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Die gegenwärtige Debatte um die Hirnforschung und ihre Folgen für unser Menschenbild, für Gesetzgebung, Rechtsprechung, Erziehungsstile und Geschichtsverständnis spielt sich in einer wenig reflektierten Sprache ab. Von neurophysiologischen Termini bis zur populärphilosophischen Rede über Kognition, Willensfreiheit und Selbstbewußtsein, von der wissenschaftstheoretischen Diskussion über Erfahrung, Experiment, Beweisen und Widerlegen bis zu weltanschaulichen Anrufungen von Werten reicht die Bandbreite sprachlicher Mittel. Polemische Schärfe und begriffliche Oberflächlichkeit sind die…mehr

Produktbeschreibung
Die gegenwärtige Debatte um die Hirnforschung und ihre Folgen für unser Menschenbild, für Gesetzgebung, Rechtsprechung, Erziehungsstile und Geschichtsverständnis spielt sich in einer wenig reflektierten Sprache ab. Von neurophysiologischen Termini bis zur populärphilosophischen Rede über Kognition, Willensfreiheit und Selbstbewußtsein, von der wissenschaftstheoretischen Diskussion über Erfahrung, Experiment, Beweisen und Widerlegen bis zu weltanschaulichen Anrufungen von Werten reicht die Bandbreite sprachlicher Mittel. Polemische Schärfe und begriffliche Oberflächlichkeit sind die komplementären Züge eines Aufeinandereinredens und Aneinandervorbeiredens, denen philosophisch mit Sprachkritik zu begegnen ist. Zwar sind die diskutierten Fragen sicher keine reinen Sprachprobleme. Aber ohne Klärung der sprachlichen Verhältnisse sind sie gar nicht zu klären. Dies gilt nicht nur für die öffentlichen Diskurse über so genannte Körper-Geist- oder Leib-Seele-Probleme, sondern auch für Ansprüche und Ergebnisse der Fach-, im besonderen der Neurowissenschaft. Sie rühren in klärungsbedürftiger Weise an unser traditionelles Menschenbild ebenso wie an unser Wissenschaftsverständnis.

Peter Janich analysiert die Verwendung einiger der häufigsten bisher kaum zureichend definierten Begriffe auf sprachtheoretische Fallen hin. Ferner werden "naturalistische" Ansätze der Neurowissenschaft untersucht und auf dem Hintergrund einer kulturalistischen Theorie gedeutet. Denn eine Wissenschaft, die das Subjekt, als das sie selbst agiert, zugleich leugnet, gerät in einen grundsätzlichen Widerspruch."Die Hirnforschung darf sich nicht in einen Durchführungswiderspruch verwickeln (wie wenn jemand in brüllender Lautstärke behauptet, er flüstere gerade; die Experten nennen solche Widersprüche performativ). Sonst dementiert sie sich selbst, indem sie den Menschen als Objekt so beschreibt, daß er nicht mehr als Subjekt eben diese Wissenschaft und eben diese Beschreibung hervorbringen kann."
Autorenporträt
Peter Janich (1942-2016) war Professor emeritus für Philosophie an der Philipps-Universität Marburg. Zuletzt erschien Kein neues Menschenbild. Zur Sprache der Hirnforschung (eu 21).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.05.2009

Der neue Mensch ist nicht in Sicht

Mit seinem Essay zur Hirnforschung hat Peter Janich das argumentative Niveau neu bestimmt, auf dem Biologen zu antworten hätten.

Es ist eine altbekannte Wahrheit, dass der Preis der Macht nicht selten eine schleichende Verdummung ist. Wer auf einer Woge des Erfolges reitet, hat zumeist weder Zeit noch Lust, über die Voraussetzungen und Folgen seines Tuns und über die blinden Flecken seiner Selbstwahrnehmung nachzudenken. Selbstkritik bindet Energie und sie ist, wie es scheint, auch unnötig, denn die Dinge laufen ohnehin wie geschmiert.

Von der Gefahr einer intellektuellen Selbstabschließung sind nicht nur die Honeckers bedroht, sondern auch manche diskurs- und drittmittelmächtige Wissenschaftler. Der Marburger Philosoph Peter Janich hat sich in den Laboren der heutigen Leitwissenschaft umgehört und dabei den heimlichen Biologengruß in Erfahrung gebracht: "Der Biologe braucht die Theorie der Philosophen für seine Forschung so dringend wie der Vogel die Theorie des Aerodynamikers zum Fliegen." Dass in dieser Haltung eine naive Denkverweigerung zum Ausdruck kommt, die sich zumal in der Hirnforschungsdebatte in einer unerquicklichen Melange aus polemischer Schärfe und begrifflicher Oberflächlichkeit niederschlägt, ist die These, die Janich in seinem schmalen, aber höchst gehaltvollen Buch über die "Sprache der Hirnforschung" entfaltet.

Der Kritik Janichs liegen zwei Befunde zugrunde, die, so unspektakulär sie sich auf den ersten Blick ausnehmen, in der Praxis und auch in der Theorie der Naturwissenschaften weitgehend aus dem Blick geraten sind. Sprechen, so stellt Janich klar, ist eine Form des Handelns. Von bloßem Verhalten, das in uns abläuft, ohne dass wir es beeinflussen können, unterscheidet sich in Janichs Worten das Handeln dadurch, dass es uns von anderen Personen als Verdienst oder Verschulden zugerechnet wird. Nicht nur für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir sagen, machen wir uns in dieser Weise gegenseitig verantwortlich: Wir loben den Schüler, der eine richtige Antwort gegeben hat, und schelten den Lügner.

Nicht anders als unser Alltagsleben vollzieht sich, wie Janich eindringlich herausarbeitet, auch die Wissenschaft im Medium der Sprache. Die wissenschaftliche Erforschung der Natur macht darin keine Ausnahme. Das Beobachten als solches ist nämlich noch nicht Wissenschaft. Wissenschaftliche Beobachtungen müssen mitgeteilt werden, und zwar in einer Weise, die es jeder interessierten Person ermöglicht, die beschriebene Beobachtung von neuem zu machen. Dieses Ziel kann nur durch eine strenge Normierung der Sprache und durch eine hohe Disziplin der Sprechenden erreicht werden.

Ein Wissenschaftler, der, nicht zuletzt um dadurch Ruhm und Ehre zu erlangen, eine Hypothese aufstellt oder ein angebliches Naturgesetz formuliert, hat sich damit aus dem Bereich der Naturunmittelbarkeit gelöst und "in den Bereich des Handelns, der Kultur und der Verantwortung begeben". Naturwissenschaft ist eine Kulturtechnik. Naturwissenschaftler kann deshalb nur werden, wer den kulturell gesetzten "Unterschied zwischen dem Natürlichen als nicht Verantwortungspflichtigen und dem Kultürlichen als Verantwortungspflichtigen" kennt. Mag sein Objekt auch die Natur sein, als Subjekt muss er sie immer schon transzendiert haben.

Damit ist, wie Janich zeigt, der Position eines naturalistischen Monismus die Grundlage entzogen. Indem ein konsequenter Naturalismus den Unterschied zwischen Handeln und bloßem Verhalten einebnet, beschreibt er den Menschen so, dass dieser jene Beschreibung nicht mehr als Subjekt hervorbringen kann. Dadurch verwickelt der Naturalismus sich jedoch in einen Selbstwiderspruch. Der Widerspruch besteht darin, dass die Naturalisten "im Rahmen ihres eigenen Sprachspiels ihre eigenen Behauptungen gerade nicht von Widerfahrnissen wie dem Stolpern oder Erschrecken unterscheiden, dennoch aber Geltungsansprüche erheben und damit per definitionem handeln".

Würden sie mit ihrer Theorie Ernst machen, dürften sie ihre Auffassung nur als ein kausal bestimmtes Naturgeschehen verbuchen, und ihnen bliebe nichts anderes übrig, als abzuwarten, "ob sich diese Formen der Äußerung in einem Kausalgeschehen evolutionär durchsetzen oder aussterben". Wahr oder falsch, gut oder schlecht könnte diese Position hingegen nicht sein.

Aus seinem Nachweis der geltungslogischen Kosten eines unkontrollierten Sprachgebrauchs leitet Janich eine Mahnung zur Selbstbescheidung ab. Er plädiert dafür, den Blick auf den Menschen als Naturgegenstand auf denjenigen Bereich zu beschränken, in dem die naturwissenschaftlichen Methoden angewendet werden können, ohne die Anwender in den soeben geschilderten Widerspruch zu verstricken. So kann man bloßes Verhalten ohne weiteres experimentell untersuchen. Der Mensch als Handelnder entzieht sich für Janich hingegen der Deutungskompetenz der Naturwissenschaften. "Die parasprachliche Usurpations- oder Imperialismusgeste, mit der die Naturwissenschaften immer weitere Bereiche der Geisteswissenschaften, der Philosophie oder andere der Kulturphänomene wie Religion, Wirtschaft oder Kunst der Domäne von Bedeutung und Geltung naturwissenschaftlicher Aussagen einverleiben, sollte sich verbieten." Wer Kultur auf Natur reduzieren zu können glaubt, weiß buchstäblich nicht, was er sagt.

Dies gilt, wie Janich nachweist, zuvörderst für jene Hirnforscher, die, ihre naturwissenschaftlich-medizinische Kompetenz weit überschreitend, zu einer Revision unseres angeblich experimentell widerlegten Menschenbildes aufrufen. Hart, aber treffend bezeichnet Janich die Hirnforschungsdebatte als ein "ideologisches Überbauphänomen, das nur die eigene zugrunde liegende Praxis missversteht". Zwar ist es ein Ding der Selbstverständlichkeit, dass keine der Leistungen, die im alltagssprachlichen Verständnis mit Kognition, Ichbewusstsein, Sprachvermögen oder Handlungsautonomie bezeichnet werden, ohne Beteiligung des Gehirns zu erbringen ist; erst recht kann die sprachliche Kommunikation zwischen zwei Menschen nur unter reger Hirntätigkeit beider Akteure stattfinden. Dies besagt aber entgegen der Unterstellung vieler Hirnforscher keineswegs, dass das Ich mit seinem Gehirn identisch ist oder dass es die Gehirne sind, die miteinander kommunizieren.

Neuronale Abläufe sind, wie sie sind; ebenso wie alle anderen Naturvorgänge sind auch sie der Frage nach Bedeutung und Sinn nicht zugänglich. "Wenn also ein Hirnforscher den Anspruch erhebt, letztlich müssten Bedeutung und Geltung sprachlicher Kommunikation aus neuronalen Funktionen erklärt werden, die selbst schon Bedeutung und Geltung haben, verkauft er eine Mogelpackung. Er erschleicht sich die Einlösung seines Anspruchs dadurch, dass er bereits den materiellen Bausteinen seiner Gehirnmodelle Qualitäten sinnvoller Rede zuschreibt."

Der revolutionäre Gestus der sich zu Kündern einer neuen Weltdeutung aufschwingenden Protagonisten der Hirnforschung verdankt sich demnach dem undurchschauten, da unreflektierten Gebrauch einer schiefen, ihrem sachlichen Gehalt nach vorneuzeitlichen Metapher: der Ausstattung der Natur mit Sinn. Die Naturalisierung von Geist und Kultur, die die Hirnforscher stolz wie ein Mantra vor sich her tragen, lässt sich offenbar nur um den Preis eines subkutanen Aristotelismus durchhalten.

Damit sollen die beeindruckenden Erkenntnisfortschritte der neueren Hirnforschung keineswegs kleingeredet werden; auch Janich liegt eine solche Kammerdienermentalität ganz fern. Aber ein "neues Menschenbild" begründen diese Erkenntnisse nicht, wie Janich mit bezwingender Logik darlegt. Dass die naturalistischen Hohepriester der Hirnforschungsdebatte ihre mühsam errungene Deutungshoheit freiwillig aus der Hand geben werden, ist freilich nicht zu erwarten. Janich hat indessen das argumentative Niveau neu definiert, an dem sich alle künftigen Diskussionsbeiträge messen lassen müssen. Wir sind gespannt.

MICHAEL PAWLIK.

Peter Janich: "Kein neues Menschenbild". Zur Sprache der Hirnforschung. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 192 S., br., 10,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mit Spannung erwartet Michael Pawlik schon künftige Diskussionsbeiträge auf dem Feld der Hirnforschung. Nach dem Buch von Peter Janich denkt er sie sich als von einem anderen argumentativen Kaliber als bisher. Pawlik schildert seine Begeisterung für ein Buch, das die Gefahr der Selbstabschließung eines ganzen Wissenschaftszweiges auf dessen Sprachverständnis zurückführt. Naturwissenschaft als Kulturtechnik gegen den naturalistischen Monismus. Dafür, dass Pawlik überzeugt ist von den im Buch ausgeführten Thesen, sorgt vor allem die "bezwingende Logik" ihres Autors.

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