Die Welt und ihre Phantasie sind nur durch eine hauchdünne Membran getrennt. Dort, in den Zwischenwelten, den märchenhaften und unwahrscheinlichen Bereichen des Gewöhnlichen, entstehen Augenblicke größter Realität. Kein Sprachspiel, ein Wahrnehmungsspiel ist das, die Welt erstrahlt in diesen unwirklich gegenwärtigen Gedichten.
Der großen Intensität des Gefühls gelingt es in diesen Gedichten, dem Alltag Leben einzuhauchen. Es sind Visionen, die mit den Lebenslügen aufräumen. Am Rande der Zeit, des Traums und des Hier und Jetzt entsteht eine leuchtende Eigenständigkeit, wie sie nur noch im Gedicht gelingen kann. Es ist nicht der Versuch, schöne Worte zu finden, sondern die Sehnsucht nach den richtigen. Eine Stimmung, die eindringlich und ernst, schwärmerisch und ironisch zugleich ist. Der Zugang zu dieser Wirklichkeit heißt Sinnestäuschung oder Unaufmerksamkeit, Verzweiflung oder Müdigkeit. Der Erzähler dieser Gedichte wendet sich dem Traum, dem Nebenbei, den unmittelbaren Bildern im Bedürfnis nach Orientierung in der Welt zu. Jedes Gedicht ist auch ein Versuch, die schwierigen und schwer wiegenden Fragen mit Leichtigkeit zu stellen.
Der großen Intensität des Gefühls gelingt es in diesen Gedichten, dem Alltag Leben einzuhauchen. Es sind Visionen, die mit den Lebenslügen aufräumen. Am Rande der Zeit, des Traums und des Hier und Jetzt entsteht eine leuchtende Eigenständigkeit, wie sie nur noch im Gedicht gelingen kann. Es ist nicht der Versuch, schöne Worte zu finden, sondern die Sehnsucht nach den richtigen. Eine Stimmung, die eindringlich und ernst, schwärmerisch und ironisch zugleich ist. Der Zugang zu dieser Wirklichkeit heißt Sinnestäuschung oder Unaufmerksamkeit, Verzweiflung oder Müdigkeit. Der Erzähler dieser Gedichte wendet sich dem Traum, dem Nebenbei, den unmittelbaren Bildern im Bedürfnis nach Orientierung in der Welt zu. Jedes Gedicht ist auch ein Versuch, die schwierigen und schwer wiegenden Fragen mit Leichtigkeit zu stellen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.10.2008Wie es Lolita aber lieber mit Herrn Albtraum treibt
Mitteilungen aus dem Sinnreich: "Kein Schlaf in Sicht", der neue Gedichtband von Henning Ahrens, glossiert die große, wilde Welt
Achtung! Der Steuerprüfer hat seinen Besuch angekündigt. Er kommt ausgerechnet zu Henning Ahrens, der in Handorf bei Peine in Niedersachsen als Lyriker, Romancier und Übersetzer lebt und arbeitet. Was ist da schon zu holen, und was ist zu tun? Ahrens weiß sich zu helfen: "die Belege / für das schwindelerregend hohe Vermögen, / das ich mit den Übersetzungen angehäuft habe, / wird er nicht finden, denn ich habe alles / im Garten vergraben". Die Söhne sollen diesen vermeintlichen Schatz dereinst heben, frei nach Gottfried August Bürgers "Schatzgräber": "Grabt nur danach".
Solche heiter-ironisch-satirischen Szenen aus dem Leben dieses Schriftstellers enthält der erste Teil des neuen Gedichtbandes von Henning Ahrens. Wir erfahren, wie es auf der Buchmesse in Leipzig zugeht ("Alle waren innig miteinander verbrüdert / und verschwanden kurz mal irgendwohin / um ihre Frauen oder Männer zu betrügen"), was von bösen Literaturkritikern zu halten ist ("Eine große Herde ist das, die da auf den Büchern grast, / ... und vieles zertrampelt, wenn der Leithammel blökt") und welche Umstände den Autor dazu veranlassten, eine angesetzte Dichterlesung in Bremen zu schwänzen, um lieber "Friedo Lampes Spuren zu folgen" (eine beiläufige Hommage an diesen Dichter aus Bremen) und seinen Durst in einschlägigen Bars zu löschen. Ja, er hat allerlei zu glossieren und zu ironisieren, wenn er sich in die große Welt begibt aus seinem Dorf. Das Dorf allerdings ist schon längst nicht mehr jene stille Idylle, in der er "in Ruhe den Code der Amsel entschlüsseln", also der ihm wichtigsten Arbeit als Lyriker nachgehen könnte.
Dazu kommt es freilich auch im zweiten Teil des Gedichtbandes nicht. Hier gibt es so viel zu erzählen, dass sich die Gedichte zu ganzen Zyklen auswachsen. Das beginnt mit den "Kostproben", einem veritablen Hochgesang auf kulinarische Genüsse für Gourmets und Weinliebhaber, und setzt sich fort mit Zyklen, die um eigens für sie erfundene Figuren kreisen. Da ist zunächst Monsieur Cauchemare, der sich aus seiner Lektüre (vielleicht Lolita?) eine verführerische Nymphe und im Suff einen Mr. Nightmare erfindet, der sich in seinem Haus als Avatar breitmacht, sich auch mit dem Besen nicht daraus vertreiben lässt und am Ende dem armen Monsieur Cauchemare mit dem Rasiermesser das Leben abschneidet - eine routiniert gereimte und ins Fantasy-Zeitalter übersetzte Zauberlehrlingsstory. Es folgt die Geschichte des Wiedergängers Fellrock, der auf dem Weg durch die Welt mit seinem Schatten zu kämpfen hat, auch sexuell, bis er, "schlapp vom Schattenficken", wieder zurücksinkt in die "fette Gartenerde". Zyklisch kehrt schließlich die feurige Olga aus dem Gedichtband "Stoppelbrand" (2000) noch einmal zurück; ihr ist Ahrens ganz verfallen, denn sie wird ihm - "Olga, was bist du poetisch" - zum "Gleichnis" seiner Arbeit als Dichter: "du bist das Wort, das ich suche, mein Sinnreich, / Olga, du bist mein Gedicht, und du weißt es". Die Gedichte des dritten Teils schließlich bezeichnet Ahrens in einer nachträglichen Notiz als "Wegmarken einer turbulenten Lebensphase". Was mag sich da abgespielt haben? Es ist, um es mit Heine kurz zu sagen, die "alte Geschichte" von der Trennung und vom gebrochenen Herzen, die hier noch einmal erlebt und aufs Neue beschrieben wird: "Verloren gegangen im Kosmos der Küche, / schweben wir zwischen Tränen und Schwüren", heißt es da, und melancholisch rückblickend: "Hier liefen die Kinder / wie von Sinnen durch Flure und Zimmer, / dann kam der Bruch mit allem, für immer". Die Grenze zur Larmoyanz überschreitet Ahrens zum Glück für seine Gedichte nicht, dafür sorgen Alltag, Selbstironie und die gutgemeinten telefonischen Ratschläge der Mutter: "Geh mal zum Arzt." Ahrens hat, wie man sieht, seine Olga dem Arzt vorgezogen, und die Amsel muss vorerst auf die Entschlüsselung ihres Codes warten. Vielleicht das nächste Mal.
WULF SEGEBRECHT
Henning Ahrens: "Kein Schlaf in Sicht". Gedichte. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008. 92 S., geb., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mitteilungen aus dem Sinnreich: "Kein Schlaf in Sicht", der neue Gedichtband von Henning Ahrens, glossiert die große, wilde Welt
Achtung! Der Steuerprüfer hat seinen Besuch angekündigt. Er kommt ausgerechnet zu Henning Ahrens, der in Handorf bei Peine in Niedersachsen als Lyriker, Romancier und Übersetzer lebt und arbeitet. Was ist da schon zu holen, und was ist zu tun? Ahrens weiß sich zu helfen: "die Belege / für das schwindelerregend hohe Vermögen, / das ich mit den Übersetzungen angehäuft habe, / wird er nicht finden, denn ich habe alles / im Garten vergraben". Die Söhne sollen diesen vermeintlichen Schatz dereinst heben, frei nach Gottfried August Bürgers "Schatzgräber": "Grabt nur danach".
Solche heiter-ironisch-satirischen Szenen aus dem Leben dieses Schriftstellers enthält der erste Teil des neuen Gedichtbandes von Henning Ahrens. Wir erfahren, wie es auf der Buchmesse in Leipzig zugeht ("Alle waren innig miteinander verbrüdert / und verschwanden kurz mal irgendwohin / um ihre Frauen oder Männer zu betrügen"), was von bösen Literaturkritikern zu halten ist ("Eine große Herde ist das, die da auf den Büchern grast, / ... und vieles zertrampelt, wenn der Leithammel blökt") und welche Umstände den Autor dazu veranlassten, eine angesetzte Dichterlesung in Bremen zu schwänzen, um lieber "Friedo Lampes Spuren zu folgen" (eine beiläufige Hommage an diesen Dichter aus Bremen) und seinen Durst in einschlägigen Bars zu löschen. Ja, er hat allerlei zu glossieren und zu ironisieren, wenn er sich in die große Welt begibt aus seinem Dorf. Das Dorf allerdings ist schon längst nicht mehr jene stille Idylle, in der er "in Ruhe den Code der Amsel entschlüsseln", also der ihm wichtigsten Arbeit als Lyriker nachgehen könnte.
Dazu kommt es freilich auch im zweiten Teil des Gedichtbandes nicht. Hier gibt es so viel zu erzählen, dass sich die Gedichte zu ganzen Zyklen auswachsen. Das beginnt mit den "Kostproben", einem veritablen Hochgesang auf kulinarische Genüsse für Gourmets und Weinliebhaber, und setzt sich fort mit Zyklen, die um eigens für sie erfundene Figuren kreisen. Da ist zunächst Monsieur Cauchemare, der sich aus seiner Lektüre (vielleicht Lolita?) eine verführerische Nymphe und im Suff einen Mr. Nightmare erfindet, der sich in seinem Haus als Avatar breitmacht, sich auch mit dem Besen nicht daraus vertreiben lässt und am Ende dem armen Monsieur Cauchemare mit dem Rasiermesser das Leben abschneidet - eine routiniert gereimte und ins Fantasy-Zeitalter übersetzte Zauberlehrlingsstory. Es folgt die Geschichte des Wiedergängers Fellrock, der auf dem Weg durch die Welt mit seinem Schatten zu kämpfen hat, auch sexuell, bis er, "schlapp vom Schattenficken", wieder zurücksinkt in die "fette Gartenerde". Zyklisch kehrt schließlich die feurige Olga aus dem Gedichtband "Stoppelbrand" (2000) noch einmal zurück; ihr ist Ahrens ganz verfallen, denn sie wird ihm - "Olga, was bist du poetisch" - zum "Gleichnis" seiner Arbeit als Dichter: "du bist das Wort, das ich suche, mein Sinnreich, / Olga, du bist mein Gedicht, und du weißt es". Die Gedichte des dritten Teils schließlich bezeichnet Ahrens in einer nachträglichen Notiz als "Wegmarken einer turbulenten Lebensphase". Was mag sich da abgespielt haben? Es ist, um es mit Heine kurz zu sagen, die "alte Geschichte" von der Trennung und vom gebrochenen Herzen, die hier noch einmal erlebt und aufs Neue beschrieben wird: "Verloren gegangen im Kosmos der Küche, / schweben wir zwischen Tränen und Schwüren", heißt es da, und melancholisch rückblickend: "Hier liefen die Kinder / wie von Sinnen durch Flure und Zimmer, / dann kam der Bruch mit allem, für immer". Die Grenze zur Larmoyanz überschreitet Ahrens zum Glück für seine Gedichte nicht, dafür sorgen Alltag, Selbstironie und die gutgemeinten telefonischen Ratschläge der Mutter: "Geh mal zum Arzt." Ahrens hat, wie man sieht, seine Olga dem Arzt vorgezogen, und die Amsel muss vorerst auf die Entschlüsselung ihres Codes warten. Vielleicht das nächste Mal.
WULF SEGEBRECHT
Henning Ahrens: "Kein Schlaf in Sicht". Gedichte. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008. 92 S., geb., 16,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Hans-Heribert Räkel sieht die hoffnungsfrohen Erwartungen, die man nach dem Debüt vor fast zehn Jahren an den 1964 geborenen Henning Ahrens gerichtet hat, reichlich erfüllt und zeigt sich auch von seinem jüngsten Gedichtband sehr angetan. Der Band "Kein Schlaf in Sicht" versammelt neben ganz neuen Gedichten auch ältere aus den Jahren zwischen 2002 und 2006, er beinhaltet erzählende Zyklen sowie einige "erotische Olga-Gedichte", die dem Band "Stoppelband" entnommen sind, informiert der Rezensent. Besonders fasziniert ihn augenscheinlich, wie Ahrens in seinen Gedichten von der durch Erfahrung gefärbten Beobachtung zu seinen eigenwilligen, alle Sinne ansprechenden lyrischen Perspektiven kommt. Ob in den Versen Ernst und Schönheit, Ironie und heitere Gelassenheit oder gar "knirschender Zynismus" überwiegt, insgesamt überzeugten die Gedichte durch subtilen Reim- und Rhythmuseinsatz, der sich in den Augen Räkels erst beim zweiten Lesen gänzlich erschließt. Und hingerissen ist der Rezensent auch von den Gedichten, die von scheinbar banalen Alltagsbeobachtungen ausgehen, sich dann aber nicht selten zu "elegischer Abgeklärtheit" aufschwingen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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