Der Krieg in der Ukraine setzt neue Maßstäbe in der militärischen Auseinandersetzung. Smarte-Waffen, intelligente Raketenabwehrsysteme, tragbare und infrarotgelenkte Panzerabwehrlenkwaffen, Satelliteninformationen, Standorterkennungen der Handys von Soldaten oder Drohnen, entscheiden über Leben oder Tod, Sieg oder Niederlage. Der erfahrene Kriegsreporter und Rüstungsexperte Jay Tuck schreibt über seine persönlichen Erfahrungen in der Ukraine und seiner vorherigen Einsätze im Irak, er vergleicht die Funktion der jeweiligen Waffensysteme und Strategien und misst ihre Wirksamkeit an der brutalen Realität des Schlachtfeldes. Denn die Bilder, die wir sehen, spiegeln nicht, welche wichtige Rolle Information, Desinformation, digitale Infrastruktur, intelligente Waffensysteme, technologische Überlegenheit und Künstliche Intelligenz spielen und wie sehr sie den Ausgang des Krieges bestimmen werden. Jay Tuck ordnet genau das für uns ein.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Komplett glücklich wird Rezensent Ralph Rotte nicht mit Jay Tucks Buch über die Rolle von KI im Ukrainekrieg. Unter anderem kritisiert Rotte, dass der Journalist erst nach über der Hälfte des Buchs überhaupt auf KI zu sprechen kommt, davor behandelt er vielmehr die Entwicklung der Waffentechnik seit den Neunzigerjahren und kommt dabei auch auf eigene Kriegserfahrungen sowie das Persönlichkeitsprofil Wladimir Putins zu sprechen. Mit mehr Gewinn liest der Rezensent die Passagen, die tatsächlich KI-Waffensysteme thematisieren und zum Beispiel den Wert von Mustererkennung via Künstliche Intelligenz für militärische Manöver darlegen. Allerdings kommt, ärgert sich Rotte, das Buch sprachlich allzu simpel daher, teilweise schleichen sich auch begriffliche Ungenauigkeiten ein, etwa wenn Elon Musks Starling als ein "KI-Satellitensystem" beschrieben wird, was schlicht nicht stimmt. Ob solche Fehler auf Tuck oder auf die Übersetzung zurückzuführen sind, kann Rotte nicht entscheiden. Das Buch empfiehlt der Rezensent abschließend, freilich keineswegs uneingeschränkt, allen an der Materie interessierten als einen gut lesbaren Einstieg.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.02.2024Die unbekannte KI im Krieg
Wuchtiger Titel - enttäuschender Inhalt. Ein Einblick in die Dynamik moderner Kriegsführung
Jay Tuck ist ein viel gelesener Journalist, Kriegsberichterstatter und Bestsellerautor, der investigative Beiträge zu renommierten TV-Sendungen und Printmedien publiziert hat. Vielen dürfte er als populärer Warner vor den Herausforderungen und Gefahren der Künstlichen Intelligenz bekannt sein, die er in Aufsätzen und Vorträgen unter dem Slogan "Artificial Intelligence: It will kill us" und ähnlich zusammengefasst hat. In seinem neuesten Buch befasst sich Jay Tuck mit dem Krieg in der Ukraine, dessen Hintergründen sowie insbesondere der Art und Weise, wie er geführt wird. Dazu heißt es vielversprechend im Klappentext: "Er vergleicht die Funktion der jeweiligen Waffensysteme und Strategien und misst ihre Wirksamkeit an der brutalen Realität des Schlachtfeldes. Information, Desinformation, digitale Infrastruktur, intelligente Waffensysteme und künstliche Intelligenz spielen eine immer wichtigere Rolle und werden den Ausgang des Krieges maßgeblich bestimmen."
Umso bedauerlicher ist es, dass das Buch beim Leser dann in zweierlei Hinsicht zu Enttäuschung führt. Erstens verspricht der Titel des Bandes etwas, was dann nur bedingt gehalten wird. Tatsächlich beginnt die wirkliche Befassung mit dem Aspekt der Künstlichen Intelligenz in der Kriegsführung erst nach Seite 120 (von 200). Bis dahin bietet der Verfasser eine wenig neuartige Einführung in die Entwicklung moderner Waffensysteme und hybrider Kriegsführung seit dem Ende des Kalten Krieges, welche beispielsweise mit mehr oder weniger spannenden, ausführlichen Rückblenden der eigenen Erfahrungen in Kriegssituationen, beginnend mit "Desert Storm" 1991, oder einer Persönlichkeitsbeschreibung Wladimir Putins im Kontext des Angriffs auf die Ukraine (im zweiten Kapitel) verbunden wird. Thematisiert werden dann etwa selbstgesteuerte Drohnen, neue Panzerabwehr- und Artilleriesysteme, technisch gestützte Propaganda und Desinformation und die Modernisierung des Nachrichtendienstwesens, wobei die beiden letztgenannten Punkte wenig mit KI zu tun haben.
Interessant wird es dann im letzten Viertel des Buches, in dem er konkrete Waffensysteme, die auf KI aufbauen, skizziert und von konkreten KI-Anwendungen im Ukrainekrieg berichtet. So bedient sich die ukrainische Seite bei der Identifikation von russischen Zielen für die eigene Artillerie und Drohnen beispielsweise einer Kombination aus vielen Bildquellen von Aufklärungsdrohnen über Satelliten bis hin zum Internet, wobei sogar russische Videos auf Telegram genutzt werden, um die Positionen der russischen Streitkräfte zu lokalisieren: "Die Mustererkennung, die große Stärke künstlicher Intelligenz, erwies sich als unschätzbar wertvoll für die Zielfindung der Armee, die Identifizierung von Landschaften sowie für das Tracken von Waffenstellungen und Truppenbewegungen. KI konnte nicht nur Daten vergleichen. Sie konnte auch in Echtzeit rechnen und so mit einem dynamischen Schlachtfeld Schritt halten."
Zweitens zeigt sich bei der Lektüre schnell, dass die Sprache des Buches nicht nur recht einfach ist - was seiner offenkundigen Grundlage in diversen Vorträgen Tucks zum Thema KI geschuldet sein dürfte -, sondern auch von begrifflichen Unschärfen geprägt ist. So schildert der Autor beispielsweise ausführlich die neuartige Verwendung von Unterwasserdrohnen durch die Ukrainer und deren Absicht, damit im Oktober 2022 einen vernichtenden Angriff gegen die russische Schwarzmeerflotte in Sewastopol durchzuführen. Dieser Plan wurde dann bekanntlich von Elon Musk verhindert, auf dessen Satellitensystem Starlink sich das ukrainische Militär zu Aufklärungs-, Führungs- und Navigationszwecken stützte. Musk jedoch ließ seine Satelliten im Umfeld der Krim vor Beginn des Angriffs abschalten, denn der russische Botschafter machte ihm deutlich, "dass die Unterstützung des ukrainischen Militärs eine nukleare Reaktion auslösen könnte. Musk (. . .) hatte (. . .) oft mit einem ungewohnten Umfeld zu tun. Aber seins ist die Welt der Start-up-Kultur und der IPSs, der globalen Markttrends und der Zinssätze. Er wurde nicht in den Tücken der Spionage geschult. Obwohl keineswegs naiv, war die Ost-West-Machtpolitik für ihn Neuland. Auch mit diplomatischen Intrigen war er nicht vertraut. Bei seinen alltäglichen Geschäften war sein schlimmstes Szenario ein millionenschwerer Aktienverlust. Und nicht ein Atomkrieg. Durch die Drohung eingeschüchtert, machte Musk einen Rückzieher." Diese Charakterisierung Elon Musks ist zweifellos interessant und Tucks Kritik am aus seiner Sicht negativen Einfluss der militärischen Abhängigkeit von privatem Eigentum eines Unternehmers sicher bedenkenswert. Doch die in diesem Zusammenhang wiederholte Bezeichnung von Starlink als "KI-Satellitensystem" oder "KI-Netz" ist klar übersimplifiziert und sachlich falsch - nicht jede aktuelle Technologie hat zwingend etwas mit KI zu tun.
Ob diese Ungenauigkeiten auf den Verfasser oder eine suboptimale Übersetzung zurückzuführen sind, ist an dieser Stelle nicht zu klären. Für Letzteres würde jedenfalls zumindest sprechen, dass es im Kontext dieses Kapitels auch andere Fehler gibt, wie fehlende Wörter ("Die Sprengung zerriss ebenfalls [die!] Straßen- und Eisenbahnbrücke, die die Krim mit Russland verbindet [. . .]") oder falsche Bezüge ("Die Russen waren verblüfft. [. . .] Die Ursache des Angriffs war unbekannt. Kiew [richtig wohl eher: Moskau!] begann zu verstehen, dass sie es mit einer ganz besonderen Waffe zu tun hatten.").
Alles in allem bietet der Band damit eine etwas ambivalente Melange aus grundlegenden Beobachtungen zu jüngsten technologischen Entwicklungen der Kriegsführung - freilich, ohne diese in technischer Hinsicht wirklich zu erklären - und deren Auswirkungen auf den Verlauf des Ukrainekrieges sowie Memoiren eines erfahrenen Frontreporters. Diese Mischung, obwohl Letztere wohl den revolutionären Charakter der technologischen Veränderungen verdeutlichen sollen, erscheint bisweilen etwas plakativ und selbstbespiegelnd. Als erster, gut verständlicher Einblick in die Dynamik moderner Kriegsführung ist das Buch zweifellos lesenswert. Allerdings kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Jay Tuck hier vor allem sein persönliches Steckenpferd reitet und vonseiten des Verlags, nicht zuletzt durch die Titelwahl, versucht wird, zu Marketingzwecken ein aktuelles Schlagwort über Gebühr zu strapazieren. RALPH ROTTE
Jay Tuck: KI und der moderne Krieg. Wie künstliche Intelligenz die russische Armee besiegen kann.
Econ Verlag, Berlin 2023. 208 S., 22,99 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wuchtiger Titel - enttäuschender Inhalt. Ein Einblick in die Dynamik moderner Kriegsführung
Jay Tuck ist ein viel gelesener Journalist, Kriegsberichterstatter und Bestsellerautor, der investigative Beiträge zu renommierten TV-Sendungen und Printmedien publiziert hat. Vielen dürfte er als populärer Warner vor den Herausforderungen und Gefahren der Künstlichen Intelligenz bekannt sein, die er in Aufsätzen und Vorträgen unter dem Slogan "Artificial Intelligence: It will kill us" und ähnlich zusammengefasst hat. In seinem neuesten Buch befasst sich Jay Tuck mit dem Krieg in der Ukraine, dessen Hintergründen sowie insbesondere der Art und Weise, wie er geführt wird. Dazu heißt es vielversprechend im Klappentext: "Er vergleicht die Funktion der jeweiligen Waffensysteme und Strategien und misst ihre Wirksamkeit an der brutalen Realität des Schlachtfeldes. Information, Desinformation, digitale Infrastruktur, intelligente Waffensysteme und künstliche Intelligenz spielen eine immer wichtigere Rolle und werden den Ausgang des Krieges maßgeblich bestimmen."
Umso bedauerlicher ist es, dass das Buch beim Leser dann in zweierlei Hinsicht zu Enttäuschung führt. Erstens verspricht der Titel des Bandes etwas, was dann nur bedingt gehalten wird. Tatsächlich beginnt die wirkliche Befassung mit dem Aspekt der Künstlichen Intelligenz in der Kriegsführung erst nach Seite 120 (von 200). Bis dahin bietet der Verfasser eine wenig neuartige Einführung in die Entwicklung moderner Waffensysteme und hybrider Kriegsführung seit dem Ende des Kalten Krieges, welche beispielsweise mit mehr oder weniger spannenden, ausführlichen Rückblenden der eigenen Erfahrungen in Kriegssituationen, beginnend mit "Desert Storm" 1991, oder einer Persönlichkeitsbeschreibung Wladimir Putins im Kontext des Angriffs auf die Ukraine (im zweiten Kapitel) verbunden wird. Thematisiert werden dann etwa selbstgesteuerte Drohnen, neue Panzerabwehr- und Artilleriesysteme, technisch gestützte Propaganda und Desinformation und die Modernisierung des Nachrichtendienstwesens, wobei die beiden letztgenannten Punkte wenig mit KI zu tun haben.
Interessant wird es dann im letzten Viertel des Buches, in dem er konkrete Waffensysteme, die auf KI aufbauen, skizziert und von konkreten KI-Anwendungen im Ukrainekrieg berichtet. So bedient sich die ukrainische Seite bei der Identifikation von russischen Zielen für die eigene Artillerie und Drohnen beispielsweise einer Kombination aus vielen Bildquellen von Aufklärungsdrohnen über Satelliten bis hin zum Internet, wobei sogar russische Videos auf Telegram genutzt werden, um die Positionen der russischen Streitkräfte zu lokalisieren: "Die Mustererkennung, die große Stärke künstlicher Intelligenz, erwies sich als unschätzbar wertvoll für die Zielfindung der Armee, die Identifizierung von Landschaften sowie für das Tracken von Waffenstellungen und Truppenbewegungen. KI konnte nicht nur Daten vergleichen. Sie konnte auch in Echtzeit rechnen und so mit einem dynamischen Schlachtfeld Schritt halten."
Zweitens zeigt sich bei der Lektüre schnell, dass die Sprache des Buches nicht nur recht einfach ist - was seiner offenkundigen Grundlage in diversen Vorträgen Tucks zum Thema KI geschuldet sein dürfte -, sondern auch von begrifflichen Unschärfen geprägt ist. So schildert der Autor beispielsweise ausführlich die neuartige Verwendung von Unterwasserdrohnen durch die Ukrainer und deren Absicht, damit im Oktober 2022 einen vernichtenden Angriff gegen die russische Schwarzmeerflotte in Sewastopol durchzuführen. Dieser Plan wurde dann bekanntlich von Elon Musk verhindert, auf dessen Satellitensystem Starlink sich das ukrainische Militär zu Aufklärungs-, Führungs- und Navigationszwecken stützte. Musk jedoch ließ seine Satelliten im Umfeld der Krim vor Beginn des Angriffs abschalten, denn der russische Botschafter machte ihm deutlich, "dass die Unterstützung des ukrainischen Militärs eine nukleare Reaktion auslösen könnte. Musk (. . .) hatte (. . .) oft mit einem ungewohnten Umfeld zu tun. Aber seins ist die Welt der Start-up-Kultur und der IPSs, der globalen Markttrends und der Zinssätze. Er wurde nicht in den Tücken der Spionage geschult. Obwohl keineswegs naiv, war die Ost-West-Machtpolitik für ihn Neuland. Auch mit diplomatischen Intrigen war er nicht vertraut. Bei seinen alltäglichen Geschäften war sein schlimmstes Szenario ein millionenschwerer Aktienverlust. Und nicht ein Atomkrieg. Durch die Drohung eingeschüchtert, machte Musk einen Rückzieher." Diese Charakterisierung Elon Musks ist zweifellos interessant und Tucks Kritik am aus seiner Sicht negativen Einfluss der militärischen Abhängigkeit von privatem Eigentum eines Unternehmers sicher bedenkenswert. Doch die in diesem Zusammenhang wiederholte Bezeichnung von Starlink als "KI-Satellitensystem" oder "KI-Netz" ist klar übersimplifiziert und sachlich falsch - nicht jede aktuelle Technologie hat zwingend etwas mit KI zu tun.
Ob diese Ungenauigkeiten auf den Verfasser oder eine suboptimale Übersetzung zurückzuführen sind, ist an dieser Stelle nicht zu klären. Für Letzteres würde jedenfalls zumindest sprechen, dass es im Kontext dieses Kapitels auch andere Fehler gibt, wie fehlende Wörter ("Die Sprengung zerriss ebenfalls [die!] Straßen- und Eisenbahnbrücke, die die Krim mit Russland verbindet [. . .]") oder falsche Bezüge ("Die Russen waren verblüfft. [. . .] Die Ursache des Angriffs war unbekannt. Kiew [richtig wohl eher: Moskau!] begann zu verstehen, dass sie es mit einer ganz besonderen Waffe zu tun hatten.").
Alles in allem bietet der Band damit eine etwas ambivalente Melange aus grundlegenden Beobachtungen zu jüngsten technologischen Entwicklungen der Kriegsführung - freilich, ohne diese in technischer Hinsicht wirklich zu erklären - und deren Auswirkungen auf den Verlauf des Ukrainekrieges sowie Memoiren eines erfahrenen Frontreporters. Diese Mischung, obwohl Letztere wohl den revolutionären Charakter der technologischen Veränderungen verdeutlichen sollen, erscheint bisweilen etwas plakativ und selbstbespiegelnd. Als erster, gut verständlicher Einblick in die Dynamik moderner Kriegsführung ist das Buch zweifellos lesenswert. Allerdings kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Jay Tuck hier vor allem sein persönliches Steckenpferd reitet und vonseiten des Verlags, nicht zuletzt durch die Titelwahl, versucht wird, zu Marketingzwecken ein aktuelles Schlagwort über Gebühr zu strapazieren. RALPH ROTTE
Jay Tuck: KI und der moderne Krieg. Wie künstliche Intelligenz die russische Armee besiegen kann.
Econ Verlag, Berlin 2023. 208 S., 22,99 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main