"Entschuldigen Sie bitte, aber könnten wir vielleicht mit den Erwachsenen des Hauses sprechen?", fragt Miss Bobbit bei ihrem ersten Auftritt und bringt damit die wildeste Geburtstagsparty zum Schweigen. Wenig später ist ein ganzes Dorf dem Bann dieses zehnjährigen Mädchens erlegen, das auf seine Weise extravagant und von einem Hauch von großer Welt umgeben ist. Billy Bob, Preacher Star und die anderen Jungs machen ihr den Hof, die Großen tuscheln, doch Miss Bobbit sitzt ungerührt auf der Veranda und schenkt dem Geraune keine Beachtung. Was hat es nur auf sich mit dieser engelhaften Gestalt, die sich weigert, die Schule zu besuchen? Dann, eines Tages, tritt sie in Manny Fox' Show auf, deren Hauptpreis Probeaufnahmen in Hollywood sind. Alle strömen in das Zelt, denn sie ahnen, dass an diesem Abend ein lang gehütetes Geheimnis gelüftet werden soll.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.05.2008Traumtänzerin
Truman Capote blickte auf sich und seine Zeitgenossen mit der Kaltblütigkeit einer Überwachungskamera, jedes Detail registrierend. Der verlogenen Muse Wahrscheinlichkeit, die seit der Antike die Dichtung verführt, zog er nüchterne Präzision vor, dem Pomp der Verhüllung die Nacktheit der Wahrheit. Dass er jeden Satz und jede Freundschaft so lange wendete, bis die Negation mit aufschien, brachte Capote in Teufels Küche, wo bekanntlich mit allen Wassern zugleich gekocht wird. Capotes im Jahre 1948 erschienene bezaubernde Kurzgeschichte "Kindergeburtstag" ("Children on Their Birthdays") scheint denn auch sogleich ihren Titel zu widerlegen: Zwar sind die Protagonisten durchaus Kinder, dabei aber so unkindlich wie nur denkbar. Die Heldin, Miss Bobbit, ist eine Zehnjährige, welche die meisten Erwachsenen erblassen lässt: Tänzerin wollte sie werden und dahin kommen, "wo die Menschen auf den Straßen tanzen und alles so hübsch ist wie auf einem Kindergeburtstag", ins Paradies also. Dann aber musste sie einen karrieretechnischen Umweg einschlagen, landete samt ihrer Mutter - auf welche sie aufpasst - im Städtchen des Erzählers, gründet eine kleine Firma und stellt zwei Nachbarsbuben, die natürlich beide in sie verliebt sind, als Gehilfen ein. Auch der im Titel anklingende Geburtstag ist unvollständig, wenn man nicht zugleich das Gegenteil, den Sterbetag, mitdenkt: "Gestern Nachmittag überfuhr der Sechs-Uhr-Bus Miss Bobbit." So beginnt und so endet die Handlung, dazwischen steht der ein Jahr umfassende Rückblick. Es ist die Erziehung eines Dorfes, also Amerikas, durch einen marktwirtschaftlich orientierten Engel: Miss Bobbit schafft in ihrem Umfeld auf natürlich-kindliche Weise die Rassendiskriminierung und den organisierten Betrug ab. Während sie, den Rock hebend und funkensprühende Feuerwerkskörper in der Hand haltend, über die Bühne tanzt, singt sie aus vollem Hals die Nationalhymne. Dieses traumgleiche Amerika macht dann der Bus platt. (Truman Capote: "Kindergeburtstag". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ursula-Maria Mössner. Mit Bildern von Rudi Hurzlmeier. Kein & Aber Verlag, Zürich 2008. 80 S., geb., 12,90 [Euro].) oju
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Truman Capote blickte auf sich und seine Zeitgenossen mit der Kaltblütigkeit einer Überwachungskamera, jedes Detail registrierend. Der verlogenen Muse Wahrscheinlichkeit, die seit der Antike die Dichtung verführt, zog er nüchterne Präzision vor, dem Pomp der Verhüllung die Nacktheit der Wahrheit. Dass er jeden Satz und jede Freundschaft so lange wendete, bis die Negation mit aufschien, brachte Capote in Teufels Küche, wo bekanntlich mit allen Wassern zugleich gekocht wird. Capotes im Jahre 1948 erschienene bezaubernde Kurzgeschichte "Kindergeburtstag" ("Children on Their Birthdays") scheint denn auch sogleich ihren Titel zu widerlegen: Zwar sind die Protagonisten durchaus Kinder, dabei aber so unkindlich wie nur denkbar. Die Heldin, Miss Bobbit, ist eine Zehnjährige, welche die meisten Erwachsenen erblassen lässt: Tänzerin wollte sie werden und dahin kommen, "wo die Menschen auf den Straßen tanzen und alles so hübsch ist wie auf einem Kindergeburtstag", ins Paradies also. Dann aber musste sie einen karrieretechnischen Umweg einschlagen, landete samt ihrer Mutter - auf welche sie aufpasst - im Städtchen des Erzählers, gründet eine kleine Firma und stellt zwei Nachbarsbuben, die natürlich beide in sie verliebt sind, als Gehilfen ein. Auch der im Titel anklingende Geburtstag ist unvollständig, wenn man nicht zugleich das Gegenteil, den Sterbetag, mitdenkt: "Gestern Nachmittag überfuhr der Sechs-Uhr-Bus Miss Bobbit." So beginnt und so endet die Handlung, dazwischen steht der ein Jahr umfassende Rückblick. Es ist die Erziehung eines Dorfes, also Amerikas, durch einen marktwirtschaftlich orientierten Engel: Miss Bobbit schafft in ihrem Umfeld auf natürlich-kindliche Weise die Rassendiskriminierung und den organisierten Betrug ab. Während sie, den Rock hebend und funkensprühende Feuerwerkskörper in der Hand haltend, über die Bühne tanzt, singt sie aus vollem Hals die Nationalhymne. Dieses traumgleiche Amerika macht dann der Bus platt. (Truman Capote: "Kindergeburtstag". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ursula-Maria Mössner. Mit Bildern von Rudi Hurzlmeier. Kein & Aber Verlag, Zürich 2008. 80 S., geb., 12,90 [Euro].) oju
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