Der Kilimandscharo ist ein Mythos: Er ist nicht nur der höchste Berg Afrikas,sondern das größte Bergmassiv am Äquator überhaupt - obwohl in Kiswahili»Njaro« kleiner Hügel bedeutet.Er ist vulkanischen Ursprungs, seine Spitze (beinahe 6. 000 Meter hoch) istimmer schneebedeckt.Der Kilimandscharo ist aber auch ein Politikum: Noch Mitte des 19. Jahrhundertsstritt man in Europa darüber, ob es möglich sei, dass ein Berg so weit imSüden Afrikas Schnee tragen könne. Deutsche Missionare hatten das behauptet,ein englischer Forscher sie als dumm verhöhnt. So beginnt die Inbesitznahmeeiner Region und der Wettkampf zwischen den europäischen Kolonisatoren. AmEnde wird das gesamte Gebiet vorübergehend deutsche Kolonie, der KilimandscharoDeutschlands höchster Gipfel.Und der Kilimandscharo ist Sehnsuchtsgegenstand: Abenteurer und Forscherversuchen im 19. Jahrhundert den Berg zu vermessen, Flora und Fauna zu erkunden,Proben abzugreifen, zu beschreiben und schließlich den Gipfel zu besteigen,was 1889 Hans Meyer, Sohn des Verlagsgründers Meyer (Konversationslexikon),gelang.Noch heute scheint die Sehnsucht ungebrochen: Jährlich versuchen Tausendeden Gipfel zu bezwingen - hauptsächlich Deutsche.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.05.2011Hinauf zur Kaiser-Wilhelm-Spitze!
Deutsche Bergluft in Afrika: Christof Hamann und Alexander Honold klettern in der Kulturgeschichte des Kilimandscharo herum.
Der Kilimandscharo ist ein Berg in Afrika. Der Kilimandscharo kann aber auch als ein Knotenpunkt von Diskursen und Praktiken verstanden werden. Die Germanisten Christof Hamann und Alexander Honold beschreiben in ihrem Buch die Geschichte des Kilimandscharo als die "deutsche Geschichte eines afrikanischen Berges". Hamann und Honold haben aber mitnichten eine große kolonialhistorische Untersuchung mit starken Thesen und schwerem Fußnotenballast angelegt, sondern ein kluges Buch geschrieben, das - von Längen etwa gleich im ersten Kapitel abgesehen - erzählerisch mitreißt und vom Faktenmaterial her beeindruckt.
Der Kilimandscharo-Diskurs lässt sich bis in die Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung zurückverfolgen. In der Antike war der Berg ein fast mythologisch überhöhter Ursprung: Der Kilimandscharo galt als die dunkle, unbekannte Quelle des Nil, als Ursache und Ursprung der periodischen Überschwemmungen des Flusses. Der griechische Historiograph Herodot war einer der ersten Forscher, der verschiedene Theorien zum Nil und damit auch zum Kilimandscharo sammelte und kommentierte. So glaubte beispielsweise Thales von Milet, dass von Nord nach Süd wehende Passatwinde einen Rückstau verursachten, der sich in den Überschwemmungen entlade. Erst 1770 konnte die Expedition des Schotten James Bruce bis zur Quelle des Nil vordringen. Der Glaube an den Kilimandscharo als Urquell des Nils war dahin, und mit der Diversifizierung der Wissenschaften in der Neuzeit wurde der Berg zur Schnittstelle ästhetischer, botanischer, religiöser, imperialistischer, kolonialer, geschlechtlicher, militaristischer, rassistischer sowie geo- und kartographischer Diskurse.
Die Praktiken, die dem Kilimandscharo galten, waren abenteuerlustige, gefahrensüchtige und nicht zuletzt politisch motivierte Besteigungsversuche. Im neunzehnten Jahrhundert war es zunächst der wohlhabende Adel, der in finanzieller Unabhängigkeit und ohne entsprechenden Erfolgsdruck den Gipfel zu erreichen suchte. Doch bergsteigerische Unerfahrenheit, Höhenkrankheit und mangelnde technische Ausrüstung ließen den deutschen Baron Carl Claus von der Decken ebenso scheitern wie den Engländer Joseph Thomsom. Damit war die Besteigung zum imperialistischen Politikum geworden. Am 6. Oktober 1889 schaffte es dann Hans Meyer, ein Sohn der Lexikonverlegerfamilie Meyer, als erster Mensch den Gipfel zu betreten.
Meyer tat dies ganz im Gestus einer hegemonialen Landnahme: Mit einer deutschen Fahne im Boden taufte er den Gipfel auf den Namen "Kaiser-Wilhelm-Spitze". Spätestens mit dieser Zueignung an den Kaiser war der Kilimandscharo durch die deutsche Geschichte vereinnahmt. Infolge dieser Gipfelbesetzung traten die Institutionen auf den Plan. Allen voran der preußische Staat, der noch bis 1874 den Berliner Lehrstuhl für physische Geographie fünfzehn Jahre lang nicht besetzt hatte. Aber in den frühen achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts waren dann alle preußischen Universitäten mit Lehrstühlen für Geographie ausgestattet. Mit den Universitäten begann nach der politischen Kontrolle die systematische wissenschaftliche Erforschung des Gipfels, der bald darauf auch ein ökonomisches Interesse folgte: Die Gesellschaft für Erdkunde, die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft oder die Royal Geographic Society und die Imperial British East Africa Company in Großbritannien begannen mit verheerendem missionarischem Eifer und wirtschaftlicher Ausbeutung, das Gebiet um den Kilimandscharo zu bereisen. "Reisen für das Vaterland" lautete die nationalistische Parole.
Mit Beginn des 20. Jahrhunderts widerfuhr dem Kilimandscharo dann ein Popularisierungsschub: Der Berg fand Eingang in die bildende Kunst, die Literatur, den Film und die Photographie. Von diesem Punkt an wäre es wünschenswert gewesen, wenn die Autoren auch die medialen und sportlichen Praktiken, zu denen der Berg in seiner "deutschen Geschichte" immer wieder herausgefordert hat, in den Blick genommen hätten. Denn über die erste Ski-Abfahrt vom Kilimandscharo (1912) erfährt man ebenso wenig wie über die ARD-Live-Übertragung einer Gipfelbesteigung im Jahre 2008. Stattdessen hat das Buch gegen Ende die Tendenz, in Anekdoten und summarischen Hinweisen zu verläppern - als sei die Zeit plötzlich knapp geworden.
Wie gestaltet sich denn heute das Verhältnis zum Kilimandscharo? Wie läse sich eine Geschichte des Kilimandscharo als Geschichte eines afrikanischen Berges? Sind denn die 50 000 Besteigungsversuche im Jahr allein sportliche Herausforderungen oder nicht doch Fortsetzungen kolonialisierender und imperialisierender Fantasien? Liegt nicht auch ein ethisches Moment in den Besteigungen, kostet der durchschnittlich unreflektierte "Weiße" nicht immer noch seine Überlegenheit aus, wenn ihm "die Anderen", die Farbigen, das Gepäck tragen? Was ist Movens für einen solchen Gipfelferntourismus, warum nicht den Mont Blanc oder das Matterhorn erklettern? Ist es nicht ökologisch brisant, dass die Eismasse des Berges seit der ersten Skifahrt um 85 Prozent geschrumpft ist? Auch wenn die "deutsche Geschichte eines afrikanischen Berges" nicht alle Fragen beantworten kann: Diese Buch ist dennoch ein sehr Lesenswertes.
XAVER OEHMEN
Christof Hamann, Alexander Honold: "Kilimandscharo". Die deutsche Geschichte eines afrikanischen Berges.
Wagenbach Verlag, Berlin 2011. 192 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Deutsche Bergluft in Afrika: Christof Hamann und Alexander Honold klettern in der Kulturgeschichte des Kilimandscharo herum.
Der Kilimandscharo ist ein Berg in Afrika. Der Kilimandscharo kann aber auch als ein Knotenpunkt von Diskursen und Praktiken verstanden werden. Die Germanisten Christof Hamann und Alexander Honold beschreiben in ihrem Buch die Geschichte des Kilimandscharo als die "deutsche Geschichte eines afrikanischen Berges". Hamann und Honold haben aber mitnichten eine große kolonialhistorische Untersuchung mit starken Thesen und schwerem Fußnotenballast angelegt, sondern ein kluges Buch geschrieben, das - von Längen etwa gleich im ersten Kapitel abgesehen - erzählerisch mitreißt und vom Faktenmaterial her beeindruckt.
Der Kilimandscharo-Diskurs lässt sich bis in die Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung zurückverfolgen. In der Antike war der Berg ein fast mythologisch überhöhter Ursprung: Der Kilimandscharo galt als die dunkle, unbekannte Quelle des Nil, als Ursache und Ursprung der periodischen Überschwemmungen des Flusses. Der griechische Historiograph Herodot war einer der ersten Forscher, der verschiedene Theorien zum Nil und damit auch zum Kilimandscharo sammelte und kommentierte. So glaubte beispielsweise Thales von Milet, dass von Nord nach Süd wehende Passatwinde einen Rückstau verursachten, der sich in den Überschwemmungen entlade. Erst 1770 konnte die Expedition des Schotten James Bruce bis zur Quelle des Nil vordringen. Der Glaube an den Kilimandscharo als Urquell des Nils war dahin, und mit der Diversifizierung der Wissenschaften in der Neuzeit wurde der Berg zur Schnittstelle ästhetischer, botanischer, religiöser, imperialistischer, kolonialer, geschlechtlicher, militaristischer, rassistischer sowie geo- und kartographischer Diskurse.
Die Praktiken, die dem Kilimandscharo galten, waren abenteuerlustige, gefahrensüchtige und nicht zuletzt politisch motivierte Besteigungsversuche. Im neunzehnten Jahrhundert war es zunächst der wohlhabende Adel, der in finanzieller Unabhängigkeit und ohne entsprechenden Erfolgsdruck den Gipfel zu erreichen suchte. Doch bergsteigerische Unerfahrenheit, Höhenkrankheit und mangelnde technische Ausrüstung ließen den deutschen Baron Carl Claus von der Decken ebenso scheitern wie den Engländer Joseph Thomsom. Damit war die Besteigung zum imperialistischen Politikum geworden. Am 6. Oktober 1889 schaffte es dann Hans Meyer, ein Sohn der Lexikonverlegerfamilie Meyer, als erster Mensch den Gipfel zu betreten.
Meyer tat dies ganz im Gestus einer hegemonialen Landnahme: Mit einer deutschen Fahne im Boden taufte er den Gipfel auf den Namen "Kaiser-Wilhelm-Spitze". Spätestens mit dieser Zueignung an den Kaiser war der Kilimandscharo durch die deutsche Geschichte vereinnahmt. Infolge dieser Gipfelbesetzung traten die Institutionen auf den Plan. Allen voran der preußische Staat, der noch bis 1874 den Berliner Lehrstuhl für physische Geographie fünfzehn Jahre lang nicht besetzt hatte. Aber in den frühen achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts waren dann alle preußischen Universitäten mit Lehrstühlen für Geographie ausgestattet. Mit den Universitäten begann nach der politischen Kontrolle die systematische wissenschaftliche Erforschung des Gipfels, der bald darauf auch ein ökonomisches Interesse folgte: Die Gesellschaft für Erdkunde, die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft oder die Royal Geographic Society und die Imperial British East Africa Company in Großbritannien begannen mit verheerendem missionarischem Eifer und wirtschaftlicher Ausbeutung, das Gebiet um den Kilimandscharo zu bereisen. "Reisen für das Vaterland" lautete die nationalistische Parole.
Mit Beginn des 20. Jahrhunderts widerfuhr dem Kilimandscharo dann ein Popularisierungsschub: Der Berg fand Eingang in die bildende Kunst, die Literatur, den Film und die Photographie. Von diesem Punkt an wäre es wünschenswert gewesen, wenn die Autoren auch die medialen und sportlichen Praktiken, zu denen der Berg in seiner "deutschen Geschichte" immer wieder herausgefordert hat, in den Blick genommen hätten. Denn über die erste Ski-Abfahrt vom Kilimandscharo (1912) erfährt man ebenso wenig wie über die ARD-Live-Übertragung einer Gipfelbesteigung im Jahre 2008. Stattdessen hat das Buch gegen Ende die Tendenz, in Anekdoten und summarischen Hinweisen zu verläppern - als sei die Zeit plötzlich knapp geworden.
Wie gestaltet sich denn heute das Verhältnis zum Kilimandscharo? Wie läse sich eine Geschichte des Kilimandscharo als Geschichte eines afrikanischen Berges? Sind denn die 50 000 Besteigungsversuche im Jahr allein sportliche Herausforderungen oder nicht doch Fortsetzungen kolonialisierender und imperialisierender Fantasien? Liegt nicht auch ein ethisches Moment in den Besteigungen, kostet der durchschnittlich unreflektierte "Weiße" nicht immer noch seine Überlegenheit aus, wenn ihm "die Anderen", die Farbigen, das Gepäck tragen? Was ist Movens für einen solchen Gipfelferntourismus, warum nicht den Mont Blanc oder das Matterhorn erklettern? Ist es nicht ökologisch brisant, dass die Eismasse des Berges seit der ersten Skifahrt um 85 Prozent geschrumpft ist? Auch wenn die "deutsche Geschichte eines afrikanischen Berges" nicht alle Fragen beantworten kann: Diese Buch ist dennoch ein sehr Lesenswertes.
XAVER OEHMEN
Christof Hamann, Alexander Honold: "Kilimandscharo". Die deutsche Geschichte eines afrikanischen Berges.
Wagenbach Verlag, Berlin 2011. 192 S., geb., 22,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Zumindest in kolonialistischen Zeiten war der Kilimandscharo der Deutschen liebster Sechstausender, der Kaiser-Wilhelm-Gipfel beflügelte eine Bezwingerprosa, die von religiöser Ergriffenheit wie von imperialistischen Gelüsten gleichermaßen angetrieben wurde. Christof Hamann und Alexander Honold haben diese Ergüsse kulturwissenschatlich unter die Lupe genommen. Die Rezensentin hat das offenbar mit Interesse gelesen, konnte sie dabei doch nicht nur die Exzesse einer Erobererrhetorik nachvollziehen, sondern erfuhr auch einiges über die "Magie der Karten" und die "Geografie als Fetisch".
© Perlentaucher Medien GmbH
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