang und am Ende klingt sie nicht wie vierzig, sondern wie eine alte Frau, die schon ein bisschen schusselig ist. Sie wiederholt sich ständig, redet mit sich selbst: "Ja. Ja, so war das." Es klingt, als wären die Erfahrungen in ihrem Kopf schon durcheinandergeraten, aber als würde sich einiges dadurch auch klarer zeigen. Die Perspektive wechselt immer wieder: Mal erzählt ein Ich, mal ein Wir, mal wird in der dritten Person erzählt, "das Mädchen am Tisch, das später ich sein würde".
Die Erzählerin behauptet: "Die ganze Zeit las ich die Welt." Immer wieder taucht ein silberner Lamé-Rock in Brighton auf, der über den Gehweg schleift und die Pfützen aufsaugt. Akribisch beschreibt sie, wie ihre Periode auf den Hocker in der Schule sickert, der hübscheste aller Rottöne, perfekt für einen Lippenstift. Doch ihre Beobachtungsgabe trennt die Erzählerin von der Welt. Sie steht abseits ihrer eigenen Geschichte: "Schon zu der Zeit hatte ich das Gefühl, außerhalb der Welt zu leben und in sie hineinzuschauen, und die stärksten Empfindungen, die dieser Zustand in mir auslöste, waren Verlassenheit und seelischer Schmerz."
Das Erinnern ist sprunghaft, es dreht sich im Kreis und zuweilen um sich selbst. Die übertriebene Introspektion macht es dem Leser nicht leicht, einen Zugang zur Erzählerin und ihrer Lebensgeschichte zu finden. Handlungsstränge, Figuren und Beziehungen, die Sinn stiften und Empathie ermöglichen könnten, werden nur oberflächlich angedeutet. Das Leben wird in der Reflexion so lange zerlegt, bis nicht mehr viel davon übrig bleibt außer Erinnerungsfetzen, einzelnen Gegenständen und drückender Leere. Auch der Leser bleibt immer Beobachter. Die Autorin tut einem nicht den Gefallen, eine kohärente Coming-of-Age-Geschichte zu schreiben, in die man eintauchen, in der man Trost finden könnte. Man muss die Leere mit ihr aushalten können.
Kurz vor Ende wird das Schema einmal gebrochen. Erst fällt ein schwerwiegender Satz - eine Vorahnung auf das eigene Ende -, und dann werden zwei traumatische Erfahrungen in weniger experimenteller Prosa geschildert. Diese beiden Szenen helfen, das Chaos, die Selbstbezogenheit und die Leere einzuordnen. Erst da erfährt man, warum Leben und Lesen für die Erzählerin identisch sind. Lesen ist ihre Überlebensstrategie: "Die Seite umblättern, die Seite umblättern. Ja, auf diese Weise habe ich weitergelebt." HELENA SCHÄFER
Claire-Louise Bennett: "Kasse 19".
Aus dem Englischen von Eva Bonné. Luchterhand Verlag, München 2023. 304 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Beobachtungsgabe trennt von der Welt: Claire-Louise Bennetts romanhafter Erlebnisbericht "Kasse 19"
Wir leben, indem wir lesen. Für die namenlose Erzählerin in Claire-Louise Bennetts autobiographischem Roman gibt es kaum einen Unterschied zwischen beidem. Mit etwa vierzig blickt sie auf ihre Jugend und die Zeit als junge Erwachsene zurück. Dabei erinnert sie sich kaum an Freundschaften oder klassische Stationen des Erwachsenwerdens. Ihr Reifegrad bemisst sich stattdessen an den Büchern, die sie zu einer bestimmten Zeit gelesen hat, und an jenen, die sie noch nicht gelesen hat, aber später lesen will: "Bonjour Tristesse", "Anna Karenina", "Frankenstein", "Zimmer mit Aussicht". Manchmal liest sie nur Bücher von alten Männern, von einem bestimmten Zeitpunkt an nur noch Bücher von Frauen: Joan Didion, bell hooks, Annie Ernaux, Ingeborg Bachmann, Anaïs Nin, Anna Kavan, Ann Quin.
Der Leser erfährt einige biographische Eckpunkte der Erzählerin, die sich mit jenen der Autorin decken. Die Erzählerin wächst wie Bennett im Südwesten Englands auf. Der soziale Aufstieg der Eltern wird anhand von Dingen geschildert: sonntags Croissants, Shampoo mit Bananenduft, maßgefertigte Jalousien, Ballettschuhe. Die junge Frau studiert Literatur und Theaterwissenschaften in London. In den Sommermonaten jobbt sie im Supermarkt an der titelgebenden Kasse 19. Später wandert sie nach Irland aus. Sie schreibt und liest. Abgesehen von diesem groben Rahmen gibt es keine Handlung.
Andere Personen kommen nur am Rande vor: meistens ältere Männer oder übergriffige Partner, die nicht damit klarkommen, dass die Erzählerin eine Frau ist, die schreibt. Die brüchigen Beziehungen werden oft über Bücher vermittelt. In der Schule ist sie fasziniert von ihrem Lehrer. Sie schenkt ihm selbst geschriebene Geschichten. Im Supermarkt begegnet sie einem russischen Mann, der ihr Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" schenkt. Wechselnde Partner im Studium schreiben Gedichte, empfehlen ihr Bücher oder zerreißen das, was sie geschrieben hat.
In Gedankenschleifen erinnert sich die Erzählerin daran, wie sie mit dem Schreiben begonnen hat: in einer Schulstunde. Sie malt das Gesicht des angehimmelten Lehrers in ihr Schulheft und löscht es danach mit einem Gewirr aus Kugelschreiberkreisen aus. Dabei gerät der Stift in Fahrt und entwickelt ein Eigenleben. Aus der Linie werden Wörter, und aus den Wörtern werden Geschichten. In denen ist Raum für Morbides, für Weltekel. Hände werden aufgegessen, blassgelbe Klumpen formen sich, Fäden sprießen aus Fingern und verheddern sich. Meistens gehen am Ende Bücher oder Personen in Flammen auf. Die Geschichten stiften Unbehagen. Ihre Form ist wie der Inhalt experimentell und wirr.
Die Erzählerin ist stets auf der Suche nach einer Stimme, die zu ihr passt. Am Anfang und am Ende klingt sie nicht wie vierzig, sondern wie eine alte Frau, die schon ein bisschen schusselig ist. Sie wiederholt sich ständig, redet mit sich selbst: "Ja. Ja, so war das." Es klingt, als wären die Erfahrungen in ihrem Kopf schon durcheinandergeraten, aber als würde sich einiges dadurch auch klarer zeigen. Die Perspektive wechselt immer wieder: Mal erzählt ein Ich, mal ein Wir, mal wird in der dritten Person erzählt, "das Mädchen am Tisch, das später ich sein würde".
Die Erzählerin behauptet: "Die ganze Zeit las ich die Welt." Immer wieder taucht ein silberner Lamé-Rock in Brighton auf, der über den Gehweg schleift und die Pfützen aufsaugt. Akribisch beschreibt sie, wie ihre Periode auf den Hocker in der Schule sickert, der hübscheste aller Rottöne, perfekt für einen Lippenstift. Doch ihre Beobachtungsgabe trennt die Erzählerin von der Welt. Sie steht abseits ihrer eigenen Geschichte: "Schon zu der Zeit hatte ich das Gefühl, außerhalb der Welt zu leben und in sie hineinzuschauen, und die stärksten Empfindungen, die dieser Zustand in mir auslöste, waren Verlassenheit und seelischer Schmerz."
Das Erinnern ist sprunghaft, es dreht sich im Kreis und zuweilen um sich selbst. Die übertriebene Introspektion macht es dem Leser nicht leicht, einen Zugang zur Erzählerin und ihrer Lebensgeschichte zu finden. Handlungsstränge, Figuren und Beziehungen, die Sinn stiften und Empathie ermöglichen könnten, werden nur oberflächlich angedeutet. Das Leben wird in der Reflexion so lange zerlegt, bis nicht mehr viel davon übrig bleibt außer Erinnerungsfetzen, einzelnen Gegenständen und drückender Leere. Auch der Leser bleibt immer Beobachter. Die Autorin tut einem nicht den Gefallen, eine kohärente Coming-of-Age-Geschichte zu schreiben, in die man eintauchen, in der man Trost finden könnte. Man muss die Leere mit ihr aushalten können.
Kurz vor Ende wird das Schema einmal gebrochen. Erst fällt ein schwerwiegender Satz - eine Vorahnung auf das eigene Ende -, und dann werden zwei traumatische Erfahrungen in weniger experimenteller Prosa geschildert. Diese beiden Szenen helfen, das Chaos, die Selbstbezogenheit und die Leere einzuordnen. Erst da erfährt man, warum Leben und Lesen für die Erzählerin identisch sind. Lesen ist ihre Überlebensstrategie: "Die Seite umblättern, die Seite umblättern. Ja, auf diese Weise habe ich weitergelebt." HELENA SCHÄFER
Claire-Louise Bennett: "Kasse 19".
Aus dem Englischen von Eva Bonné. Luchterhand Verlag, München 2023. 304 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main