Die biblische Archäologie ist ein Minenfeld. Zwei grundsätzlich verschiedene Ansätze konkurrieren heute über die Deutungshoheit: Die einen wollen militant die Wahrheit der biblischen Texte auf Punkt und Komma beweisen, die anderen halten die Bibel eher für eine Sammlung von Volkserzählungen mit
geringem Wahrheitsgehalt. Israel Finkelstein gehört zwar tendenziell zur zweiten Gruppe, aber er ist…mehrDie biblische Archäologie ist ein Minenfeld. Zwei grundsätzlich verschiedene Ansätze konkurrieren heute über die Deutungshoheit: Die einen wollen militant die Wahrheit der biblischen Texte auf Punkt und Komma beweisen, die anderen halten die Bibel eher für eine Sammlung von Volkserzählungen mit geringem Wahrheitsgehalt. Israel Finkelstein gehört zwar tendenziell zur zweiten Gruppe, aber er ist auch ein großer Vermittler zwischen den verfeindeten Fronten. Sein Buch „Keine Posaunen vor Jericho“ ist zwar schon über 20 Jahre alt, aber für die neue Taschenausgabe waren kaum Änderungen nötig, weil sich seine Schlussfolgerungen in der Zwischenzeit sogar verfestigt haben und immer mehr zum Mainstream werden. Auf einen kurzen Nenner gebracht, misst Finkelstein der Bibel eine sehr hohe Bedeutung bei der historischen Identitätsbildung Israels zu, die viel wichtiger ist als die Korrektheit einzelner Erzählungen oder Daten. Gerade hier ist die Verlässlichkeit der biblischen Texte nämlich besonders schlecht. Essenzielle Teile der biblischen Geschichte haben nachweislich nie stattgefunden: Der Auszug aus Ägypten, die kriegerische Inbesitznahme Kanaans und das glorreiche Königreich Davids und Salomos hat es nie gegeben. Und hier enden die Diskrepanzen keineswegs.
Das Buch verwendet einen streng wissenschaftlichen Ansatz, indem der Urtext der Bibel mit den archäologischen Funden und Befunden präzise abgeglichen wird. Finkelstein wirft dabei einen generalistischen Blick auf die ganze Levante (und darüber hinaus), deren komplexe Geschichte er mit einbezieht. Die fehlende Schriftlichkeit des frühen Israel/Juda wird mehr als ausgeglichen durch die zahlreichen Archive, die die Ägypter, Hethiter, Assyrer und Babylonier hinterlassen haben. Auch die Ausgrabungen in Israel sind dank neuer Methoden heute viel aussagekräftiger als früher. So nehmen Finkelstein und sein Mitautor jeden Aspekt des Bibeltextes sprichwörtlich auseinander. Dabei liegt ihnen nichts ferner, als den Text insgesamt zu diskreditieren. Im Gegenteil, sie interpretieren ihn vor dem Hintergrund der tatsächlichen geschichtlichen Ereignisse und da bekommen die Geschichtsverdrehungen bzw. die Heroisierung der (zum Zeitpunkt der Niederschrift weit zurückliegenden) Vergangenheit plötzlich einen tieferen Sinn. Die Bibel dient der Traumabewältigung eines verstörten Volkes, der kulturellen Abgrenzung gegenüber dem Fremden, sie ist Therapie, Rechtfertigung und Identitätserzählung zugleich.
Ganz nebenbei erfährt der Leser von „Keine Posaunen vor Jericho“ was damals wirklich geschah, mit sehr anschaulichen, wenn auch zuweilen anspruchsvollen Beschreibungen der großen historischen Linien und des jüdischen Alltags. Die Ausgewogenheit der Darstellung und der immer spürbare Respekt vor der literarischen Leistung der Bibelautoren macht das Buch eben nicht zur kategorischen Abrechnung, die man hinter dem etwas reißerischen Titel vielleicht vermuten könnte. Die Autoren argumentieren streng wissenschaftlich, wobei sie ungeklärte Aspekte genauso offen ansprechen, wie eklatante Widersprüche. Am Ende steht die Bibel aber als bedeutender historischer Text, der wie alle historische Texte im Kontext seiner Zeit und im Bewusstsein gelesen werden muss, was seine Autoren damals politisch bezweckten. Deren Rechnung ist im Übrigen voll aufgegangen.
(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)