Ein reiches gemeinsames Erbe bescheinigte das Zweite Vatikanische Konzil Christen und Juden. Wie aber gestaltete sich das Verhältnis zwischen Römischer Kirche, zwischen Katholizismus und dem Judentum seit Beginn der Neuzeit bis in die Gegenwart? Festzustellen ist, dass die Beziehung beider im vorgegebenen Zeitraum (16. bis Ende 20. Jh.) zwar von Abgrenzung und Bekämpfung, aber auch von wechselseitiger Befruchtung und Anregung gekennzeichnet war und ist.
Die Beiträge dieses Buches hinterfragen kritisch ein oft einseitig und negativ besetztes Geschichtsbild beider Seiten. Ein hochkarätiges Team renommierter Fachleute Theologen, Historiker und Judaisten, Christen wie Juden sind hier im Gespräch über eine gemeinsame Geschichte. Dabei werden auch heikle Themen nicht ausgespart, so die Debatte um Papst Pius XII. und seine Rolle im Dritten Reich.
Die Beiträge dieses Buches hinterfragen kritisch ein oft einseitig und negativ besetztes Geschichtsbild beider Seiten. Ein hochkarätiges Team renommierter Fachleute Theologen, Historiker und Judaisten, Christen wie Juden sind hier im Gespräch über eine gemeinsame Geschichte. Dabei werden auch heikle Themen nicht ausgespart, so die Debatte um Papst Pius XII. und seine Rolle im Dritten Reich.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.06.2005Theologisch sind wir alle Semiten
Neues zum Verhältnis zwischen Katholizismus und Judentum
Wie Nationalismus und Fundamentalismus lebt auch Rassismus von Alterität, vom feindlichen Gegenüber. Dies braucht aber nicht denknotwendig "der" Jude zu sein; "Neger", Slawen oder "die gelbe Gefahr" tun's auch. Das Christentum hingegen kommt von seiner Herkunft her ohne das Judentum nicht aus; zur strahlenden Schönheit der Ecclesia an Portalen mittelalterlicher Kathedralen gehört deshalb notwendigerweise die traurige Schönheit der Synagoge. "Theologisch sind wir alle Semiten", soll Papst Pius XI. gesagt haben. Infolgedessen erschöpfte sich das wechselseitige Verhältnis auf christlicher Seite nicht in der traditionellen Abneigung. Und auch die jüdische Seite, die theologisch eigentlich keinen Bedarf für die christliche hat, weist oft Spuren einer Symbiose mit dem Christentum auf.
Diesem Sachverhalt, der für Daniel Goldhagens einfaches Weltbild viel zu komplex wäre, möchte der die Zeit vom sechzehnten bis zum zwanzigsten Jahrhundert umgreifende Sammelband "Katholizismus und Judentum" nachgehen, der aus einer mit Judaisten und Theologen gut besetzten Tagung der Katholischen Akademie in Bayern hervorgegangen ist - ohne jeden apologetischen Unterton, aber doch in der Absicht, im Dienst des Dialogs der Religionen sachlich gebotene Korrekturen an der rein negativen Sicht der Dinge vorzunehmen, teilweise mit erstaunlichen Ergebnissen.
So gab es im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert nicht nur jüdische Gelehrte, für die Luthers Reformation eine Wende des Christentums im jüdischen Sinne darstellte, sondern auch andere, die intellektuelle Errungenschaften der Renaissance und des erneuerten Katholizismus zur Begründung ihrer eigenen Religion heranzogen (Giuseppe Veltri). Denn das Christentum wurde von Juden seit dem sechzehnten Jahrhundert nicht mehr als eine Variante von Heidentum wahrgenommen. Infolgedessen konnten jüdische Gelehrte Italiens recht unbefangen den Katechismus des Petrus Canisius und die Studienordnung der Jesuiten zu Vorbildern ihrer Bildungsreformen nehmen (Gianfranco Miletto). Der christliche Einfluß auf die Kabbala blieb freilich begrenzt (Maier), auch wenn Abraham Cohen de Herrera im siebzehnten Jahrhundert seinen katholischen Bildungshorizont mit dieser esoterischen jüdischen Tradition zu verschmelzen versuchte (Gerold Necker).
Die christliche Kabbalistik hingegen erreichte bei dem Jesuiten Athanasius Kircher um dieselbe Zeit einen ihrer Höhepunkte (Wilhelm Schmidt-Biggemann). Polen-Litauen, in dem im siebzehnten Jahrhundert rund ein Drittel aller Juden lebte, verkörperte in der Praxis das ambivalente Verhältnis frühneuzeitlicher Christen zu den Juden: auf der einen Seite Toleranz und offizielle Anerkennung, auf der anderen aber auch die üblichen Vorurteile und gewalttätigen Ausschreitungen (Stefan Schreiner). In dem Maße, wie Katholizismus und Polentum später zur Selbstbehauptung unter russischer Herrschaft und bei der Begründung des neuen Nationalstaates im zwanzigsten Jahrhundert als identisch betrachtet wurden, wurden die Juden allerdings endgültig als feindliche Fremde angesehen (Viktoria Pollmann). Auf der anderen Seite konnte die binnenchristliche Deutung des alttestamentlichen Israel als vorbildliches politisches System durch Bossuet und andere katholische Politiktheoretiker der frühen Neuzeit von jüdischen Intellektuellen des neunzehnten Jahrhunderts zur Begründung der eigenen politischen Modernität herangezogen werden (Michael Graetz).
Umgekehrt läßt sich nach einer Anregung Harold Laskis jüdische Geschichte als Paradigma für die Katholizismusforschung im Zeitalter des Nationalstaates verwenden, handelt es sich doch in beiden Fällen um Subkulturen, deren Identität sich nicht in der nationalen erschöpft (Wendehorst). Thomas Brechenmacher wiederholt seine bereits in mehreren Büchern vorgetragene These von der "doppelten Schutzherrschaft" der Päpste über Juden und Christen im Kirchenstaat und ihrem Scheitern an der Moderne (F.A.Z. vom 21. März). Wir erfahren, daß ultramontane und liberale Katholiken keineswegs pauschal judenfeindlich bzw. judenfreundlich gewesen sind (Claus Arnold), daß der Breslauer Magistrat mitten im Kulturkampf ein relativ konfessionsneutrales, für Katholiken wie Juden offenes Gymnasium durchsetzte (Till van Rahden), daß Eugène Sues Roman Juif Errant 1852 nicht aus Judenfreundlichkeit, sondern wegen seiner sozialistischen Tendenzen auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt wurde (Tobias Lagatz).
Bedeutsamer erscheint mir im neunzehnten Jahrhundert die Orientierung des Reformjudentums an Vorbildern vor allem aus dem protestantischen Gottesdienst, was auf Widerstand nicht nur bei konservativen Juden, sondern auch bei den christlichen Obrigkeiten Preußens und Bayerns stieß (Klaus Herrmann). Spannend ist die Geschichte einer katholischen Initiative, die judenfeindliche Karfreitagsliturgie zu reformieren, die, 1928 begonnen, zunächst scheiterte, um erst 1975 endgültig ihr Ziel zu erreichen. Hubert Wolf hatte sie ausführlicher bereits in der Historischen Zeitschrift (Nummer 279) untersucht. Brenner behandelt München in der Zeit zwischen 1918 und 1933, zunächst die Distanzierung der jüdischen Gemeinde von den jüdischen Räterevolutionären, dann Kardinal Faulhaber und seine auch in den Adventspredigten weiterbestehenden Restvorbehalte gegen die Juden.
Burkard diskutiert die Haltung des Diplomaten Pius XII., die nach wie vor nicht vollständig durch explizite Quellenaussagen, sondern nur durch plausible Schlußfolgerungen zu erhellen ist. Solange nicht zu erkennen war, daß der nationalsozialistische Antisemitismus in Massenmord mündete, sahen katholische Würdenträger wenig Anlaß, seiner Bekämpfung Vorrang vor ihren eigenen Problemen mit diesem Regime zu geben, ein Standpunkt, den sie zwar mit Deutschlands Kriegsgegnern gemeinsam hatten, der aber nach der Shoah nicht leicht zu vermitteln ist. Zum Schluß erhalten wir einen allzu knapp ausgefallenen Überblick über die Entstehung der Konzilserklärung von 1965 über das Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen mit ihrem umstrittenen Anteil zum Judentum (Reinhold Bohlen).
In seiner bunten Vielfalt ist der Band keine einfache Lektüre. Wie es in der Postmoderne angeblich keine Geschichte mehr, sondern nur noch Geschichten gibt, so vermittelt er den Eindruck, es gebe auch keinen Katholizismus und kein Judentum, sondern vielerlei Christentümer und Katholizismen und vielerlei Judentümer. Doch solcher Pluralismus wäre sicher keine schlechte Voraussetzung, um miteinander ins Gespräch zu kommen.
WOLFGANG REINHARD
Florian Schuller, Giuseppe Veltri, Hubert Wolf (Hrsg.): "Katholizismus und Judentum". Gemeinsamkeiten und Verwerfungen vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. Pustet Verlag, Regensburg 2005. 310 S., geb., 26,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Neues zum Verhältnis zwischen Katholizismus und Judentum
Wie Nationalismus und Fundamentalismus lebt auch Rassismus von Alterität, vom feindlichen Gegenüber. Dies braucht aber nicht denknotwendig "der" Jude zu sein; "Neger", Slawen oder "die gelbe Gefahr" tun's auch. Das Christentum hingegen kommt von seiner Herkunft her ohne das Judentum nicht aus; zur strahlenden Schönheit der Ecclesia an Portalen mittelalterlicher Kathedralen gehört deshalb notwendigerweise die traurige Schönheit der Synagoge. "Theologisch sind wir alle Semiten", soll Papst Pius XI. gesagt haben. Infolgedessen erschöpfte sich das wechselseitige Verhältnis auf christlicher Seite nicht in der traditionellen Abneigung. Und auch die jüdische Seite, die theologisch eigentlich keinen Bedarf für die christliche hat, weist oft Spuren einer Symbiose mit dem Christentum auf.
Diesem Sachverhalt, der für Daniel Goldhagens einfaches Weltbild viel zu komplex wäre, möchte der die Zeit vom sechzehnten bis zum zwanzigsten Jahrhundert umgreifende Sammelband "Katholizismus und Judentum" nachgehen, der aus einer mit Judaisten und Theologen gut besetzten Tagung der Katholischen Akademie in Bayern hervorgegangen ist - ohne jeden apologetischen Unterton, aber doch in der Absicht, im Dienst des Dialogs der Religionen sachlich gebotene Korrekturen an der rein negativen Sicht der Dinge vorzunehmen, teilweise mit erstaunlichen Ergebnissen.
So gab es im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert nicht nur jüdische Gelehrte, für die Luthers Reformation eine Wende des Christentums im jüdischen Sinne darstellte, sondern auch andere, die intellektuelle Errungenschaften der Renaissance und des erneuerten Katholizismus zur Begründung ihrer eigenen Religion heranzogen (Giuseppe Veltri). Denn das Christentum wurde von Juden seit dem sechzehnten Jahrhundert nicht mehr als eine Variante von Heidentum wahrgenommen. Infolgedessen konnten jüdische Gelehrte Italiens recht unbefangen den Katechismus des Petrus Canisius und die Studienordnung der Jesuiten zu Vorbildern ihrer Bildungsreformen nehmen (Gianfranco Miletto). Der christliche Einfluß auf die Kabbala blieb freilich begrenzt (Maier), auch wenn Abraham Cohen de Herrera im siebzehnten Jahrhundert seinen katholischen Bildungshorizont mit dieser esoterischen jüdischen Tradition zu verschmelzen versuchte (Gerold Necker).
Die christliche Kabbalistik hingegen erreichte bei dem Jesuiten Athanasius Kircher um dieselbe Zeit einen ihrer Höhepunkte (Wilhelm Schmidt-Biggemann). Polen-Litauen, in dem im siebzehnten Jahrhundert rund ein Drittel aller Juden lebte, verkörperte in der Praxis das ambivalente Verhältnis frühneuzeitlicher Christen zu den Juden: auf der einen Seite Toleranz und offizielle Anerkennung, auf der anderen aber auch die üblichen Vorurteile und gewalttätigen Ausschreitungen (Stefan Schreiner). In dem Maße, wie Katholizismus und Polentum später zur Selbstbehauptung unter russischer Herrschaft und bei der Begründung des neuen Nationalstaates im zwanzigsten Jahrhundert als identisch betrachtet wurden, wurden die Juden allerdings endgültig als feindliche Fremde angesehen (Viktoria Pollmann). Auf der anderen Seite konnte die binnenchristliche Deutung des alttestamentlichen Israel als vorbildliches politisches System durch Bossuet und andere katholische Politiktheoretiker der frühen Neuzeit von jüdischen Intellektuellen des neunzehnten Jahrhunderts zur Begründung der eigenen politischen Modernität herangezogen werden (Michael Graetz).
Umgekehrt läßt sich nach einer Anregung Harold Laskis jüdische Geschichte als Paradigma für die Katholizismusforschung im Zeitalter des Nationalstaates verwenden, handelt es sich doch in beiden Fällen um Subkulturen, deren Identität sich nicht in der nationalen erschöpft (Wendehorst). Thomas Brechenmacher wiederholt seine bereits in mehreren Büchern vorgetragene These von der "doppelten Schutzherrschaft" der Päpste über Juden und Christen im Kirchenstaat und ihrem Scheitern an der Moderne (F.A.Z. vom 21. März). Wir erfahren, daß ultramontane und liberale Katholiken keineswegs pauschal judenfeindlich bzw. judenfreundlich gewesen sind (Claus Arnold), daß der Breslauer Magistrat mitten im Kulturkampf ein relativ konfessionsneutrales, für Katholiken wie Juden offenes Gymnasium durchsetzte (Till van Rahden), daß Eugène Sues Roman Juif Errant 1852 nicht aus Judenfreundlichkeit, sondern wegen seiner sozialistischen Tendenzen auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt wurde (Tobias Lagatz).
Bedeutsamer erscheint mir im neunzehnten Jahrhundert die Orientierung des Reformjudentums an Vorbildern vor allem aus dem protestantischen Gottesdienst, was auf Widerstand nicht nur bei konservativen Juden, sondern auch bei den christlichen Obrigkeiten Preußens und Bayerns stieß (Klaus Herrmann). Spannend ist die Geschichte einer katholischen Initiative, die judenfeindliche Karfreitagsliturgie zu reformieren, die, 1928 begonnen, zunächst scheiterte, um erst 1975 endgültig ihr Ziel zu erreichen. Hubert Wolf hatte sie ausführlicher bereits in der Historischen Zeitschrift (Nummer 279) untersucht. Brenner behandelt München in der Zeit zwischen 1918 und 1933, zunächst die Distanzierung der jüdischen Gemeinde von den jüdischen Räterevolutionären, dann Kardinal Faulhaber und seine auch in den Adventspredigten weiterbestehenden Restvorbehalte gegen die Juden.
Burkard diskutiert die Haltung des Diplomaten Pius XII., die nach wie vor nicht vollständig durch explizite Quellenaussagen, sondern nur durch plausible Schlußfolgerungen zu erhellen ist. Solange nicht zu erkennen war, daß der nationalsozialistische Antisemitismus in Massenmord mündete, sahen katholische Würdenträger wenig Anlaß, seiner Bekämpfung Vorrang vor ihren eigenen Problemen mit diesem Regime zu geben, ein Standpunkt, den sie zwar mit Deutschlands Kriegsgegnern gemeinsam hatten, der aber nach der Shoah nicht leicht zu vermitteln ist. Zum Schluß erhalten wir einen allzu knapp ausgefallenen Überblick über die Entstehung der Konzilserklärung von 1965 über das Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen mit ihrem umstrittenen Anteil zum Judentum (Reinhold Bohlen).
In seiner bunten Vielfalt ist der Band keine einfache Lektüre. Wie es in der Postmoderne angeblich keine Geschichte mehr, sondern nur noch Geschichten gibt, so vermittelt er den Eindruck, es gebe auch keinen Katholizismus und kein Judentum, sondern vielerlei Christentümer und Katholizismen und vielerlei Judentümer. Doch solcher Pluralismus wäre sicher keine schlechte Voraussetzung, um miteinander ins Gespräch zu kommen.
WOLFGANG REINHARD
Florian Schuller, Giuseppe Veltri, Hubert Wolf (Hrsg.): "Katholizismus und Judentum". Gemeinsamkeiten und Verwerfungen vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. Pustet Verlag, Regensburg 2005. 310 S., geb., 26,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Das Christentum kommt ohne Abgrenzung vom Judentum nicht aus, stellt Wolfgang Reinhard einleitend fest, wohingegen das Judentum "theologisch eigentlich keinen Bedarf" am Christentum haben dürfte, obwohl es viele Spuren einer jüdisch-christlichen Symbiose aufweise. Dem Dialog zwischen diesen beiden Religionen vom sechzehnten bis zum zwanzigsten Jahrhundert ist eine Tagung der Katholischen Akademie Bayern nachgegangen, deren Vorträge nun in einem - wie Reinhard betont - äußerst lesenswerten Sammelband zusammengefasst wurden. Dieser stellt "keine einfache Lektüre" dar, gibt der Rezensent zu bedenken und macht dem interessierten Leser dennoch Mut:so wie es in der Postmoderne angeblich keine Geschichte, sondern nur noch Geschichten gebe, vermittelten die Beiträge ein vielfältiges Bild von Judentum und Christentum, als gebe es nicht einen Katholizismus, sondern viele Katholizismen und viele Judentümer, was Reinhard keinen schlechten Einstieg in die Materie und den interkonfessionellen Dialog findet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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