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Der vorliegende Band dokumentiert eine wissenschaftliche Tagung zu rechtlichen, praktischen und sozialwissenschaftlichen Grundfragen des Katastrophenschutzes, die an der Humboldt-Universität zu Berlin veranstaltet wurde. Die Beiträge der Autoren aus Praxis und Wissenschaft vermitteln einen vielfältigen Überblick über die Grundlagen des Katastrophenrechts. Es werden unter anderem die Fragen der bundeseinheitlichen Zuständigkeitsordnung sowie der behördlichen Befugnisse und Aufgabenstellungen im Katastrophenschutz, die Rolle der Hilfsorganisationen, Fragen der Katastrophenprävention und der Versicherbarkeit von Katastrophenschäden angesprochen.…mehr

Produktbeschreibung
Der vorliegende Band dokumentiert eine wissenschaftliche Tagung zu rechtlichen, praktischen und sozialwissenschaftlichen Grundfragen des Katastrophenschutzes, die an der Humboldt-Universität zu Berlin veranstaltet wurde.
Die Beiträge der Autoren aus Praxis und Wissenschaft vermitteln einen vielfältigen Überblick über die Grundlagen des Katastrophenrechts. Es werden unter anderem die Fragen der bundeseinheitlichen Zuständigkeitsordnung sowie der behördlichen Befugnisse und Aufgabenstellungen im Katastrophenschutz, die Rolle der Hilfsorganisationen, Fragen der Katastrophenprävention und der Versicherbarkeit von Katastrophenschäden angesprochen.
Autorenporträt
Prof. Dr. Michael Kloepfer ist tätig am Institut für Öffentliches Recht und Völkerrecht der Humboldt-Universität zu Berlin und ist dort Inhaber des Lehrstuhls für Staats- und Verwaltungsrecht, Europarecht, Umweltrecht, Finanzrecht und Wirtschaftsrecht. Er ist bereits Autor anderer wichtiger großer Lehrbücher zum Umweltrecht und Informationsrecht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.09.2008

Katastrophenbewältigung durch Prozesse

Erdbeben, Tsunamis und andere Unglücke fordern auch die Jurisprudenz heraus. Am Beispiel der Geschichte der Chemiekatastrophe von Bhopal sieht man, wie und warum das Recht scheitern kann.

Vor einem Vierteljahrhundert erschütterte der Störfall in einem indischen Chemiewerk der Union Carbide die Weltöffentlichkeit. Der bis dato wenig bekannte Name des Ortes Bhopal ist seither zu einer Chiffre für industrielles Großversagen geworden, aber auch für ungleiche Zugänge zu effektiver juristischer und humanitärer Hilfe in einer sich globalisierenden Welt. Welche Herausforderungen bei schwersten Schadenfällen zu bewältigen sind, ist Thema eines Rechtsgebiets, dem nach dem 11. September, dem Sommerhochwasser 2002 und dem Tsunami vom 26. Dezember 2004 verstärkt Aufmerksamkeit zuteil wird: dem Katastrophenrecht.

Dass hier vielfältige private und staatliche Vorsorge, effektive Maßnahmen im Ernstfall und umfassende Versicherungslösungen zusammenwirken sollten, verdeutlicht der soeben erschienene Tagungsband von Michael Kloepfer. Demnach handelt es sich beim Katastrophenrecht um eine sogenannte juristische Querschnittsmaterie mit besonderem Risikobezug, und sie gleicht insofern dem von Kloepfer bisher erforschten Umwelt- und Technikrecht. Privatwirtschaft, Staat und internationale Gemeinschaft sind hier gleichermaßen als Akteure gefordert, teils präventiv, um es nicht zu Unglücken kommen zu lassen, teils um ihre Folgen zu mildern. Sie müssen transnationale Netzwerke aufbauen, in denen juristisches und naturwissenschaftlich-technisches Wissen zirkuliert - gleich, ob es sich um Naturkatastrophen oder terroristische Anschläge handelt.

Als "Katastrophe" definiert der Jurist Felix Ekardt "ein Großschadensereignis bei gleichzeitiger Überforderung der grundsätzlich (!) zu seiner Bewältigung zuständigen Kräfte". Auch Bhopal illustrierte, wie die Überforderung der Akteure stattfindet: Das schlimmste Industrieunglück in der Geschichte der Menschheit bietet bis heute Anschauung dafür, wie Rechtsinstrumente bei der Katastrophenvorsorge und Katastrophenbewältigung versagen können. Als im Orwell-Jahr 1984 eine Vierzig-Tonnen-Giftwolke der Pestizidfabrik im indischen Bhopal entwich, war das der Anfang einer bis heute in vielen Details unaufgeklärten, menschgemachten Tragödie.

Sheila Jasanoff, die an der Harvard School of Government lehrt, zeigt in einem Aufsatz, wie sich hier Recht und Naturwissenschaften überschnitten, aber beide im interkulturellen Transfer dramatisch an der Lösung scheiterten.

Schon infolge des unmittelbaren Gasaustritts starben nach dem 3. Dezember 1984 Tausende Bewohner Bhopals (die Schätzungen schwanken zwischen 3800 und 20 000), Hunderttausende wurden teils schwer verletzt, viele sind bis heute krank oder behindert. Angesichts der Schwere der Konsequenzen weiß man erstaunlich wenig über die Ursachen. Die Union Carbide Corporation (UCC) spricht auf ihrer Website von einem "act of sabotage". Die staatliche indische Seite hat die Sabotage-Theorie niemals akzeptiert.

Das Recht, das oft ein mächtiges Instrument zur Aufklärung von historischen Sachverhalten, der Erzeugung neuen Wissens und effektiver Hilfe für Opfer ist, hat Jasanoff zufolge hier schmählich versagt. Der indische Staat übernahm 1985 per Gesetz die ausschließliche Vertretung aller juristischen Ansprüche aus dem Unglück. 1989 einigte er sich mit Union Carbide auf eine Entschädigung in Höhe von 470 Millionen Dollar. Damit erloschen nicht nur alle weitergehenden juristischen Ansprüche auf Schadensersatz, auch die offiziellen Untersuchungen zum Unglück wurden eingestellt. 1994 beendete die von der Regierung eingesetzte Kommission sogar die wissenschaftliche medizinische Beobachtung der Folgeschäden. Da waren viele Opferkinder noch nicht geboren, Krebserkrankungen bei anderen Betroffenen noch nicht ausgebrochen.

Dabei gab es durchaus allerlei, das noch aufzuklären gewesen wäre: UCC verneinte sowohl Kenntnis von der Toxizität des ausgetretenen Gifts als auch Wissen um die Organisation und Abläufe in der indischen Fabrik. Das eine Argument ließ die Opfer unmittelbar nach der Katastrophe ohne wirksame medizinische Behandlung, mit dem anderen Argument entzog sich die Muttergesellschaft der juristischen Verantwortung für die Vorgänge im fernen Indien.

Der Transfer von Wissen, so Jasanoffs Lektüre der Ereignisse, verläuft in den Zeiten der Globalisierung keineswegs gleichberechtigt. Dies betrifft nicht nur das naturwissenschaftlich-technische Knowhow, das von UCC nach Bhopal importiert wurde, um in einem Niedriglohnland mit abgesenkten Sicherheitsstandards zu produzieren. Auch juristisch hätte man Wissen und Lösungen für die Großschadensabwicklung gezielt heranziehen können, um einen angemessenen Umgang mit der Katastrophe zu gewährleisten. Doch die indische Argumentation einer juristischen Verantwortlichkeit der als einheitlich begriffenen "multinational corporation" wurde von UCC scharf zurückgewiesen.

Produzenten und Konsumenten transnationaler Risiken standen daher in einem asymmetrischen Verhältnis und alle juristischen Chancen, diese Asymmetrie auszugleichen, wurden ausgeschlagen. Dies führte zu strukturellen Defiziten und Ungerechtigkeiten. Die Forscherin Jasanoff, die schon 1994 ein Buch zu "Risk management after Bhopal" herausgegeben hatte, besuchte die Stadt 2004 und sprach mit Betroffenen. Zu diesem Zeitpunkt zahlte die Regierung die letzte Rate an die Opfer der Katastrophe, und die indischen Zeitungen waren voll von Berichten über Missmanagement und Missbrauch der Gelder.

Die Betroffenen fühlen sich nun alleine gelassen, und sie müssen nun mit der Erbschaft einer Industrieruine auf vergiftetem Boden leben. Immerhin gibt es neue juristische Hoffnung für sie: Weil der indische Staat auf Drängen der Opfer 2004 erklärte, seine Übernahme der Ansprüche sei auf die Katastrophe vom Dezember 1984 begrenzt, können sie wieder selbst aktiv werden. Dabei stützen sie sich auf die Schäden, die die Umweltbedingungen bereits vor der Katastrophe verursacht haben. Denn auch diese, so die Aktivisten, spotteten jeglichen Standards - und zwar erst recht jenen des westlichen Konzerns, der sich im Konflikt verschiedener Werte- und Wissenssysteme weiterer Verantwortlichkeit entziehen konnte und sich bis heute weigert, den hochgiftigen Boden des Industriegeländes zu dekontaminieren. Man könnte das Menetekel mangelnder "Katastrophengerechtigkeit" (Kloepfer) kaum besser illustrieren.

MILOS VEC.

Sheila Jasanoff: "Bhopal's Trials of Knowledge and Ignorance", Isis. An International Review Devoted to the History of Science and Its Cultural Influences, 98 (2007), Heft 3; Michael Kloepfer (Hrsg.), "Katastrophenrecht: Grundlagen und Perspektiven" (Schriften zum Katastrophenrecht 1), Nomos Verlag Baden-Baden 2008.

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