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Pizzeria Kamikaze: Gibt es ein Leben nach dem Selbstmord? Wenn man sich umgebracht hat, kann das Dasein ganz schön langweilig werden. Diese Erkenntnis teilt Chaim mit seinen neuen Bekannten, aber keinem fällt etwas ein, das man dagegen tun kann. Sogar ihr Interesse für Frauen hat nachgelassen, dafür wächst die Ungeduld. Da lädt Rafael Kneller sie in sein Haus ein und macht ein sensationelles Angebot. Der Busfahrer, der Gott sein wollte: Kurze, drastische, schräge, doppelbödige Geschichten über Randexistenzen, Misserfolge, Liebeskummer, Araber, Rassismus, Pubertät, Militär - auch in seinem…mehr

Produktbeschreibung
Pizzeria Kamikaze:
Gibt es ein Leben nach dem Selbstmord?
Wenn man sich umgebracht hat, kann das Dasein ganz schön langweilig werden. Diese Erkenntnis teilt Chaim mit seinen neuen Bekannten, aber keinem fällt etwas ein, das man dagegen tun kann. Sogar ihr Interesse für Frauen hat nachgelassen, dafür wächst die Ungeduld. Da lädt Rafael Kneller sie in sein Haus ein und macht ein sensationelles Angebot.
Der Busfahrer, der Gott sein wollte:
Kurze, drastische, schräge, doppelbödige Geschichten über Randexistenzen, Misserfolge, Liebeskummer, Araber, Rassismus, Pubertät, Militär - auch in seinem neuen Erzählband macht der israelische Autor Etgar Keret keine Zugeständnisse an die Political Correctness.
Autorenporträt
Etgar Keret, geb. 1967 in Tel Aviv, ist der bedeutendste Schriftsteller Israels seiner Generation. Er schreibt Kurzgeschichten, Graphic Novels und Drehbücher. Sein erster Film 'Jellyfish' wurde 2007 auf den Filmfestspielen in Cannes als bestes Debüt ausgezeichnet. Keret lebt mit seiner Frau und seinem Sohn in Tel Aviv.Barbara Linner, geb. 1955 in München, studierte Judaistik, Orientalistik und südosteuropäische Geschichte. Sie ist als Übersetzerin tätig.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.07.2001

Im Bus des Herrn ins Unglück und zurück
In seinen Erzählungen stellt Etgar Keret die Theodizee auf den Kopf · Von Jakob Hessing

Der vierunddreißigjährige Etgar Keret darf als ein Sprecher der jungen israelischen Generation gelten, die den traditionellen Fragen ihrer Nationalliteratur keinen Respekt mehr zollt. Wie fast alle Autoren in diesem komplizierten Land weiß auch er um die Fragwürdigkeit der zionistischen Identität, die von der offiziellen Rhetorik behauptet wird. Aber sie quält ihn nicht mehr - sie ist nur der Stoff, aus dem er die Träume und die Wirklichkeiten seiner Texte macht.

Schon in seinem Vokabular ist er so etwas wie ein Dissident. Kerets Dialoge setzen der Schriftsprache des Landes den Alltagsjargon der Figuren entgegen; deutsche Leser konnten ihn bereits in früheren Übersetzungen kennenlernen. Der neue Band enthält Erzählungen aus mehreren Sammlungen, die in den neunziger Jahren erschienen sind. Die Auswahl ist gut getroffen, und erfolgreich löst Barbara Linner die schwierige Aufgabe der Übersetzung. Fast immer findet sie jenen genauen Ton, von dem die Wirkung der Szenen abhängt.

Es sind Szenen im wörtlichen Sinn. Keret ist Autor und Filmemacher, gemeinsam mit jungen israelischen Cartoonisten schreibt er auch Comics. Die Bildlichkeit ist ein Teil seiner Prosa. "Vom Jeep des Grenzschutzes aus", heißt es in einem der Texte, "schien Gaza wie eine Geisterstadt. Sie waren zu viert im Wagen. Sansuri fuhr, und außer Stein war auch der schwitzende Schwarze dabei und noch ein Rothaariger. Der Rothaarige zog einen Bubblegum aus der Tasche seiner Kampfmontur, steckte ihn in den Mund und spuckte das Papier aus." Keret spricht in Farben, und die Verben, die er verwendet, lassen eine Drohung sichtbar werden, bereiten die Fortsetzung vor - die grausame Bestrafung eines Arabers, der den Soldaten nichts getan hat. "Kein Mensch" heißt die Geschichte - ein doppeldeutiger Titel, der vielleicht den Araber meint, wie die Israelis ihn sehen, oder diese Einheit des israelischen Grenzschutzes in den Augen des Erzählers.

Wo Kerets Sprache nur realistisch ist, bildet sie zumeist Situationen ab, in denen Menschen hoffnungslos gefangen sind. Und selbst dort, wo vom Glück der Kindheit die Rede ist, von der verstorbenen Mutter, die den Erzähler singend zu Bett bringt, steht die Erinnerung in einer harten Gegenwart. "Ich weiß nicht", heißt es, "wonach wir uns mehr sehnen, nach dem Lied oder nach der Mutter. Doch ich weiß, daß wir alle seitdem versuchen, die Zeit einzuschläfern. Der einzige, dem das gelang, für immer, war mein ältester Bruder, Jakov. Vor zwei Jahren wurde er bei einem Streit am Platz der Uhr erstochen." Der Platz der Uhr ist ein bekannter Ort in Jaffa, der jüdisch-arabischen Stadt, und der Tod des Bruders ist ein Teil der Wirklichkeit, von der Etgar Keret erzählt.

In seinem Realismus läßt er sich nicht täuschen, und auch dort, wo Keret von der Sehnsucht nach der Mutter spricht, beschönigt er nichts. Diese Unbestechlichkeit des Blicks geht allen phantastischen Elementen voraus, mit denen er seine Prosa durchsetzt; ein Beispiel dafür ist die Geschichte "Für nur 19,99 Schekel (inklusive Mehrwertsteuer und Versandkosten)". Nachum, schon achtundzwanzig, aber noch recht naiv, hat die Annonce in der Zeitung entdeckt. Für den angegebenen Preis wird ein Buch angeboten, das den Sinn des Lebens erklären soll. Nachum bestellt es, obwohl sein Vater darüber in Rage gerät. Nach der Lektüre sieht er die Welt in einem neuen Licht, steht nun aber vor dem Problem, daß die Mitmenschen sich seiner Erleuchtung nicht fügen. Da kommt ihm eine weitere Anzeige zu Hilfe: Zu den schon bekannten Bedingungen wird ein Buch angeboten, das "den unzugänglichsten Menschen in einen aufmerksamen Zuhörer verwandelt". Er bestellt es und wird prompt von den Orthodoxen verdächtigt, ein falscher Messias zu sein. Daraufhin bestellt er ein Buch, das ihn lehrt, seine Feinde in Freunde zu verwandeln, und so weiter.

Keret spaltet seinen Text in eine reale und eine phantastische Erzählung; abwechselnd läßt er dem Traum und der Wirklichkeit den Vortritt. Am Schluß bleibt nur noch das Problem der Sterblichkeit, aber auch da bietet die Zeitung Abhilfe. Sie preist eine Farbbroschüre an, die den Weg zum ewigen Leben weisen soll. Die kostet allerdings mehr als das Doppelte, 39,99 Schekel nämlich, und das letzte Wort hat Nachums Vater: "Hast du das gesehen?" fragt er. "Ein kleines bißchen Erfolg, und schon schießen die Preise in den Himmel."

Kerets Texte lassen sich als Versuchsanordnungen lesen, die die Wirklichkeit und die Phantasie in ein wechselndes Verhältnis zueinander setzen. Am besten gelingt ihm das in Erzählungen, in denen sich beide Elemente die Waage halten. Eine von ihnen ist die Titelgeschichte des Bandes. Sie erzählt von einem Busfahrer, der einmal Gott sein wollte und Prinzipien hat: Wer zu spät kommt, wird nicht eingelassen. "Dieser Fahrer wollte für niemanden die Tür aufmachen. Nicht für die verklemmten Gymnasiasten, die parallel zum Bus mitliefen und ihn traurig anstarrten, ganz sicher nicht für gereizte Leute in Parkas, die heftig an die Bustür klopften, nicht einmal für alte Frauen mit braunen, mit Lebensmitteln vollgestopften Packpapiertüten, die ihm mit zittriger Hand nachwinkten." Das tut er nicht aus Bösartigkeit, sondern aus sozialer Gerechtigkeit: "Mal angenommen, die Verzögerung dauert eine knappe halbe Minute und der Mensch, der draußen bleibt, versäumt deswegen eine Viertelstunde seines Lebens. Dennoch ist es gerecht, ihm die Tür nicht aufzumachen, denn diese halbe Minute verliert ja jeder Fahrgast im Autobus. Mal angenommen, im Autobus sind sechzig Leute, die niemandem etwas getan haben und rechtzeitig an ihrer Haltestelle eingetroffen sind, dann verlieren sie zusammengerechnet eine halbe Stunde, was das Doppelte von einer Viertelstunde ist."

Einmal aber verzichtet der Busfahrer auf diese Hochrechnung und läßt Gnade vor Recht ergehen. Edi, ein dicker, unglücklicher Mensch, der noch nie mit einer Frau ausgegangen ist, hat endlich eine Verabredung. Auch er kommt zu spät zur Haltestelle, aber in seiner Verzweiflung kniet er auf der Straße nieder, und der Busfahrer erinnert sich an seinen alten Kindheitswunsch, daß er einmal Gott sein wollte: Er läßt Edi einsteigen.

Die Sache ist nur leider die, daß besagte Dame in Wirklichkeit gar kein Interesse an Edi hat und daher auch nicht zum Rendezvous erscheint. Vergeblich wartet er zwei Stunden am verabredeten Ort, dann schleppt er sich mit letzter Kraft nach Hause - und just in diesem Augenblick, nun schon auf seinem Rückweg, sieht unser Fahrer, wie er sich der Haltestelle nähert. "Trotz des ganzen zornigen Gemurmels", beendet Keret seine Geschichte, "trotz des lautstarken Drängens der Fahrgäste wartete er darauf, daß Edi einstieg, und berührte das Gaspedal nicht eher, als bis er einen Sitzplatz gefunden hatte. Und als sie anfuhren, warf er Edi ein trauriges Zwinkern im Spiegel zu."

Die Theodizee, das probate Wundermittel gegen die jüdische Misere, ist auf den Kopf gestellt: Eigenhändig fährt der liebe Gott sein Opfer ins Unglück und wieder zurück. Die Zahl der Leser, die diesen bitteren Humor goutieren, wächst beständig. Etgar Kerets Prosa steht nicht nur auf den Bestsellerlisten Israels, sie hat ihren Autor auch zur Kultfigur einer ganzen Generation gemacht.

Etgar Keret: "Der Busfahrer, der Gott sein wollte". Erzählungen. Aus dem Hebräischen übersetzt von Barbara Linner. Luchterhand Literaturverlag, München 2001. 219 S., geb., 34,- DM.

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