"Wenn ich versuche, mir vorzustellen, wie sie starb, an jenem Tag in der Heiligen Stadt, dann höre ich auf, an Allah zu glauben. Aber nur für kurze Zeit. Ich kann es mir nicht leisten, zu lange gottlos zu sein." Das sagt ein Arzt aus Bombay; und ein Metzger bekennt, mitten auf einem überfüllten Marktplatz: "In einer Hölle wie dieser muß selbst Gott laut schreien, um sich bemerkbar zu machen. " Tyrewala komponiert mehr als vierzig paradigmatische Geschichten von Menschen in Bombay zu einer Polyphonie von Stimmen und Geräuschen, in der die Stadt die alle und alles prägende Rolle spielt. In ihr, mit und gegen sie müssen sie sich behaupten. Die Protagonisten, die aus ihrem Leben erzählen - aufwühlende, packende Szenen -, gehören unterschiedlichsten Klassen und Schichten an, haben vielfältige Berufe, tragen religiöse Rivalitäten aus, sind Opfer von Gewalt. Sie versuchen tagtäglich, ihrem Elend zu entkommen - wissend, daß es ihnen nicht gelingt, daß es in ihrer Welt für Gott keinen Platz gibt. Altaf Tyrewala, der noch nicht dreißigjährige Autor, wurde von der indischen Presse als große Entdeckung gefeiert. Seine sprachliche Präzision, seine Sprachkraft schaffen eine beklemmende atmosphärische Dichte, die den Pulsschlag der Riesenstadt fühlbar macht.
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Rezensent Martin Lüdke ist ausgesprochen begeistert vom "kühn konstruierten" Romandebüt dieses jungen Autors. Inhaltlich sieht er darin Motive von Salman Rushdies, vor dreißig Jahren erschienenem Roman "Mitternachtskinder" weiterentwickelt. Stilistisch fühlt er sich entfernt an Botho Strauss erinnert. Oberflächlich gesehen reihe der 1977 in Bombay geborene Autor scheinbar zusammenhangslose Episoden und Lebensläufe unterschiedlichster Menschen aneinander. Oft bestehen sie Lüdke zufolge nur in wenigen Zeilen, meist aber in wenige Seiten umfassenden Kapiteln. Doch trotz seines fragmentarischen Stils erzeuge Altaf Tyrewala einen "gewaltigen Sog", in den nicht nur die Figuren, sondern auch der Leser hinein gerissen werde, wie uns der staunende Rezensent mitteilt. Besonders beeindruckt ihn der erstaunlich geringe Aufwand an erzählerischen Mitteln, die Fähigkeit dieses Autors, noch "im unscheinbarsten Fragment das Ganze" aufscheinen zu lassen. Doch auch Tyrewalas Lesart der "Dialektik der Aufklärung" in der immer noch von der Religion beherrschten indischen Gesellschaft überzeugt ihn sehr.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Tyrewala führt uns nämlich menschliche Schicksale vor. Er erzeugt, erzählend, mit erstaunlich geringem Aufwand, einen gewaltigen Sog.« Martin Lüdke DIE ZEIT