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Der Weg ins Leben führt hinaus die unerhörte Geschichte von einem, der alles hinter sich lässt In seinem tragikomischen Romandebüt erzählt Arnold Thünker vom Zauber der ersten Liebe, den Abgründen des Dorflebens und der wirren Zeit der Reife. Ein Nachzügler erobert das Leben: In einem Dorf nahe des Rheins wächst er als jüngster Sohn der Wirtsfamilie heran. Während seine Geschwister bereits ihr eigenes Leben führen, erlebt er das Geschehen im Dorf von seinem Platz hinter dem Tresen. Auf Bierdeckeln lernt er Rechnen, bei Beerdigungsfeiern serviert er den Schnaps zum Streuselkuchen, und nach…mehr

Produktbeschreibung
Der Weg ins Leben führt hinaus die unerhörte Geschichte von einem, der alles hinter sich lässt
In seinem tragikomischen Romandebüt erzählt Arnold Thünker vom Zauber der ersten Liebe, den Abgründen des Dorflebens und der wirren Zeit der Reife. Ein Nachzügler erobert das Leben: In einem Dorf nahe des Rheins wächst er als jüngster Sohn der Wirtsfamilie heran. Während seine Geschwister bereits ihr eigenes Leben führen, erlebt er das Geschehen im Dorf von seinem Platz hinter dem Tresen. Auf Bierdeckeln lernt er Rechnen, bei Beerdigungsfeiern serviert er den Schnaps zum Streuselkuchen, und nach Schlägereien kümmert er sich um die Verletzten. Der kleine Wirt ist der Vertraute all jener, für die die Wirtschaft ihr Wohnzimmer ist. Eines wird er dabei nicht los das Gefühl bitterer Einsamkeit und tiefer Sehnsucht. Mit Nadine wird alles anders: Die Frau des neu hinzugezogenen Lehrers macht ihn, den Sechzehnjährigen, zu ihrem Liebhaber. Er gerät in einen Strudel aus Euphorie und Verzweiflung,denn der Betrogene ist sein einziger Vertrauter, ein tatsächlicher Freund, der für ihn da war, als seine Mutter starb ...
Mit einer bildmächtigen und knappen Sprache erzählt Arnold Thünker vom Handwerk des Lebens. In einer scheinbar kleinen Welt voller Lachen und Schmerz spürt der Leser die Träume, die einen hinaustreiben.
Autorenporträt
Arnold Thünker, geb. 1959, machte nach dem Studium eine Buchhändlerlehre und reiste im Auftrag niederländischer Kolonisten-Witwen nach Bali und Java. Anschließend Aufenthalt in New York, wo er im Antiquariat von Strand Nachlässe deutscher Emigrantenfamilien katalogisierte. Gemeinsam mit Daniel Bruckner leitete er den Bruckner & Thünker Verlag, Basel/Köln. Er lebt in München.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.04.2004

Stammgast Erinnerung
Der kleinste Wirt: Nur Arnold Thünker prellt die Zeche nicht

Marcus Jensen, Gerhard Henschel, Burkhard Spinnen: alle schreiben derzeit ihren "Kindheitsroman". Der nostalgische Rückblick auf die fetten siebziger und achtziger Jahre, als der deutsche Knabe noch mit Legosteinen und Bonanza-Rädern glücklich und mit Milky Way und Mutters Eintopf satt wurde, scheint in der Literatur allmählich die zornige Abrechnung mit den Vätern abzulösen. Die Nennung der Fernsehserien, Spielzeuge und Lieblingsschokoriegel, die erste sexuelle Erfahrungen und bittersüße Adoleszenzkrisen flankierten, ist so etwas wie die gemütliche Variante der archivierenden Popliteratur, eine Archäologie der alten Bundesrepublik, die im nachhinein wie ein Abenteuerspielplatz aussieht.

"Die Erinnerung ist das einzige Paradies, woraus wir nicht vertrieben werden können": Jean Pauls Wort steht als Motto auch über Arnold Thünkers Romandebüt. "Keiner wird bezahlen" ist auch ein Pubertätsroman, aber kein artig bebildertes Poesie- oder Familienalbum. Wo seine Kollegen mit urbaner Ironie und artistischen Kunststückchen aufwarten, bietet Thünker, auf dem Dorf unter Arbeitern und Bauern aufgewachsen, nur solides Handwerk. Dafür ist sein Gesellenstück halt- und unverwechselbarer. Thünker stellt nicht mit den alten Playmobil-Figuren und dem abgelegten Fummel seine Kindheit nach: Seine Erinnerung ist eher Konstruktion als Rekonstruktion. Sein namenloser Erzähler, vermutlich ein autobiographischer Doppelgänger, ist mit harter Arbeit, Unordnung und frühem Leid groß geworden, und so endet der Roman damit, daß er, der den Abriß so vieler alter Fachwerkhäuser, das Verschwinden ländlicher Bräuche und Sitten sah, als Zimmermannslehrling seinen ersten Dachstuhl errichtet. Erinnerung ist kein Kinderspiel, sondern nur mit so altmodischen Begriffen wie Verpflichtung, Achtsamkeit und Handwerkerehre zu beschreiben.

Thünkers Held ist, wie Martin Walser, Sohn eines Dorfgastwirts. Kinder stellen sich deren Leben gern als Paradies vor: Es gibt Limonade und Pommes satt, Stammgäste, die den kleinen Wirt wohlwollend tätscheln, Spielkameraden, die ihn um sein Schlaraffenland beneiden. In Thünkers Eifeldorf war das Wirtshaus die Hölle: Schon als Dreikäsehoch muß Mutters Kronprinz, auf einem Fußschemel stehend, Bier zapfen, Gläser spülen, Frikadellen und "Strammen Max" braten, Betrunkene und die Opfer von Kneipenschlägereien versorgen, Schweine füttern und Hühner schlachten; die Theke ist seine Schulbank, der Bierdeckel sein Rechenheft. Der Vater, ein Schnaps und Schweiß ausdünstender Alkoholiker, schlägt Frau und Kinder, ist aber meistens abwesend; die ehrgeizige Mutter will aus ihrem "kleinen Prinzen" einen König und aus ihrem Schnitzellokal einen Kurpalast machen, stirbt aber früh; die älteren Geschwister suchen das Weite. Zurück bleibt das Nesthäkchen, überfordert, verträumt, allein mit seiner Scham, Sehnsucht und Verzweiflung. Einsam drischt der Junggastronom den Ball ans Scheunentor, wütend wirft er in der Kirche Gebetbücher auf den Gekreuzigten, um sich abends wieder von den Stammtischhockern und Skatbrüdern als "kleinster Wirt" hätscheln und hänseln zu lassen und nachts von Fidel Castro oder Brasilien zu träumen.

Er erlebt auch stille Glücksmomente im Wald und freundliche Gäste, die ihn mit ihren Anekdoten und Schicksalen unterhalten, etwa Siegfried, den Rennfahrer, Jupp, den Fliesenleger, dem die Braut davonlief, oder Franz, den Maurer, der ihm das Erzählen beibringt: "mit gebührendem Abstand", aber ohne Schuldzuweisungen und altkluge Urteile "Spiegelgeschichten" vortragen. Heimatvertriebene wie Opa Hinzmann und Frau von Schierbach werden die natürlichen Verbündeten des Außenseiters; Dr. Schmitz lehrt ihn im Segelflugzeug das Fliegen: "Mit zwölf erfuhr ich schon, daß die Thermik einen ungeheuren Vorteil gegenüber aller christlichen Vorsehung hat: Sie trägt einen, so wie man ist." Mit sechzehn erfährt der Erzähler bei Nadine, der Frau seines Lehrers, was Liebe ist und wie weit sie einen trägt.

Thünker schildert die Affäre mit derselben gelassenen Lakonie, mit der er das dörfliche Brauchtum vom Junggesellenfest bis zum Karneval, von der Hahnenkönig-Wahl bis zur Vertreibung marodierender Rockerbanden beschreibt: In kurzen, lapidaren Hauptsätzen, die viel verschweigen und nichts verklären, überbrückt er Zeiten und Räume. Sentimentalität ist seine Sache jedenfalls nicht: "Träume sind für mich nie Spiele der Phantasie gewesen. Es sind Momente des Staunens und des Abschieds. Ich stehe neben mir, und dann geschieht, was schon einmal geschehen ist." Manchmal schlägt der Junge mit dem Vorschlaghammer auf das alte Gerümpel auf dem Dachboden ein, um den Mief und Muff loszuwerden, aber der Geruch steckt in allen Ritzen und Kleidern. Die Vergangenheit mag verleugnet, das Alte abgerissen und modernisiert werden; in seinem Kopf lebt alles unversehrt fort. Der Vater versteckte Schnapsvorräte und Pornohefte in "Nestern"; der Sohn sammelt und hortet Erinnerungen. Seine Emanzipation aus der Enge von Dorfgemeinschaft und Familie war viel zu schmerzhaft, die ohnmächtige Wut des ausgebeuteten, vernachlässigten Kindes ist noch zu frisch, um sie in einem klassischen Entwicklungsroman andächtig versöhnen oder achtlos entsorgen zu können.

Thünker hat, ehe er den Verlag Bruckner & Thünker mitgründete, im Auftrag niederländischer Kolonistenwitwen Java und Bali bereist und in einem New Yorker Antiquariat die Nachlässe deutscher Emigrantenfamilien katalogisiert. In "Keiner wird bezahlen" katalogisiert er nun sein eigenes Erbe: wortkarg, schlicht, manchmal fast mönchisch-asketisch, aber eben darum anrührender als andere geschwätzige oder narzißtische Kindheitsromane, in denen sich das Drama des Erwachsenwerdens auf die Beschwörung der verlorenen Unschuld reduziert. Thünker war nie im Paradies einer unbeschwerten Kindheit; selbst die große Liebe war nur eine kleine Flucht. Erinnerung ist in der Gegenwart aufgehoben, und darum kann er nicht aus ihr vertrieben werden. Ganz im Gegensatz zum Leichenschmaus, bei dem traditionell niemand bezahlt, hat sein Erzähler Lehr- und Zehrgeld dafür gezahlt, am Tisch der Erwachsenen aufwarten und sitzen zu dürfen. Der kleinste Wirt prellt nicht einmal beim Trauern und Träumen die Zeche.

MARTIN HALTER

Arnold Thünker: "Keiner wird bezahlen". Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004. 159 S., geb., 16,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Seinen eigenen Kindheitsroman zu schreiben, ist zur Zeit en vogue, stellt Martin Halter fest und grenzt Arnold Thünkers autobiografisches Romandebüt von jeder "gemütlichen Variante der archivierenden Popliteratur" ab. Zwar habe Thünker einen Pubertätsroman verfasst, der sei jedoch keinesfalls mit netten Playmobilfiguren, Erinnerungen an Schokoriegel und Fernsehserien ausgestattet. Thünkers Kindheit war die Hölle, stellt Halter klar, und wo die Hölle war, konnte kein Paradies sein, aus dem man vertrieben wurde. Thünker, heute Verleger, stammt aus einem kleinen Dorf in der Eifel, der Vater, ein Alkoholiker, betrieb eine Dorfkneipe, die Mutter verstarb früh, die großen Geschwister verdrückten sich, so dass der sich überlassene Junge mehr oder weniger allein die Kneipe schmiss, berichtet Halter. Thünker schildere seine Geschichte völlig unsentimental, in kurzen lapidaren Sätzen, die viel wegließen und nichts verklärten. Die Wut des ausgebeuteten einsamen Kindes ist noch nicht genügend verraucht, stellt Halter mit Hochachtung vor diesem literarischen Selbstversuch fest, um sie in einem klassischen Entwicklungsroman versöhnen oder entsorgen zu können.

© Perlentaucher Medien GmbH