Produktdetails
- Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B: Forschungen
- Verlag: Brill Schöningh / Verlag Ferdinand Schöningh
- Artikelnr. des Verlages: 1918742
- 1998
- Seitenzahl: 412
- Deutsch
- Abmessung: 240mm
- Gewicht: 854g
- ISBN-13: 9783506799890
- ISBN-10: 3506799894
- Artikelnr.: 27628229
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.06.1999Ultramontan, ultramondän
Kontrarevolutionärer Relaunch: Die katholische Presse vor 1848
In der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts wurde das Phänomen der Revolution in Europa intensiv debattiert. Die Ereignisse der Jahre 1789 und 1830 wurden oftmals als religiöse Phänomene interpretiert. Theologische Deutung tat not. Die deutschen Katholiken, die eigene revolutionäre Erfahrungen nicht hatten, beobachteten ihre Nachbarn Belgien und Frankreich aufmerksam. So fanden sie Leitbilder und politische Strategien, die ihnen in der deutschen Revolution von 1848/49 zunutze kamen. Eine entscheidende Rolle in diesem Rezeptionsprozeß spielte die zeitgenössische katholische Presse Deutschlands, die zu Beginn des Zeitalters der Massenkommunikation erstmals ein zentrales Forum für eine kontroverse Debatte bildete.
Bernhard Schneider beschreibt in seiner Habilitationsschrift die Entstehungsgeschichte dieser neuen Form von Öffentlichkeit im katholischen Milieu. Geht es im ersten Teil seiner Studie noch um die Rahmenbedingungen der katholischen Presselandschaft zwischen 1815 und 1848, wendet sich der Autor im zweiten Teil einzelnen Blättern und Zeitschriften zu. Nicht die in der Presse oft zitierten katholischen Größen wie Friedrich Schlegel, Franz von Baader und Joseph Görres kommen bei ihm zu Wort, sondern die Kommentatoren und Leitartikler der unteren Ebene. Damit knüpft Schneider an Studien von Matthias Klug, Rudolf Pesch und Gerhard Valerius an.
Um nicht in einer Flut von Zeugnissen zu ertrinken, hat Schneider seine Quellengrundlage auf jene Zeitschriften und Zeitungen begrenzt, die durch das in ihrem Titel oder ihrem Inhalt ausgedrückte Sebstverständnis eine besondere Affinität zur katholischen Kirche und zu kirchlichen oder kirchenpolitischen Fragen erkennen lassen. So basiert die Studie letztlich auf der Auswertung von knapp vierzig Blättern, was immerhin einem Material von ungefähr 200 000 Seiten entspricht. Schneider bevorzugt Publikationen, die möglichst während des gesamten Untersuchungszeitraums erschienen und nach Auflage und Resonanz als Meinungsführer gelten können. Besondere Beachtung findet dabei die Frage, welche ausländischen Quellen die deutsche Wahrnehmung prägten.
Schneider konzentriert sich auf die revolutionären Ereignisse in Frankreich und Belgien. Auf die Berücksichtigung der katholischen Bewegung in Irland, die eine alternative Form des Protests und der Artikulation katholischer politischer und kirchenpolitischer Interessen darstellte, hat er verzichtet, um seine Darstellung nicht zu überfrachten. Ähnlich hält es Schneider mit Polen und der polnischen Revolution von 1830/31. In absehbarer Zeit will er einen eigenen Beitrag zu diesem Land vorlegen.
Schneiders Ergebnisse können sich in zweifacher Hinsicht sehen lassen: Sein Projekt leistet nicht nur einen wichtigen Beitrag zur deutschen Presse- und Kommunikationsgeschichte, sondern ermöglicht vor allem tiefe Einblicke in die Denkungsart des katholischen Milieus. Die zunächst rein innerkatholisch geführte Revolutionsdebatte weitete sich zeitweise zu heftigen interkonfessionellen Kontroversen aus. Besonders in ultramontanen Kreisen vollzog sich dabei ein lebhafter Austausch und verdichtete sich die Kommunikation auf internationaler Ebene. Gleichzeitig entstanden nach 1830 aber auch Ansätze eines liberalen Katholizismus nach belgischem Vorbild.
So lag in Deutschland um 1830 die Weiterentwicklung von Teilen der ultramontanen zu einer liberalen Ausrichtung noch vollkommen im Bereich des Möglichen. Selbst Mitte der vierziger Jahre zeigten sich führende ultramontane Kreise in Deutschland noch immer offen für Anregungen aus den liberal-katholischen Milieus Belgiens und Frankreichs. Schneiders Darstellung revidiert das bisher vorherrschende Bild des Ultramontanismus: Die Einheit des deutschen Ultramontanismus, schreibt er, sei nicht in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts verloren gegangen, sondern habe in dieser Form - trotz einzelner Versuche, eine Brücke zwischen den Konfessionen zu schlagen, und mancher übereinstimmender Standpunkte in der Revolutionsdebatte zwischen ultramontanen und strengkirchlich-protestantischen Kreisen - die katholische als zunehmend konfessionalisierte Presse dazu beigetragen, die Spaltung zwischen den christlichen Kirchen zu vertiefen. Da sich die verschiedenen ultramontanen Kreise in den kirchlichen Richtungskämpfen durchsetzten, dominierten sie schließlich die katholische Presse. Dies beschleunigte die Ultramontanisierung der deutschen Katholiken und ihres Klerus: So nahm das Pressewesen die geistige Entwicklung der katholischen Kirche im Deutschland der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts vorweg. Auf den deutschen Katholizimus hatte das besonders intensive Medienengagement der ultramontanen Kreise einen modernisierenden Einfluß, mochte ihr Einsatz der Intention nach auch eher eine "Modernisierung gegen die Moderne" gewesen sein.
Bernhard Schneider führt detailliert und anschaulich zugleich, immer den Blick auf das Wesentliche konzentriert, durch ein elementares Kapitel katholischer Geistesgeschichte. Frei von Jargon, ist seine vorzügliche Darstellung auch dem Laien ohne Mühe zugänglich.
THOMAS SPECKMANN
Bernhard Schneider: "Katholiken auf die Barrikaden?" Europäische Revolutionen und deutsche katholische Presse 1815-1848. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 1998. 424 S., geb., 108,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kontrarevolutionärer Relaunch: Die katholische Presse vor 1848
In der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts wurde das Phänomen der Revolution in Europa intensiv debattiert. Die Ereignisse der Jahre 1789 und 1830 wurden oftmals als religiöse Phänomene interpretiert. Theologische Deutung tat not. Die deutschen Katholiken, die eigene revolutionäre Erfahrungen nicht hatten, beobachteten ihre Nachbarn Belgien und Frankreich aufmerksam. So fanden sie Leitbilder und politische Strategien, die ihnen in der deutschen Revolution von 1848/49 zunutze kamen. Eine entscheidende Rolle in diesem Rezeptionsprozeß spielte die zeitgenössische katholische Presse Deutschlands, die zu Beginn des Zeitalters der Massenkommunikation erstmals ein zentrales Forum für eine kontroverse Debatte bildete.
Bernhard Schneider beschreibt in seiner Habilitationsschrift die Entstehungsgeschichte dieser neuen Form von Öffentlichkeit im katholischen Milieu. Geht es im ersten Teil seiner Studie noch um die Rahmenbedingungen der katholischen Presselandschaft zwischen 1815 und 1848, wendet sich der Autor im zweiten Teil einzelnen Blättern und Zeitschriften zu. Nicht die in der Presse oft zitierten katholischen Größen wie Friedrich Schlegel, Franz von Baader und Joseph Görres kommen bei ihm zu Wort, sondern die Kommentatoren und Leitartikler der unteren Ebene. Damit knüpft Schneider an Studien von Matthias Klug, Rudolf Pesch und Gerhard Valerius an.
Um nicht in einer Flut von Zeugnissen zu ertrinken, hat Schneider seine Quellengrundlage auf jene Zeitschriften und Zeitungen begrenzt, die durch das in ihrem Titel oder ihrem Inhalt ausgedrückte Sebstverständnis eine besondere Affinität zur katholischen Kirche und zu kirchlichen oder kirchenpolitischen Fragen erkennen lassen. So basiert die Studie letztlich auf der Auswertung von knapp vierzig Blättern, was immerhin einem Material von ungefähr 200 000 Seiten entspricht. Schneider bevorzugt Publikationen, die möglichst während des gesamten Untersuchungszeitraums erschienen und nach Auflage und Resonanz als Meinungsführer gelten können. Besondere Beachtung findet dabei die Frage, welche ausländischen Quellen die deutsche Wahrnehmung prägten.
Schneider konzentriert sich auf die revolutionären Ereignisse in Frankreich und Belgien. Auf die Berücksichtigung der katholischen Bewegung in Irland, die eine alternative Form des Protests und der Artikulation katholischer politischer und kirchenpolitischer Interessen darstellte, hat er verzichtet, um seine Darstellung nicht zu überfrachten. Ähnlich hält es Schneider mit Polen und der polnischen Revolution von 1830/31. In absehbarer Zeit will er einen eigenen Beitrag zu diesem Land vorlegen.
Schneiders Ergebnisse können sich in zweifacher Hinsicht sehen lassen: Sein Projekt leistet nicht nur einen wichtigen Beitrag zur deutschen Presse- und Kommunikationsgeschichte, sondern ermöglicht vor allem tiefe Einblicke in die Denkungsart des katholischen Milieus. Die zunächst rein innerkatholisch geführte Revolutionsdebatte weitete sich zeitweise zu heftigen interkonfessionellen Kontroversen aus. Besonders in ultramontanen Kreisen vollzog sich dabei ein lebhafter Austausch und verdichtete sich die Kommunikation auf internationaler Ebene. Gleichzeitig entstanden nach 1830 aber auch Ansätze eines liberalen Katholizismus nach belgischem Vorbild.
So lag in Deutschland um 1830 die Weiterentwicklung von Teilen der ultramontanen zu einer liberalen Ausrichtung noch vollkommen im Bereich des Möglichen. Selbst Mitte der vierziger Jahre zeigten sich führende ultramontane Kreise in Deutschland noch immer offen für Anregungen aus den liberal-katholischen Milieus Belgiens und Frankreichs. Schneiders Darstellung revidiert das bisher vorherrschende Bild des Ultramontanismus: Die Einheit des deutschen Ultramontanismus, schreibt er, sei nicht in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts verloren gegangen, sondern habe in dieser Form - trotz einzelner Versuche, eine Brücke zwischen den Konfessionen zu schlagen, und mancher übereinstimmender Standpunkte in der Revolutionsdebatte zwischen ultramontanen und strengkirchlich-protestantischen Kreisen - die katholische als zunehmend konfessionalisierte Presse dazu beigetragen, die Spaltung zwischen den christlichen Kirchen zu vertiefen. Da sich die verschiedenen ultramontanen Kreise in den kirchlichen Richtungskämpfen durchsetzten, dominierten sie schließlich die katholische Presse. Dies beschleunigte die Ultramontanisierung der deutschen Katholiken und ihres Klerus: So nahm das Pressewesen die geistige Entwicklung der katholischen Kirche im Deutschland der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts vorweg. Auf den deutschen Katholizimus hatte das besonders intensive Medienengagement der ultramontanen Kreise einen modernisierenden Einfluß, mochte ihr Einsatz der Intention nach auch eher eine "Modernisierung gegen die Moderne" gewesen sein.
Bernhard Schneider führt detailliert und anschaulich zugleich, immer den Blick auf das Wesentliche konzentriert, durch ein elementares Kapitel katholischer Geistesgeschichte. Frei von Jargon, ist seine vorzügliche Darstellung auch dem Laien ohne Mühe zugänglich.
THOMAS SPECKMANN
Bernhard Schneider: "Katholiken auf die Barrikaden?" Europäische Revolutionen und deutsche katholische Presse 1815-1848. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 1998. 424 S., geb., 108,- DM.
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