Über eine halbe Million Menschen wurden 1994 während des Völkermordes in Ruanda getötet. Obwohl die Täter ausschließlich zu den Hutu und die Opfer zum weitaus größten Teil zu den Tutsi zählten, waren nicht ethnische Spannungen zwischen den beiden Volksgruppen das Motiv: Eine kleine, privilegierte Gruppe in Kigali fürchtete ihre Entmachtung und inszenierte den Massenmord. Auch die von Anfang an gut informierte internationale Gemeinschaft, die den Massakern untätig zusah, trägt eine Mitverantwortung an dem Genozid.
Am 6. April 1994, unmittelbar nachdem Präsident Habyarimana bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war, begann in Ruanda ein blutiges Gemetzel. Innerhalb von 13 Wochen wurden mindestens eine halbe Million Menschen, vielleicht auch mehr, bestialisch abgeschlachtet. Die meisten Opfer zählten zur Minderheit der Tutsi, aber mit ihnen starben auch Tausende Hutu, die das Morden ablehnten oder Tutsi zu beschützen versuchten.
Der Genozid war kein spontaner Ausbruch kollektiver Wut oder ethnischer Spannungen, sondern Kalkül einer kleinen, modernen Elite, die ihren Machterhalt durch die wachsende Opposition in Ruanda gefährdet sah. Die militärischen und politischen Erfolge der von Tutsi dominierten Ruandischen Patriotischen Front (RPF) lieferten den Hutu-Machthabern in Kigali einen willkommenen Vorwand, um die Kontrolle über sämtliche staatlichen Institutionen an sich zu reißen. Dabei konnten sie auf die Unterstützung von Militär und Nationalpolizei ebenso zählen wie auf regionale Behörden, Medien, Intellektuelle und Geistliche.
Das vorliegende Buch stützt sich auf Interviews mit Überlebenden wie mit Tätern, mit Menschen, die andere gerettet oder es zumindest versucht haben sowie mit jenen, die wegschauten. Protokolle örtlicher Zusammenkünfte, der Schriftverkehr zwischen Verwaltungsbeamten sowie die Analyse dessen, was in Radiosendungen oder bei Versammlungen gesagt oder verschwiegen wurde, geben ein detailliertes Bild der Ereignisse von 1994.
Zahlreiche Quellen, darunter bislang unveröffentlichte Aussagen und Dokumente von Diplomaten und Mitarbeitern der Vereinten Nationen, belegen zudem das Versagen der internationalen Akteure und ihren Anteil am Völkermord in Ruanda: Frankreich, Belgien und die Vereinigten Staaten wußten ebenso wie die Vereinten Nationen von den Vorbereitungen für die Massaker. Ein entschlossenes gemeinsames Vorgehen auf politischer oder militärischer Ebene hätte das Blutvergießen höchstwahrscheinlich verhindern oder beenden können.
Am 6. April 1994, unmittelbar nachdem Präsident Habyarimana bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war, begann in Ruanda ein blutiges Gemetzel. Innerhalb von 13 Wochen wurden mindestens eine halbe Million Menschen, vielleicht auch mehr, bestialisch abgeschlachtet. Die meisten Opfer zählten zur Minderheit der Tutsi, aber mit ihnen starben auch Tausende Hutu, die das Morden ablehnten oder Tutsi zu beschützen versuchten.
Der Genozid war kein spontaner Ausbruch kollektiver Wut oder ethnischer Spannungen, sondern Kalkül einer kleinen, modernen Elite, die ihren Machterhalt durch die wachsende Opposition in Ruanda gefährdet sah. Die militärischen und politischen Erfolge der von Tutsi dominierten Ruandischen Patriotischen Front (RPF) lieferten den Hutu-Machthabern in Kigali einen willkommenen Vorwand, um die Kontrolle über sämtliche staatlichen Institutionen an sich zu reißen. Dabei konnten sie auf die Unterstützung von Militär und Nationalpolizei ebenso zählen wie auf regionale Behörden, Medien, Intellektuelle und Geistliche.
Das vorliegende Buch stützt sich auf Interviews mit Überlebenden wie mit Tätern, mit Menschen, die andere gerettet oder es zumindest versucht haben sowie mit jenen, die wegschauten. Protokolle örtlicher Zusammenkünfte, der Schriftverkehr zwischen Verwaltungsbeamten sowie die Analyse dessen, was in Radiosendungen oder bei Versammlungen gesagt oder verschwiegen wurde, geben ein detailliertes Bild der Ereignisse von 1994.
Zahlreiche Quellen, darunter bislang unveröffentlichte Aussagen und Dokumente von Diplomaten und Mitarbeitern der Vereinten Nationen, belegen zudem das Versagen der internationalen Akteure und ihren Anteil am Völkermord in Ruanda: Frankreich, Belgien und die Vereinigten Staaten wußten ebenso wie die Vereinten Nationen von den Vorbereitungen für die Massaker. Ein entschlossenes gemeinsames Vorgehen auf politischer oder militärischer Ebene hätte das Blutvergießen höchstwahrscheinlich verhindern oder beenden können.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.08.2003Die Welt sah weg . . .
Dokumentation über den Völkermord in Ruanda 1994
Alison Des Forges: Kein Zeuge darf überleben. Der Genozid in Ruanda. Hamburger Edition, Hamburg 2002. 947 Seiten, 40,- [Euro].
Die Entschuldigung folgt erst Jahre später: Ein zerknirschter Bill Clinton gibt sein Bedauern zu Protokoll - bei einem kurzen Stopp am Flughafen. Man habe die Tragweite und Geschwindigkeit der Angelegenheit nicht erkannt, sagt er und verschwindet wenig später wieder in sein Flugzeug, um seine Afrika-Reise fortzusetzen.
Worauf der amerikanische Präsident 1998 anspielte, war die unbeschreibliche Tragödie des Völkermords in Ruanda, bei dem 1994 mehrere hunderttausend Menschen umgebracht wurden. Wie viele diesem Wahnsinn tatsächlich zum Opfer gefallen sind, läßt sich im nachhinein nur schätzen. Aber daß die internationale Gemeinschaft, daß die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats und die Vereinten Nationen selbst eine zweifelhafte Rolle dabei gespielt haben, steht inzwischen fest. Frankreich, Belgien und die Vereinigten Staaten hatten Hinweise auf die Vorbereitung von Massakern. Das konsequente Wegschauen, Unterschätzen, Kleinreden und Ignorieren der tatsächlichen Lage, kombiniert mit eigenen Interessen, haben dem Töten offenbar die billigende Hintergrundkulisse geliefert.
Alison Des Forges legt einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung des für Ruanda so folgenschweren Frühjahrs 1994 vor. Teile seiner Dokumentation gründen auf Interviews mit Überlebenden, auf der Auswertung von nichtöffentlichen Schriftwechseln und weniger bekannten Nachrichten von damals. Sein Fazit ist beunruhigend: Die Welt hat es trotz globaler Institutionen am Ende des 20. Jahrhunderts noch einmal zugelassen, daß innerhalb von dreizehn Wochen ein regelrechtes Abschlachten stattfand: Die meisten Opfer zählten zur Minderheit der Tutsi, mit ihnen starben viele Hutu, die sich den Hinrichtungen widersetzten oder Tutsi zu beschützen versuchten.
Der Autor macht geltend, daß hier kein "spontaner Ausbruch kollektiver Wut" am Werk war, sondern knallhartes Kalkül einer kleinen Elite, die ihren Einfluß schwinden sah. Die Erfolge der von Tutsi dominierten Ruandischen Patriotischen Front (RPF) lieferten den Mächtigen im Land den perfekten Vorwand, um die Kontrolle vollends an sich zu reißen. Wie bei einem Dominoeffekt fielen Meinungsführer aus Militär, Nationalpolizei, Medien, Intellektuelle, örtliche Politiker und Behördenchefs dann auf ihre Seite. Nach dem Absturz des Flugzeugs mit Präsident Habyarimana am 6. April 1994, dessen Hintergrund nie aufgeklärt wurde, ermordeten Angehörige der Präsidentengarde und anderer Truppenteile die Anführer der politischen Opposition und schufen damit ein politisches und militärisches Vakuum, das sie schnell füllen wollten. Das allein war schon schlimm genug, aber ihr kaltblütiges Vorhaben konnten die Hutu-Anführer nur deshalb so zielstrebig und massenweise verwirklichen, weil sie von außen kaum Widerstand spürten. Schon in der ersten Phase kamen den Hutu die zögerlichen Reaktionen der internationalen Gemeinschaft zugute. Denn nach nur wenigen Stunden zogen sich die im Land befindlichen UN-Truppen auf Anordnung aus New York von ihren Posten zurück "und lieferten die örtliche Bevölkerung der Gnade ihrer Angreifer aus". Überhaupt spielten die ausländischen Truppen keine ruhmreiche Rolle. Sie handelten gar nicht oder zu spät und wurden am 21. April, als das Töten schon "im Gange war", mit Ausnahme einiger hundert Blauhelm-Soldaten ganz abgezogen. Über eine neue Friedenstruppe wurde so lange in New York verhandelt, daß sie am Ende erst eintraf, als die RPF die Regierungstruppen bereits besiegt hatte.
Dabei gab es, wie die UN lange nicht zugeben wollten, schon früh Warnungen über das bevorstehende Blutbad. Bereits am 11. Januar 1994 hatte General Dallaire, Befehlshaber der UN-Truppen im Land, ein Telegramm an seine Vorgesetzten gesandt, in denen er Gewaltausbrüche vorhersah. Das Schreiben blieb ohne angemessene Reaktionen. Es war nach Angaben von Des Forges nur eine, wenngleich wohl die bekannteste von etlichen Warnungen. "Von November 1993 bis April 1994 hatte es etliche weitere Signale dafür gegeben." Doch alle Beteiligten waren gefangen in ihren Interessen: Die Vereinigten Staaten scheuten die Kosten und hatten das Fiasko von Somalia noch vor Augen. Die UN wollten einen weiteren Reinfall bei einer Friedensmission vermeiden und versuchten deshalb mehr als alles andere, ihre Soldaten zu schützen. Auch Frankreich und Belgien, die für kurze Zeit Truppen der Evakuierungskräfte zur Beendigung des Tötens einsetzen wollten, gingen am Ende die Sicherheit der eigenen Leute vor. Die Verantwortlichen im Sicherheitsrat vermieden es daher tunlichst, das Wort Völkermord zu gebrauchen, denn sonst hätten sie handeln müssen. Bei der Clinton-Regierung sprach man schließlich von "acts of genocide". Des Forges beschreibt das Verhalten der internationalen Gemeinschaft folgerichtig als "Weigerung, das Wort Völkermord auszusprechen".
FRIEDERIKE BAUER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dokumentation über den Völkermord in Ruanda 1994
Alison Des Forges: Kein Zeuge darf überleben. Der Genozid in Ruanda. Hamburger Edition, Hamburg 2002. 947 Seiten, 40,- [Euro].
Die Entschuldigung folgt erst Jahre später: Ein zerknirschter Bill Clinton gibt sein Bedauern zu Protokoll - bei einem kurzen Stopp am Flughafen. Man habe die Tragweite und Geschwindigkeit der Angelegenheit nicht erkannt, sagt er und verschwindet wenig später wieder in sein Flugzeug, um seine Afrika-Reise fortzusetzen.
Worauf der amerikanische Präsident 1998 anspielte, war die unbeschreibliche Tragödie des Völkermords in Ruanda, bei dem 1994 mehrere hunderttausend Menschen umgebracht wurden. Wie viele diesem Wahnsinn tatsächlich zum Opfer gefallen sind, läßt sich im nachhinein nur schätzen. Aber daß die internationale Gemeinschaft, daß die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats und die Vereinten Nationen selbst eine zweifelhafte Rolle dabei gespielt haben, steht inzwischen fest. Frankreich, Belgien und die Vereinigten Staaten hatten Hinweise auf die Vorbereitung von Massakern. Das konsequente Wegschauen, Unterschätzen, Kleinreden und Ignorieren der tatsächlichen Lage, kombiniert mit eigenen Interessen, haben dem Töten offenbar die billigende Hintergrundkulisse geliefert.
Alison Des Forges legt einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung des für Ruanda so folgenschweren Frühjahrs 1994 vor. Teile seiner Dokumentation gründen auf Interviews mit Überlebenden, auf der Auswertung von nichtöffentlichen Schriftwechseln und weniger bekannten Nachrichten von damals. Sein Fazit ist beunruhigend: Die Welt hat es trotz globaler Institutionen am Ende des 20. Jahrhunderts noch einmal zugelassen, daß innerhalb von dreizehn Wochen ein regelrechtes Abschlachten stattfand: Die meisten Opfer zählten zur Minderheit der Tutsi, mit ihnen starben viele Hutu, die sich den Hinrichtungen widersetzten oder Tutsi zu beschützen versuchten.
Der Autor macht geltend, daß hier kein "spontaner Ausbruch kollektiver Wut" am Werk war, sondern knallhartes Kalkül einer kleinen Elite, die ihren Einfluß schwinden sah. Die Erfolge der von Tutsi dominierten Ruandischen Patriotischen Front (RPF) lieferten den Mächtigen im Land den perfekten Vorwand, um die Kontrolle vollends an sich zu reißen. Wie bei einem Dominoeffekt fielen Meinungsführer aus Militär, Nationalpolizei, Medien, Intellektuelle, örtliche Politiker und Behördenchefs dann auf ihre Seite. Nach dem Absturz des Flugzeugs mit Präsident Habyarimana am 6. April 1994, dessen Hintergrund nie aufgeklärt wurde, ermordeten Angehörige der Präsidentengarde und anderer Truppenteile die Anführer der politischen Opposition und schufen damit ein politisches und militärisches Vakuum, das sie schnell füllen wollten. Das allein war schon schlimm genug, aber ihr kaltblütiges Vorhaben konnten die Hutu-Anführer nur deshalb so zielstrebig und massenweise verwirklichen, weil sie von außen kaum Widerstand spürten. Schon in der ersten Phase kamen den Hutu die zögerlichen Reaktionen der internationalen Gemeinschaft zugute. Denn nach nur wenigen Stunden zogen sich die im Land befindlichen UN-Truppen auf Anordnung aus New York von ihren Posten zurück "und lieferten die örtliche Bevölkerung der Gnade ihrer Angreifer aus". Überhaupt spielten die ausländischen Truppen keine ruhmreiche Rolle. Sie handelten gar nicht oder zu spät und wurden am 21. April, als das Töten schon "im Gange war", mit Ausnahme einiger hundert Blauhelm-Soldaten ganz abgezogen. Über eine neue Friedenstruppe wurde so lange in New York verhandelt, daß sie am Ende erst eintraf, als die RPF die Regierungstruppen bereits besiegt hatte.
Dabei gab es, wie die UN lange nicht zugeben wollten, schon früh Warnungen über das bevorstehende Blutbad. Bereits am 11. Januar 1994 hatte General Dallaire, Befehlshaber der UN-Truppen im Land, ein Telegramm an seine Vorgesetzten gesandt, in denen er Gewaltausbrüche vorhersah. Das Schreiben blieb ohne angemessene Reaktionen. Es war nach Angaben von Des Forges nur eine, wenngleich wohl die bekannteste von etlichen Warnungen. "Von November 1993 bis April 1994 hatte es etliche weitere Signale dafür gegeben." Doch alle Beteiligten waren gefangen in ihren Interessen: Die Vereinigten Staaten scheuten die Kosten und hatten das Fiasko von Somalia noch vor Augen. Die UN wollten einen weiteren Reinfall bei einer Friedensmission vermeiden und versuchten deshalb mehr als alles andere, ihre Soldaten zu schützen. Auch Frankreich und Belgien, die für kurze Zeit Truppen der Evakuierungskräfte zur Beendigung des Tötens einsetzen wollten, gingen am Ende die Sicherheit der eigenen Leute vor. Die Verantwortlichen im Sicherheitsrat vermieden es daher tunlichst, das Wort Völkermord zu gebrauchen, denn sonst hätten sie handeln müssen. Bei der Clinton-Regierung sprach man schließlich von "acts of genocide". Des Forges beschreibt das Verhalten der internationalen Gemeinschaft folgerichtig als "Weigerung, das Wort Völkermord auszusprechen".
FRIEDERIKE BAUER
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
1994 hat die Hutu-Elite einen Massenmord an der Tutsi-Minderheit organisiert bei dem in 13 Wochen mindestens eine halbe Million Menschen umgekommen sind. In seinem Buch hat Alison Des Forges die Massaker, aber auch die Hintergründe sehr detailliert aufgelistet, findet die Rezensentin Angela Gutzeit. Zwar sei die Lektüre "anstrengend und deprimierend" gewesen, doch sie lobt das Buch als "anschauliches Lehrstück", weil "es uns Einiges darüber lehrt, wie Völkermord entsteht und wie er beispielsweise mit modernen Kommunikationsmitteln beschleunigt und perfektioniert werden kann". Das Buch zeige, dass der Massenmord in Ruanda kein "plötzlicher Ausbruch" einer "Stammesfehde afrikanischer Wilder" gewesen sei, sondern ein bewusst getroffene Entscheidung der Elite, die damit die eigene Macht sichern wollte. Mit den Informationen, die ein internationales Team von Historikern, Politikwissenschaftlern und Rechtsanwälten zusammengetragen hat, konzentriere sich der Autor in seiner "stets nüchtern-analytischen Schreibweise" auf zwei Perspektiven: Zum einen den Völkermord aus der Interessenperspektive der ruandischen (Hutu-) Machtelite, zum anderen die Perspektive der internationalen Entscheidungsträgern, "die das Töten nicht verhindern wollten".
© Perlentaucher Medien GmbH
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