Eine ganze Stadt scheint sich aufzulösen: Drogen aus alten Wehrmachtszeiten zirkulieren unter dem Namen »Führer-« oder »Panzerschokolade«, Crystal Meth-Depots explodieren, Hausflure brennen, um letzte Mieter zur Flucht zu bewegen, über Facebook werden riesige Partys am Wannsee organisiert, auf denen reiche Menschen ihren Abschied aus dem Leben zelebrieren, um dann doch weiterzuleben.Für Goster, den Philosophen unter den Kommissaren, ist erstmal kein roter Faden, geschweige denn ein Sinn hinter all diesen verstörenden Ereignissen zu erkennen. Erst als nach einem relativ simplen Mord in der Berliner Hasenheide, begangen an einer scheinbar harmlosen Mutter von drei Kindern, sich Querverbindungen sowohl zu skrupellosen Immobilien- wie Pervitinhändlern ergeben und inszenierte, auf falsche Fährten lockende Bluttaten in eine merkwürdige Happening-Szene verweisen, kommt Goster der Sache auf die Spur.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2019Selbstmord? Mord? Was dazwischen?
Krimis in Kürze: Gerd Zahner, Declan Burke und Hideo Yokoyama
Ganz Berlin träumt von Kokain. Und von Crystal Meth. Nur trägt es in Gerd Zahners drittem Goster-Roman "Keiner verliert allein" (Transit, 144 S., geb., 16.- [Euro]) jenen Namen, unter dem es 1938 in Deutschland auf den Markt kam: Pervitin. Damals sollte es aus müden Soldaten wache Rambos machen, heute ist es dank der Serie "Breaking Bad" weltbekannt und in vielen Ländern gefragt. Kommissar Goster, der zu den eigenwilligsten Gewächsen gehört, die das Krimiuniversum zu bieten hat, fragt einen Kollegen, wie viele Drogenlabors schon in die Luft geflogen seien. "Fünfzehn." - "Grund?" - "Überhitzung." Aus solchen Kürzestdialogen resultiert eine präapokalyptische Stimmung, die sich über die ganze Handlung legt.
Und die steuert den Leser von einer Bizarrerie zur nächsten. Da ist etwa eine Frau, die sich im Blut ihres verschwundenen Verlobten suhlt - ein Fall für die Mordkommission. Dann taucht er allerdings ohne einen Kratzer wieder auf - doch kein Fall für die Mordkommission. Als endlich eine richtige Leiche in der Berliner Hasenheide herumliegt, entwickelt sich ein Plot, der geradewegs in den Immobiliensumpf führt. Dabei vermengt der Autor Gedanken, die an der Grenze zum Kitschquatsch stehen, mit durchaus poetischen Bildern. Außerdem schmeckt er seine exzentrische Krimikomposition hier und da mit ein wenig Strafverfolgungsphilosophie ab: "Etwas zu beweisen, nur weil es möglich ist, ist das Schlimmste, es macht alles zum Objekt der Suche, auch den Ermittler."
Um Grundbesitz und Substanzen, die den Geist des Konsumenten in eine Zentrifuge verwandeln, geht es auch in "Slaughter`s Hound" (Edition Nautilus, 384 S., br., 20.- [Euro]) von Declan Burke. Den Ich-Erzähler Harry Rigby kennen wir aus dem Roman "Eight Ball Boogie", in dem er noch als Privatdetektiv arbeitete. Inzwischen hat er rasante Karriererückschritte gemacht: Er tötete seinen Bruder, wanderte daraufhin ins Gefängnis, wurde erstaunlich früh entlassen und verdingt sich jetzt als Taxifahrer und Drogenkurier in der irischen Stadt Sligo. Das Taxi nimmt allerdings gleich zu Beginn der Handlung Schaden, weil Rigbys Kumpel Finn aus dem neunten Stock auf den Wagen stürzt. Suizid? Mord? Irgendwas dazwischen? Jedenfalls kommen sich Polizisten, Gangster, die Familie des Toten und deren Anwalt fortan ins Gehege, wobei Rigby, der sich am Ende als widerlicher Folterknecht entpuppt, genau in der Mitte steht und aufgerieben wird.
Von diesem Spießrutenlauf erzählt Burke mit gehöriger Coolness - bis er sich daran erinnert, dass es so etwas wie Metaphern und Vergleiche gibt: "Als sie aufstand und mich anschaute, rosig, aber irgendwie leer, ähnelte ihr Gesichtsausdruck dem Klang einer verrosteten Tuba." Mal sickert "arktische Kälte" aus den "ägäisblauen Augen" einer Figur, dann blitzt etwas "beinahe Tödliches" in ihren "azurblauen Augen auf". Als Zugabe lässt sie ihre schließlich doch wieder "ägäisblauen Augen aufflammen". Abgesehen von diesem sprachlichen Giftmüll und Rigbys abstruser Kulturbeflissenheit - das Namedropping reicht von Jackson Pollock über Edvard Munch bis zu Karl Marx und John Milton - ist der Roman eine unterhaltsame Erkundungstour verkommener Existenzen und Verhältnisse.
Geradezu bodenständig geht es dagegen bei Hideo Yokoyama zu. Nachdem der Japaner mit seinem Monumentalwerk "64" in diesem Jahr den Deutschen Krimipreis gewonnen hat, erscheint mit "2" (Atrium, 144 S., geb., 16.- [Euro]) nun ein Buch, welches im Original bereits 1998 veröffentlicht wurde. Darin enthalten sind zwei sterbenslangweilige Fälle, die in derselben Präfektur spielen. In der ersten Geschichte weigert sich eine Legende der Kriminalpolizei, den Ruhestand anzutreten, was ein behördliches Beben auslöst. Warum tut er das? Hat ein ungeklärtes Verbrechen damit zu tun? Um die Dimension dieses Verhaltens zu begreifen, empfiehlt es sich, kulturelle Unterschiede mitzudenken; spannender wird das gezeichnete administrative Organigramm dadurch jedoch nicht.
Fall zwei: Eine junge und zuverlässige Polizistin erscheint nicht zur Arbeit. Sie wird gesucht, gefunden und befragt. Dabei kommt heraus, dass sie ein Opfer patriarchalischer Hierarchien geworden ist und etwas tun musste, das an anderer Stelle zu großem Schaden führte. Kafka hätte Freude daran, wie der Autor die Mechanismen japanischer Dienststellen schildert, wie er Verwaltungsvorgänge und Bürogeplänkel skizziert. So taugt das Buch vor allem als Schlaglicht auf die Codes und Regeln einer faszinierenden, fremden Gesellschaft. Von solch einer Welthaltigkeit profitiert jede Kriminalliteratur, aber nur dann, wenn die Raffinesse ihres stilistischen Gewebes den Inhalt trägt.
KAI SPANKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Krimis in Kürze: Gerd Zahner, Declan Burke und Hideo Yokoyama
Ganz Berlin träumt von Kokain. Und von Crystal Meth. Nur trägt es in Gerd Zahners drittem Goster-Roman "Keiner verliert allein" (Transit, 144 S., geb., 16.- [Euro]) jenen Namen, unter dem es 1938 in Deutschland auf den Markt kam: Pervitin. Damals sollte es aus müden Soldaten wache Rambos machen, heute ist es dank der Serie "Breaking Bad" weltbekannt und in vielen Ländern gefragt. Kommissar Goster, der zu den eigenwilligsten Gewächsen gehört, die das Krimiuniversum zu bieten hat, fragt einen Kollegen, wie viele Drogenlabors schon in die Luft geflogen seien. "Fünfzehn." - "Grund?" - "Überhitzung." Aus solchen Kürzestdialogen resultiert eine präapokalyptische Stimmung, die sich über die ganze Handlung legt.
Und die steuert den Leser von einer Bizarrerie zur nächsten. Da ist etwa eine Frau, die sich im Blut ihres verschwundenen Verlobten suhlt - ein Fall für die Mordkommission. Dann taucht er allerdings ohne einen Kratzer wieder auf - doch kein Fall für die Mordkommission. Als endlich eine richtige Leiche in der Berliner Hasenheide herumliegt, entwickelt sich ein Plot, der geradewegs in den Immobiliensumpf führt. Dabei vermengt der Autor Gedanken, die an der Grenze zum Kitschquatsch stehen, mit durchaus poetischen Bildern. Außerdem schmeckt er seine exzentrische Krimikomposition hier und da mit ein wenig Strafverfolgungsphilosophie ab: "Etwas zu beweisen, nur weil es möglich ist, ist das Schlimmste, es macht alles zum Objekt der Suche, auch den Ermittler."
Um Grundbesitz und Substanzen, die den Geist des Konsumenten in eine Zentrifuge verwandeln, geht es auch in "Slaughter`s Hound" (Edition Nautilus, 384 S., br., 20.- [Euro]) von Declan Burke. Den Ich-Erzähler Harry Rigby kennen wir aus dem Roman "Eight Ball Boogie", in dem er noch als Privatdetektiv arbeitete. Inzwischen hat er rasante Karriererückschritte gemacht: Er tötete seinen Bruder, wanderte daraufhin ins Gefängnis, wurde erstaunlich früh entlassen und verdingt sich jetzt als Taxifahrer und Drogenkurier in der irischen Stadt Sligo. Das Taxi nimmt allerdings gleich zu Beginn der Handlung Schaden, weil Rigbys Kumpel Finn aus dem neunten Stock auf den Wagen stürzt. Suizid? Mord? Irgendwas dazwischen? Jedenfalls kommen sich Polizisten, Gangster, die Familie des Toten und deren Anwalt fortan ins Gehege, wobei Rigby, der sich am Ende als widerlicher Folterknecht entpuppt, genau in der Mitte steht und aufgerieben wird.
Von diesem Spießrutenlauf erzählt Burke mit gehöriger Coolness - bis er sich daran erinnert, dass es so etwas wie Metaphern und Vergleiche gibt: "Als sie aufstand und mich anschaute, rosig, aber irgendwie leer, ähnelte ihr Gesichtsausdruck dem Klang einer verrosteten Tuba." Mal sickert "arktische Kälte" aus den "ägäisblauen Augen" einer Figur, dann blitzt etwas "beinahe Tödliches" in ihren "azurblauen Augen auf". Als Zugabe lässt sie ihre schließlich doch wieder "ägäisblauen Augen aufflammen". Abgesehen von diesem sprachlichen Giftmüll und Rigbys abstruser Kulturbeflissenheit - das Namedropping reicht von Jackson Pollock über Edvard Munch bis zu Karl Marx und John Milton - ist der Roman eine unterhaltsame Erkundungstour verkommener Existenzen und Verhältnisse.
Geradezu bodenständig geht es dagegen bei Hideo Yokoyama zu. Nachdem der Japaner mit seinem Monumentalwerk "64" in diesem Jahr den Deutschen Krimipreis gewonnen hat, erscheint mit "2" (Atrium, 144 S., geb., 16.- [Euro]) nun ein Buch, welches im Original bereits 1998 veröffentlicht wurde. Darin enthalten sind zwei sterbenslangweilige Fälle, die in derselben Präfektur spielen. In der ersten Geschichte weigert sich eine Legende der Kriminalpolizei, den Ruhestand anzutreten, was ein behördliches Beben auslöst. Warum tut er das? Hat ein ungeklärtes Verbrechen damit zu tun? Um die Dimension dieses Verhaltens zu begreifen, empfiehlt es sich, kulturelle Unterschiede mitzudenken; spannender wird das gezeichnete administrative Organigramm dadurch jedoch nicht.
Fall zwei: Eine junge und zuverlässige Polizistin erscheint nicht zur Arbeit. Sie wird gesucht, gefunden und befragt. Dabei kommt heraus, dass sie ein Opfer patriarchalischer Hierarchien geworden ist und etwas tun musste, das an anderer Stelle zu großem Schaden führte. Kafka hätte Freude daran, wie der Autor die Mechanismen japanischer Dienststellen schildert, wie er Verwaltungsvorgänge und Bürogeplänkel skizziert. So taugt das Buch vor allem als Schlaglicht auf die Codes und Regeln einer faszinierenden, fremden Gesellschaft. Von solch einer Welthaltigkeit profitiert jede Kriminalliteratur, aber nur dann, wenn die Raffinesse ihres stilistischen Gewebes den Inhalt trägt.
KAI SPANKE
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"Gerd Zahner kann schreiben und nicht nur irgendwie Spannung erzeugen." Peter Körte, Frankfurter Allgemeine Zeitung