Jemand musste David Altenstetter verleumdet haben. Statt in die Kirche, so hieß es, gehe er des Nachts zu geheimen Konventen in den Wäldern außerhalb der Stadt. Die Obrigkeit schickt ihre Schergen aus, um den berühmten Goldschmied in Ketten zu legen. Altenstetter weiß: Wer der Ketzerei überführt wird, muss brennen. Es beginnt ein Verhör auf Leben und Tod ...
Augsburg im späten 16. Jahrhundert war der Ort eines prekären Gleichgewichts. Nicht nur haderten die beiden großen Konfessionen miteinander um die Deutung der menschlichen Existenz und die weltliche Macht. Die Menschen waren auch hin- und hergerissen zwischen christlichen und magischen Vorstellungen. Geister, Werwölfe und Untote bevölkerten die Traumlandschaften der Zeitgenossen, Pest und Türkengefahr nährten Phantasien vom drohenden Weltende. Bernd Roeck macht sich auf die Spurensuche jener schillernd sinistren Welt der Frühen Neuzeit. Indem er Stück für Stück die Biographie des brillanten Goldschmieds David Altenstetter rekonstruiert, macht er das Leben in einer deutschen Stadt mit allen Sinnen erfahrbar und führt in die längst verdrängte spirituelle Geschichte des 16. Jahrhunderts ein. Roecks Buch ist nicht weniger als eine glänzend erzählte archäologische Reise ins Unbewusste der europäischen Kultur.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Augsburg im späten 16. Jahrhundert war der Ort eines prekären Gleichgewichts. Nicht nur haderten die beiden großen Konfessionen miteinander um die Deutung der menschlichen Existenz und die weltliche Macht. Die Menschen waren auch hin- und hergerissen zwischen christlichen und magischen Vorstellungen. Geister, Werwölfe und Untote bevölkerten die Traumlandschaften der Zeitgenossen, Pest und Türkengefahr nährten Phantasien vom drohenden Weltende. Bernd Roeck macht sich auf die Spurensuche jener schillernd sinistren Welt der Frühen Neuzeit. Indem er Stück für Stück die Biographie des brillanten Goldschmieds David Altenstetter rekonstruiert, macht er das Leben in einer deutschen Stadt mit allen Sinnen erfahrbar und führt in die längst verdrängte spirituelle Geschichte des 16. Jahrhunderts ein. Roecks Buch ist nicht weniger als eine glänzend erzählte archäologische Reise ins Unbewusste der europäischen Kultur.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.03.2010Der Historiker als Nekromant
Drehbuch für einen Historienfilm: Bernd Roeck lässt sich für seine Geschichte des Goldschmieds David Altenstetter vom Engel der Geschichte zuwinken und flicht gewandt seine Indizienketten.
In einer seiner späten Schriften sinnierte Aby Warburg über die frühen Gehversuche des modernen Wissenschaftlers "im Zeitalter des Faust". Zuerst skizzierte er ihn nach bewährtem Muster als eine Zwei-Seelen-Figur, die zwischen Magie und Mathematik hin und her geschwankt sei. Dann erging er sich gleich kühn ins Allgemeine: "Athen will eben immer wieder neu aus Alexandrien zurückerobert sein."
In diesem Satz sieht der an der Universität Zürich lehrende Historiker Bernd Roeck eine Anspielung "auf den langen, von unzähligen Niederlagen geprägten Kampf des ,guten Europäers' um Aufklärung und Vernunft". Roeck widmet sein jüngstes Buch einer Figur, die er als frühes Exemplar dieser Spezies versteht. Es ist der Augsburger Goldschmied und religiöse Freigeist David Altenstetter, der in den Jahrzehnten vor dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges gelebt hat.
In der Geschichte tritt aber nicht nur der Held, sondern auch der Autor als Athener auf. Allerdings erscheint er als einer, der die Alexandriner mit ihren eigenen Waffen schlagen will. Roeck inszeniert sich als aufklärerischer Geistesbeschwörer. Mit dem wissenschaftlichen Gepäck des Historikers tritt er eine Zeitreise an. Er steigt ins Archiv, wo er sich über den "Ausdünstungen von altem Papier und Staub" in einen "Totenbeschwörer, einen Nekromanten", verwandelt und das "Aroma" einsaugt, "das der ,Engel der Geschichte' aus grauer Vorzeit in die Gegenwart wehen lässt".
Dank dieser Methode macht er Bekanntschaft mit einem Bürger seiner Heimatstadt, der am Anfang des konfessionellen Winters steht und der ihm zugleich als Vorbote eines säkularen Frühlings erscheint. Entstanden aus dieser Begegnung ist ein interessantes Mischgenre, ein Stück historiographischer Fiktion, mit dem sich jeder Junghistoriker um Kopf und Kragen bringen würde, das für einen gestandenen Wissenschaftler von Roecks Statur aber ein amüsantes und provokantes Experiment darstellen mag.
Obwohl Roeck betont, dass von keinem Goldschmied des 16. Jahrhunderts, ausgenommen Benvenuto Cellini, so viel an archivalischem und künstlerischem Material überliefert sei, ist aus den Quellen kaum etwas Gesichertes über das Denken, Leben und Wirken Altenstetters herauszuziehen. Der Autor braucht schon deshalb viel historiographischen Erfindergeist, um seinem Helden Leben einzuhauchen.
Altenstetter wurde Mitte des 16. Jahrhunderts in Colmar geboren, als Goldschmied trat er aber erst nach seiner Übersiedlung nach Augsburg in Erscheinung, wo er eine vermögende Bürgerstochter heiratete und bald zu größeren Aufträgen kam. Was ihn als historische Gestalt aber richtig interessant macht, war ein langes Wochenende im Dezember 1598, das er zusammen mit zwei befreundeten Handwerkern im Gefängnis unter dem Alten Rathaus verbrachte. Von diesem Wochenende sind Verhörprotokolle überliefert. In ihnen werden den Verdächtigen geheime sonntägliche Treffen und regelmäßiges Schwänzen der kirchlichen Gottesdienste zur Last gelegt. Sie enthalten zudem ein paar Antworten der Inhaftierten, die in der Tat bemerkenswert sind.
Auf die Frage, welcher Konfession sie angehörten, bestritten die Handwerker zwar vehement, Täufer zu sein, drückten sich aber um ein Bekenntnis zu einem der beiden offiziell anerkannten Glaubensbekenntnisse. Während der Kürschner Martin Küenle geradeheraus erzählte, der "Schwenckfeldische Glauben" gefalle ihm am besten, gab Altenstetter vorsichtig an, er sei "der Religion halben bisher frei" gewesen, habe Gottesdienste der Lutheraner und Katholiken besucht, sich aber noch für keine der beiden entscheiden können. Um seine Frömmigkeit zu unterstreichen, nannte er vier Bücher, die er "daheim zu Haus" gelesen habe: eine vorreformatorische deutsche Bibel, den verdeutschten Kommentar des Erasmus zum Neuen Testament sowie zwei Schriften spätmittelalterlicher Mystiker. Nach dem Eintreffen dreier Bittschriften und dem Verneinen geheimer Versammlungen kamen die Handwerker frei - und der ganze Spuk hatte offenbar ein Ende.
Aus diesen Verhörprotokollen, ergänzt um ein paar versprengte Quellen, gestaltet Roeck die Identität seines Goldschmieds. Das Resultat ist eine Biographie im Konjunktiv. Roeck vermutet, Altenstetter habe zu den verstreuten Anhängern des schlesischen Adeligen Caspar Schwenckfeld von Ossig (1490-1561) gehört, der eine von Riten, Dogmen und Bildern befreite, rein innerliche Religiosität gepredigt habe und dafür gemeinhin als "Spiritualist" verschrien worden sei. Die "Bibliothek" des Goldschmieds mit ihren zwei vorreformatorischen Mystikern und mit dem zu häuslicher Bibellektüre ermunternden Erasmus passt für Roeck ideal in dieses Bild.
Weiter mutmaßt der Autor, Altenstetter könnte "Chef eines Fuggerschen Alchemielabors" gewesen sein, welches die Augsburger "Tycoons" womöglich im Keller des von ihnen gestifteten Sanatoriums für Syphilis-Patienten eingerichtet hätten. Vielleicht habe der Kunsthandwerker auch eine Reise nach Prag unternommen, um am Hof Kaiser Rudolfs II. bei der Herstellung der habsburgischen Hauskrone mitzuwirken.
Vor allem aber bringt Roeck Altenstetters Goldschmiedekunst mit dem Spiritualismus der Schwenckfeldianer in Verbindung. Er deutet die Ornamentgrotesken auf den erhaltenen Email-Zierscheiben, Tischuhren und Pokalen als eine Inszenierung halb dämonischer, halb diesseitiger Zwitterwesen, die sich dem Kontrollzwang und Reinheitsgebot der Konfessionskirchen widersetzten - und letztlich an der Schaffung jenes "Denkraums" beteiligt waren, in dem Warburg seinen faustischen Wissenschaftler verortete. Roeck betont in diesem Zusammenhang auch, dass sich Altenstetter nicht mehr als bloßer Handwerker, sondern als origineller Künstler verstanden habe. Daher die Signaturen auf seinen Werken, daher der Drang zum Fürstenhof.
Roeck scheint es nicht darauf angelegt zu haben, mit seinen Indizienketten vor dem Gerichtshof der Historikerzunft einen Prozess zu führen. Vielmehr nutzt er den Mangel an Beweisen, um aus seinem gewaltigen Wissensschatz über die Augsburger Geschichte selbst eine Welt zu zimmern, die wenn nicht wirklich, so doch wahrhaftig erscheinen soll. Viele Passagen des Buches lesen sich wie ein Drehbuch für einen Historienfilm. In ihnen schildert Roeck ein von Dreck, Verwesungsgestank, Folter, Kälte und Dunkelheit geprägtes Stadtleben, aus dem sein "guter Europäer" umso heller hervorstrahlt.
Obwohl Roeck seiner Phantasie kaum Zurückhaltung auferlegt, hat er keinen historischen Roman geschrieben. Jedes archivalische Indiz ist sorgfältig aufgeführt, zwischen Verbürgtem und Vermutetem wird klar unterschieden. Fragt sich also nur, wie ernst sich Roeck selber als Geistesbeschwörer nimmt. Aus Zwischentiteln wie "Altenstetter, Duchamp, Beuys" möchte man herauslesen, dass hier einer mit zwinkerndem Auge am Schreibtisch saß.
Andere Stellen dagegen lassen auf einen höheren Wahrheitsanspruch schließen - und da kann es einem mitunter etwas unheimlich werden. Nachdem der Autor eindringlich geschildert hat, wie Altenstetter am Freitag, dem 4. Dezember 1598, seine erste Befragung durch die "Eisenherren" überstanden hat und im Verlies der kommenden Verhöre harrt, macht er einen Schnitt: "Draußen ist es längst dunkel geworden. Auf den Straßen und Gassen herrscht nun Stille, die längst verlorene Stille der frühneuzeitlichen Nacht. Es ist Neumond, der schwarze Himmel gehört allein den kalt und hell flimmernden Sternen." Und dann folgt - als Ausweis des wissenschaftlichen Anspruchs - die Anmerkung: "Zur spektakulären Wirkung frühneuzeitlicher Sterne: Olsen."
CASPAR HIRSCHI
Bernd Roeck: "Ketzer, Künstler und Dämonen". Die Welten des Goldschmieds David Altenstetter. Verlag C. H. Beck, München 2009. 288 S., Abb., geb., 24,90 [Euro].
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Drehbuch für einen Historienfilm: Bernd Roeck lässt sich für seine Geschichte des Goldschmieds David Altenstetter vom Engel der Geschichte zuwinken und flicht gewandt seine Indizienketten.
In einer seiner späten Schriften sinnierte Aby Warburg über die frühen Gehversuche des modernen Wissenschaftlers "im Zeitalter des Faust". Zuerst skizzierte er ihn nach bewährtem Muster als eine Zwei-Seelen-Figur, die zwischen Magie und Mathematik hin und her geschwankt sei. Dann erging er sich gleich kühn ins Allgemeine: "Athen will eben immer wieder neu aus Alexandrien zurückerobert sein."
In diesem Satz sieht der an der Universität Zürich lehrende Historiker Bernd Roeck eine Anspielung "auf den langen, von unzähligen Niederlagen geprägten Kampf des ,guten Europäers' um Aufklärung und Vernunft". Roeck widmet sein jüngstes Buch einer Figur, die er als frühes Exemplar dieser Spezies versteht. Es ist der Augsburger Goldschmied und religiöse Freigeist David Altenstetter, der in den Jahrzehnten vor dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges gelebt hat.
In der Geschichte tritt aber nicht nur der Held, sondern auch der Autor als Athener auf. Allerdings erscheint er als einer, der die Alexandriner mit ihren eigenen Waffen schlagen will. Roeck inszeniert sich als aufklärerischer Geistesbeschwörer. Mit dem wissenschaftlichen Gepäck des Historikers tritt er eine Zeitreise an. Er steigt ins Archiv, wo er sich über den "Ausdünstungen von altem Papier und Staub" in einen "Totenbeschwörer, einen Nekromanten", verwandelt und das "Aroma" einsaugt, "das der ,Engel der Geschichte' aus grauer Vorzeit in die Gegenwart wehen lässt".
Dank dieser Methode macht er Bekanntschaft mit einem Bürger seiner Heimatstadt, der am Anfang des konfessionellen Winters steht und der ihm zugleich als Vorbote eines säkularen Frühlings erscheint. Entstanden aus dieser Begegnung ist ein interessantes Mischgenre, ein Stück historiographischer Fiktion, mit dem sich jeder Junghistoriker um Kopf und Kragen bringen würde, das für einen gestandenen Wissenschaftler von Roecks Statur aber ein amüsantes und provokantes Experiment darstellen mag.
Obwohl Roeck betont, dass von keinem Goldschmied des 16. Jahrhunderts, ausgenommen Benvenuto Cellini, so viel an archivalischem und künstlerischem Material überliefert sei, ist aus den Quellen kaum etwas Gesichertes über das Denken, Leben und Wirken Altenstetters herauszuziehen. Der Autor braucht schon deshalb viel historiographischen Erfindergeist, um seinem Helden Leben einzuhauchen.
Altenstetter wurde Mitte des 16. Jahrhunderts in Colmar geboren, als Goldschmied trat er aber erst nach seiner Übersiedlung nach Augsburg in Erscheinung, wo er eine vermögende Bürgerstochter heiratete und bald zu größeren Aufträgen kam. Was ihn als historische Gestalt aber richtig interessant macht, war ein langes Wochenende im Dezember 1598, das er zusammen mit zwei befreundeten Handwerkern im Gefängnis unter dem Alten Rathaus verbrachte. Von diesem Wochenende sind Verhörprotokolle überliefert. In ihnen werden den Verdächtigen geheime sonntägliche Treffen und regelmäßiges Schwänzen der kirchlichen Gottesdienste zur Last gelegt. Sie enthalten zudem ein paar Antworten der Inhaftierten, die in der Tat bemerkenswert sind.
Auf die Frage, welcher Konfession sie angehörten, bestritten die Handwerker zwar vehement, Täufer zu sein, drückten sich aber um ein Bekenntnis zu einem der beiden offiziell anerkannten Glaubensbekenntnisse. Während der Kürschner Martin Küenle geradeheraus erzählte, der "Schwenckfeldische Glauben" gefalle ihm am besten, gab Altenstetter vorsichtig an, er sei "der Religion halben bisher frei" gewesen, habe Gottesdienste der Lutheraner und Katholiken besucht, sich aber noch für keine der beiden entscheiden können. Um seine Frömmigkeit zu unterstreichen, nannte er vier Bücher, die er "daheim zu Haus" gelesen habe: eine vorreformatorische deutsche Bibel, den verdeutschten Kommentar des Erasmus zum Neuen Testament sowie zwei Schriften spätmittelalterlicher Mystiker. Nach dem Eintreffen dreier Bittschriften und dem Verneinen geheimer Versammlungen kamen die Handwerker frei - und der ganze Spuk hatte offenbar ein Ende.
Aus diesen Verhörprotokollen, ergänzt um ein paar versprengte Quellen, gestaltet Roeck die Identität seines Goldschmieds. Das Resultat ist eine Biographie im Konjunktiv. Roeck vermutet, Altenstetter habe zu den verstreuten Anhängern des schlesischen Adeligen Caspar Schwenckfeld von Ossig (1490-1561) gehört, der eine von Riten, Dogmen und Bildern befreite, rein innerliche Religiosität gepredigt habe und dafür gemeinhin als "Spiritualist" verschrien worden sei. Die "Bibliothek" des Goldschmieds mit ihren zwei vorreformatorischen Mystikern und mit dem zu häuslicher Bibellektüre ermunternden Erasmus passt für Roeck ideal in dieses Bild.
Weiter mutmaßt der Autor, Altenstetter könnte "Chef eines Fuggerschen Alchemielabors" gewesen sein, welches die Augsburger "Tycoons" womöglich im Keller des von ihnen gestifteten Sanatoriums für Syphilis-Patienten eingerichtet hätten. Vielleicht habe der Kunsthandwerker auch eine Reise nach Prag unternommen, um am Hof Kaiser Rudolfs II. bei der Herstellung der habsburgischen Hauskrone mitzuwirken.
Vor allem aber bringt Roeck Altenstetters Goldschmiedekunst mit dem Spiritualismus der Schwenckfeldianer in Verbindung. Er deutet die Ornamentgrotesken auf den erhaltenen Email-Zierscheiben, Tischuhren und Pokalen als eine Inszenierung halb dämonischer, halb diesseitiger Zwitterwesen, die sich dem Kontrollzwang und Reinheitsgebot der Konfessionskirchen widersetzten - und letztlich an der Schaffung jenes "Denkraums" beteiligt waren, in dem Warburg seinen faustischen Wissenschaftler verortete. Roeck betont in diesem Zusammenhang auch, dass sich Altenstetter nicht mehr als bloßer Handwerker, sondern als origineller Künstler verstanden habe. Daher die Signaturen auf seinen Werken, daher der Drang zum Fürstenhof.
Roeck scheint es nicht darauf angelegt zu haben, mit seinen Indizienketten vor dem Gerichtshof der Historikerzunft einen Prozess zu führen. Vielmehr nutzt er den Mangel an Beweisen, um aus seinem gewaltigen Wissensschatz über die Augsburger Geschichte selbst eine Welt zu zimmern, die wenn nicht wirklich, so doch wahrhaftig erscheinen soll. Viele Passagen des Buches lesen sich wie ein Drehbuch für einen Historienfilm. In ihnen schildert Roeck ein von Dreck, Verwesungsgestank, Folter, Kälte und Dunkelheit geprägtes Stadtleben, aus dem sein "guter Europäer" umso heller hervorstrahlt.
Obwohl Roeck seiner Phantasie kaum Zurückhaltung auferlegt, hat er keinen historischen Roman geschrieben. Jedes archivalische Indiz ist sorgfältig aufgeführt, zwischen Verbürgtem und Vermutetem wird klar unterschieden. Fragt sich also nur, wie ernst sich Roeck selber als Geistesbeschwörer nimmt. Aus Zwischentiteln wie "Altenstetter, Duchamp, Beuys" möchte man herauslesen, dass hier einer mit zwinkerndem Auge am Schreibtisch saß.
Andere Stellen dagegen lassen auf einen höheren Wahrheitsanspruch schließen - und da kann es einem mitunter etwas unheimlich werden. Nachdem der Autor eindringlich geschildert hat, wie Altenstetter am Freitag, dem 4. Dezember 1598, seine erste Befragung durch die "Eisenherren" überstanden hat und im Verlies der kommenden Verhöre harrt, macht er einen Schnitt: "Draußen ist es längst dunkel geworden. Auf den Straßen und Gassen herrscht nun Stille, die längst verlorene Stille der frühneuzeitlichen Nacht. Es ist Neumond, der schwarze Himmel gehört allein den kalt und hell flimmernden Sternen." Und dann folgt - als Ausweis des wissenschaftlichen Anspruchs - die Anmerkung: "Zur spektakulären Wirkung frühneuzeitlicher Sterne: Olsen."
CASPAR HIRSCHI
Bernd Roeck: "Ketzer, Künstler und Dämonen". Die Welten des Goldschmieds David Altenstetter. Verlag C. H. Beck, München 2009. 288 S., Abb., geb., 24,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Caroline Schnyder hat sich fasziniert in Bernd Roecks Studie über den im 16. Jahrhundert tätigen Goldschmied David Altenstetter vertieft und viel über die profane und religiöse Welt des frühneuzeitlichen Augsburg erfahren. Der Historiker, ausgewiesener Renaissance-Kenner, hat aus Quellen wie Steuerbüchern, Protokollen von Verhören, die der Goldschmied wegen seiner ungeklärten Religionszugehörigkeit ertragen musste, oder Briefen geschöpft und lässt so eine Zeit lebendig werden, die vor allem von religiösen Auseinandersetzungen geprägt war, erklärt die Rezensentin. Dass sich Roeck dabei auf Spekulationen einlässt, wie es gewesen sein könnte, findet sie legitim und erhellend, und so gewinnen Zeit, Ort und Person Kontur und Farbe, wie sie lobt. Es würden viele anregende Fragen in diesem Buch aufgeworfen und zudem den so genannten "Schwenckfeldianern", einer reformierten Religionsbewegung, zu der auch Altenstetter Kontakt hatte, ein "kleines Denkmal" gesetzt, so Schnyder interessiert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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