Die Mordserie des NSU hat Vorwürfe laut werden lassen, das Bundesamt für Verfassungsschutz sei von jeher «auf dem rechten Auge blind». Und das habe damit zu tun, dass die Behörde in ihrer Gründungsphase von Altnazis durchsetzt gewesen sei. Wie zutreffend ist dieses Urteil?
Die Historiker Constantin Goschler und Michael Wala haben die ersten 25 Jahre des Bundesamtes für Verfassungsschutz erforscht und hatten dafür Zugang zu vielen bislang geheimen Akten. Nun lässt sich zum ersten Mal genauer einschätzen, wie viele Belastete es gab und welchen Einfluss sie in der Behörde hatten. Darüber hinaus beleuchtet dieses Buch die Handlungsspielräume des Verfassungsschutzes unter alliierter Kontrolle, seine Rolle im Kalten Krieg und bei der «Inneren Sicherheit» sowie seine zahlreichen Skandale.
Klar ist: Ebenso wie sich wandelte, was Politik und Verfassungsschutz als Bedrohung sahen, wurde die Behörde selbst in der Gesellschaft zunehmend als Bedrohung gesehen. So schreiben die Autoren auch eine Geschichte der politischen Kultur von der Adenauerzeit bis in die sozialliberale Ära.
Die Historiker Constantin Goschler und Michael Wala haben die ersten 25 Jahre des Bundesamtes für Verfassungsschutz erforscht und hatten dafür Zugang zu vielen bislang geheimen Akten. Nun lässt sich zum ersten Mal genauer einschätzen, wie viele Belastete es gab und welchen Einfluss sie in der Behörde hatten. Darüber hinaus beleuchtet dieses Buch die Handlungsspielräume des Verfassungsschutzes unter alliierter Kontrolle, seine Rolle im Kalten Krieg und bei der «Inneren Sicherheit» sowie seine zahlreichen Skandale.
Klar ist: Ebenso wie sich wandelte, was Politik und Verfassungsschutz als Bedrohung sahen, wurde die Behörde selbst in der Gesellschaft zunehmend als Bedrohung gesehen. So schreiben die Autoren auch eine Geschichte der politischen Kultur von der Adenauerzeit bis in die sozialliberale Ära.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Tanjev Schultz lobt die Arbeit der Historiker Constantin Goschler und Michael Wala, die in ihrem Buch "Keine neue Gestapo" der NS-Vergangenheit des Bundesamtes für Verfassungsschutz nachgehen. Dank der akribischen Aktenrecherche der Autoren erfährt der Kritiker hier, wieviele ehemalige Nazis in den ersten fünfundzwanzig Jahren beim Bundesamt unterkamen, liest aber auch interessiert nach, wie der Verfassungsschutz mit anderen Diensten konkurrierte oder die Amerikaner und die "Organisation Gehlen" das Bundesamt ausspionierten. Die Autoren erzählen nicht nur sachkundig, sondern auch spannend, schließt der Rezensent, der allerdings gern mehr über die Auswirkungen der Personalstruktur auf die operative Praxis erfahren hätte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.10.2015Vieles bleibt im gnädigen Dunkel
Spurensuche nach NS-belastetem Personal im Bundesamt für Verfassungsschutz
Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) konnte und wollte sich der heute üblichen Spurensuche nach NS-belastetem Personal im ersten Vierteljahrhundert seines Bestehens nicht entziehen. Vernünftigerweise hat sich das naturgemäß bis heute umstrittene Haus für eine Politik uneingeschränkter Offenheit entschieden. Für die sensitive Aufgabe wurden mit den Bochumer Professoren Constantin Goschler und Michael Wala zwei durch frühere Arbeiten ausgewiesene Fachleute gewonnen. Sie haben die drei Jahre andauernde Auftragsforschung sichtlich unabhängig durchgeführt und legen ein quellenmäßig breit fundiertes und spannend geschriebenes Buch vor.
Wie die Forschung seit längerem nachgewiesen hat, ist es in den Anfängen des Kalten Krieges bezüglich Geheimdiensttätigkeit wie in einem Krimi der "Série noire" zugegangen. Die Westmächte hatten überhaupt keine Bedenken, sich bei ihrer Geheimdienstarbeit in großem Stil "umgedrehter" Gestapo-, SD und SS-Angehöriger zu bedienen. Diese waren nach 1945 hinlänglich durchleuchtet, durch die Mangel gedreht, hatten Spionageverpflichtungen unterschrieben, waren vielfältig erpressbar und zumeist nur allzu gern bereit, den neuen, durchaus brutal vorgehenden Diensten der Vereinigten Staaten, Englands und Frankreichs ihre Loyalität zu beweisen. Im Bundeskriminalamt beispielsweise hatten noch 1969 zwei Drittel des Führungspersonals SS-Ränge. Erst posthum wurde aus amerikanischen Archivalien bekannt, dass der hochangesehene Paul Dickopf, seit 1953 Stellvertreter Präsident des BKA und 1965 bis 1971 dessen Präsident, auf der Payroll des CIA stand.
In diesem Milieu nahm sich ursprünglich das anfangs ohnehin zahlenmäßig überschaubare BfV geradezu stubenrein aus, wenigstens, was die Beschäftigung dunkler Figuren aus dem SD- und Gestapo-Milieu betrifft, weniger allerdings hinsichtlich der Durchdringung auf allen Ebenen mit westalliierten Zuträgern. Dank der Wachsamkeit der Sicherheitsdirektoren, die gemäß dem Besatzungsstatut bis 1955 tätig waren, ist dem Haus ein Schädlingsbefall von Seilschaften aus dem SD und der Gestapo anfänglich erspart geblieben. Selbst die Zahl von inzwischen positiv entnazifizierten NSDAP-Mitgliedern, von denen es in der Beamtenschaft im "Dritten Reich" wimmelte, lag unter dem Durchschnitt anderer Häuser und wurde ohnehin erst während der "zweiten Entnazifizierung" seit Ende der sechziger Jahre zum Problem.
Im Zusammenhang mit dem BfV wollten die Westalliierten sehr vorsichtig verfahren und erzwangen das bis heute geheiligte Trennungsgebot von geheimdienstlicher Informationsarbeit und Polizei. Dies aus zwei Gründen. Erstens setzten die Westalliierten - parallel zu den mächtigen eigenen Diensten - auf die mit eigenen Vertrauensleuten durchsetzten Polizeien der Länder, doch auch auf die Landesämter für Verfassungsschutz. Dezentralisierung war Trumpf. Zweitens schließlich galt sowohl bei den Alliierten wie auch deutscherseits die Devise: "Keine neue Gestapo." Genau das aber fürchtete man in der sozialdemokratischen Opposition und bei einigen kritischen Presseorganen.
1950 wussten die Westmächte auch noch nicht, wie sich die junge Bundesrepublik weiterentwickeln würde. So experimentierten sie mit verschiedensten Geheimorganisationen. Unter den zahlreichen Organisationen, in der Deutsche für die Abwehr im Kalten Krieg oder sogar im Kriegsfall heimlich beschäftigt wurden, hatte die von den Vereinigten Staaten geführte, finanzierte und durchaus erfolgreiche "Organisation Gehlen" (Org.) die Nase vorn. Der erste Vorschlag, den Bundeskanzler Konrad Adenauer für das Amt des Präsidenten des BfV den westlichen Sicherheitsdirektoren unterbreitete, war General Gehlen. Vor allem die Briten widersetzten sich aber einem so eindeutig als Mann der Amerikaner abgestempelten Vorschlag.
Schließlich machte der deutscherseits von Bundespräsident Theodor Heuss und von Jakob Kaiser unterstützte Otto John aus den Kreisen des Widerstands als Verlegenheitskandidat Nummer 9 das Rennen. Jedermann betrachtete ihn als Mann der Briten. Doch selbst diese unterstützten ihn aber nur halbherzig, weil sie an seiner Eignung für diesen Posten Zweifel hatten - und zwar zu Recht, wie sich rasch zeigte. Auch politisch war er bald marginalisiert. Sein Übertritt in die DDR im Juli 1954 führte zu Existenzkrise des BfV. Bundesinnenminister Gerhard Schröder wollte die Behörde wohl ersatzlos auflösen, scheiterte dabei aber am Widerstand der Länder, die auf ihre Landesämter für Verfassungsschutz nicht verzichten wollten.
Tatsache ist jedenfalls, dass in der Gründungsphase des BfV mehr als 40 Prozent der festangestellten Mitarbeiter aus der Abwehr und von der Organisation Gehlen kamen, die als politisch unbelastet galten. Das könnte auch den geringen Anteil an NSDAP-Mitgliedern erklären. An dem Konkurrenzverhältnis zwischen BfV und der Org, dem späteren BND, änderte das überhaupt nichts. Diese Dauer-Rivalität hat ein CIA-Beamter mit den Worten kommentiert, so würden beide Seiten bereit sein, der CIA über die Missetaten der anderen zu berichten.
Wie kamen aber dann eigentlich jene ehemaligen SD- und SS-Angehörigen ins BfV, deren Vorleben 1962/63 zu einem mittelgroßen, von den kritischen Medien ausgelösten BfV-Skandal führte? Da sich das BfV bald in die Spionage und Gegenspionage einspannen ließ, beschäftigte es doch einen großen Schwarm dunkler Gestalten aus dem SD- und SS- Milieu, aber eben nur sozusagen "ausgesourct". Der von Goschler und Wala verwandte Begriff "Nebenamt" für diese Agentenführer und V-Männer ist allerdings überzogen. Es handelte sich um weisungsgebundene Netzwerke alter SS- und SD-Kameraden, denen man jahrelang die Schmutzarbeit übertragen hatte und die seit Mitte der fünfziger Jahre verlangten, nun endlich selbst in Angestellten- und Beamtenpositionen mit Pensionsberechtigung zu gelangen - arbeitsrechtlich waren sie in der Tat "freie Mitarbeiter".
Goschler und Wala betonen durchgehend, das Bundesamt für Verfassungsschutz habe eigentlich keine politische Rolle gespielt, auch wenn es der Politik gelegentlich beim Bundestagswahlkampf 1953 und später abermals unter dem Präsidenten Günther Nollau zu Diensten war. Diese Feststellung sei unbestritten, doch eben deshalb wäre es wünschenswert gewesen, die kundigen Autoren hätten der Frage systematischere Betrachtung zukommen lassen, wie eigentlich die zuständigen Minister von Gustav Heinemann und Gerhard Schröder über Hermann Höcherl und Paul Lücke bis Hans-Dietrich Genscher, doch auch der langjährige Staatssekretär Hans Ritter von Lex oder der in der Gründungsphase maßgebliche Abteilungsleiter Hans Egidi die Funktion, die Problematik und den Stellenwert des BfV gesehen haben. An Material dazu ist kein Mangel. Auch für die delikaten Querverbindungen zu den Parteien, die in der Personalpolitik von Anfang an eine Rolle spielten, und für die noch delikateren Verbindungen in den journalistischen Raum, die fast nur unter Bezugnahme auf Mainhardt Graf von Nayhauß heller beleuchtet werden, bleibt vieles in gnädigem Dunkel - vielleicht mangels belastbarer Dokumente. Doch eine veritable Amtsgeschichte dieser von Gerüchten und Skandalen umwitterten Behörde kann und will diese Studie ohnehin nicht sein.
Einen Übergang zu den heutigen Problemen des BfV bildet der eher kursorische, aber lesenswerte Schlussteil. Er skizziert die Transformationsperiode in den Zeiten der 68-er Bewegung, des RAF-Terrorismus, der Observation von Gastarbeitern, der elektronischen Überwachungssysteme und des Einzugs einer jungen Generation von Sicherheitstechnokraten in die Führungspositionen.
HANS-PETER SCHWARZ
Constantin Goschler/Michael Wala: Keine neue Gestapo. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die NS-Vergangenheit. Rowohlt Verlag, Reinbek 2015. 463 S., 29,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Spurensuche nach NS-belastetem Personal im Bundesamt für Verfassungsschutz
Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) konnte und wollte sich der heute üblichen Spurensuche nach NS-belastetem Personal im ersten Vierteljahrhundert seines Bestehens nicht entziehen. Vernünftigerweise hat sich das naturgemäß bis heute umstrittene Haus für eine Politik uneingeschränkter Offenheit entschieden. Für die sensitive Aufgabe wurden mit den Bochumer Professoren Constantin Goschler und Michael Wala zwei durch frühere Arbeiten ausgewiesene Fachleute gewonnen. Sie haben die drei Jahre andauernde Auftragsforschung sichtlich unabhängig durchgeführt und legen ein quellenmäßig breit fundiertes und spannend geschriebenes Buch vor.
Wie die Forschung seit längerem nachgewiesen hat, ist es in den Anfängen des Kalten Krieges bezüglich Geheimdiensttätigkeit wie in einem Krimi der "Série noire" zugegangen. Die Westmächte hatten überhaupt keine Bedenken, sich bei ihrer Geheimdienstarbeit in großem Stil "umgedrehter" Gestapo-, SD und SS-Angehöriger zu bedienen. Diese waren nach 1945 hinlänglich durchleuchtet, durch die Mangel gedreht, hatten Spionageverpflichtungen unterschrieben, waren vielfältig erpressbar und zumeist nur allzu gern bereit, den neuen, durchaus brutal vorgehenden Diensten der Vereinigten Staaten, Englands und Frankreichs ihre Loyalität zu beweisen. Im Bundeskriminalamt beispielsweise hatten noch 1969 zwei Drittel des Führungspersonals SS-Ränge. Erst posthum wurde aus amerikanischen Archivalien bekannt, dass der hochangesehene Paul Dickopf, seit 1953 Stellvertreter Präsident des BKA und 1965 bis 1971 dessen Präsident, auf der Payroll des CIA stand.
In diesem Milieu nahm sich ursprünglich das anfangs ohnehin zahlenmäßig überschaubare BfV geradezu stubenrein aus, wenigstens, was die Beschäftigung dunkler Figuren aus dem SD- und Gestapo-Milieu betrifft, weniger allerdings hinsichtlich der Durchdringung auf allen Ebenen mit westalliierten Zuträgern. Dank der Wachsamkeit der Sicherheitsdirektoren, die gemäß dem Besatzungsstatut bis 1955 tätig waren, ist dem Haus ein Schädlingsbefall von Seilschaften aus dem SD und der Gestapo anfänglich erspart geblieben. Selbst die Zahl von inzwischen positiv entnazifizierten NSDAP-Mitgliedern, von denen es in der Beamtenschaft im "Dritten Reich" wimmelte, lag unter dem Durchschnitt anderer Häuser und wurde ohnehin erst während der "zweiten Entnazifizierung" seit Ende der sechziger Jahre zum Problem.
Im Zusammenhang mit dem BfV wollten die Westalliierten sehr vorsichtig verfahren und erzwangen das bis heute geheiligte Trennungsgebot von geheimdienstlicher Informationsarbeit und Polizei. Dies aus zwei Gründen. Erstens setzten die Westalliierten - parallel zu den mächtigen eigenen Diensten - auf die mit eigenen Vertrauensleuten durchsetzten Polizeien der Länder, doch auch auf die Landesämter für Verfassungsschutz. Dezentralisierung war Trumpf. Zweitens schließlich galt sowohl bei den Alliierten wie auch deutscherseits die Devise: "Keine neue Gestapo." Genau das aber fürchtete man in der sozialdemokratischen Opposition und bei einigen kritischen Presseorganen.
1950 wussten die Westmächte auch noch nicht, wie sich die junge Bundesrepublik weiterentwickeln würde. So experimentierten sie mit verschiedensten Geheimorganisationen. Unter den zahlreichen Organisationen, in der Deutsche für die Abwehr im Kalten Krieg oder sogar im Kriegsfall heimlich beschäftigt wurden, hatte die von den Vereinigten Staaten geführte, finanzierte und durchaus erfolgreiche "Organisation Gehlen" (Org.) die Nase vorn. Der erste Vorschlag, den Bundeskanzler Konrad Adenauer für das Amt des Präsidenten des BfV den westlichen Sicherheitsdirektoren unterbreitete, war General Gehlen. Vor allem die Briten widersetzten sich aber einem so eindeutig als Mann der Amerikaner abgestempelten Vorschlag.
Schließlich machte der deutscherseits von Bundespräsident Theodor Heuss und von Jakob Kaiser unterstützte Otto John aus den Kreisen des Widerstands als Verlegenheitskandidat Nummer 9 das Rennen. Jedermann betrachtete ihn als Mann der Briten. Doch selbst diese unterstützten ihn aber nur halbherzig, weil sie an seiner Eignung für diesen Posten Zweifel hatten - und zwar zu Recht, wie sich rasch zeigte. Auch politisch war er bald marginalisiert. Sein Übertritt in die DDR im Juli 1954 führte zu Existenzkrise des BfV. Bundesinnenminister Gerhard Schröder wollte die Behörde wohl ersatzlos auflösen, scheiterte dabei aber am Widerstand der Länder, die auf ihre Landesämter für Verfassungsschutz nicht verzichten wollten.
Tatsache ist jedenfalls, dass in der Gründungsphase des BfV mehr als 40 Prozent der festangestellten Mitarbeiter aus der Abwehr und von der Organisation Gehlen kamen, die als politisch unbelastet galten. Das könnte auch den geringen Anteil an NSDAP-Mitgliedern erklären. An dem Konkurrenzverhältnis zwischen BfV und der Org, dem späteren BND, änderte das überhaupt nichts. Diese Dauer-Rivalität hat ein CIA-Beamter mit den Worten kommentiert, so würden beide Seiten bereit sein, der CIA über die Missetaten der anderen zu berichten.
Wie kamen aber dann eigentlich jene ehemaligen SD- und SS-Angehörigen ins BfV, deren Vorleben 1962/63 zu einem mittelgroßen, von den kritischen Medien ausgelösten BfV-Skandal führte? Da sich das BfV bald in die Spionage und Gegenspionage einspannen ließ, beschäftigte es doch einen großen Schwarm dunkler Gestalten aus dem SD- und SS- Milieu, aber eben nur sozusagen "ausgesourct". Der von Goschler und Wala verwandte Begriff "Nebenamt" für diese Agentenführer und V-Männer ist allerdings überzogen. Es handelte sich um weisungsgebundene Netzwerke alter SS- und SD-Kameraden, denen man jahrelang die Schmutzarbeit übertragen hatte und die seit Mitte der fünfziger Jahre verlangten, nun endlich selbst in Angestellten- und Beamtenpositionen mit Pensionsberechtigung zu gelangen - arbeitsrechtlich waren sie in der Tat "freie Mitarbeiter".
Goschler und Wala betonen durchgehend, das Bundesamt für Verfassungsschutz habe eigentlich keine politische Rolle gespielt, auch wenn es der Politik gelegentlich beim Bundestagswahlkampf 1953 und später abermals unter dem Präsidenten Günther Nollau zu Diensten war. Diese Feststellung sei unbestritten, doch eben deshalb wäre es wünschenswert gewesen, die kundigen Autoren hätten der Frage systematischere Betrachtung zukommen lassen, wie eigentlich die zuständigen Minister von Gustav Heinemann und Gerhard Schröder über Hermann Höcherl und Paul Lücke bis Hans-Dietrich Genscher, doch auch der langjährige Staatssekretär Hans Ritter von Lex oder der in der Gründungsphase maßgebliche Abteilungsleiter Hans Egidi die Funktion, die Problematik und den Stellenwert des BfV gesehen haben. An Material dazu ist kein Mangel. Auch für die delikaten Querverbindungen zu den Parteien, die in der Personalpolitik von Anfang an eine Rolle spielten, und für die noch delikateren Verbindungen in den journalistischen Raum, die fast nur unter Bezugnahme auf Mainhardt Graf von Nayhauß heller beleuchtet werden, bleibt vieles in gnädigem Dunkel - vielleicht mangels belastbarer Dokumente. Doch eine veritable Amtsgeschichte dieser von Gerüchten und Skandalen umwitterten Behörde kann und will diese Studie ohnehin nicht sein.
Einen Übergang zu den heutigen Problemen des BfV bildet der eher kursorische, aber lesenswerte Schlussteil. Er skizziert die Transformationsperiode in den Zeiten der 68-er Bewegung, des RAF-Terrorismus, der Observation von Gastarbeitern, der elektronischen Überwachungssysteme und des Einzugs einer jungen Generation von Sicherheitstechnokraten in die Führungspositionen.
HANS-PETER SCHWARZ
Constantin Goschler/Michael Wala: Keine neue Gestapo. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die NS-Vergangenheit. Rowohlt Verlag, Reinbek 2015. 463 S., 29,95 [Euro].
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