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Produktdetails
  • Diana-Taschenbücher
  • Verlag: Diana
  • Seitenzahl: 334
  • Abmessung: 190mm
  • Gewicht: 279g
  • ISBN-13: 9783453189584
  • ISBN-10: 3453189582
  • Artikelnr.: 24341114
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.01.2000

Milo, Murphy und leberbestimmte Launen
Roger Boylan geht in „Killoyle” Flann O’Briens Wege
Würde Harry Rowohlt heimlich einen Roman schreiben und unter Pseudonym veröffentlichen, so könnte das Ergebnis aussehen wie Killoyle – für den Roger Boylan als Autor zeichnet. Die Originalausgabe ist bei der „Dalkey Archive Press” in Normal, Illinois, erschienen; auch dies klingt nach einem grandiosen Fake. Dass man von Roger Boylan noch nichts gehört oder gelesen hat, gibt dem Verdacht zusätzliche Nahrung. Unbegründet ist er dennoch: Harry Rowohlt hat dieses wahnwitzige Buch nicht verfasst, sondern nur furios und eigenwillig übersetzt (1). Der Autor ist 46 Jahre alt, in den USA geboren (2), aber in Irland und einigen anderen Gegenden Europas aufgewachsen, was, an der Anzahl der von ihm erwähnten Länder gemessen (3), einige Zeit gedauert haben muss.
Boylans Humor ist mindestens so irisch wie der vieler Iren, doch der Mann lebt in Texas und sagt über einen seiner Helden: „Wie die meisten Iren fühlte sich Milo teilweise als Amerikaner. ” Die Lektüre von Flann O’Brien, gestand Boylan, war sein „Damaskus” und habe ihm den Weg zum Schreiben gewiesen. Manchmal, aber vielleicht liegt das auch an Harry Rowohlt, hat man beim Lesen von Killoyle” den Eindruck, Flann O'Brien wäre bloß für 33 Jahre ins mythische Dunkel seiner Stammkneipen abgetaucht gewesen, um nun zurückzukehren und die Welt mit einem neuen Opus zu verblüffen.
Roger Boylan ist auch so belesen wie sein Vorbild. Es würde mich nicht überraschen, wenn er auch Jean Paul gelesen hätte und ihn haushoch übertreffen möchte, wenn es um die Anzahl und Länge ironischer Anmerkungen geht. Das erste Kapitel von Killoyle” hat 21 Seiten und 27 Fußnoten, die mitunter mehr Platz einnehmen als die eigentliche Erzählung. Gelegentlich widersprechen die Anmerkungen dem Erzähler und fallen ihm in den Rücken; oft erzählen sie zusätzliche kleine Geschichten, manchmal führen sie Figuren ein, die unversehens nach oben rutschen in den Plot des Romans.
Roger Boylan erzählt so fabulierfreudig, dass es schon ein kleines Wunder ist, wenn dabei überhaupt so etwas wie eine kontinuierlich fortschreitende Story zustandekommt. Zu Beginn wird sie noch vom Schauplatz abgesichert, vom fiktiven Städtchen Killoyle, das sich aus vielen irischen Vorbildern zusammensetzt, vom nordirischen Portrush über den Wallfahrtsort Knock und das noble Bray bis zum Zockerkaff Bundoran, und, wenn den geographischen Angaben des Autors („41 Meilen südöstlich von Cork”) zu trauen wäre, in der irischen See liegen müsste.
In Killoyle lebt Milo Rogers. Er will, wie es der Lyriker Patrick Kavanagh formulierte, zum stehenden Heer der einhunderttausend irischen Poeten gehören. Vorerst aber arbeitet er als Oberkellner im Hotel Spudorgan Hall. Er leidet an den frühen Sperrstunden, am Durst, an Geld- und Sex-Mangel. Die Journalistin Kathy McRory Hickman, Witwe eines nur mäßig geliebten Mannes und Fan des privaten deutschen Fernsehkanals Sieg (mit Triumph des Willens im Abendprogramm!) wird ihm helfen.
Weil das ein sehr irischer Roman ist, kommt auch ein Pfarrer vor: Father Doyle schätzt Whiskey, Zigaretten, einen anständigen Fluch und die Erinnerung an Rom. Auch sonst ist er kein unrechter Mann, nur hat er das Pech, dass der Papst seine Gemeinde zusperrt wie ein Konzernchef eine Zweigstelle. Größeren missionarischen Eifer entwickelt Wolfetone Grey, der mit anonymen nächtlichen Anrufen das Volk von Killoyle von der Heilslehre des Sektengründers Glossowitsch zu überzeugen versucht. Gott selbst hat den Russen am Telefon darauf aufmerksam gemacht, dass die Namen seiner Auserwählten allesamt mit dem Buchstaben G beginnen. Von Zweiflern, die auf Goebbels und Göring verweisen, lässt sich Grey nicht irritieren.
Namen sind ohnehin Boylans Spezialgebiet: Die mythologischen „Fir Bolgs” werden zu einer parlamentarischen Splittergruppe. Milos Freund, der Oberkellner von Spudorgan Hall, heißt Murphy, wie „Murphys Law”; Kathy stellt sich nach einer Nacht mit ihm in einer „leberbestimmten Laune” die Frage, ob es auf der Welt Trüberes, „Mörphigeres” gebe. Mit Namen wie Wolfetone und Emmet hat Boylan Helden der irischen Unabhängigkeit verewigt, und einen nordirischen Sektierer nennt er, nach Ian Paisley, höhnisch Owen Parsley.
Des weiteren treibt in dem Ort Tom Maher sein Unwesen, der Mann, dem der Sprung von der Anmerkung in die Story – und damit gleichzeitig auch vom Hafenmeister zum Immobilienhai – glückte. Maher versucht, eine Häuserzeile mit dem konzentrierten Gestank von „Gülloflex Instant” zu entmieten, verhaftet wird er aber, weil in seinem Pub ein Gast an gepanschtem Fusel gestorben ist.
Anfangs gleicht Roger Boylans Dramaturgie einem Reigen, doch seine Geschichte beginnt sich zu drehen wie ein Karussell; der Autor zieht das Tempo immer weiter an, bis am Ende die Zentrifugalkraft seine Figuren hinaustreibt in die Welt. Mit dieser Bewegung ufert auch die Story endgültig aus.
Milo wird um ein Haar mit einem Pfeifenbesteck ermordet, Grey leitet in Nordirland eine mobile Sekte gottesfürchtiger Bankräuber; Emmet Power, Geschäftsführer von Spudorgan Hall, bringt es zum Direktor eines Jesuitenkollegs bei Frascati, und Maher dehnt seine Geschäfte auf EU-Dimensionen aus.
Roger Boylan ist sich, nach eigener Aussage, nicht sicher, ob er mit seinem Buch einen Zweck verfolgt: „Vor allem möchte ich schreiben, was ich selbst gern lesen würde. ” So wurde Killoyle auch eine heimliche Hommage an Samuel Becketts „Murphyund Molloyund natürlich anAt-Swim-Two-Birds” von Flann O’Brien. Dass Boylan dabei frei bleibt von den Erschöpfungen des Epigonentums, spricht für seine erzählerische Phantasie. Wenn nun ein Gegner dieses Romans die Botschaft vermissen und behaupten würde, er sei nur heiße Luft, so wäre ihm zu entgegnen: Sie erwärmt einen beim Lesen.
H. G. PFLAUM
(1) Der Liffey (trotz „Anna Livia”-Allegorie), die Pint (ich habe immer ein Pint getrunken, oder mehrere, aber nie eine), und Father Doyle wird kategorisch zum Pater, obwohl er ein ganz normaler Pfarrer ist.
(2) Für Fragen und Kommentare bietet der Autor im Internet seine e-mail-Anschrift an: rboylan@hrw.com.
(3) Unter anderem in Dublin, im nordirischen Portrush, in Genf, Paris und Rom. Sein Vater, sagt Boylan, war Fachmann für Glockenspiele an Kirchtürmen.
ROGER BOYLAN: Killoyle. Roman. Aus dem Englischen von Harry Rowohlt. Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins. Hamburg 1999. 317 Seiten, 29 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.01.2000

Lauter Ärger um Sankt Oinsias
Nichts für Irlandmuffel: Roger Boylans Farce "Killoyle"

Wer den Rang und den Promillegehalt dieses Werkes ermessen will, muss wissen, dass Harry "Pooh" Rowohlt eigens seinen Jahresarbeitsplan gekippt hat, um die deutsche Version von "Killoyle" mit dem Jubiläumsetikett "Meine hundertste Buchübersetzung" adeln zu können. Auf eine Affinität zwischen dem sprachmächtigen Gesinnungs-Iren aus Hamburg und dem Amerikan Roger Boylan, der debütierend zu seinen irischen Wurzeln zurückgekehrt ist, lassen schon die Fotos im Verlagsprospekt schließen: Beide Herren sind gleich haarig und bebrillt und schauen so bierernst aus ihrem Bartgestrüpp, als könnten sie kein Guinness trüben. Rowohlts Nachdichtung dessen, was der Untertitel als "irische Farce" ankündigt, offenbart eine tiefere Wahlverwandtschaft: Hier haben sich zwei gefunden in der Überzeugung, dass erstens, wie der Übersetzer erläutert, bei guten Büchern die Handlung "sowieso ziemlich Wurscht" sei und dass zweitens ein Buch, in dem "Sex, Gott, Alkohol und Irland" vorkämen, auf weitere handlungsstiftende Zutaten getrost verzichten könne.

Dem mag man beipflichten oder auch nicht; jedenfalls bleibt das erste der vier Themen etwas unterbelichtet, vielleicht deshalb, weil Trinkgewohnheiten sich langfristig dämpfend auf das Sexualleben auswirken. Gott und der Alkohol indes sind hinreichend vertreten, und die Kleinstadt Killoyle, "die man sich, wenn man will, als etwas zwischen Wexford und Waterford vorstellen kann" (Rowohlt), ist sozusagen Irland in einer Nussschale. Grelle Gewitterblitze beleuchten eingangs die Farcen-Kulisse Spudorgan Hall, ein maßvoll vornehmes Country-Hotel, das "wie Schloss Dracula oder die Villa Bates" über einem Steilhang thront und der feinen Gesellschaft von Killoyle als Treffpunkt dient. Hier versieht Milo Rogers, Junggeselle, Gelegenheitsdichter und "aficionado der gestaltenden Künste", die Stelle des Oberkellners, während sein Saufkumpan Peter X. Murphy den Chef-Barmann gibt. Hier treibt ferner der Lebensmittel-Einkaufsleiter Wolfetone Grey sein Unwesen, der sich im Auftrag des russischen Religionsgründers Leonid Glossowitsch dazu berufen fühlt, mit anonymen Telefonaten, Verheißungen oder Drohungen all jene zu missionieren, die ein "G" am Namensanfang tragen.

Vergleichsweise harmlos wirkt Emmet Power, Geschäftsführer des Etablissements, Bewunderer wohlgeformter Fußknöchel und "Absolvent keiner Hochschule außer der des Lebens". Pater Philip Doyle hingegen, Seelenhirte der Gemeinde Killoyle Nord, hat zeitweilig an der Gregorianischen Universität in Rom studiert und trägt seitdem Italiensehnsucht mit sich herum. Wer könnte es ihm verdenken in einem Land, in dem der Regen so natürlich vom Himmel tröpfelt "wie der morgendliche Stuhl"? Diese Beobachtung stammt von dem Fußnotenverfasser, der auf fast jeder Buchseite Spuren seiner Logorrhöe in Gestalt oft übellauniger Anmerkungen hinterlassen hat und irgendwo verrät, dass er seit 1934 regelmäßig zur Beichte geht, mithin der Vater des Autors sein könnte. Aber zurück zu Pater Doyle: Vom Leben abgeschnitten, "wie eine unbenutzte Lokomotive auf einem überwachsenen Abstellgleis", fühlt sich der grüblerische Gottesmann, und da Pavarotti-Hören allein seinen Weltschmerz nicht betäubt, muss er mit Spirituosen nachhelfen, was ihn einerseits zu originellen Predigern inspiriert, andererseits zu Missgriffen verleitet, denn nicht immer ist Whiskey drin, wo Whiskey draufsteht.

Auch einen Schurken gibt es im Städtchen, den Immobilienhai und Gaststättenbesitzer Thomas Maher, genannt "der Grieche". Er verübt Gülle-Attacken auf unliebsame Mieter, lässt in seiner Kneipe "Mad Molloy's" achtzigprozentigen Methylalkohol ausschenken und unterhält gute Beziehungen zur Gesellschaft Jesu, jenem geschäftstüchtigen Teil des Klerus, dessen zwillingstürmige Kirche in Killoyle den Heiligen "Peter & Laurence O'Toole" geweiht ist. Die Machenschaften, mit denen Maher versucht, den integren Doyle am Konkurrenzkirchlein Sankt Oinsias einzuschüchtern und sich Spudorgan Hall unter den Nagel zu reißen, fallen in die vernachlässigenswerte Kategorie, die man "Handlung" nennt. Und sonst? Der Sektierer Grey dreht durch, Pater Doyle erhält ein Kündigungsschreiben vom Papst, Direktor Power wandert nach Italien aus, und Kellner Milo wird nicht nur zum Einkaufsleiter befördert, sondern auch von seiner Angebeteten erhört, der Frauenmagazin-Kolumnistin Kathy Hickman, die früher als "Hochglanz-Klappi" für Herrenblätter posierte. Was die beiden miteinander treiben, wird nicht erzählt, aber vermutlich tun sie es auf jene Weise, die der Fußnotenmann als die "irische" beschreibt, "halb nackt, nach schnellem Fummeln, mit dem leisen Pochedipoch des Regens auf dem Dach und dem leichten Aroma von Speck in der Luft".

Jeder, der zu Irland ein libidinöses Verhältnis hat, wird Roger Boylans Typen-Panoptikum goutieren, wird sich beglückt durch das Dickicht literarischer, historischer und mentalitätskundlicher Verweise kämpfen, wird Zoten und Anekdoten, deftige Ausfälle und feinsinnige Anspielungen zu schätzen wissen. "Publisher's Weekly" entdeckte im Debüt des Auswanderers den Geist von Joyce, Beckett und Flann O'Brien, und naturgemäß ist es vor allem der letztere, von Harry Rowohlt hochverehrte, der durch die deutsche Fassung geistert. Irlandmuffel, andererseits, brauchen Geduld und Ausdauer, um Boylans geballte Liebes- und Hasserklärung an die grüne Heimat gebührend zu würdigen. Vielleicht hilft ihnen der Hinweis des Anmerkers, Bücher würden extra deshalb "tragbar hergestellt, damit man sie im Bus oder am Imbisstresen oder in der Badewanne lesen kann".

KRISTINA MAIDT-ZINKE

Roger Boylan: "Killoyle". Eine irische Farce. Aus dem Englischen übersetzt von Harry Rowohlt. Verlag Rogner & Bernhard, Hamburg 1999. 318 S., geb., 27,- DM.

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