Produktdetails
  • Verlag: List
  • ISBN-13: 9783471791639
  • ISBN-10: 3471791639
  • Artikelnr.: 24165376
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.02.2000

Allgemein

"Kaviar und tote Briefkästen - Mit dem KGB durch die Metropolen der Welt" herausgegeben von Helen Womack. List Verlag, München 1999. 448 Seiten. Gebunden, 39,90 Mark. ISBN 3-471-79163-9.

Desinformation gehört zu den vornehmsten Pflichten jedes Geheimdienstes. Da verwundert es kaum, dass eigentümliche Ansichten ans Licht kommen, wenn sich zwölf ehemalige Topspione des russischen KGB daranmachen, bunte Episoden aus ihren Erinnerungen als Bewohner einiger Hauptstädte dieser Welt niederzulegen: Andropow habe in seiner Zeit als KGB-Chef die Saat von Glasnost ausgelegt, lernen wir da, oder, schöner noch, die Berliner Mauer sei errichtet worden, um zu verhindern, dass die West-Berliner in Scharen den Ostteil der Stadt entern, um dort die subventionierten Waren aufzukaufen. Diese für westliche Ohren jedenfalls ungewohnten Deutungen der Nachkriegsgeschichte sind nicht das einzige Relikt der sechziger Jahre, auch die wesentlichen Informationen von Gebrauchswert - unverzichtbarer Bestandteil jedes Reiseführers - stammen aus jener Zeit. So bleibt "Kaviar und tote Briefkästen" ein Spionagebuch mit internationalem Flair, aber beim besten Willen kein Reisebuch. Auch als Aktenzeichen XY-Reality-Ausgaben von Simmels Thomas Lieven oder John Le Carrés George Smiley taugen die Akteure wenig: viel zu wenig Glamour, noch viel weniger Thrill, dafür aber mit manch ernüchterndem Einblick in den Spionage-Alltag als bürokratischem Moloch. So erwartet uns vor allem eine Sammlung mehr oder weniger authentischer Agentengeschichten, die durch die geschilderte Bürokratie, ständige Rücksichtnahmen und Pannen zur Entzauberung des Mythos KGB ihren Teil beitragen. Wir verdanken diese Einblicke dem Zerfall der Sowjetunion und dem Ende des Kalten Krieges, wie Herausgeberin Helen Womack, im Hauptberuf Korrespondentin des britischen "Independent" in Moskau, im Vorwort erläutert: War die Lubjanka, die Moskauer Zentrale des KGB, zu ihren Hoch-Zeiten sicherlich der verschwiegenste Ort der Welt, können ihre Ex-Spione heute viel offener aus ihrem Erinnerungsschatz plaudern als ihre Kollegen von MI5, CIA und BND - und sind dazu ob ihrer anderweitig mangelhaften Alimentation auch nur zu gerne bereit. "Durch die Gegend wandern ist ein wichtiger Teil der Agentenarbeit; deshalb schreiben wir im Ruhestand ja auch so gute Reiseführer", schreibt Leonid Kollosow, einst KGB-Resident in Rom, Paris und Madrid. "Kaviar und tote Briefkästen" kann er damit nicht gemeint haben. (bla)

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