«Ein großartiger Autor.» Brigitte
«Warum kommst du nicht zu uns, hier ist es warm», rief mir einer der Trinker zu. Ich wusste, dass dies kein Ruf des Himmels war, sondern ein sehr irdischer, grober und böser. Dennoch freute ich mich, Ruthenisch zu hören, die Sprache meiner Mutter. Ich blieb stehen, trat aber nicht näher.
«Komm zu uns, wir trinken ein Glas. Wo arbeitest du, Süße?»
«Bei Juden», sagte ich, und sofort bereute ich, mich verplappert zu haben.
«Die Art, in der Appelfeld sich seiner Wurzeln besinnt, erinnert an Tolstoi.» New York Times Book Review
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
«Warum kommst du nicht zu uns, hier ist es warm», rief mir einer der Trinker zu. Ich wusste, dass dies kein Ruf des Himmels war, sondern ein sehr irdischer, grober und böser. Dennoch freute ich mich, Ruthenisch zu hören, die Sprache meiner Mutter. Ich blieb stehen, trat aber nicht näher.
«Komm zu uns, wir trinken ein Glas. Wo arbeitest du, Süße?»
«Bei Juden», sagte ich, und sofort bereute ich, mich verplappert zu haben.
«Die Art, in der Appelfeld sich seiner Wurzeln besinnt, erinnert an Tolstoi.» New York Times Book Review
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.10.2010Kampf um Versöhnung
Aharon Appelfeld entwirft ein tragisches Frauenleben
Irgendwo in der Bukowina, gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts: Ein Bauernmädchen verlässt sein Dorf und zieht in die Stadt. Katerina, so heißt die junge Ruthenin, arbeitet hier und dort, lässt sich mit zweifelhaften Männern ein, kommt herunter. Das ändert sich erst, als sie bei einer jüdischen Familie den Dienst als Hausmädchen antritt. Der Fleiß und Ernst der Juden und ihr tiefer Glaube beeindrucken sie. Als die Eltern der Familie ein paar Jahre später von einem antisemitischen Mob umgebracht werden, ist Katerina erneut heimat- und obdachlos. Immer wieder arbeitet sie in jüdischen Haushalten; immer wieder landet sie ohne eigenes Verschulden auf der Straße. Schließlich bekommt Katerina ein Kind von einem jüdischen Mann. Doch auch der Junge wird ihr genommen. Katerina wird zur Mörderin und muss für Jahrzehnte ins Gefängnis. Ihr hartes Los kann sie nur dank des jüdischen Glaubens ertragen.
Aharon Appelfelds Roman "Katerina" erinnert in seiner Thematik nicht nur an die großen Erzählungen Tolstois und Dostojewskis; er enthält auch eine Heiligenlegende. Katerina ist eine Trinkerin, Hure und Mörderin, die Erleuchtung sucht. Für ihre Mission, die Versöhnung von Juden und Christen, muss sie ein langes Martyrium erdulden. Die Besonderheit ihrer Sendung besteht darin, dass sie nicht am eigenen, christlichen Glauben festklammert, sondern sich für den fremden, jüdischen öffnet. Katerina leidet nicht nur an ihrem eigenen Schicksal, der Verachtung ihrer christlichen Landsleute für die Frau, die sich mit den verhassten "Christusmördern" einlässt. Fast noch mehr leidet sie darunter, die Ausgrenzung und Verfolgung der bewunderten Juden mit ansehen zu müssen. Die Versöhnung der beiden einander fremden Sphären - symbolisiert durch ihren kleinen Sohn, mit dem Katerina nur Jiddisch gesprochen hatte - scheitert tragisch.
Der jüdische Erzähler und Lyriker Aharon Appelfeld, geboren 1932 in Czernowitz und heute in Jerusalem lebend, ist selbst ein Kind der Bukowina. Er überlebte den Holocaust und hielt sich in den Wäldern versteckt, bevor er gegen Kriegsende bei der Roten Armee als Küchenjunge unterkam. In seinen Werken hält er die schmerzhafte Wunde seiner verlorenen Kindheit offen, schreibt über den Holocaust und die trügerische Friedensperiode davor, als regelmäßig Pogrome über die europäischen Juden hereinbrachen.
"Katerina" ist eine Utopie, der Traum von einem liebenden Menschen, welcher die Grenzen des Rassenhasses überwunden hat. Katerina ist die eine Gerechte, um deretwillen die Welt gerettet werden wird. Eine Person, die nach einem halben Leben im Gefängnis um die im Holocaust untergegangene Judenheit Europas trauert und beschließt, für diese jede Woche den Sabbath zu halten. Diesem utopisch-religiösen Funken entspricht, dass Zeit und Raum dieses Romans nicht eindeutig fixiert sind, sondern im Parabelhaften verbleiben. Die Gefahr dieses Vorgehens besteht darin, eine Dualität festzuschreiben, welche die Juden als vergeistigtes Volk und die Ruthenen als rohe, von Haus aus judenfeindliche Gruppierung darstellt.
Doch Appelfeld will nicht die historische Wahrheit aufdecken oder die Soziologie der antisemitischen Verbrechen darstellen. Er konzentriert sich darauf, in die inneren Konflikte der Figuren einzutauchen. Das tut er in einer lakonischen und dabei poetischen Sprache. Nachdem die alt gewordene Katerina allein in ihr Dorf zurückgekehrt ist, erinnert sie sich an ihr Leben und ihre Lieben zurück. "Das Alter bringt den Menschen sich selbst und den geliebten Toten näher. Die Toten bringen uns Gott näher."
JUDITH LEISTER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Aharon Appelfeld entwirft ein tragisches Frauenleben
Irgendwo in der Bukowina, gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts: Ein Bauernmädchen verlässt sein Dorf und zieht in die Stadt. Katerina, so heißt die junge Ruthenin, arbeitet hier und dort, lässt sich mit zweifelhaften Männern ein, kommt herunter. Das ändert sich erst, als sie bei einer jüdischen Familie den Dienst als Hausmädchen antritt. Der Fleiß und Ernst der Juden und ihr tiefer Glaube beeindrucken sie. Als die Eltern der Familie ein paar Jahre später von einem antisemitischen Mob umgebracht werden, ist Katerina erneut heimat- und obdachlos. Immer wieder arbeitet sie in jüdischen Haushalten; immer wieder landet sie ohne eigenes Verschulden auf der Straße. Schließlich bekommt Katerina ein Kind von einem jüdischen Mann. Doch auch der Junge wird ihr genommen. Katerina wird zur Mörderin und muss für Jahrzehnte ins Gefängnis. Ihr hartes Los kann sie nur dank des jüdischen Glaubens ertragen.
Aharon Appelfelds Roman "Katerina" erinnert in seiner Thematik nicht nur an die großen Erzählungen Tolstois und Dostojewskis; er enthält auch eine Heiligenlegende. Katerina ist eine Trinkerin, Hure und Mörderin, die Erleuchtung sucht. Für ihre Mission, die Versöhnung von Juden und Christen, muss sie ein langes Martyrium erdulden. Die Besonderheit ihrer Sendung besteht darin, dass sie nicht am eigenen, christlichen Glauben festklammert, sondern sich für den fremden, jüdischen öffnet. Katerina leidet nicht nur an ihrem eigenen Schicksal, der Verachtung ihrer christlichen Landsleute für die Frau, die sich mit den verhassten "Christusmördern" einlässt. Fast noch mehr leidet sie darunter, die Ausgrenzung und Verfolgung der bewunderten Juden mit ansehen zu müssen. Die Versöhnung der beiden einander fremden Sphären - symbolisiert durch ihren kleinen Sohn, mit dem Katerina nur Jiddisch gesprochen hatte - scheitert tragisch.
Der jüdische Erzähler und Lyriker Aharon Appelfeld, geboren 1932 in Czernowitz und heute in Jerusalem lebend, ist selbst ein Kind der Bukowina. Er überlebte den Holocaust und hielt sich in den Wäldern versteckt, bevor er gegen Kriegsende bei der Roten Armee als Küchenjunge unterkam. In seinen Werken hält er die schmerzhafte Wunde seiner verlorenen Kindheit offen, schreibt über den Holocaust und die trügerische Friedensperiode davor, als regelmäßig Pogrome über die europäischen Juden hereinbrachen.
"Katerina" ist eine Utopie, der Traum von einem liebenden Menschen, welcher die Grenzen des Rassenhasses überwunden hat. Katerina ist die eine Gerechte, um deretwillen die Welt gerettet werden wird. Eine Person, die nach einem halben Leben im Gefängnis um die im Holocaust untergegangene Judenheit Europas trauert und beschließt, für diese jede Woche den Sabbath zu halten. Diesem utopisch-religiösen Funken entspricht, dass Zeit und Raum dieses Romans nicht eindeutig fixiert sind, sondern im Parabelhaften verbleiben. Die Gefahr dieses Vorgehens besteht darin, eine Dualität festzuschreiben, welche die Juden als vergeistigtes Volk und die Ruthenen als rohe, von Haus aus judenfeindliche Gruppierung darstellt.
Doch Appelfeld will nicht die historische Wahrheit aufdecken oder die Soziologie der antisemitischen Verbrechen darstellen. Er konzentriert sich darauf, in die inneren Konflikte der Figuren einzutauchen. Das tut er in einer lakonischen und dabei poetischen Sprache. Nachdem die alt gewordene Katerina allein in ihr Dorf zurückgekehrt ist, erinnert sie sich an ihr Leben und ihre Lieben zurück. "Das Alter bringt den Menschen sich selbst und den geliebten Toten näher. Die Toten bringen uns Gott näher."
JUDITH LEISTER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Für Insa Wilke ist "Katerina" schlicht der beste Roman Aharon Appefelds, dasses trotzdem 21 Jahre gedauert hat, bis er - von Mirjam Pressler wie immer wunderbar passend - ins Deutsche übersetzt wurde, erklärt sich die Rezensentin mit dem Umstand, dass hierzulande nach 1989 einfach nicht die Zeit für Geschichten tiefer Trennung war. Denn das ist für Wilke dieser Roman, der von der Ukrainerin Katerina erzählt, die von ihrem trunksüchtigen Vater in die Stadt flüchtet und Aufnahme bei Juden findet. Aus Dankbarkeit über die erfahrenen Wohltaten erzieht sie ihren Sohn als jüdisch, nicht ahnend, welchem Unheil sie ihn damit ausliefern sollte. Wilke hat den Roman als Warnung vor der "Gefahr der Assimilation" gelesen, die Zeit für ihn hält sie also aus gleich mehreren Gründen für gekommen.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH