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Innovative Studie über ein wenig bekanntes Konzentrationslager in Frankfurt am Main anhand von erstmals ausgewertetem Quellenmaterial.Wie zahlreiche deutsche Unternehmen beschäftigten auch die Frankfurter Adlerwerke ab Sommer 1944 KZ-Häftlinge in der Rüstungsproduktion und errichteten für deren Unterbringung ein KZ-Außenlager auf ihrem Firmengelände. Insgesamt 1616 Häftlinge, die zum großen Teil aus Polen, aber auch aus der Sowjetunion, Deutschland, Österreich, Jugoslawien, Frankreich und der Tschechoslowakei stammten, wurden dort unter sich stets verschlechternden Bedingungen zu mörderischer…mehr

Produktbeschreibung
Innovative Studie über ein wenig bekanntes Konzentrationslager in Frankfurt am Main anhand von erstmals ausgewertetem Quellenmaterial.Wie zahlreiche deutsche Unternehmen beschäftigten auch die Frankfurter Adlerwerke ab Sommer 1944 KZ-Häftlinge in der Rüstungsproduktion und errichteten für deren Unterbringung ein KZ-Außenlager auf ihrem Firmengelände. Insgesamt 1616 Häftlinge, die zum großen Teil aus Polen, aber auch aus der Sowjetunion, Deutschland, Österreich, Jugoslawien, Frankreich und der Tschechoslowakei stammten, wurden dort unter sich stets verschlechternden Bedingungen zu mörderischer Zwangsarbeit eingesetzt. Die Todesrate war mit 527 in Frankfurt verstorbenen Häftlingen besonders hoch.Die Studie beleuchtet sowohl die Errichtung des Lagers und seine Einbindung in das KZ-System als auch die Verfolgungsgeschichten der Häftlinge und ihre Existenzbedingungen im Lager sowie die Rolle der Unternehmensangehörigen, der Nachbarschaft und der städtischen Behörden, denen die Zustände im Lager nicht verborgen blieben.
Autorenporträt
Andrea Rudorff, geb. 1975, studierte Geschichte und Polonistik in Berlin, Wroclaw und Kraków, promovierte über die Frauenaußenlager des Konzentrationslagers Groß-Rosen und bearbeitete den Band »Das KZ Auschwitz 1942-1945 und die Zeit der Todesmärsche 1944/45« (Bd. 16) der Edition »Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933-1945«. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind die nationalsozialistische Judenverfolgung, das System der Konzentrationslager und die strafrechtliche Aufarbeitung von NS-Verbrechen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.07.2021

Die SS unterschlug das Essen

Warum war die Todesrate im KZ Katzbach noch höher als sonst in der NS-Zwangsarbeit? Dieser Frage ist Andrea Rudorff vom Fritz-Bauer-Institut nachgegangen.

Von Hans Riebsamen

Nach dem Ende der Naziherrschaft hat Frankfurt jahrzehntelang ein dunkles Geheimnis verborgen. Erst nach 2010 wurde einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, dass vom Sommer 1944 an bis Mitte März 1945 mitten in der Stadt, in den Adlerwerken im Gallus, ein Konzentrationslager existiert hatte, das sogenannte KZ Katzbach. Unter den vielen KZ-Außenlagern in Industrieunternehmen im Deutschen Reich ragt Katzbach als besonders grauenhafter Ort heraus, weil hier die Todesrate höher war als an anderen Schreckensorten vergleichbarer Art. Im Vergleich zu dem Lager in den Adlerwerken, so erklärten mehrere überlebende Häftlinge nach dem Krieg, sei ihnen das KZ Dachau, von wo sie nach Frankfurt verschickt worden waren, als ein "verlorenes Paradies" vorgekommen.

Von den 1616 Häftlingen, die in mehreren Schüben nach Katzbach verfrachtet wurden, sind während der etwa achtmonatigen Existenz des Lagers 692 ums Leben gekommen. Viele weitere starben Mitte März nach ihrem Transport ins KZ Bergen-Belsen an Unterernährung oder Typhus. Dazu kam eine erhebliche Zahl weiterer Toter beim Marsch von etwa 350 bis 360 Häftlingen Richtung Thüringen ins KZ Buchenwald. Geblieben sind von den Katzbach-Häftlingen einige Gräber auf dem Gewann 30 des Frankfurter Hauptfriedhofs, wo die Toten von Katzbach auf dem "Gräberfeld für Ausländer" verscharrt wurden.

Warum Katzbach ein besonders mörderisches KZ war, wer die Verantwortung für die hohe Todesrate trug, warum überhaupt ein solches Lager in den Adlerwerken eingerichtet wurde, war bisher nur in groben Zügen bekannt. Nun hat Andrea Rudorff vom Fritz-Bauer-Institut in dem Buch "Katzbach - das KZ in der Stadt" in allen Einzelheiten nachgezeichnet, wie es zur Einrichtung des Totenhauses im vierten Stock der Adlerwerke kam, wie die SS-Bewacher die Häftlinge dort schikanierten und verhungern ließen, wie die Unternehmensleitung der Adlerwerke die Augen vor dem Grauen verschloss und jede Anstrengung verweigerte, das Los dieser zur elendigen Knechtschaft verdammten Mitarbeiter in irgendeiner Weise zu verbessern - und wie nach dem Krieg alle Hauptverantwortlichen ohne eine nennenswerte Bestrafung davonkamen.

Den Einsatz von KZ-Häftlingen in fremden Industriebetrieben hatte die SS lange abgelehnt. Deshalb griff die deutsche Wirtschaft, die während des Krieges unter einem enormen Arbeitskräftemangel litt, weil viele ihrer Arbeiter nun als Soldaten an der Front standen, auf ausländische Zwangsarbeiter zurück. Sie wurden häufig zwangsweise aus den von der Wehrmacht besetzten Gebieten wie Polen oder Frankreich ins Reich gebracht. In Frankfurt waren im Frühjahr 1944 etwa 43 000 solcher ausländischer Arbeitskräfte im Einsatz: knapp 5000 allein bei der IG Farben mit ihren drei Standorten in Höchst, Fechenheim und Griesheim.

Doch je mehr die Wehrmacht sich im Osten und Westen zurückziehen musste, desto weniger konnten die deutschen Behörden Zwangsarbeiter rekrutieren. Im zweiten Halbjahr 1944 war die SS die einzige Institution, die mit ihren KZ-Häftlingen noch eine nennenswerte Zahl von potentiellen Arbeitskräften besaß. Sie wurden in den Monaten bis Kriegsende zum letzten Aufgebot für die deutsche Rüstungsindustrie.

Auch für die Adlerwerke, wo Fahrgestelle für Schützenpanzerwagen hergestellt wurden. Am 22. August traf im Gallus der erste Häftlingstransport ein, ein Baukommando, das in dem Fabrikkomplex ein mit Stacheldraht und vergitterten Fenstern abgetrenntes Lager errichtete, denn KZ-Häftlinge durften mit der normalen Belegschaft nicht oder nur möglichst wenig in Kontakt kommen. Im September erreichte dann das Hauptkontingent die Adlerwerke, 1000 Männer, zumeist Polen, die nach der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes zusammengetrieben und nach Auschwitz oder Dachau verschleppt worden waren.

Katzbach war eine Tarnbezeichnung, erfunden von der Verwaltung des KZ-Stammlagers Natzweiler im Elsass, das neben dem Außenlager in den Adlerwerken weitere Dependancen im südwestdeutschen Raum unterhielt, in Hessen zum Beispiel in Mörfelden-Walldorf zum Bau des Flughafens und in Darmstadt bei der Firma Hans Georg Heymann. Für die KZ-Häftlinge mussten die Unternehmen bezahlen: pro Tag vier Reichsmark für Hilfsarbeiter und sechs für Facharbeiter. Der Gewinn des Häftlingsverleihs ging nach Abzug der Kosten an das Reichsfinanzministerium, der Hauptprofiteur des Lohnraubs war damit der Fiskus.

Warum war die Todesrate in Katzbach höher als in anderen KZ-Außenlagern in der Rüstungsindustrie? Weil die SS-Bewachungsmannschaft in großem Stil Essen, das für die Häftlinge bestimmt war, für sich und oft auch für ihre Luxushuren abzweigte. Ohne die systematischen Unterschlagungen wäre es im Lager zweifellos nicht zu einer derart hohen Sterblichkeit gekommen.

Die schlimme Situation wurde noch dadurch verschärft, dass die Betriebsleitung der Adlerwerke nichts gegen die lebensbedrohliche Unterernährung ihrer KZ-Arbeitskräfte unternahm. Sie erlaubte nicht einmal, dass die Reste aus der Betriebskantine an die Arbeitssklaven der SS verteilt wurden. Die Versorgung der Häftlinge mit Lebensmitteln lag aber in der Verantwortung der Einsatzfirmen, also im Falle von Katzbach bei den Adlerwerken. Sie bekamen pro Häftling und Tag eine Verpflegungspauschale von 80 Pfennigen gutgeschrieben.

Morgens erhielten die KZ-Insassen, die an sechs Tagen in der Woche jeweils elf Stunden hart körperlich arbeiten mussten, 250 Gramm Brot und kalten, ungezuckerten Ersatzkaffee. Mittags gab es einen Liter dünner Suppe aus Kartoffelschalen, Rüben oder Feldsalat, abends abermals Suppe oder 250 Gramm Brot. Ganz selten kam dazu etwas Margarine oder Marmelade und hin und wieder eine Scheibe Wurst oder Käse. Wegen dieser Mangelernährung gerieten viele Häftlinge schon nach wenigen Wochen in das Stadium der Hungerkrankheit: Sie fing an mit Schwellungen an den Beinen, die am Körper hochwanderten und irgendwann den Kopf erreichten. Dabei ging jede Lebensenergie verloren. Den normalen Adler-Arbeitern und selbst der Betriebsführung blieb der körperliche Verfall der Häftlinge nicht verborgen: "Die Leute wurden zusehends ärmlicher und schmächtiger und sahen sich zuletzt so ähnlich, dass eine Unterscheidung kaum mehr möglich war", berichtete nach dem Krieg Albert Eberhardt, der Assistent des Betriebsdirektors Hermann Friedrich.

Zu all dem wurden die Häftlinge in den Adlerwerken von ihren SS-Bewachern extrem schikanös behandelt. Er habe in keinem Lager eine derart schlechte Behandlung durch SS-Männer erfahren wie in Katzbach, sagte nach dem Krieg der Gefangene Heinz Aber. Diese hätten, weil sie im gleichen Gebäude wie die Häftlinge untergebracht gewesen seien, ihren sadistischen Gefühlen jederzeit freien Lauf lassen können.

Der polnische Gefangene Ryszard Olek berichtete von einem SS-Mann, der dauernd zu ihnen gesagt habe: "Arbeiten! Arbeiten!" Weil er eine mürrische Antwort gegeben habe, sei er abends beim Appell herausgerufen und mit einer Prügelstrafe belegt worden: "Ich musste mich auf einen speziellen Hocker legen, die Hosen herunterlassen, ich bekam 30 Schläge mit einem Kabel." Allein in und bei den Adlerwerken wurden fünf Häftlinge wegen Widerstandes und eines Fluchtversuchs erschossen. Weitere Liquidationen fanden nach der Räumung von Katzbach am 24. März auf dem Marsch in Richtung Buchenwald statt, die ersten gleich hinter Fechenheim, als einige Männer nicht mehr weiterzulaufen vermochten und deshalb von den Bewachern getötet wurden. Sei jemand langsam gegangen, so berichtete später ein Häftling, hätten die SS-Bewacher gerufen: "Komm mal her, komm, komm. Du bist krank, ja?" Dann hätten sie ihre Pistolen gezogen.

Die Amerikaner versuchten nach der Besetzung Frankfurts die Leitung der Adlerwerke und auch SS-Männer aus der Bewachungsmannschaft zu Verantwortung zu ziehen. Ernst Hagemeier, der Generaldirektor des Unternehmens, der von den Siegern ins Internierungslager für mutmaßliche Kriegsverbrecher in Dachau verbracht worden war, führte in seiner Vernehmung schon alle Argumente auf, derer sich die Adler-Führung künftig bediente: Man habe keine KZ-Häftlinge angefordert, diese seien dem Betrieb vielmehr zugewiesen worden. Die Kontrolle der KZ-Außenstelle habe allein bei der SS gelegen. Mehrfach, so gab Hagemeier an, habe er bekannt gegeben, dass ausländische Mitarbeiter nicht misshandelt werden dürften. Und die hohe Sterblichkeitsrate in Katzbach? Die rühre daher, dass viele Häftlinge schon krank im Lager angekommen seien - eine Behauptung, der überlebende Häftlinge mehrfach widersprachen.

Doch die Amerikaner glaubten dem Adler-Chef und selbst dem Prokuristen Franz Engelmann, der als Zuständiger für den Einsatz der KZ-Häftlinge permanent den regulären Mitarbeitern mit der Gestapo und der Einweisung in ein KZ gedroht hatte, wenn sie sich zum Beispiel mit KZ-Häftlingen unterhalten hätten. Sie wurden freigelassen und auch später von der deutschen Justiz nie verurteilt. Sogar Erich Franz, der Lagerführer von Katzbach, der für die schlimmen Verhältnisse wohl die größte Verantwortung trug, kam ungeschoren davon. Der Prozess gegen ihn in Österreich scheiterte 1964 an den halbherzigen Ermittlungen. Es standen damals kaum mehr Zeugen zur Verfügung, sodass dieser brutale SS-Charge dreist behaupten konnte, er habe in Katzbach nie von Misshandlungen gehört oder welche gesehen.

Vergeben und vergessen. So lautete ein halbes Jahrhundert lang die Parole. Niemand in Frankfurt wollte etwas von dem KZ mitten in der Stadt wissen. Und wer das Vergessen durchbrechen wollte, wie zivile Initiativen im Gallus, stieß auf eine Mauer des Schweigens. Nun endlich liegt eine Untersuchung vor, in der selbst die kleinsten Details, die noch zu finden waren, zusammengetragen wurden. Sie ergeben das Bild eines Todeslagers in den Adlerwerken mit einer sadistischen Bewachungsmannschaft und einer gleichgültigen Betriebsleitung. Für eine Erinnerungsstätte, wie der Magistrat sie im Februar beschlossen hat, liegen jetzt alle nötigen Informationen vor.

Das Buch "Katzbach - das KZ in der Stadt" von Andrea Rudorff ist im Wallstein-Verlag erschienen und kostet 38 Euro.

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»ein wichtiger Beitrag auch für die weitere Forschung zur Geschichte der KZ-Außenlager.« (Thomas Irmer, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 70/11, 2022)