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Dieser Filmkritiker verlor sein Herz im Bahnhofskino. Seine Liebe galt nicht der anerkannten Filmkunst, sondern den Western, Krimis, Komödien und wieder den Western. In ihnen entdeckte er Witz, Eleganz, Schönheit. Er schwänzte die Sonntagsmatinee und schaute sich dafür Will Tremper oder Sam Peckinpah oder Sergio Leone an. Und als er sich Jean-Luc Godard oder Stanley Kubrick zuwandte, mussten sie sich schon an Budd Boetticher oder Anthony Mann messen lassen. Kein Freund von Politfilmen, die ihre Thesen wie Transparente vor sich hertragen, sah er von Anfang an den Film, gerade auch den scheinbar…mehr

Produktbeschreibung
Dieser Filmkritiker verlor sein Herz im Bahnhofskino. Seine Liebe galt nicht der anerkannten Filmkunst, sondern den Western, Krimis, Komödien und wieder den Western. In ihnen entdeckte er Witz, Eleganz, Schönheit. Er schwänzte die Sonntagsmatinee und schaute sich dafür Will Tremper oder Sam Peckinpah oder Sergio Leone an. Und als er sich Jean-Luc Godard oder Stanley Kubrick zuwandte, mussten sie sich schon an Budd Boetticher oder Anthony Mann messen lassen. Kein Freund von Politfilmen, die ihre Thesen wie Transparente vor sich hertragen, sah er von Anfang an den Film, gerade auch den scheinbar trivialen, als Teil und Akteur gesellschaftlicher Umbrüche und politischer Auseinandersetzungen. Uwe Nettelbeck wurde zum streitbaren Verteidiger derer, die sich damals in Deutschland dem kulturellen Establishment entgegenstellten: Hellmuth Costard, Vlado Kristl, Martin Müller, Jean-Marie Straub. Er griff in scharfen Polemiken die Filmzensur an. Nettelbeck feilte geduldig an einer Sprache, die die Bilder begleitet, ohne sich ihnen gemein zu machen. Er schrieb "Aufsätze von solcher Anschaulichkeit, Wahrnehmungsschärfe und Reflexionsdichte, wie sie auf späteren Kulturseiten nie mehr zu lesen waren. ... Walter Benjamins Ideal einer analytischen Deskription erfullte sich in Nettelbecks besten Texten. " (Peter von Becker, Tagesspiegel). Seine legendären Filmkritiken liegen nun zum ersten Mal in einer Auswahl vor.
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Autorenporträt
Uwe Nettelbeck, 1940-2007, war einer der brillantesten und bestgehassten Journalisten der sechziger Jahre. Er brach 1969 mit dem Journalismus, produzierte bis 1975 die Gruppe Faust und grundete danach mit Petra Nettelbeck, seiner Frau, die literarische Zeitschrift 'Die Republik'.

Sandra Nettelbeck, 1966 geboren, die Tochter des Schriftstellers, ist Drehbuchautorin und Regisseurin von Spielfilmen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung

Die Ordnung schlägt zurück
Uwe Nettelbeck schrieb fünf Jahre über das Kino, mitten in den wilden Sechzigern – und sagte alles, was zu sagen war
Dass früher alles besser war, ist zwar der älteste Gassenhauer der Kulturkri-tik, aber leider Gottes ist er manchmal trotzdem wahr. Die Berge waren früher ohne Zweifel höher, das Gras war grüner, der Sommer endlos und das Kino das Paradies, aus dem wieder und wieder vertrieben zu werden zu den ärgsten Schrecknissen des Lebens gehört. Das Kino ist mit den Jahren erstaunlich schnell gealtert oder jedenfalls wieder so konventionell geworden, wie es vor 50 Jahren war. Dazwischen gab es eine kurze Blüte, die Nouvelle Vague oder New Hollywood hieß und kurze Zeit sogar den deutschen Film beeinflusste, der nach dem berühmten sarkastischen Pamphlet von Joe Hembus gar nicht besser sein konnte.
Alexander Kluge, Volker Schlöndorff, Rainer Werner Fassbinder, Hellmuth Costard sind die Helden aus jener Zeit, aber ohne Uwe Nettelbeck wären sie nie so weit gelangt. Es ist jetzt ein Buch herausgekommen, das einige seiner Texte versammelt, die in den sechziger Jahren in der Zeit und der filmkritik erschienen. Es ist ein Vademecum, winters ohne weiteres in der Manteltasche zu tragen, ein jederzeit greifbares Zeugnis, das an den wortgewaltigsten Fan erinnert, den das Kino in Deutschland nach dem Krieg hatte, einen Kritiker, der alles konnte außer Propaganda fürs laufende Programm.
Als er zu schreiben anfing, hatte der 1940 geborene Uwe Nettelbeck bereits eine fast klassische Laufbahn mit Renitenz und ständigem Durchfallen in den teureren Internaten der frühen Bundesrepublik hinter sich, die ihn zum idealen Rezensenten von Schlöndorffs „Jungem Törleß“ machte. Hartmut von Hentig war einer der Lehrer, die an ihm schier verzweifelten, aber er wird es gewesen sein, der den hoffnungslosen Fall an die Zeit vermittelte, wo der Student sofort auffiel. Wem wäre bereits 1963 Walter Benjamins Aufsatz zur technischen Reproduzierbarkeit geläufig gewesen und wer hätte es im letzten Adenauer-Jahr gewagt, beim kriegsfilmreichen Kinoprogramm an Goebbels zu denken und die Botschaft im Feuilleton auszuplaudern: „Es galt, das deutsche Volk mit der Wiederbewaffnung vertraut zu machen. (...) Die alten Nazi-Offiziere wurden reingewaschen. Man brauchte sie.“
Nettelbeck schwärmt vom Kino wie ein Kind und ist dabei sein strengster Kritiker. Er kann Stanley Kubrick bei dessen „Odyssee im Weltraum“ Millionenverschwendung vorhalten und weiß doch, dass er zu den wenigen Filmen gehört, die kinosüchtig machen. Er stellt Alexander Kluges „Abschied von gestern“ neben Will Trempers „Playgirl“, verweigert Pasolinis Evangelium nach Matthäus die seinerzeit vorgeschriebene Ehrerbietung, wirft sich für Jean-Marie Straub und Vlado Kristl in die Schanze und erklärt Godard zum Vorbild, an das einfach keiner heranreicht.
Nicht weiter überraschend ist deshalb Straubs „Chronik der Anna Magdalena Bach“ der „wichtigste Film, der nach dem Krieg in Deutschland gedreht worden ist“. Nettelbeck ist noch immer Anfang zwanzig, als er mit dem Zitieren anfängt. Er zitiert spaltenweise die Kollegen, um ihnen dann ihr Urteil um die Ohren zu hauen. Seins allein zählt, aber nicht nur, weil es radikal und subjektiv ist, sondern weil er sein Thema mit einer heute nicht mehr bekannten Gründlichkeit verhandelt. Er weigert sich, das damals noch junge, aber bereits allseits gefeierte Genie Werner Herzog mitzufeiern, sieht zwar ein mögliches „Talent von hohen Graden“ und erledigt dessen „Lebenszeichen“ mit dem tödlichen Satz: „Noch die dürftigsten Details sind im Film (. . .) die Litanei ihrer außerordentlichen Bedeutung.“ Zur skandalisierten „Katz und Maus“-Verfilmung von Hans-Jürgen Pohland befindet er knapp: „Es lohnt sich nicht, von solchen Filmen länger zu reden.“
Die Rede lohnt bei „Blow Up“, bei „Pierrot le Fou“ und bei „Bonnie und Clyde“ – „weil es im Kino möglich ist, eine verkehrte Welt zu zeigen, um zu zeigen, wie trostlos verkehrt die Welt ist“. Arthur Penn hat den kommerziellen Film über diese Außenseiterbande gedreht und zeigt sie „als junge Leute, die leben, wie sie wollen, und zu Außenseitern werden, weil die Verhältnisse nicht so, sondern gemein sind“. Die Rede lohnt bei Klaus Lemke, der Filme einfach dreht, während die Kollegen vom Jungen Deutschen Film ewig grübeln, planen und planmäßig um Förderung einkommen für etwas, was dann ein Problemfilm ist und unter Garantie nichts mit Kino zu tun hat. Kristl, Straub und Lemke sind seine Leute. Sie machen das durch das Godard’sche Prisma aufgerissene amerikanische Kino, in dem Nettelbeck die einzige Hoffnung für ein neues deutsches Kino sieht. Seine Leute sind keine Gremien- und Förderkünstler. Lemke und sein Autor Max Zihlmann, behauptet Nettelbeck, „leben zwischen ihren Filmen und manchmal in ihren Filmen und strengen sich nicht an, die Arbeit vom Vergnügen, das Leben vom Kino zu trennen.“
Nettelbecks letzte Filmkritik – es war nicht seine letzte, aber die letzte in der Zeit – erschien am 8. November 1968 und sie beschließt diesen Band. Sie beschreibt Alexander Kluges zweiten Spielfilm „Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos“, einen Film, „der nur fast ein Film ist“. „Filme“, so sein strenges Fazit – und auch da ist Nettelbeck erst 28 Jahre alt –, „Filme, die durchaus komplizierte Mittel zu einer Aufforderung an den Zuschauer ballen, sein Verständnis des Mediums und damit sich selber zu ändern, geraten leicht in Gefahr, zu einer Anschauung von Elitekultur zu werden, weil sie eine Idee vermitteln wollen, für die das Medium vielleicht tatsächlich noch nicht hinreichend vorbereitet ist.“
Wem das schon wieder viel zu geschraubt, zu elitär ist, der sollte wissen, dass Nettelbeck in derselben Ausgabe der Zeit einen weiteren Text veröffentlichte. Er schrieb über den Prozess und das Urteil gegen Andreas Baader und Gudrun Ensslin, die zusammen mit zwei anderen in Frankfurter Kaufhäusern Brände gelegt hatten, um gegen den Vietnamkrieg (und vielleicht auch gegen den Konsum) zu protestieren.
Dabei formuliert der Kritiker Nettelbeck ein Problem der kleinen deutschen Revolution, der er als Beobachter angehörte: „Es ist in der Ordnung, daß sich die Ordnung gegen die Unordnung verteidigt, daß sich die herrschende Ordnung gegen den Versuch verteidigt, sie abzuschaffen; wer die herrschende Ordnung stört, muß damit rechnen, daß sie zurückschlägt, wenn sie kann.“ Doch Nettelbeck will sich nicht damit abfinden, nicht mit seiner Machtlosigkeit, und endet seinen Prozessbericht deshalb mit einer Aufforderung zu weiteren, vielleicht sogar konstruktiven Straftaten: „Es gibt Gesetze, deren Übertretung weniger gefährlich und doch politisch wirksamer ist.“ Das war die Sehnsucht nach der Tat, die sich womöglich beim Schreiben meldete, aber beim Schreiben naturgemäß nicht zu erfüllen war.
In der offiziellen Chronik der Zeit wird Nettelbeck später mit dem läppischen Prädikat „begabt“ ausgezeichnet. Gehen musste der Begabte dennoch; die Zahl der (negativen) Leserbriefe war nicht das geringste Argument gegen seine Weiterbeschäftigung. Er hatte aber auch genug – genug vom Film, genug vom Schreiben über Film, bald vom Schreiben überhaupt. Aus dem Filmkritiker wurde ein Musikproduzent, der sogenannte Krautrock-Bands wie Faust betreute, wurde ein Sprachkritiker, der sich selbstbewusst in die Nachfolge von Karl Kraus stellte. In seiner der Fackel nachgebildeten Zeitschrift Die Republik wies er auf Flaubert, auf Melville, auf Franz Jung hin und begnügte sich ansonsten zunehmend damit, die Kollegen kommentarlos zu zitieren. So verstummte der intellektuelle Kinoträumer schließlich in vielen Stimmen. Uwe Nettelbeck ist 2007 gestorben; die Verhältnisse sind noch immer nicht gut, sondern gemein.
WILLI WINKLER
Uwe Nettelbeck: „Keine Ahnung von Kunst und wenig vom Geschäft. Filmkritik 1963-1968“. Hamburg, Philo Fine Arts 2011. 320 Seiten, 16 Euro.
Amerika, durch das Prisma
Godards aufgerissen – darin sieht
er Hoffnung fürs deutsche Kino
Uwe Nettelbeck im Jahr 1967
Foto: NDR
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Ach, das war noch Kritik, seufzt Philipp Goll beim Wiederlesen von Uwe Nettelbecks Filmessays, die dessen Tochter, die Filmregisseurin Sandra Nettelbeck, herausgegeben hat. Vorbildlich findet Rezensent Goll sie, weil sie ihn nicht nur lehrten, den Bildern und der Filmindustrie zu misstrauen, sondern auch dem Feuilleton, das für Nettelbeck genauso Teil des großen Verblendungszusammenhangs war wie Hollywood und Coca-Cola. In zweierlei Hinsicht fürchtet Goll allerdings, dass die Wirkung dieser Essaysammlung Nettelbeck nicht zupass kommen könnte: Zum einen werde seine Entwicklung als Autor deutlich (was Nettelback nie sein wollte). Zum anderen mag sich zumindest der Rezensent bestimmte Filme gar nicht mehr ansehen, aus Angst, sie könnten nicht halb so gut sein wie Nettelbecks ebenso "sensible" wie scharfe Analysen.

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