Nach vierzehn Jahren Gefängnis wird Leonard March vorzeitig entlassen, weil er bei einem Deal mit dem Staatsanwalt gegen seinen Exboss Salvatore Lombard aussagt. Als die Presse Wind davon bekommt, dass March selbst 28 Auftragsmorde ausgeführt hat, wird die Situation prekär: Verwandte der Opfer bedrohen ihn und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Schergen seines Exbosses Vergeltung üben. Doch bis dahin fügt sich March in sein neues, ödes Dasein als Reinigungskraft, ein alter, einsamer Mann, der auf den Tod wartet. Bis die attraktive Sophie auftaucht, die sich als Ghostwriter für seine Biographie ins Spiel bringt Mit literarischer Finesse entwirft Zeltserman die brillante Charakterstudie eines Mannes einst Topkiller der Bostoner Mafia auf der Suche nach sich selbst.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Bis zum Schluss, bis auf den Schluss eigentlich, findet Burkhard Müller Dave Zeltsermans "Killer" durchweg gelungen und sogar - und das sei selten bei Thrillern - mit tatsächlichem psychologischen Einfühlungsvermögen verfasst. Der achtundzwanzigfache Mörder kommt nach nur vierzehn Jahren Gefängnis frei, weil er seinen Boss verraten hatte, hadert allerdings mit seiner einsamen Existenz vor Gittern, berichtet der Rezensent. Als die Angehörigen seiner Opfer, darunter auch recht einfältige "Dilettanten der Empörung", auf der Bildfläche erscheinen, kommt dann Spannung auf, der Zeltserman leider am Schluss auch die psychologische Integrität seines Ich-Erzählers opfert, wie Müller bedauert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.04.2015Von der Schwierigkeit, einen Killer zu resozialisieren
Auswüchse eines kaputten Systems: Warum es sich lohnt, den amerikanischen Autor Dave Zeltserman zu lesen
Die meisten Krimi-Autoren suchen ein Erfolgsrezept, das beim Leser ankommt, um es dann, wenn die Übung gelingt, nie mehr zu variieren. Dieser Technik folgen so gut wie alle Weltbestseller, und wer es auf einem lokalen Markt geschafft hat, muss im Regelfall auch zufrieden sein. Wer es allerdings nicht nur kommerziell, sondern auch literarisch schaffen will, produziert am Markt vorbei; und wer obendrein jedes Mal ein anderes, neues Buch schreiben will, kann sich gleich als Nischenbewohner einrichten.
Man hat den Eindruck, dass den Amerikaner Dave Zeltserman solche Überlegungen nicht kümmern. In Deutschland ist er weithin unbekannt, drei seiner nunmehr vierzehn Bücher sind in zwei Berliner Verlagen übersetzt worden. Zwei bei Pulpmaster, eines bei Suhrkamp. Bei letzterem erschien vor vier Jahren "28 Minuten" (im Original treffender "Outsourced"), ein unvergessliches Kabinettstück über vier arbeitslose, weil entsorgte Computerspezialisten, die den perfekten Bankraub planen. Der soll sie in achtundzwanzig Minuten zu reichen Männern machen, ein Plan, der auch mit Rache am System zu tun hat.
Zeltserman, 1959 in Boston geboren, war in einem früheren Leben selbst Software-Entwickler, verlegte sich dann aber Anfang der nuller Jahre aufs Schreiben und hat sich nach nunmehr vierzehn Büchern als feste Größe im Noir-Genre behauptet: Er wird gerne in die direkte Traditionslinie von Jim Thompson gestellt, auch wenn er von dieser mehr und mehr abweicht. In "Paria" (2013) geht es um einen auf der Haft entlassenen Schwerverbrecher, der mit seiner bürgerlichen Umwelt nicht zurechtkommt. Deshalb steuert dieser Kyle Nevin sogleich zurück in jenes Berufsfeld, das er am besten kennt, die organisierte Unterwelt des südlichen Bostons. Einen so üblen Burschen würde man nicht mit einem Buchvertrag in Verbindung bringen, aber sein Erfinder spendiert ihm voller Selbstironie genau dies - sowie die Fähigkeit, seine Memoiren besser zu schreiben, als sie der dafür engagierte Creative-Writing-Typ hinbekommen hätte. So kommt Kyle in die Mühlen der Bewusstseinsindustrie, die ihm alsbald ein Plagiatsbein stellt, für das er sich mit den Mitteln seiner Welt rächt.
Auch die jüngste Veröffentlichung Zeltsermans, "Killer", variiert dieses Schema und hat erneut einen aus der Haft entlassenen Soziopathen zum Protagonisten. Der Killer Leonard March kommt nach vierzehn Jahren frei, weil er seinen früheren Auftraggeber, den Mafia-Boss Lombard, ans Messer geliefert hat. Dafür gibt es vom Gericht Schulderlass für alle seine achtundzwanzig - Zeltsermann scheint diese Zahl zu lieben - Auftragsmorde. So setzt der Roman als Studie einer Resozialisierung ein, und man ist als Leser nicht allzu optimistisch gestimmt, dass die Übung gelingen wird.
Selbst wenn March sich als moralisch integre Persönlichkeit präsentiert, die eine zweite Chance verdient hat. Als Putzkraft schnürt er nächtens allein durch ein Bürogebäude, argwöhnisch beäugt vom Portier, von einem anonymen Anrufer und einem sensationsgeilen Journalisten verfolgt, angeglotzt und angefeindet tagsüber, wenn er sich in einen Diner traut, obendrein beschattet von Polizei und Mafia. Und dann taucht eine unwiderstehlich attraktive, energiegeladene und für ihn, den Anfangsechziger, viel zu junge Frau auf, die sich ihm als Ghostwriterin für seine Version der Geschichte andient.
Ähnliche Versuchsanordnung wie in "Paria", unterschiedliche Ausführung. Im Präsens rekapituliert Leonard March als Ich-Erzähler, wie es dazu kam, dass er in den siebziger Jahren Killer wurde. Er hat noch immer keine Schuldgefühle, weil die Opfer keine Waisenknaben waren. Aber er beschönigt auch nicht, wie er durch sein vor der Familie verborgenes Doppelleben deren Existenz ruinierte.
Für seine Kinder gibt es kein Zurück zu ihrem Vater, da ist nur Hass und dumpfe Seelenvernichtung; davon erzählt er in den "Gegenwart"-Kapiteln im Präteritum. Die Vergangenheit lebt, die Gegenwart ist schon so gut wie abgeschlossen, auch wenn er zwei Drogensüchtige von einem Überfall auf einen Laden abhält und dadurch seinen Willen, ein ordentliches Mitglied der Gesellschaft zu werden, dokumentiert.
Aber so, wie diese Gesellschaft gestrickt ist, lautet die Botschaft des Autors, hält sie selbst diesen Einsatz für taktisches Geplänkel, für einen unglaubwürdigen Trick. Menschlichen Kredit hat hier niemand mehr. Und Zeltserman erteilt noch einer gängigen Floskel der Gegenwart eine harsche Absage - das dumme Gerede, man müsse sich "neu erfinden", kann nicht im luftleeren Raum stattfinden, es braucht schon ein soziales Umfeld, das diesen Schachzug zulässt.
P.S.: Ein aufregendes Buch von Dave Zeltserman wartet noch immer auf seine Übersetzung: Vor fünf Jahren legte er mit "The Caretaker of Lorne Field" einen Abstecher ins Horror-Genre vor. Auch dort ist die Geschichte so vermeintlich simpel wie möglich: Ein Mann schneidet und bewacht tagaus, tagein, Jahr um Jahr ein Feld mit fleischfressenden Pflanzen, weil er einen Vertrag erfüllt, der seine Familie seit einer Prophezeiung vor dreihundert Jahren an diese Aufgabe bindet.
Die "Aukowies" genannten Tierpflanzen würden alles Leben auf der Erde in kürzester Zeit vernichten. Aber die Gemeinde sieht keinen Sinn mehr darin, den Hüter zu zahlen, die Söhne verweigern die Nachfolge für diese vermeintlich in die Jahre gekommene Aufgabe. Wie glaubwürdig ist eine Drohung, die Erde würde untergehen, nur weil ein Feldhüter ausfällt? Zeltserman beantwortet die Frage mit archaischer Wucht und wahrem Schrecken. Man sollte sich ihm ausliefern, selbst wenn man kein Anhänger des Genres ist.
HANNES HINTERMEIER
Dave Zeltserman: "Killer". Roman.
Aus dem Englischen von Ango Laina und Angelika Müller. Pulp Master Verlag, Berlin 2015. 272 S., br., 14,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Auswüchse eines kaputten Systems: Warum es sich lohnt, den amerikanischen Autor Dave Zeltserman zu lesen
Die meisten Krimi-Autoren suchen ein Erfolgsrezept, das beim Leser ankommt, um es dann, wenn die Übung gelingt, nie mehr zu variieren. Dieser Technik folgen so gut wie alle Weltbestseller, und wer es auf einem lokalen Markt geschafft hat, muss im Regelfall auch zufrieden sein. Wer es allerdings nicht nur kommerziell, sondern auch literarisch schaffen will, produziert am Markt vorbei; und wer obendrein jedes Mal ein anderes, neues Buch schreiben will, kann sich gleich als Nischenbewohner einrichten.
Man hat den Eindruck, dass den Amerikaner Dave Zeltserman solche Überlegungen nicht kümmern. In Deutschland ist er weithin unbekannt, drei seiner nunmehr vierzehn Bücher sind in zwei Berliner Verlagen übersetzt worden. Zwei bei Pulpmaster, eines bei Suhrkamp. Bei letzterem erschien vor vier Jahren "28 Minuten" (im Original treffender "Outsourced"), ein unvergessliches Kabinettstück über vier arbeitslose, weil entsorgte Computerspezialisten, die den perfekten Bankraub planen. Der soll sie in achtundzwanzig Minuten zu reichen Männern machen, ein Plan, der auch mit Rache am System zu tun hat.
Zeltserman, 1959 in Boston geboren, war in einem früheren Leben selbst Software-Entwickler, verlegte sich dann aber Anfang der nuller Jahre aufs Schreiben und hat sich nach nunmehr vierzehn Büchern als feste Größe im Noir-Genre behauptet: Er wird gerne in die direkte Traditionslinie von Jim Thompson gestellt, auch wenn er von dieser mehr und mehr abweicht. In "Paria" (2013) geht es um einen auf der Haft entlassenen Schwerverbrecher, der mit seiner bürgerlichen Umwelt nicht zurechtkommt. Deshalb steuert dieser Kyle Nevin sogleich zurück in jenes Berufsfeld, das er am besten kennt, die organisierte Unterwelt des südlichen Bostons. Einen so üblen Burschen würde man nicht mit einem Buchvertrag in Verbindung bringen, aber sein Erfinder spendiert ihm voller Selbstironie genau dies - sowie die Fähigkeit, seine Memoiren besser zu schreiben, als sie der dafür engagierte Creative-Writing-Typ hinbekommen hätte. So kommt Kyle in die Mühlen der Bewusstseinsindustrie, die ihm alsbald ein Plagiatsbein stellt, für das er sich mit den Mitteln seiner Welt rächt.
Auch die jüngste Veröffentlichung Zeltsermans, "Killer", variiert dieses Schema und hat erneut einen aus der Haft entlassenen Soziopathen zum Protagonisten. Der Killer Leonard March kommt nach vierzehn Jahren frei, weil er seinen früheren Auftraggeber, den Mafia-Boss Lombard, ans Messer geliefert hat. Dafür gibt es vom Gericht Schulderlass für alle seine achtundzwanzig - Zeltsermann scheint diese Zahl zu lieben - Auftragsmorde. So setzt der Roman als Studie einer Resozialisierung ein, und man ist als Leser nicht allzu optimistisch gestimmt, dass die Übung gelingen wird.
Selbst wenn March sich als moralisch integre Persönlichkeit präsentiert, die eine zweite Chance verdient hat. Als Putzkraft schnürt er nächtens allein durch ein Bürogebäude, argwöhnisch beäugt vom Portier, von einem anonymen Anrufer und einem sensationsgeilen Journalisten verfolgt, angeglotzt und angefeindet tagsüber, wenn er sich in einen Diner traut, obendrein beschattet von Polizei und Mafia. Und dann taucht eine unwiderstehlich attraktive, energiegeladene und für ihn, den Anfangsechziger, viel zu junge Frau auf, die sich ihm als Ghostwriterin für seine Version der Geschichte andient.
Ähnliche Versuchsanordnung wie in "Paria", unterschiedliche Ausführung. Im Präsens rekapituliert Leonard March als Ich-Erzähler, wie es dazu kam, dass er in den siebziger Jahren Killer wurde. Er hat noch immer keine Schuldgefühle, weil die Opfer keine Waisenknaben waren. Aber er beschönigt auch nicht, wie er durch sein vor der Familie verborgenes Doppelleben deren Existenz ruinierte.
Für seine Kinder gibt es kein Zurück zu ihrem Vater, da ist nur Hass und dumpfe Seelenvernichtung; davon erzählt er in den "Gegenwart"-Kapiteln im Präteritum. Die Vergangenheit lebt, die Gegenwart ist schon so gut wie abgeschlossen, auch wenn er zwei Drogensüchtige von einem Überfall auf einen Laden abhält und dadurch seinen Willen, ein ordentliches Mitglied der Gesellschaft zu werden, dokumentiert.
Aber so, wie diese Gesellschaft gestrickt ist, lautet die Botschaft des Autors, hält sie selbst diesen Einsatz für taktisches Geplänkel, für einen unglaubwürdigen Trick. Menschlichen Kredit hat hier niemand mehr. Und Zeltserman erteilt noch einer gängigen Floskel der Gegenwart eine harsche Absage - das dumme Gerede, man müsse sich "neu erfinden", kann nicht im luftleeren Raum stattfinden, es braucht schon ein soziales Umfeld, das diesen Schachzug zulässt.
P.S.: Ein aufregendes Buch von Dave Zeltserman wartet noch immer auf seine Übersetzung: Vor fünf Jahren legte er mit "The Caretaker of Lorne Field" einen Abstecher ins Horror-Genre vor. Auch dort ist die Geschichte so vermeintlich simpel wie möglich: Ein Mann schneidet und bewacht tagaus, tagein, Jahr um Jahr ein Feld mit fleischfressenden Pflanzen, weil er einen Vertrag erfüllt, der seine Familie seit einer Prophezeiung vor dreihundert Jahren an diese Aufgabe bindet.
Die "Aukowies" genannten Tierpflanzen würden alles Leben auf der Erde in kürzester Zeit vernichten. Aber die Gemeinde sieht keinen Sinn mehr darin, den Hüter zu zahlen, die Söhne verweigern die Nachfolge für diese vermeintlich in die Jahre gekommene Aufgabe. Wie glaubwürdig ist eine Drohung, die Erde würde untergehen, nur weil ein Feldhüter ausfällt? Zeltserman beantwortet die Frage mit archaischer Wucht und wahrem Schrecken. Man sollte sich ihm ausliefern, selbst wenn man kein Anhänger des Genres ist.
HANNES HINTERMEIER
Dave Zeltserman: "Killer". Roman.
Aus dem Englischen von Ango Laina und Angelika Müller. Pulp Master Verlag, Berlin 2015. 272 S., br., 14,90 [Euro].
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