Produktdetails
  • edition suhrkamp 2166
  • Verlag: Suhrkamp
  • 2000.
  • Seitenzahl: 185
  • Deutsch
  • Abmessung: 11mm x 108mm x 177mm
  • Gewicht: 122g
  • ISBN-13: 9783518121665
  • ISBN-10: 3518121669
  • Artikelnr.: 08556862
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Autorenporträt
Jamal Tuschick, geb. 1961 in Kassel, lebt seit 1987 als Schriftsteller und Journalist in Frankfurt am Main.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.05.2008

Der Dichter hinterm Tresen

Als Romancier kennen den "Kurt" die wenigsten. Er heißt Jamal Tuschick und hat jetzt "Die Zwillinge oder Vom Versuch, Geist und Geld zu küssen" veröffentlicht.

Von Eva-Maria Magel

Der Mann ist so ziemlich das Unprätentiöseste, was einem unterkommen kann. Sitzt entspannt im sonnigen Gastgarten, in Jeans und dem verwaschenen schwarzen T-Shirt mit dem schönen Stalburg-Theater-Slogan: "Voll im Trend? Och nö." Im Trend ist Jamal Tuschick nicht, obwohl sein jüngstes Buch doch eine gewisse Aufmerksamkeit genießt. Sie gilt allerdings den beiden Damen, deren Leben er in eine Erzählung gegossen hat: Gisela Getty und Jutta Winkelmann, Koautorinnen von "Die Zwillinge oder Vom Versuch, Geist und Geld zu küssen", stehen vermutlich auch heute, im Alten Literaturhaus, im Mittelpunkt.

Tuschick ist das nicht unrecht. Ihm sei es darum gegangen, das Buch zu machen, und obwohl es ganz anders geworden ist, als er zu Beginn erhofft hatte, sagt er: "Ich bin den Zwillingen dankbar." Geformt hat er die Erinnerungen der beiden "Hippie-Ikonen"; schließlich kennt er sie alle, die Schauplätze dieser Wunderkinderjugend, die Orte der Provinz-Boheme im Kassel der Nachkriegszeit. Viel hatte sich nicht verändert in den 15 Jahren, die zwischen Tuschicks Geburt und jener der Kasseler "Sterntaler" Gisela und Jutta liegen. Und Tuschick, Jahrgang 1961, deutsche Mutter, arabischer Vater, hat 2003 selbst schon mal mit einem Zwillingsbruder und seinen Kassel-Erinnerungen experimentiert - in seinem Roman "Bis ans Ende der B-Seite". Es musste ihn also reizen, als Rainer Weiss, Verlagsgründer von Weissbooks, ihn fragte, ob er sich nicht der Biographie der beiden "Hippie-Ikonen" widmen wolle. Denn mindestens so sehr wie Schriftsteller sei er nun mal Journalist, so Tuschick, der eine gute Geschichte spüre.

Das allerdings wissen die wenigsten, die Tuschick begegnen. Auf dem Rücken seines schwarzen T-Shirts steht groß "Schdaff". "Staff", Personal, ist seit langen Jahren seine Existenzform; als Packer, Fahrer, Türsteher hat Tuschick gearbeitet. "Mir liegen volkstümliche Beschäftigungen", sagt er, und er braucht immer etwas zu tun. Beinahe wäre er dabei geblieben, hätte er, nach zwei Ehrenrunden, angetrieben von der ersten großen Liebe, nicht doch noch Abitur gemacht. 1987 kam er nach Frankfurt, als dritter Stipendiat der Romanfabrik, gleich nach Peter Kurzeck, den er als einen nennt, den er bewundert. Seit dem dreißigsten Jahr sei er geselliger geworden, sagt Tuschick. Er scheint gefunden zu haben, was manche Leute ihr Leben lang suchen, ein prekäres Gleichgewicht, fast Glück zu nennen. Im Nordend sei er "vor Anker gegangen" und sagt, mit seinen 47 Jahren: "Ich bleib' jetzt hier, bis es vorbei ist."

Seit Jahren schiebt Tuschick Dienst als Küchenhilfe in der Frankfurter Apfelweinwirtschaft Stalburg. Man trifft ihn hinterm Tresen des Stalburg Theaters, wo er als "Buffet-Kurt" genauso bekannt ist wie als Kurt, der für das "Theaterchen" Michael Herls samstags in der Stadt das Programmheft verteilt. Im Sommer, wenn das Theater zum "offen Luft Festival" im Günthersburgpark einlädt, ist der Kurt allabendlich der bärigste, stillste und vermutlich auch charmanteste Bratwurstbrater der Stadt. Kein Wunder, dass die wenigsten Leute glauben, einen Schriftsteller vor sich zu haben - nichts, aber auch gar nichts gibt einen Hinweis darauf. Schon gar keine Autorenklischees, weder Allüren, Kreativitätsgehuber, ostentatives Leiden am Text oder geheuchelte Bescheidenheit. Er sei kein großer Schriftsteller, sagt Tuschick. Natürlich habe er sich mal erträumt, "große Sachen" zu machen. Schreiben aber hält er nach wie vor für den schönsten Beruf und sich selbst, mit Verve, für einen "Dichter". Einer mit dem Gespür für Kollegen - so kam es, dass er mit seiner Anthologie "Morgenland" als einer der ersten das Potential der neuen deutsch-türkischen Erzählergeneration erkannt hat.

Morgens trinkt er irgendwo Kaffee im Viertel, läuft viel herum. Dann schreibt er, Romane, Erzählungen, Fragmente, bis es Zeit für die Stalburg ist. An "freien" Tagen bespricht er für die "Frankfurter Rundschau" Konzerte und Theaterpremieren, schreibt Kneipenbesprechungen, die möbliert sind mit dem Lebensgefühl und dem Personal der jeweiligen Gegend. Schreiben falle ihm leicht, sagt Tuschick, jahrelang war es wie eine Sucht, von der er nicht lassen konnte, seit er mit 13 Jahren begonnen hat.

Es hat dann allerdings doch bis weit nach dem 30. Geburtstag gedauert, bis Tuschicks erster Roman, einer von dreien, bei Suhrkamp erschien: "Keine große Geschichte". Wie alle seine Texte ist auch dieser, irgendwie, autobiographisch, und so hat man fast erwartet, dass in den "Zwillingen" auch der Tuschick um die Ecke schauen würde. Er tut es, auf Seite 219. "Immer wieder übernachten durchreisende Hippies, Künstler und von zu Hause abgehauene Jugendliche im Turm - und so auch ein ganz stiller Junge aus Kassel. Jamal", heißt es da. Tuschick wäre damals noch viel zu klein gewesen für einen solchen Ausflug nach Italien, wo die Schwestern sich selbst erfanden. Aber er hat sich ihnen in die Erinnerungen und den Mund gelegt. Eine Strategie, mit der er auch sonst hantiert. Einen "umgeleiteten Jagdtrieb" nennt er seine Art des Recherchierens und Schreibens. Als "Flaneur" würde Tuschick sich nie bezeichnen, wie auch. Als "dandymäßigen Müßiggänger" würde ihn wohl niemand einschätzen. Seine "Stadtgängereien" seien schnell, unauffällig, überraschend. Als Schriftsteller sei er, sagt Tuschick, so etwas wie ein "schwarzes Loch". Auch das ist ihm recht: So kann er als Kurt in Ruhe beobachten und schreiben, alles ist ihm "Muse wider Willen" oder zumindest Wissen. Im Herbst erscheint bei Weissbooks sein neuer Roman: "Auseinanderbrechende Paare". Kein schlechter Titel für einen, der behauptet, die größte Kreativität habe er freigesetzt, wenn er Liebeskummer hatte. Er spricht in der Vergangenheitsform.

Heute um 20 Uhr Lesung und anschließend Party im ehemaligen Literaturhaus, Frankfurt, Bockenheimer Landstraße 102.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Es geht um "die Geschichte einer Jugend in der nordhessischen Provinz", die vor allem von einem bestimmt ist: der Rockmusik, in deren Zeichen der dagegen naturgemäß abfallende Alltag gelebt wird. Das rundet sich keinesfalls zu einer schönen Jugend, sondern - und da fühlt sich der Rezensent Friedmar Apel an Michel Houellebecq erinnert - es wuchert nur das "Geschwür der Hoffnungslosigkeit". Wenigstens die Beschreibung des "provinziellen Kampf- und Krampfgeschehens" scheint gelungen, jedenfalls lobt Apel die präzise Beobachtungsgabe des Erzählers und den "wunderbar zickigen Stil eines Flaneurs von heute". Darüber hinaus fallen ihm an Vergleichsgrößen noch Allen Ginsberg, Joyce und Beckett ein, und dennoch bleibt ein Bedauern, dass das ganze dann doch "keine große Geschichte" ist.

© Perlentaucher Medien GmbH"