Keith Jarrett ist einer der einflussreichsten Musiker des 20. Jahrhunderts, ein Jazzvisionär und glänzender Interpret der Klassik, ein Meister der Improvisation - sein legendäres «Köln Concert» von 1975 ist bis heute die meistverkaufte Soloplatte des Jazz überhaupt. Wolfgang Sandner kennt Keith Jarrett, über dessen Leben bislang nur wenig bekannt ist, seit vielen Jahren, war Gast in Jarretts Haus und hat in langen, intensiven Gesprächen den Menschen hinter der Musik erlebt. Nun erzählt er die Biographie des Künstlers: von Jarretts Kindheit, in der er als Wunderkind die Bühne betrat, über seine Selbstfindung im Spiel mit Größen wie Art Blakey, Charles Lloyd oder Miles Davis bis zu seinen gefeierten Interpretationen der Werke Bachs, Mozarts oder Schostakowitschs. Sandner zeigt, was Jarrett und seine Musik prägte, erzählt aber auch von Schicksalsschlägen - wie jenem chronischen Erschöpfungssyndrom, das Jarrett für Jahre verstummen ließ, bevor er sich Ende der Neunziger triumphalzurückmeldete. Das Porträt eines der größten Pianisten der Gegenwart, erzählt von einem der wenigen, die Jarrett nahekommen konnten - und zugleich eine Musikgeschichte der letzten fünfzig Jahre, voller Momente magischer Intensität, in denen sich die treibende Kraft der Musik offenbart.
Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
1975 schied Keith Jarretts "Köln Concert" die Geister, erinnert sich Rezensent Josef Engels. Entweder man verehrte man den Jazzpianisten oder verhöhnte ihn: Wiglaf Droste dichtete zum Beispiel dazumal "Junge Menschen wurden greise / wenn Keith Jarrett klimperte / auf dem Flokati litt ganz leise / wer vorher fröhlich pimperte.", zitiert der Rezensent. Unumstritten hat der Pianist "Spuren in der Pop- und Spottkultur" hinterlassen, was es zu einer Merkwürdigkeit macht, dass jetzt erst, pünktlich zum vierzigsten Jahrestag des Kölner Konzertes, eine deutsche Biografie Jarretts erscheint, so Engels. Geschrieben habe das schöne Buch der Musikwissenschaftler Wolfgang Sandner, der sich bis zu einem bösen Streit einen Freund des Pianisten nennen konnte, aber noch immer fair und fachbewandert dessen Musik analysiert und Relevantes aus dem Leben Jarretts berichtet, fasst der Rezensent zusammen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.03.2015Da paddelt das Klavier, da blitzt das Becken
Das war überfällig: Wolfgang Sandner erzählt vom Leben des Keith Jarrett und vergegenwärtigt in schönen, ausschweifenden Formulierungen dessen Musik
Keith Jarrett ist ein kleiner Mensch. Wenn er vor einem Konzertflügel steht, gar noch bei geöffnetem Deckel, entsteht ein beinahe groteskes Missverhältnis zwischen dem Mann und dem Ding: „Im Jazz stieß das Klavier stets an Grenzen“, erklärt der Musikkritiker Wolfgang Sandner in seiner Biografie des schon seit vielen Jahren berühmtesten aller Pianisten in diesem Genre. „Es war immer zu weit vom Körper des Spielers entfernt, zu neutral, es blieb . . . buchstäblich unantastbar . . . Wer sich fragt, warum es Keith Jarrett, wenn er Jazz spielt, nicht auf seinem Klavierstuhl aushält, er sich wie ein Berserker aufführt, die Arme förmlich in das Klavier hineinschraubt und die Tasten biegt, dass einem angst und bange um den Flügel werden kann, findet hier die Erklärung: Er will den unnahbaren Instrument zu Leibe rücken.“
Die Passage ist kennzeichnend für das ganze Buch: Es soll viel mehr als eine Lebensgeschichte sein. Wolfgang Sandner will diesen Musiker erklären, so gut es eben geht.
Der Versuch stößt auf eine doppelte Schwierigkeit. Die eine liegt in Keith Jarrett begründet. Er ist bekanntermaßen schweigsam, ungesellig und nachtragend. Der Biograf macht keinen Hehl daraus, dass er seinen Helden auch in diesen Eigenschaften kennenlernen durfte. Die andere Schwierigkeit hat mit dem Jazz zu tun: Musik ist ohnehin eine sprach- und bildlose Kunst, sie verlangt, wenn sie sinnfällig (im buchstäblichen Sinne) dargestellt werden soll, ein hohes Maß an literarischen Fähigkeiten. Das gilt, mehr noch als für die klassische Musik (die ja schon seit Langem Gegenstand der theoretischen Vermittlung ist) und mehr auch noch als für die populäre Musik (die sich ja meistens in einer Nachbarschaft zur Mode befindet) für den Jazz. Denn der Jazz lebt vom Timbre und von der Phrasierung, von der Klangfarbe und von den Zwischentönen, von lauter Dingen, die sich nicht fixieren und anders als durch Beispiele kaum vermitteln lassen – was zur Folge hat, dass die Jazzkritik allzu oft die Beschreibung der Musik durch die Nennung des Musikers ersetzt.
Wolfgang Sandners Buch ist ganz anders. Es erzählt selbstverständlich von den wichtigen Dingen im Leben: von der Familie, von der Laufbahn, von der Bildung an eine Kleinstadt in New Jersey, von den Ehen, vom Hass auf Blitzlichter bei Konzerten und von den Rückenschmerzen und Marotten eines großen Künstlers. Vor allem aber ist es musikalisch, mit poetischen Mitteln: Da knurrt das Saxofon, da paddelt das Klavier, und das Becken blitzt auf eine Weise, dass man nach der Lektüre ein Stück identifizieren könnte, ohne es je gehört zu haben. Das Werk ist nach den Maßstäben großer Biografien nicht dick, und trotzdem wird Keith Jarretts gesamtes
Œuvre dargestellt, in den wichtigen Ensembles, angefangen bei seinem ersten Engagement bis hin zum lange bestehenden und erst kürzlich aufgelösten „Trio“, in den großen Solo-Improvisationen, in den Exkursen in die klassische Musik.
Immer wieder ist es ein Element des Spiels, das Wolfgang Sandner heraushebt, um an ihm das Besondere eines Stückes zu erklären: Das sind nicht nur die bekannten Elemente wie das Riff in der linken Hand, die pianistische Verneigung vor den Gospel-Gesängen oder eine kleine Melodie wie bei Bill Evans, sondern da geht es kreuz und quer durch die Musikgeschichte, von einem „mächtigen Klavierton“, wie man ihn sonst nur bei Prokofjew findet, bis zu „den rustikalen Bands in einem ländlichen England“, die Charles Ives hatte aufmarschieren lassen. Und es sind schöne, ja sogar ausschweifende Formulierungen dabei. So lobt Wolfgang Sandner etwa eine Einspielung des „Trios“ mit dem Schlagzeuger Jack DeJohnette und dem Bassisten Gary Peacock der Nähe zum Bebop wegen: Sie wirke bisweilen so, als habe Keith Jarrett „aus dem Misterioso-Becher des Druiden Thelonious Monk getrunken, können nunmehr jegliche Klaviertastatur auseinandersprengen und die Klänge eines darin verborgenen Vierteltonsystems zum Vorschein bringen. Dann wieder . . . schlüpft Jarrett in die Rolle eines unbeschwerten Kindes, dem die glitzernden Sterntaler der Volksmusik einfach so in den Schoß fallen.“ Die Sprache des Biografen hat sich, so scheint es, den Stilen des Pianisten angepasst. Manchmal ist sie so knapp und spröde wie das Spiel in „The Melody at Night, with You“ (1998), manchmal rauscht sie in Kaskaden davon.
Schon einmal war Keith Jarrett eine Biografie gewidmet worden, im Jahr 1992, von Ian Carr, einem britischen Trompeter und Kritiker. Damals war der Pianist nicht einmal fünfzig Jahre alt gewesen, war noch nicht jahrelang verstummt, einer seltenen Krankheit wegen, und dann wieder aufgetaucht, und das Spielen der „standards“ aus dem amerikanischen Gesangbuch hatte noch nicht die Bedeutung für das Werk angenommen, das es nun schon auch viele Jahre hat. Eine neue Biografie, zumal eine mit solchen Vorzügen, war jetzt, kurz vor Keith Jarretts siebzigstem Geburtstag, mehr als überfällig.
Wobei dieses Buch, eben weil es nun auf ein Œuvre zurückblickt, das sich gerundet hat, noch eine andere Qualität hat, die vor zwanzig oder dreißig Jahre gar nicht hätte erreicht werden können. Sie liegt in der Musik begründet, ist aber auch eine Angelegenheit des Begriffs: Denn der Jazz ist heute eine andere Musik, als er es noch in den Achtzigern war. Die meisten interessanten Dinge, die danach in diesem Idiom entstanden, kamen von den Rändern, aus der Begegnung mit der Neuen Musik zum Beispiel. Daran aber, dass es diese Entwicklung gab, hat Keith Jarrett einen großen Anteil.
THOMAS STEINFELD
Wolfgang Sandner: Keith Jarrett. Eine Biographie. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2015. 364 Seiten, 22,95 Euro. E-Book 19,99 Euro.
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Das war überfällig: Wolfgang Sandner erzählt vom Leben des Keith Jarrett und vergegenwärtigt in schönen, ausschweifenden Formulierungen dessen Musik
Keith Jarrett ist ein kleiner Mensch. Wenn er vor einem Konzertflügel steht, gar noch bei geöffnetem Deckel, entsteht ein beinahe groteskes Missverhältnis zwischen dem Mann und dem Ding: „Im Jazz stieß das Klavier stets an Grenzen“, erklärt der Musikkritiker Wolfgang Sandner in seiner Biografie des schon seit vielen Jahren berühmtesten aller Pianisten in diesem Genre. „Es war immer zu weit vom Körper des Spielers entfernt, zu neutral, es blieb . . . buchstäblich unantastbar . . . Wer sich fragt, warum es Keith Jarrett, wenn er Jazz spielt, nicht auf seinem Klavierstuhl aushält, er sich wie ein Berserker aufführt, die Arme förmlich in das Klavier hineinschraubt und die Tasten biegt, dass einem angst und bange um den Flügel werden kann, findet hier die Erklärung: Er will den unnahbaren Instrument zu Leibe rücken.“
Die Passage ist kennzeichnend für das ganze Buch: Es soll viel mehr als eine Lebensgeschichte sein. Wolfgang Sandner will diesen Musiker erklären, so gut es eben geht.
Der Versuch stößt auf eine doppelte Schwierigkeit. Die eine liegt in Keith Jarrett begründet. Er ist bekanntermaßen schweigsam, ungesellig und nachtragend. Der Biograf macht keinen Hehl daraus, dass er seinen Helden auch in diesen Eigenschaften kennenlernen durfte. Die andere Schwierigkeit hat mit dem Jazz zu tun: Musik ist ohnehin eine sprach- und bildlose Kunst, sie verlangt, wenn sie sinnfällig (im buchstäblichen Sinne) dargestellt werden soll, ein hohes Maß an literarischen Fähigkeiten. Das gilt, mehr noch als für die klassische Musik (die ja schon seit Langem Gegenstand der theoretischen Vermittlung ist) und mehr auch noch als für die populäre Musik (die sich ja meistens in einer Nachbarschaft zur Mode befindet) für den Jazz. Denn der Jazz lebt vom Timbre und von der Phrasierung, von der Klangfarbe und von den Zwischentönen, von lauter Dingen, die sich nicht fixieren und anders als durch Beispiele kaum vermitteln lassen – was zur Folge hat, dass die Jazzkritik allzu oft die Beschreibung der Musik durch die Nennung des Musikers ersetzt.
Wolfgang Sandners Buch ist ganz anders. Es erzählt selbstverständlich von den wichtigen Dingen im Leben: von der Familie, von der Laufbahn, von der Bildung an eine Kleinstadt in New Jersey, von den Ehen, vom Hass auf Blitzlichter bei Konzerten und von den Rückenschmerzen und Marotten eines großen Künstlers. Vor allem aber ist es musikalisch, mit poetischen Mitteln: Da knurrt das Saxofon, da paddelt das Klavier, und das Becken blitzt auf eine Weise, dass man nach der Lektüre ein Stück identifizieren könnte, ohne es je gehört zu haben. Das Werk ist nach den Maßstäben großer Biografien nicht dick, und trotzdem wird Keith Jarretts gesamtes
Œuvre dargestellt, in den wichtigen Ensembles, angefangen bei seinem ersten Engagement bis hin zum lange bestehenden und erst kürzlich aufgelösten „Trio“, in den großen Solo-Improvisationen, in den Exkursen in die klassische Musik.
Immer wieder ist es ein Element des Spiels, das Wolfgang Sandner heraushebt, um an ihm das Besondere eines Stückes zu erklären: Das sind nicht nur die bekannten Elemente wie das Riff in der linken Hand, die pianistische Verneigung vor den Gospel-Gesängen oder eine kleine Melodie wie bei Bill Evans, sondern da geht es kreuz und quer durch die Musikgeschichte, von einem „mächtigen Klavierton“, wie man ihn sonst nur bei Prokofjew findet, bis zu „den rustikalen Bands in einem ländlichen England“, die Charles Ives hatte aufmarschieren lassen. Und es sind schöne, ja sogar ausschweifende Formulierungen dabei. So lobt Wolfgang Sandner etwa eine Einspielung des „Trios“ mit dem Schlagzeuger Jack DeJohnette und dem Bassisten Gary Peacock der Nähe zum Bebop wegen: Sie wirke bisweilen so, als habe Keith Jarrett „aus dem Misterioso-Becher des Druiden Thelonious Monk getrunken, können nunmehr jegliche Klaviertastatur auseinandersprengen und die Klänge eines darin verborgenen Vierteltonsystems zum Vorschein bringen. Dann wieder . . . schlüpft Jarrett in die Rolle eines unbeschwerten Kindes, dem die glitzernden Sterntaler der Volksmusik einfach so in den Schoß fallen.“ Die Sprache des Biografen hat sich, so scheint es, den Stilen des Pianisten angepasst. Manchmal ist sie so knapp und spröde wie das Spiel in „The Melody at Night, with You“ (1998), manchmal rauscht sie in Kaskaden davon.
Schon einmal war Keith Jarrett eine Biografie gewidmet worden, im Jahr 1992, von Ian Carr, einem britischen Trompeter und Kritiker. Damals war der Pianist nicht einmal fünfzig Jahre alt gewesen, war noch nicht jahrelang verstummt, einer seltenen Krankheit wegen, und dann wieder aufgetaucht, und das Spielen der „standards“ aus dem amerikanischen Gesangbuch hatte noch nicht die Bedeutung für das Werk angenommen, das es nun schon auch viele Jahre hat. Eine neue Biografie, zumal eine mit solchen Vorzügen, war jetzt, kurz vor Keith Jarretts siebzigstem Geburtstag, mehr als überfällig.
Wobei dieses Buch, eben weil es nun auf ein Œuvre zurückblickt, das sich gerundet hat, noch eine andere Qualität hat, die vor zwanzig oder dreißig Jahre gar nicht hätte erreicht werden können. Sie liegt in der Musik begründet, ist aber auch eine Angelegenheit des Begriffs: Denn der Jazz ist heute eine andere Musik, als er es noch in den Achtzigern war. Die meisten interessanten Dinge, die danach in diesem Idiom entstanden, kamen von den Rändern, aus der Begegnung mit der Neuen Musik zum Beispiel. Daran aber, dass es diese Entwicklung gab, hat Keith Jarrett einen großen Anteil.
THOMAS STEINFELD
Wolfgang Sandner: Keith Jarrett. Eine Biographie. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2015. 364 Seiten, 22,95 Euro. E-Book 19,99 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.03.2015WOLFGANG SANDNER, langjähriger Redakteur im Feuilleton dieser Zeitung, hat ein Buch über Keith Jarrett geschrieben, einen der einflussreichsten Pianisten der Gegenwart, der im Mai siebzig wird. Jarrett war Mitglied der Bands von Charles Lloyd und Miles Davis, bevor er mit seinen Solo-Improvisationen zu Weltruhm gelangte. Sein "Köln Concert" ist mit vier Millionen Exemplaren die erfolgreichste Solo-Aufnahme der Jazzgeschichte. Große Aufmerksamkeit erlangten in späteren Jahren seine Bach-, Händel- und Schostakowitsch-Einspielungen. Jarrett gilt als schwierig und unnahbar, brach öfter schon Konzerte wegen des unruhigen Publikums oder ihn störender Fotografen ab. Sandner war Gast in Jarretts Haus in Oxford, New Jersey, und räumt in seinem Buch auch mit einigen Legenden auf, so mit Jarretts angeblicher Abstammung von ungarischen Roma. (Wolfgang Sandner: "Keith Jarrett". Eine Biographie. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2015. 368 S., geb., 22,95 [Euro].)
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