Rudolf Lorenzen (1922 in Lübeck geboren) ist ein emsiger Schriftsteller von Rang, der trotz seiner umfangreichen literarischen Produktion und mehrfachem Kritikerlob (die FAZ nannte ihn sogar „einen Erzähler von europäischem Rang“) nie in den Bestsellerlisten zu finden war. Doch dank des Berliner
Verbrecher Verlages sind seine Romanen, Erzählungen und Essays seit 2007 Jahren wieder einem breiten…mehrRudolf Lorenzen (1922 in Lübeck geboren) ist ein emsiger Schriftsteller von Rang, der trotz seiner umfangreichen literarischen Produktion und mehrfachem Kritikerlob (die FAZ nannte ihn sogar „einen Erzähler von europäischem Rang“) nie in den Bestsellerlisten zu finden war. Doch dank des Berliner Verbrecher Verlages sind seine Romanen, Erzählungen und Essays seit 2007 Jahren wieder einem breiten und interessierten Lesepublikum bekannt geworden.
Eine der ersten Veröffentlichungen in dieser mehrbändigen Werksausgabe ist der Erzählband „Kein Soll mehr und kein Haben“, der zum 85. Geburtstag Rudolf Lorenzens erschien. Er versammelt sechzehn Kurzgeschichten aus den 50er, 60er und 70er Jahren. Alle Erzählungen erschienen zunächst in Zeitungen und Zeitschriften, einige von ihnen wurden sogar mehrfach nachgedruckt.
Die kurze Auftaktgeschichte „… lass grüne Zweige der Liebe“ (1966) berichtet von der Begegnung von Lisa und Paul. Obwohl beide einen Partner suchen, gehen sie schließlich auseinander. Aber irgendeinmal muss die Liebe kommen, nichts als die Liebe.
In der berühmten Titelgeschichte „Kein Soll mehr und kein Haben“ (1957) erzählt Lorenzen auf knapp sechzehn Seiten die bewegende Geschichte des jungen Robert Mohwinkel, der sich vom Lehrling in der Firma hocharbeitet. Dann erfährt sein Leben jedoch einen Bruch und er kommt als Oberfunker bis an die Wolga. Nach dem Krieg haben sich die Zeiten geändert, es geht mit Mohwinkel ständig bergab, bis seine Spur schließlich ganz aus-gelöscht ist.
Die Geschichte, die später als Vorlage für seinen autobiografisch gefärbten Roman „Alles andere als ein Held“ diente, ist in einem Erzählstil geschrieben, der für viele seiner Werke typisch war und Lorenzen berühmt machte, aber hier wohl am deutlichsten hervortritt: mit knappen Sätzen präzise beobachtet, illusionslos und doch mitfühlend.
Ähnlich die spätere Erzählung „Am Ende ein schlappes Handtuch“ (1970). Auch hier er-zählt der Autor auf wenigen Seiten eine Lebensgeschichte: Polizei-Obermeister Horst Prietzel liegt am Sonntag auf der Wohnzimmercouch und lässt sein Leben Revue passieren. Der Mittagsschlaf will sich jedoch nicht einstellen - ahnt Prietzel, dass alles eine Lüge war?
Noch heute, teilweise nach fünfzig Jahren, begeistern diese Erzählungen, die uns diese Zeiten und ihre Menschen so schildern, wie sie tatsächlich waren - und das mit unfehlba-rem Instinkt, mit einem bemerkenswerten Sprachrhythmus und unter Verzicht auf jede eitle Pointierung. Wir haben es hier mit einem Schriftsteller zu tun, der damals zur literarischen Avantgarde gehörte.
Manfred Orlick