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Seit dem Erscheinen seiner Lebenserinnerungen 'Verwehte Spuren' gilt der Breslauer Historiker Willy Cohn (1888-1941) als der wichtigste Autor seiner Generation für das jüdische Breslau. Daß auch seine Tagebücher erhalten blieben und nahtlos an seine Erinnerungen anschließen können, macht diese Edition zu einem Buchereignis ersten Ranges. Cohn war als Historiker, Publizist und Pädagoge mit weiten Kreisen Breslaus und insbesondere der jüdischen Gemeinde vertraut. Er erlebte den Exodus vieler Breslauer Juden, die Schrecken der Reichspogromnacht 1938 und die Verzweiflung der verbliebenen Juden,…mehr

Produktbeschreibung
Seit dem Erscheinen seiner Lebenserinnerungen 'Verwehte Spuren' gilt der Breslauer Historiker Willy Cohn (1888-1941) als der wichtigste Autor seiner Generation für das jüdische Breslau. Daß auch seine Tagebücher erhalten blieben und nahtlos an seine Erinnerungen anschließen können, macht diese Edition zu einem Buchereignis ersten Ranges. Cohn war als Historiker, Publizist und Pädagoge mit weiten Kreisen Breslaus und insbesondere der jüdischen Gemeinde vertraut. Er erlebte den Exodus vieler Breslauer Juden, die Schrecken der Reichspogromnacht 1938 und die Verzweiflung der verbliebenen Juden, denen die Flucht nicht mehr möglich war. Cohn und seine Familie waren davon selbst betroffen, bis hin zu ihrer Deportation und Ermordung in Litauen 1941. Tag für Tag läßt sich in diesem Buch die Entrechtung und Erniedrigung der Breslauer Juden miterleben. Indirekt ergeben sich auch viele Belege für die Haltung der übrigen Bevölkerung in dieser Zeit. In dieser Alltagsnot findet Cohn allein im jüdischen Glauben Trost und engagiert sich in der Gemeinde. Daneben arbeitet er weiter wissenschaftlich, was ihm die Bekanntschaft mit Leo Baeck verschafft, der ihm 1940 seine politische Einschätzung darlegt, oder mit dem bekannten katholischen Kirchenhistoriker Hubert Jedin. Neben den Dresdner Tagebüchern Victor Klemperers gibt es keinen vergleichbaren Erlebnisbericht.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Norbert Conrads war bis 2003 ordentlicher Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Stuttgart. Er leitete dort den Projektbereich Schlesische Geschichte.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.08.2006

Sachbücher des Monats September
Empfohlen werden nach einer monatlich erstellten Rangliste Bücher der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften sowie angrenzender Gebiete.
1. RICHARD RORTY, GIANNI VATTIMO: Die Zukunft der Religion. Übersetzt von Michael Adrian. Suhrkamp Verlag, 114 Seiten, 16,80 Euro.
2-3. PETRA GEHRING: Was ist Biomacht? Vom zweifelhaften Mehrwert des Lebens. Campus Verlag, 240 Seiten, 24,90 Euro.
ERIC KANDEL: Auf der Suche nach dem Gedächtnis. Die Entstehung einer neuen Wissenschaft des Geistes. Übersetzt von Hainer Kober. Siedler Verlag, 528 Seiten, 24,95 Euro.
4. JENS HACKE: Philosophie der Bürgerlichkeit. Die liberalkonservative Begründung der Bundesrepublik. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, 323 Seiten, 39,90 Euro.
5. WILLY COHN: Kein Recht, nirgends. Tagebuch vom Untergang des Breslauer Judentums 1933 – 1941. Herausgegeben von Norbert Conrads. Böhlau Verlag, 2 Bände, 1121Seiten, zusammen 59,90 Euro.
6. ROBERT MENASSE: Die Zerstörung der Welt als Wille und Vorstellung. Frankfurter Poetikvorlesung. Suhrkamp Verlag, 142 Seiten, 8 Euro.
7. ISRAEL FINKELSTEIN/NEIL A. SILBERMAN: David und Salomo. Archäologen entschlüsseln einen Mythos. Übersetzt von Rita Seuß. C. H. Beck Verlag, 298 Seiten, 24,90 Euro.
8. REZA ASLAN: Kein Gott ausser Gott. Der Glaube der Muslime von Muhammad bis zur Gegenwart. Übersetzt von Rita Seuß. C. H. Beck Verlag, 335 Seiten, 24,90 Euro.
9. HARRO ZIMMERMANN: Günter Grass unter den Deutschen. Chronik eines Verhältnisses. Steidl Verlag, 688 Seiten, 28,00 Euro.
10. PETER VON MATT: Die Intrige. Theorie und Praxis der Hinterlist. Carl Hanser Verlag, 504 Seiten, 25,90 Euro.
Besondere Empfehlung des Monats September von Petra Kammann: Florian Felix Weyh: Vermögen. Was wir haben, was wir können, was wir sind. Eichborn Verlag, 320 Seiten, 19,90 Euro.
Die Jury: Rainer Blasius, Eike Gebhardt, Fritz Göttler, Wolfgang Hagen, Daniel Haufler, Otto Kallscheuer, Matthias Kamann, Petra Kammann, Guido Kalberer, Elisabeth Kiderlen, Jörg-Dieter Kogel, Hans Martin Lohmann, Ludger Lütkehaus, Herfried Münkler, Johannes Saltzwedel, Wolfgang Ritschl, Florian Rötzer, Albert von Schirnding, Norbert Seitz, Eberhard Sens, Hilal Sezgin,Volker Ullrich, Andreas Wang, Uwe Justus Wenzel
Redaktion: Andreas Wang (NDR)
Die nächste SZ/NDR/BuchJournal-
Liste der Sachbücher des Monats erscheint am 30. September.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.01.2007

Chronist eines angekündigten Endes
Willy Cohns ergreifende Tagebücher über das Breslauer Judentum in den Jahren 1933 bis 1941

Illusionen darüber, was den Juden in Deutschland seit der nationalsozialistischen Machtübernahme drohte, machte sich der Breslauer Gymnasiallehrer und Historiker Cohn eigentlich nie. Schon am 30. Januar 1933 hielt er in seinem Tagebuch fest: "Jedenfalls trübe Zeiten, besonders für uns Juden! Aber man sitzt in der Mäusefalle." Am 7. April trat das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" in Kraft, das die Entlassung oder Zwangspensionierung politisch "unzuverlässiger Elemente" und von öffentlich Bediensteten "nichtarischer Abstammung" vorsah. Cohn begriff sofort, dass die Nationalsozialisten fortan "irgendeine Möglichkeit finden, einen herauszuwerfen. Es ist alles so widerlich." Als Frontkämpfer des Weltkrieges, ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz, wäre eine Ausnahmeregelung möglich gewesen (die Ende 1934 aufgehoben wurde). Jedoch spürte er, dass sein politisches Engagement während der Weimarer Republik Folgen für ihn haben würde, zumal er auf Rückfrage der neuen Schulleitung mutig zu seiner SPD-Mitgliedschaft stand. Am 31. August fand er die "Entlassung vom Ministerium" vor, die als Grund Paragraph 4 - politische Unzuverlässigkeit - anführte. Daher schreckten in den nächsten Jahren sogar jüdische Einrichtungen hin und wieder davor zurück, ihn zu beschäftigen oder ihm Aufträge zu erteilen, weil sie damit die NS-Machthaber zu provozieren glaubten.

Der im "Dreikaiserjahr" 1888 in eine wohlhabende Breslauer Kaufmannsfamilie hineingeborene Willy Cohn war nicht einmal 21 Jahre alt, als er in seiner Heimatstadt mit einer Arbeit zur Geschichte der normannisch-sizilischen Flotte unter der Regierung Rogers I. und Rogers II. (1060 bis 1154) promoviert wurde. Am liebsten wäre er Hochschullehrer geworden, verzichtete aber darauf, weil er als Jude mit einer förmlichen Zurückweisung seines Habilitationswunsches rechnete. So legte er sein Staatsexamen ab, publizierte weiterhin fleißig und unterrichtete am Breslauer Johannesgymnasium, dessen Lehrerkollegium jeweils zu einem Drittel aus Protestanten, Katholiken und Juden bestand, Geschichte, Deutsch und Erdkunde. Seit 1923 war er zum zweiten Mal verheiratet, Vater zweier Söhne aus erster Ehe und dreier Töchter aus zweiter Ehe; die jüngste, Tamara, kam am 19. Juli 1938 zur Welt. Nur die drei ältesten Kinder - Wolfgang (Jahrgang 1915), Ernst (1919) und Ruth (1924) - entkamen der Vernichtung, weil sie sich bereits in den dreißiger Jahren außerhalb Deutschlands aufhielten. In ihrer Obhut befindet sich heute der Nachlass Willy Cohns, aus dem Joseph Walk das Tagebuch für das Jahr 1941 in Israel (1975) und in der Bundesrepublik (1984) veröffentlichte.

1995 folgte "Verwehte Spuren", Cohns Erinnerungen an sein Leben in Breslau bis zum Jahr 1933. Die Autobiographie gab Nobert Conrads heraus, der jetzt die Tagebücher für die Zeit vom 11. Januar 1933 bis zum 17. November 1941 publiziert. Für den Wiederabdruck des Jahres 1941 entschied er sich nicht nur "aus Vollständigkeitsgründen", denn "die von Walk vorgenommenen Kürzungen waren substantieller Art, abgesehen von sinnentstellenden Fehlleistungen" bei der Transkription. Allerdings lässt auch Conrads' Bearbeitung einige Fragen offen. Etwa zum Tagebucheintrag vom 10. November 1938 - also unmittelbar nach den von Goebbels inszenierten "spontanen" schweren Ausschreitungen gegen Juden und deren Einrichtungen als Reaktion auf das Attentat auf den deutschen Legationssekretär Ernst vom Rath durch den Juden Herschel Grynszpan: "Als die furchtbare Tat in Paris verübt worden war, war mir klar, dass sie solche Folgen haben würde! Das Wort, dass ganz Israel für einander Bürge sein soll, trifft im Guten und im Schlechten zu! Der kleine Rest der deutschen Juden wird kein gutes Schicksal vor sich haben. [...] Nun sind vielleicht die polnischen Juden gut daran, die ausgewiesen worden sind. [...] Möge Gott alle meine Kinder, drin[nen] und draußen, in diesen schweren Zeiten behüten!" Erwartet man ausgerechnet beim Eintrag zur sogenannten "Reichskristallnacht" solche (laut Einleitung mit eckigen Klammern ausgewiesenen) Kürzungen, die nur "wiederholte Schilderungen" von Ausflügen, Einkäufen und Verwandtenbesuchen, "Hobbys, Famlieninterna und ganz Privates" ebenso wie die "reichlichen Selbstanalysen von Schlafstörungen und Krankheiten" betreffen sollen? Außerdem ist der von Conrads knapp gehaltene Anmerkungsapparat wenig systematisch und überzeugt nicht immer bei der Darstellung zeitgeschichtlicher Zusammenhänge.

Davon abgesehen, sind die Tagebücher eine ergreifende Quelle über den Alltag und die Beobachtungen eines Mannes, der gegen das immer wieder von den Nationalsozialisten angekündigte Ende des jüdischen Lebens in seiner Geburtsstadt, ja gegen den drohenden Untergang mit aller Kraft anschrieb - und zwar nicht in dem Sinne, damit etwas abwenden zu können, sondern um das "Judenschicksal" wissenschaftlich in Beiträgen über einzelne Städte für jüdische Publikationen und eigene Vorträge zu verarbeiten sowie persönlich durch seine Autobiographie und die Tagebücher zu dokumentieren.

Manchmal kommt die Zerrissenheit Cohns zum Ausdruck, der sich einer gewissen Bewunderung für Hitlers Erfolge nicht zu entziehen vermochte. "Ich liebe Deutschland so, dass diese Liebe auch durch alle Unannehmlichkeiten, die wir erleben, nicht erschüttert werden kann. Es ist das Land, dessen Sprache wir reden und dessen gute Tage wir auch miterlebt haben! Man muss loyal genug sein, um sich auch einer Regierung zu fügen, die aus einem ganz anderen Lager kommt. Ich weiss mich da von jedem Hassgefühl frei", schrieb er am 27. September 1933. Er wollte sich durchaus "auf die neuen Verhältnisse" einstellen: "Warum wird uns das so schwer gemacht?", ergänzte er einen Monat später. Und im Januar 1939 vertraute er - von Verblendung nicht frei - dem Tagebuch an, das "Dritte Reich" habe "eine gewaltige Leistung aufzuweisen; dass wir Juden dabei die Leidtragenden sind, ist eine andere Frage, das darf einen meines Erachtens an der objektiven Wertung der Dinge nicht hindern. Die wenigsten von unseren Menschen wollen das einsehen, was menschlich begreiflich ist, aber als Historiker sehe ich das anders."

Im Frühjahr 1937 hielt sich Cohn mehrere Wochen in Palästina auf, gemeinsam mit seiner Frau, die jedoch einer Auswanderung skeptisch gegenüberstand. Immerhin trafen sie den zweitältesten Sohn aus erster Ehe, Ernst, der seit 1935 dort war. Um dessen Mündigkeitserklärung bemühte sich Cohn auf dem deutschen Konsulat in Jerusalem. Während der Rückreise auf See dachte Willy Cohn am 3. Mai 1937 an die Töchter in Breslau: "Ich denke viel an Ruth und Susannchen und hoffe, dass sie wohlauf sind. Wie schön wäre es gewesen, wenn man sie hätte nachkommen lassen können und selbst drüben geblieben wäre."

Im Sommer 1939 trug sich Cohn wieder verstärkt mit dem Gedanken einer Auswanderung, weil sich die Gestapo bei Routinevorladungen immer wieder nach der Angabe eines Zeitpunkts erkundigte und er weiteren Demütigungen ausgesetzt war. Im Juli 1939 musste er beispielsweise bei einem Spaziergang feststellen: "Auf dem Hindenburgplatz darf man nicht mehr sitzen; da steht auf allen Bänken: ,Für Juden verboten'." Fast leitmotivisch findet sich diese - aus der Rückschau vielleicht eher nebensächliche - Einschränkung in seinen Aufzeichnungen als "Schikane gegen wehrlose Menschen" wieder, so dass der Leser nachempfindet, was sie für den unter Kurzatmigkeit und Herzbeschwerden leidenden Cohn bedeutete. Am 13. September 1940 war er mit der zweijährigen Tamara unterwegs: "Auf dem Reichspräsidentenplatz wollte sie sich etwas setzen, aber das dürfen wir doch nicht; das kann man aber schwer so einem Kinde klarmachen. Dann Ecke Kürassierstraße und Gabitzstraße gesessen, auf Bänken, die der Straßenbahn gehören und die deshalb keinen Stempel tragen: ,Für Juden verboten'."

Trotz solcher Erfahrungen wehrte sich Cohn dagegen, den Stab über alle Deutschen zu brechen. Vielmehr beeindruckte ihn der Mut seines deutschen Barbiers, ihn zu rasieren. Dann beschloss die Breslauer Friseurinnung im März 1940, "dass Juden, wo sie überhaupt noch bedient werden müssen, bis früh um neun bedient werden sollen". Und im Jahr darauf lud die Ortsgruppe der NSDAP den Barbier vor, "weil er einen Juden rasiert. Der alte Mann hat mir leidgetan. Nun sieht er selbst, wohin die Spitzelei führt. Es hat ihm selbst sehr leidgetan, dass er mich nun nicht mehr besorgen kann, ich war über sieben Jahre sein Kunde."

Als Cohn von den Verbrechen im besetzten Polen Anfang November 1939 hörte, schrieb er: "Ist es nicht schade um die edlen Teile des deutschen Volkes, das sicherlich in weiten Kreisen diese Dinge gar nicht will und das nun in das Verhängnis mit heruntergezogen wird?" Im Juni 1940 war er davon überzeugt: "Das Volk in seiner Masse denkt anständig." Anhaltspunkte dafür boten jene Breslauer, die ihm halfen. Eine Hausmeisterin schaffte neun Zentner Kohlen herbei, als an Juden vorläufig keine Kohle mehr verkauft werden durfte. Eine Pförtnerin der Dombibliothek - die er weiterhin mit Unterstützung des Direktors benutzen durfte - verkaufte oder schenkte ihm "Karpfen, ein Stück Fleisch, verschiedene Fettigkeiten, Sardinen, Wurst; es ist ganz rührend, wie die Frau für mich sorgt; ich habe viel Liebe dort erfahren. Viel Glauben an die Menschheit wiedergefunden."

Ab März 1941 erfasste die Gestapo den "gesamten jüdischen Wohnraum" in Breslau - "offenbar eine vorsorgliche Maßnahme, wenn im Westen noch weitere Luftangriffe kommen". Um "seelich durchkommen zu können", klammerte sich Cohn nach eigener Aussage "immer stärker an die Arbeit und die Kinder". Im September 1941 kam die "Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden" heraus. Über das Tragen des "Judensterns" tröstete sich Cohn durch schwärzesten jüdischen Humor aus Berlin hinweg und sprach einmal vom "Orden pour le sémite". Am 11. Oktober 1941 notierte er: "In Kiew soll es schon ein großes Blutbad gegeben haben" (Babi Jar), am Tag darauf: "Es sieht so aus, als ob es die Deutschen im gegenwärtigen Augenblick des Krieges ganz und gar auf unsere Vernichtung angelegt hätten. Man kann nur wünschen, dass ihnen dieser Plan misslingt." Am 15. November brachte die Post "keine schöne Nachricht, wir müssen voraussichtlich am 30.11. die Wohnung räumen und werden voraussichtlich verschickt werden". Das "wir" bezog sich auf ihn, seine Frau und zwei Mädchen.

Willy Cohns Name findet sich - ebenso wie der seiner Frau Gertrud - in dem vom Bundesarchiv im Sommer 2006 herausgegebenen vierbändigen Gedenkbuch über die "Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945". Die erste Auflage von 1986 erinnerte an mehr als 128 000 jüdische Bürger aus dem Territorium der damaligen Bundesrepublik und ganz Berlins. Die zweite Auflage umfasst nun annähernd das Deutsche Reich "mit dem Gebietsstand vom 31. Dezember 1937" und verzeichnet mit Grunddaten 149 625 jüdische Opfer. Über den Chronisten des Untergangs des Breslauer Judentums liest man: "Cohn, Willy, *12.12.1888 in Breslau, wohnhaft Breslau, Deportation: ab Breslau 25.11.1941, Kowno; Todesdaten: 29.11.1941, Kowno." Welch ein Leidensweg steckt hinter einem solchen Eintrag. Und wer - angeregt durch die Tagebuchlektüre - erschüttert weiterblättert, vermisst die Erwähnung der ebenfalls ermordeten dreijährigen Tamara, die sich doch so gern bei Spaziergängen mit dem Vater auf einer Parkbank in Breslau kurz ausgeruht hätte.

RAINER BLASIUS.

Willy Cohn: Kein Recht, nirgends. Tagebuch vom Untergang des Breslauer Judentums 1933-1941. Herausgegeben von Norbert Conrads. Zwei Bände. Böhlau Verlag, Köln 2006. XXX und 1121 Seiten, 59,90 [Euro].

Gedenkbuch. Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945. 2., wesentlich erweiterte Ausgabe. Bearbeitet und herausgegeben vom Bundesarchiv. Vier Bände. Selbstverlag des Bundesarchivs, Koblenz 2006. XIII und 3820 S. mit CD-ROM, 149,- [Euro] .

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Mit der Edition seiner Tagebücher ist der Breslauer Pädagoge und promovierte Historiker Willy Cohn für Rezensent Volker Ullrich zum "wichtigsten Chronisten des Schicksals deutscher Juden" nach Victor Klemperer geworden. Anders als Klemperer jedoch, der den Naziterror unter dem Schutz seiner nichtjüdischen Frau überlebte, wurde Cohn, wie Ullrich schreibt, 1941 deportiert und mit seiner Familie ermordet. Für den Rezensenten belegen Cohns Aufzeichnungen, wie schlagartig und radikal sich das Leben für die deutschen Juden nach 1933 änderte. Sie sind ihm durch Cohns darin zum Ausdruck kommenden Patriotismus aber auch erschütternder Beleg für den Zwiespalt und die Schwierigkeit deutscher Juden, trotz Entrechtung und Bedrohung den Ernst der Lage zu begreifen und die lebensrettenden Konsequenzen daraus zu ziehen. Besonders staunt Ullrich über Cohns immer wieder geäußerte Zustimmung zu Hitlers Außenpolitik. Einmal nenne der Cohn ihn gar einen "großen Mann".

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