"Trunken müssen wir alle sein!" Wer wollte Goethe widersprechen? Nicht die Dichter, die von Glück und Rausch, Trinken und Singen, Wein- und Schnapsgenuss, blauen Augen und anderen Folgen der Trunksucht schrieben: H.C. Artmann, Bertolt Brecht, Wilhelm Busch, Fritz Eckenga, Joseph von Eichendorff, Robert Gernhardt, Johann Wolfgang von Goethe, Fritz Graßhoff, Gottfried Keller, Christoph Meckel, Joachim Ringelnatz, Paul Scheerbart und viele andere.
Halten wir uns an Kurt Tucholsky: "An einem Rausch ist das schönste der Augenblick, in dem er anfängt - und die Erinnerung an ihn." Die Erinnerung hält diese mit trockenem Witz zusammengetragene Anthologie wach.
Halten wir uns an Kurt Tucholsky: "An einem Rausch ist das schönste der Augenblick, in dem er anfängt - und die Erinnerung an ihn." Die Erinnerung hält diese mit trockenem Witz zusammengetragene Anthologie wach.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.08.2003Schlichter Trinken
Es geht nicht ohne: Gereimte Metaphysik des Alkohols
Der Mensch bedarf der Kunst. Ist er betrunken, drängt es ihn zum Gesang. Wie schwer muss es den Leuten fallen, sich in ihrem prosaischen Alltag zusammenzureißen und all die Lieder zu unterdrücken, die sie doch so gerne singen. Wein, Weib und Gesang, heißt es, allein der Fortpflanzungstrieb also steht nach dem Genuss von Alkohol noch vor dem Bedürfnis, sich reimend zu äußern. Allerdings gibt der Körper nach einigen Maß deutliche Zeichen, dass bevölkerungspolitisch vorerst nichts mehr zu machen ist, wohingegen der Geist auch weiterhin glaubt, der eine oder andere Vers würde ihm noch gelingen, ja häufig sogar meint, er vollbringe ganz Erstaunliches.
„Seht ihn an, den Dichter:/ Trinkt er, wird er schlichter.” Ein wahres Wort spricht Robert Gernhardt in seinen „Folgen der Trunksucht”. Das Kind und der Betrunkene, sagt man, sprächen immer wahr. Einsichtig aber zeigen sich beide nicht; Klein-Washington fällt einen Kirschbaum nach dem andern und der Dichter singt weiter von Wein und Rhein. Was auf „Kater-Poesie” zu hören ist, taugt allenfalls zum fröhlichen Reimeraten: Man hört sich einen Vers an, drückt auf Pause, dichtet selbst den nächsten Vers und schaut dann, ob die Versionen übereinstimmen. Wählt man immer die naheliegendste Wortkombination, liegt man meistens richtig. Es sind nicht „Trunkene Verse”, wie das Cover verspricht, sondern fast ausschließlich schlichte Jamben. Rhythmische Aussetzer, die das Stolpern des Betrunkenen versinnbildlichen würden, findet man keine.
Dieter Mann und Otto Sander, die den Großteil der Aufnahme bewältigen, scheint da die Zunge schwer geworden zu sein. Als habe der Alkohol eine existentielle Bedeutung, ja eine geradezu metaphysische Dimension, verleihen sie den Strophen ein Gewicht, das manchenteils lächerlich macht, was lustig sein könnte. Schöne Stimmen, keine Frage, aber hätten sie sich vor der Aufnahme ein Tröpfchen gegönnt, wäre das ganze vielleicht leichtfüßiger geraten und man hätte es geschluckt.
TOBIAS LEHMKUHL
KATER–POESIE: Trunkene Verse von Goethe bis Gernhardt. Patmos, Düsseldorf 2003, 1 CD, 49 Minuten, 14,95 Euro.
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Es geht nicht ohne: Gereimte Metaphysik des Alkohols
Der Mensch bedarf der Kunst. Ist er betrunken, drängt es ihn zum Gesang. Wie schwer muss es den Leuten fallen, sich in ihrem prosaischen Alltag zusammenzureißen und all die Lieder zu unterdrücken, die sie doch so gerne singen. Wein, Weib und Gesang, heißt es, allein der Fortpflanzungstrieb also steht nach dem Genuss von Alkohol noch vor dem Bedürfnis, sich reimend zu äußern. Allerdings gibt der Körper nach einigen Maß deutliche Zeichen, dass bevölkerungspolitisch vorerst nichts mehr zu machen ist, wohingegen der Geist auch weiterhin glaubt, der eine oder andere Vers würde ihm noch gelingen, ja häufig sogar meint, er vollbringe ganz Erstaunliches.
„Seht ihn an, den Dichter:/ Trinkt er, wird er schlichter.” Ein wahres Wort spricht Robert Gernhardt in seinen „Folgen der Trunksucht”. Das Kind und der Betrunkene, sagt man, sprächen immer wahr. Einsichtig aber zeigen sich beide nicht; Klein-Washington fällt einen Kirschbaum nach dem andern und der Dichter singt weiter von Wein und Rhein. Was auf „Kater-Poesie” zu hören ist, taugt allenfalls zum fröhlichen Reimeraten: Man hört sich einen Vers an, drückt auf Pause, dichtet selbst den nächsten Vers und schaut dann, ob die Versionen übereinstimmen. Wählt man immer die naheliegendste Wortkombination, liegt man meistens richtig. Es sind nicht „Trunkene Verse”, wie das Cover verspricht, sondern fast ausschließlich schlichte Jamben. Rhythmische Aussetzer, die das Stolpern des Betrunkenen versinnbildlichen würden, findet man keine.
Dieter Mann und Otto Sander, die den Großteil der Aufnahme bewältigen, scheint da die Zunge schwer geworden zu sein. Als habe der Alkohol eine existentielle Bedeutung, ja eine geradezu metaphysische Dimension, verleihen sie den Strophen ein Gewicht, das manchenteils lächerlich macht, was lustig sein könnte. Schöne Stimmen, keine Frage, aber hätten sie sich vor der Aufnahme ein Tröpfchen gegönnt, wäre das ganze vielleicht leichtfüßiger geraten und man hätte es geschluckt.
TOBIAS LEHMKUHL
KATER–POESIE: Trunkene Verse von Goethe bis Gernhardt. Patmos, Düsseldorf 2003, 1 CD, 49 Minuten, 14,95 Euro.
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