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Scheidungen, Sorgerecht, Fragen des Kindeswohls - das ist das Spezialgebiet der Richterin Fiona Maye. In ihrer eigenen, kinderlosen Ehe ist sie seit über dreißig Jahren glücklich. Bis zu dem Tag, als ihr Mann ihr einen schockierenden Vorschlag unterbreitet und ihr ein dringlicher Gerichtsfall vorgelegt wird, in dem es für einen 17-jährigen Jungen um Leben und Tod geht.

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Produktbeschreibung
Scheidungen, Sorgerecht, Fragen des Kindeswohls - das ist das Spezialgebiet der Richterin Fiona Maye. In ihrer eigenen, kinderlosen Ehe ist sie seit über dreißig Jahren glücklich. Bis zu dem Tag, als ihr Mann ihr einen schockierenden Vorschlag unterbreitet und ihr ein dringlicher Gerichtsfall vorgelegt wird, in dem es für einen 17-jährigen Jungen um Leben und Tod geht.
Autorenporträt
Ian McEwan, geboren 1948 in Aldershot (Hampshire), lebt bei London. 1998 erhielt er den Booker-Preis und 1999 den Shakespeare-Preis der Alfred-Toepfer-Stiftung. Seit seinem Welterfolg 'Abbitte' ist jeder seiner Romane ein Bestseller. Zuletzt kamen Verfilmungen von 'Am Strand' (mit Saoirse Ronan) und 'Kindeswohl' (mit Emma Thompson) in die Kinos. Ian McEwan ist Mitglied der Royal Society of Literature, der Royal Society of Arts und der American Academy of Arts and Sciences.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

"Formale und inhaltliche Anregung erster Güte" attestiert Thomas Hermann dem neuen Roman von Ian McEwan, dem die Auseinandersetzung mit den Gegensätzen von Glauben und Vernunft, Recht und Liebe große Tiefe verleihe, wie der Rezensent meint: Er erzählt die Geschichte der Londoner Richterin Fiona Maye, die im Fall eines siebzehnjährigen Zeugen Jehovas entscheiden soll, ob ihm die medizinische Hilfe verweigert werden darf, wie die dogmatischen Eltern das möchten. Als Gerichtsdrama in fünf Akten beschreibt Hermann den Roman, sieht kurze Momente des Glücks aufblitzen, der Kultur und der Zärtlichkeit, bevor die Geschichte ihr erwartbar tragisches Ende nimmt. Der Rezensent hat an der Klugheit des Rationalisten und Atheisten McEwan keinerlei Zweifel, weswegen ihn allein einige ans Bildungshuberische grenzende Bemerkungen stören.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.01.2015

Drei Sekunden lang all das ferne Leben spüren

Ein Junge stirbt, wenn er keine Bluttransfusion bekommt. Doch was medizinisch geboten ist, verbietet seine Religion: Ian McEwan verhandelt in "Kindeswohl" einen juristisch und moralisch kniffeligen Fall.

Familienrecht kann lustig sein. Oder sagen wir: Es klingt lustig, wenn etwa darüber gestritten wird, welcher der Ehegatten den vormals gemeinsamen Hund bekommen soll. Oder wenn die Familienrichterin im Taunus entscheiden muss, ob die Luxus-Hausfrau nun zweitausend oder lediglich tausend Euro im Monat benötigt - nur für Schmuck wohlgemerkt.

Aber natürlich stecken oft Tragödien dahinter, insbesondere, wenn über Kinder gestritten wird. Denn in ihren Kindern wollen sich Eltern verwirklichen. Sie bestimmen, was das Kind machen und glauben soll. Das Ringen um das Kindeswohl hält nicht jeder Richter lange aus. Fiona Maye hält es aus. Und sie ist stolz darauf. Die Hauptfigur des neuen, heute erscheinenden Romans von Ian McEwan ist Familienrichterin am High Court in London - Gipfel einer juristischen Karriere, den man im angelsächsischen Rechtsraum (ganz anders als in Deutschland) in der Regel erst nach einer erfolgreichen Anwaltslaufbahn erreicht.

Fiona muss Fälle entscheiden, in denen es stets ums Ganze geht: Leben und Tod, Macht und Moral, die Grenzen von Glauben und Medizin. Noch dazu politisch hochaktuell. Da ist etwa der strenggläubige Vater, der wie die Mutter der ultraorthodoxen jüdischen Gemeinde der Charedim angehört - und nicht will, dass seine Töchter eine höhere Bildung bekommen. Die Mutter der Kinder hat studiert und der Gemeinde den Rücken gekehrt. Jetzt geht es vor dem Familiengericht darum, ob die Töchter auf eine gemischte, tolerante jüdische Oberschule gehen dürfen. "Es war ein Kampf um ihre Seelen." Fiona hat, im Namen der Kinder, zu entscheiden zwischen "totaler Religion und leichter Abweichung davon". Ihr Urteil zollt der altehrwürdigen Gemeinde tiefen Respekt und hebt die neutrale Einstellung des Gerichts zu einzelnen Glaubensinhalten hervor. Doch ihre oberste Pflicht ist es, dafür zu sorgen, dass Kinder selbst weiter über ihr eigenes Leben entscheiden können. Fiona kann sich einen Seitenhieb auf den Vater nicht verkneifen, der sich schließlich von hochqualifizierten Anwältinnen habe vertreten lassen (und deshalb, so ist das in England, nun finanziell ruiniert ist).

Aber Religion hat mit Logik nichts zu tun. Glaube wirkt in Fionas Fällen wie ein Störfaktor. Als sie sich dazu durchringt, siamesische Zwillinge trennen zu lassen, was den sicheren Tod des einen und ein wahrscheinliches Überleben des anderen zur Folge hat, der bei Untätigbleiben auch bald stürbe, erkaltet etwas in ihr: "Sie war es, die ein Kind aus der Welt gesandt hatte, die den Jungen mit vierunddreißig elegant formulierten Seiten aus dem Dasein argumentiert hatte."

Aber ist nicht ohnehin alles zufällig, sinnlos? "Reiner Zufall, wenn man mit korrekt gebildeten und an den richtigen Stellen plazierten Körperteilen geboren wurde und mit liebevollen und nicht grausamen Eltern, oder wenn man, durch geographisches oder soziales Glück, Krieg oder Armut entging. Und es dann umso leichter hatte, tugendhaft zu sein." Hat nicht gerade hier der Glaube seinen Platz? Doch diese Frage stellt sie nicht.

Fiona muss Entscheidungen fällen. Um die Grenzen von Recht und Religion geht es auch im Hauptfall des Buches, das im Deutschen den so schlichten wie treffenden Titel "Kindeswohl" trägt und im Original "The Children Act" heißt. Ein fast volljähriger junger Mann hat Leukämie, er ist jedoch Zeuge Jehovas und verweigert die lebensrettenden Bluttransfusionen. Die Klinik will die Transfusion gegen den Willen der Eltern vornehmen und sich gerichtlich absichern. Es muss schnell gehen. Fiona will den Jungen sehen - eine der eindrucksvollsten Szenen des Romans. Der vom Tode bedrohte Adam ist, wie sollte es anders sein, schön und gewandt. Er spielt mit seiner Richterin: "Vielleicht war dieser intellektuell frühreife junge Bursche schlicht gelangweilt, unterfordert und inszenierte, indem er sein Leben aufs Spiel setzte, ein spannendes Drama, in dem er in jeder einzelnen Szene die Hauptrolle spielen konnte." Fiona weist Adam darauf hin, dass es hier um mehr geht als um Leben und Tod. Würde es Gott gefallen, so fragt sie ihn, wenn er blind oder blöde wird? Und wie soll sie in diesem Fall urteilen, da ihr Religionen und moralische Prinzipien wie ein dichter Gebirgszug aus der Ferne erscheinen - kein Berg eindeutig höher als der andere? Der begabte, todkranke Adam lernt gerade Geige, spielt für sie, trägt ihr seine Gedichte vor, sie singt mit ihm am Krankenbett.

Kein Zweifel: Dieser junge Mann weiß, was er tut. Und doch entscheidet Fiona gegen ihn, jedenfalls gegen seinen Wunsch, gegen seine Religion und die seiner Eltern - und für die zwangsweise Transfusion. Adam soll leben. Der Junge "muss vor seiner Religion und vor sich selbst geschützt werden". Als er sich erholt, weinen seine Eltern vor Freude und loben den Herrn. Warum? Sie haben sich an die Lehre gehalten und den Ältesten gehorcht, haben also alles richtig gemacht; Schuld hat allein die Richterin, die irdische Gottheit.

Das verwirrt Adam. Er wendet sich von seinen Eltern ab, beginnt an deren und seiner Religion zu zweifeln, sucht den Kontakt zu Fiona. Doch diese, wiewohl durchaus interessiert an ihm und seinem Schicksal, antwortet nicht auf seine Briefe - zum einen aus Gründen professioneller Distanz, zum anderen, weil sie selbst in einem privaten Dilemma steckt. Sie bricht zu einer Reise in die Provinz auf - um vor Ort Fälle zu lösen, die dann nicht am High Court landen.

Wie schnöde ist doch der Alltag sogar eines deutschen Bundesrichters im Vergleich zum Leben eines Richters am High Court: Fiona übernachtet in eigens für solche Trips vorgesehenen Residenzen, legendäre Weinkeller und gute Köche inklusive. Adam folgt ihr und überfällt sie mit seinem Wunsch: Er will bei ihr wohnen, will sie als eine Art Übermutter in sein Leben ziehen. Sie, fasziniert und geschmeichelt, schickt ihn zurück nach Hause. Beim Abschied kommt es eher versehentlich zu einem Kuss. Zwei, drei Sekunden - "Zeit genug, in der weichen Geschmeidigkeit seiner Lippen all die Jahre zu spüren, all das Leben, das zwischen ihnen lag". Fiona meldet sich auch weiterhin nicht bei Adam. Dessen Krankheit kehrt zurück. Er verweigert die Transfusion und stirbt - nicht ohne ihr vorher ein Gedicht zu hinterlassen. "Ihr Kuss war der des Judas, Verrat und nicht mehr umzuwenden. So soll er ..." Soll er was? Mittlerweile ist er achtzehn, er darf jede Transfusion verweigern. Fiona hatte ihm in ihrer Entscheidung "das ganze Leben und die ganze Liebe in Aussicht gestellt" - und dann das. Die hohe Richterin fühlt sich für diesen Tod mitverantwortlich, wie sie ihrem Mann am Ende des Buches erzählt.

Ihrem Mann? Ach ja, es gibt neben der professionell-schmalzigen Beziehung zu Adam noch eine eheliche Rahmenhandlung, die aber eher mau ist. So detailliert und packend McEwan die ungewöhnlichen Rechtsfälle schildert, so gewöhnlich erscheint das Privatleben der Richterin: Auf eigene Kinder hat sie nicht bewusst verzichtet, aber irgendwie gab es während der steilen Karriere nie den richtigen Zeitpunkt, und irgendwann war es dann eben zu spät. Hat man alles irgendwie schon einmal gehört. Auch dass eine Ehe nach Jahrzehnten nicht mehr von täglichen Leibesübungen geprägt ist - so what? Spätestens nach der schon auf Seite zwei gestellten Frage des Gatten "Fiona, wann haben wir das letzte Mal miteinander geschlafen?" will man eigentlich nichts mehr wissen. Immerhin kündigt Jack seiner Frau eine Affäre mit einer achtundzwanzig Jahre alten Statistikerin an - und angesichts ihrer originellen Antwort ("Du Idiot, du verdammter Idiot") muss man sagen: Beide haben es nicht besser verdient. Er kommt am Ende zurück, wohl aus Gewohnheit, das Buch beschreibt ihr Warten auf ihn, zwischen all den Fällen, in denen es um das Leben von Kindern geht. Weniger um deren Wohl. Denn das Kindeswohl setzt voraus, dass das Kind erst einmal leben kann. Die siamesischen Zwillinge werden getrennt, damit einer überlebt. Adam soll leben, darf es aber nach den Gesetzen seiner Religion nicht. Wer will da entscheiden? Natürlich zunächst die Eltern, aber im Konfliktfall weder die Kirche noch der Arzt. Sondern der unabhängige Richter in all seiner Fehlbarkeit.

Ian McEwan muss einsehen, dass das Leben die besten Fälle schreibt. Geschichten wie die von Adam sind Stoff genug. Wohl deshalb erzählt der Autor gleich mehr davon. Zugleich will er noch einiges unterbringen, was er so über das britische Rechtssystem herausgefunden hat. Dass er gründlich für seinen Roman recherchiert hat, belegt seine Danksagung, die Richter, Anwälte und Fälle zitiert, die seinem Werk zugrunde liegen. Diese Rechts- und Wirklichkeitskunde ist allemal spannend zu lesen, wird aber von McEwan mitunter etwas zusammenhanglos dargeboten. Etwa die durchaus interessante Kritik an der Klassenjustiz, dass etwa vier junge Herren des Oxforder Bullingdon Clubs wegen einer Rangelei kaum mit je zweieinhalb Jahren Haft bestraft würden wie junge Iren - bloß weil sie Iren sind. Dieses System kann man in der Tat hinterfragen, wie auch den Umstand, dass Fiona Maye, diese Jeanne d'Arc des Familienrechts, solche Leben-und-Tod-Fälle allein entscheidet. Hier geht es ja nicht nur um Hunde oder Schmuck. Fiona ist der Jack Bauer der Justiz; der amerikanische Super-Agent muss schließlich auch gelegentlich private Proben bestehen, während er nebenbei die Welt rettet. Dieses Werk hat das Leben geschrieben. Der Schriftsteller Ian McEwan beschränkt sich auf gutes Nacherzählen.

REINHARD MÜLLER

Ian McEwan: "Kindeswohl". Roman.

Aus dem Englischen übersetzt von Werner Schmitz. Diogenes Verlag, Zürich 2015. 224 S., geb., 21,90 [Euro].

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»Ian McEwan ist einer der abenteuerlustigsten und hinterlistigsten englischen Schriftsteller.«