Produktdetails
- rororo Taschenbücher
- Verlag: Rowohlt TB.
- Originaltitel: Mother of Pearl
- Seitenzahl: 317
- Gewicht: 298g
- ISBN-13: 9783499226892
- Artikelnr.: 24194197
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.12.1998Apfelkuchen im Sanatorium
Mary Morissys Romanerstling "Kind aus dem Meer"
Mary Morissy, 1957 in Dublin geboren, erzählt ihre Geschichte aus drei Perspektiven; jeweils steht eine andere Frau im Mittelpunkt. Im ersten Teil ist es Irene, eine junge schwindsüchtige Verkäuferin, die von ihrer lieblosen Familie in eine Anstalt gesteckt wird. Den von Liebeslust besessenen Kranken gewährt sie kleine traurige Befriedigungen. Nach ihrer Heilung heiratet sie den Sohn einer Patientin. Doch die Ehe mit dem impotenten Hafenarbeiter wird zur Enttäuschung. Der Traum vom Kind führt zur Besessenheit, von der nur die kriminelle Tat Irene befreit. Sie entführt ein Baby, das sie "Pearl" nennt, Perle. "Mother of Pearl" ist der Originaltitel des Romans (dessen deutscher Titel, auf Ibsens "Frau vom Meer" anspielend, eine Erfindung ist). Wie die Perlmuttschicht das Korn in der Auster verbirgt, so Irene das Kind, das vier Jahre lang dem Paar ein gestohlenes Glück beschert.
Im zweiten Teil beherrscht Rita, die wahre Mutter des Kindes, die Szene. Das blutjunge Ding taumelte, den Kopf voller Kinoromanzen, in die Ehe mit einem Rabauken. Nach dem Raub des von ihr nicht gewünschten Babys legt sich Rita Geschichten zurecht, um ihre Schuldgefühle zu betäuben. Die zweite Schwangerschaft, die Folge eines Seitensprungs, wirkt wie ein Sturz ins kalte Wasser. Rita, nun Mutter eines Mädchen namens Stella, baut listig eine Fassade von Ehrbarkeit auf. Sie gewinnt "Kontrolle über die offizielle Version ihres Lebens". Diese wird gestört, weniger durch die Ermordung ihres Manns, der einem politischen Anschlag zum Opfer fällt, als durch die Wiederentdeckung des einst entführten Kindes.
Der dritte Teil wird dem Kind Pearl, das eigentlich Mary Hazel heißt, in den Mund gelegt. Es ist, aus der Perspektive der erwachsenen jungen Frau erzählt, die Darstellung einer Neurose. Das Mädchen mit den zwei Namen, über dessen Kindheit die Mutter nicht spricht, ihr statt dessen die Mär von einer "verlorenen" Schwester auftischt, kreist gedanklich um jenes von ihr Jewel genannte Kind, ohne zu wissen, daß dieses verlorene Juwel sie selber ist. Sie wünscht sich eine andere Mutter, vielleicht die "Frau in Weiß", die sie entführte; sie steht der lebenslustigen Schwester, der vergnügungssüchtigen Mutter fremd gegenüber. Sie wird Krankenschwester, heiratet einen Polizeifotografen. Das Kind, das sie erwartet, tötet sie, von Schuldgefühlen getrieben.
Mary Morissy, von Beruf Journalistin und mit Erzählungen hervorgetreten, ist in ihrem ersten Roman eher eine Kurzgeschichten-Erzählerin. Sie komponiert ihre Erzählkomplexe auf Pointen hin; einen epischen Zug hat dieses Buch nicht. Es besticht durch oft nur angedeutete, authentische Beobachtungen aus der irischen Kleinbürgerwelt, durch harsche Seitenblicke auf die Lieblosigkeiten zwischen Frauen und Männern. Das Spiel mit identifikatorischen Wunschbildern wirkt oft aufgesetzt, so wie die kitschig symbolischen Kindernamen. Besonders der dritte Teil ist mit lyrisierenden Selbstbeobachtungen überfrachtet. Stilistische Ausrutscher gibt es viele. Dagegen überzeugt die Wiedergabe von Atmosphärischem. Die politischen Wirren Irlands aber werden nur angedeutet. Das Buch darf als Gehversuch einer talentierten Erzählerin gelten. RENATE SCHOSTACK
Mary Morissy: "Kind aus dem Meer". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Isabell Lorenz. Rowohlt Verlag, Reinbek 1998. 319 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mary Morissys Romanerstling "Kind aus dem Meer"
Mary Morissy, 1957 in Dublin geboren, erzählt ihre Geschichte aus drei Perspektiven; jeweils steht eine andere Frau im Mittelpunkt. Im ersten Teil ist es Irene, eine junge schwindsüchtige Verkäuferin, die von ihrer lieblosen Familie in eine Anstalt gesteckt wird. Den von Liebeslust besessenen Kranken gewährt sie kleine traurige Befriedigungen. Nach ihrer Heilung heiratet sie den Sohn einer Patientin. Doch die Ehe mit dem impotenten Hafenarbeiter wird zur Enttäuschung. Der Traum vom Kind führt zur Besessenheit, von der nur die kriminelle Tat Irene befreit. Sie entführt ein Baby, das sie "Pearl" nennt, Perle. "Mother of Pearl" ist der Originaltitel des Romans (dessen deutscher Titel, auf Ibsens "Frau vom Meer" anspielend, eine Erfindung ist). Wie die Perlmuttschicht das Korn in der Auster verbirgt, so Irene das Kind, das vier Jahre lang dem Paar ein gestohlenes Glück beschert.
Im zweiten Teil beherrscht Rita, die wahre Mutter des Kindes, die Szene. Das blutjunge Ding taumelte, den Kopf voller Kinoromanzen, in die Ehe mit einem Rabauken. Nach dem Raub des von ihr nicht gewünschten Babys legt sich Rita Geschichten zurecht, um ihre Schuldgefühle zu betäuben. Die zweite Schwangerschaft, die Folge eines Seitensprungs, wirkt wie ein Sturz ins kalte Wasser. Rita, nun Mutter eines Mädchen namens Stella, baut listig eine Fassade von Ehrbarkeit auf. Sie gewinnt "Kontrolle über die offizielle Version ihres Lebens". Diese wird gestört, weniger durch die Ermordung ihres Manns, der einem politischen Anschlag zum Opfer fällt, als durch die Wiederentdeckung des einst entführten Kindes.
Der dritte Teil wird dem Kind Pearl, das eigentlich Mary Hazel heißt, in den Mund gelegt. Es ist, aus der Perspektive der erwachsenen jungen Frau erzählt, die Darstellung einer Neurose. Das Mädchen mit den zwei Namen, über dessen Kindheit die Mutter nicht spricht, ihr statt dessen die Mär von einer "verlorenen" Schwester auftischt, kreist gedanklich um jenes von ihr Jewel genannte Kind, ohne zu wissen, daß dieses verlorene Juwel sie selber ist. Sie wünscht sich eine andere Mutter, vielleicht die "Frau in Weiß", die sie entführte; sie steht der lebenslustigen Schwester, der vergnügungssüchtigen Mutter fremd gegenüber. Sie wird Krankenschwester, heiratet einen Polizeifotografen. Das Kind, das sie erwartet, tötet sie, von Schuldgefühlen getrieben.
Mary Morissy, von Beruf Journalistin und mit Erzählungen hervorgetreten, ist in ihrem ersten Roman eher eine Kurzgeschichten-Erzählerin. Sie komponiert ihre Erzählkomplexe auf Pointen hin; einen epischen Zug hat dieses Buch nicht. Es besticht durch oft nur angedeutete, authentische Beobachtungen aus der irischen Kleinbürgerwelt, durch harsche Seitenblicke auf die Lieblosigkeiten zwischen Frauen und Männern. Das Spiel mit identifikatorischen Wunschbildern wirkt oft aufgesetzt, so wie die kitschig symbolischen Kindernamen. Besonders der dritte Teil ist mit lyrisierenden Selbstbeobachtungen überfrachtet. Stilistische Ausrutscher gibt es viele. Dagegen überzeugt die Wiedergabe von Atmosphärischem. Die politischen Wirren Irlands aber werden nur angedeutet. Das Buch darf als Gehversuch einer talentierten Erzählerin gelten. RENATE SCHOSTACK
Mary Morissy: "Kind aus dem Meer". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Isabell Lorenz. Rowohlt Verlag, Reinbek 1998. 319 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main