In der traditionellen Kierkegaard-Forschung gibt es eine Konvention, die besagt: Kierkegaard analysiere zwar meisterhaft das einsame Individuum, er mache aber keine Aussagen über gesellschaftliche Phänomene. Und um ein zweites Problem macht sie gern einen Bogen: die Frage nämlich, ob der vehemente Angriff auf die dänische Staatskirche in seinen letzten Lebensjahren in der Konsequenz seines vorherigen philosophischen und religiösen Werkes liegt. Aber: Kierkegaard widmet einen großen Teil seiner Existenzanalyse einem Typus, der eine konstante, destruktive soziale Wirkung entwickelt: dem…mehr
In der traditionellen Kierkegaard-Forschung gibt es eine Konvention, die besagt: Kierkegaard analysiere zwar meisterhaft das einsame Individuum, er mache aber keine Aussagen über gesellschaftliche Phänomene. Und um ein zweites Problem macht sie gern einen Bogen: die Frage nämlich, ob der vehemente Angriff auf die dänische Staatskirche in seinen letzten Lebensjahren in der Konsequenz seines vorherigen philosophischen und religiösen Werkes liegt. Aber: Kierkegaard widmet einen großen Teil seiner Existenzanalyse einem Typus, der eine konstante, destruktive soziale Wirkung entwickelt: dem Dämonischen. Der agiert nicht nur als Dialogpartner, sondern er bestimmt auch die Gesetze des Dialogs. Das gleiche kommunikative Paradoxon entdeckt Kierkegaard in großen sozialen Beziehungen: der Sexualmoral und der Presse, der Öffentlichen Meinung, den Modepilosophien - und auch in der Kirche. Kierkegaards Analyse der paradoxen Dialogformen bietet eine Erklärung für die Macht von Ideologien, und, sehr aktuell, für das destruktive Potential der Anonymität. Zugleich erweist sich seine Existenzphilosophie als eine differenzierte Theorie der Kommunikation.
Jan Cattepoel, Dr. jur. Dr. phil., Studium der Rechtswissenschaft, der Philosophie und Soziologie an den Universitäten Tübingen, Wien, Marburg, Bochum, Basel und Mainz, beruflich tätig in Wissenschaft, Justiz und Politik, ehrenamtlich engagiert in Kultur, lebt als Rechtsanwalt und Schriftsteller in Mainz.
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