Produktdetails
  • Verlag: Gräfe u. Unzer
  • ISBN-13: 9783774251816
  • ISBN-10: 3774251819
  • Artikelnr.: 24498046
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.06.2000

Wie süß der Riesling blüht

Es gibt, wissen Kenner der Verlagsbranche, zwei Sorten von Büchern für zwei Sorten von Lesern: solche für Frauen, die Prosecco trinken, und solche für Männer, die nüchtern bleiben. Die einen Titel erfüllen bereits im Titel Wünsche ("Die Superfrau", "Beim nächsten Glas wird alles anders") und bestätigen der Leserin, was sie schon immer über die Welt und die Männer wusste. Die anderen Werke sind ein Stück Arbeit ("Du und die Sandbänke", "Partikularteilchen") und geben dem Leser die Rätsel auf, welche die Welt und die Frauen seit jeher gewesen sind. Frauen trinken immer mehr Prosecco, hat die Marktforschung herausgefunden, während immer weniger Männer nüchtern bleiben. Schlecht für S. Fischer, gut für Hallwag, sollte man meinen, den So-gut-wie-Monopolisten im Weinbuchbereich. In Bern hat man auch Titel im Programm, die in einem gebildeten Keller fehlen dürfen. Populistisch kommt die Weinschule der Brüder Lange daher (Cornelius und Fabian Lange: "Keine Angst vor Wein!" Der ultimative Crashkurs der Brüder Lange. Hallwag Verlag, Bern 2000. 144 S., Abb., br., 29,80 DM).

Im Sprücheklopfen sind die Autoren Genies von Möllemannformat. Ihre Pointen landen punktgenau wie der große kleine Fallschirmspringer, allerdings haben sie offenbar kein nordrhein-westfälisches Publikum im Auge: "Pünktlich gegen Ende November wird auch in der heruntergekommensten Spelunke der westfälischen Biermetropole Dortmund das blauweißrote Plastikfähnchen ins Fenster gehängt. Auf den versifften Tischdecken glänzen dann zahllose Tischaufsteller aus plastikkaschiertem Karton mit dem Aufdruck Le Beaujolais nouveau est arrivé! Selbst der letzte westfälische Suffkopp fühlt sich dann wie Jacques Brel."

Aber für Hessinnen, die Prosecco kippen, schreiben die beiden Frankfurter auch nicht. Gegen Frauen haben sie zwar nichts, zum restsüßen Grauburgunder fällt ihnen das "Rubensmodell" ein, doch umso mehr haben sie gegen den Prosecco, den Inbegriff des Modegetränks. Wenn sie im Restaurant einen Aperitif bestellen, so wählen sie einen Gewürztraminer. Ihr Feind ist die "Weinmafia" der Nepper, Schlepper, Bankerfänger, die Hekatomben von "Leichen" in Supermärkte und Kaufhäuser schaufeln. Schlimmer als der Prosecco ist nur noch der Pinot Grigio, der nicht restsüße Grauburgunder aus dem Veneto oder dem Friaul. Dass diese Massenware sich hierzulande so gut verkauft wie aufgewärmte Semmeln aus der Großbäckerei, ist für sie kein Wunder: "Die Deutschen sind Genussanalphabeten und fallen besonders gerne auf klangvolle Namen herein. Wie das Zeug schmeckt, ist ihnen völlig egal. Hauptsache, es ist teuer und schlecht."

Die önologische Alphabetisierung ihrer Landsleute ist die Mission der Autoren. Allerdings sind die siebzehn unregelmäßig über das Buch verteilten "Übungen" des "Crashkurses" wenig zweckmäßig; es handelt sich hauptsächlich um practical jokes auf Kosten der Biertrinker. Die Wahrheit ist, dass dieses böse kleine Abc vor allem solchen Lesern Freude machen wird, die schon lesen können. Es ist freilich eine verbotene Freude, die das Buch gewährt. Seine pädagogische Anmutung ist Tarnung; es stellt gar keine Aufgaben, ist nicht zwischen den Zeilen zu lesen. Endlich spürt man, wie die Frauen, die Proseccobücher trinken, sich fühlen, wenn sie gedruckt sehen, was sie sich immer schon gedacht haben. "Viele Zeitgenossen rümpfen bei natürlich restsüßem Riesling die Nase. Meistens sind es Etikettentrinker, die nicht wissen, was gut ist. Und auch die Behauptung, restsüßer Riesling würde nicht zum Essen passen, kann nur von Leuten stammen, denen die Sicherungen durchgeknallt sind."

Solche Sätze zu lesen ist ein rauschhaftes Erlebnis. Als säße man im Publikum bei Bärbel Schäfer, möchte man auf den Boden stampfen und rufen: So ist es; gebt's ihnen; endlich sagt es jemand. Proseccosüchtige Frauen leiden unter ihrem Frausein und unter Kopfschmerzen; welcher Schriftsteller aber hat Mitleid mit den Männern, die restsüßen Riesling trinken? Was ist der Kosakenzipfel als Spalter geselliger Runden gegen die Weinkarte? Selbst im Rheingau, auf heiligem Terrain, haben wir es erlebt. Dem Vorschlag, dem Genius des Ortes mit einem Riesling zu huldigen, wird noch Folge geleistet. Aber auf die Frage, ob man eher in die trockene oder in die fruchtige Richtung gehen solle, erbleichen die Freunde. "Trocken. Ganz trocken." In Zukunft werden wir die Definition der Brüder Lange dagegensetzen können: "Trocken - Fremdwort. Wird irrtümlich mit gut übersetzt." Wenn jemand den Crashkurs nötig hat, dann sind es freilich die Sommeliers deutscher Restaurants und ihre ängstlichen Patrone. In einem hoch gelobten Rheingaulokal ist es geschehen, dass wir die einzige restsüße Spätlese bestellten und uns dann von der Patronin belehren lassen mussten, die sei aber nicht trocken.

Hat aber die Einsamkeit nicht auch ihr Gutes? Solange der Pinot Grigio teuer ist, bleibt der Riesling billig. Weshalb ist den Brüdern Lange das Glück der happy few nicht genug? Sie werden poetisch, wenn sie gute Weine beschreiben, aber in den Exorzismus der schlechten fließt fast noch mehr sprachliche Energie. Gegen den Positivismus globalisierter Punktwertungen setzen sie die Kreativität des individuellen Urteils, das mit Assoziationen arbeitet: Ungewöhnliche Geruchsnuancen werden in vertraute Bilder übertragen. Ein australischer Syrah ist "wie John Wayne beim Showdown, wenn die Sonne tief am Himmel steht". Aber das Geschmacksurteil, subjektiv gebildet, strebt nach objektiver Geltung und insofern auch nach allgemeiner Zustimmung. Die Frage, ob es wahr oder falsch ist, ist wie der Showdown unausweichlich. Jede Probe ist ein ultimativer Crashkurs. Gesucht wird ein unmögliches Objekt der Begierde, das für ein gutes wie für ein schlechtes Buch den Stoff abgeben könnte: der Superwein.

PATRICK BAHNERS

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