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Soubaya, 15 Jahre alt, kommt von der multikulturellen, urbanen Küstenregion Reunions in das Hochland, in eine rückständige, bäuerliche Region, und besucht dort die Schule. Zuerst fremd und als einziger Inder unter Weißen, lernt er sich nach und nach durchzusetzen, gegen den Rassismus, im Konflikt mit seinen Mitschülern, im Konflikt zwischen der kreolischen und der französischen Kultur. Und er erlebt seine erste Liebe.

Produktbeschreibung
Soubaya, 15 Jahre alt, kommt von der multikulturellen, urbanen Küstenregion Reunions in das Hochland, in eine rückständige, bäuerliche Region, und besucht dort die Schule. Zuerst fremd und als einziger Inder unter Weißen, lernt er sich nach und nach durchzusetzen, gegen den Rassismus, im Konflikt mit seinen Mitschülern, im Konflikt zwischen der kreolischen und der französischen Kultur. Und er erlebt seine erste Liebe.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.09.1995

Im Speiseraum tobt das Leben
Ein Roman aus Réunion

Axel Gauvin aus Réunion begrenzt seinen Roman "Kindheitshunger" strikt auf ein einziges Thema: das Essen. Als gelte es, die alte Regel der französischen Klassik, die Einheit des Ortes, zu wahren, ist bis auf wenige Ausnahmen der Schauplatz stets derselbe: der Speiseraum der dörflichen Schule inmitten der Zuckerrohrplantagen von Réunion. Hier tobt das Leben. Hier entfaltet sich das ganze Spektrum des Hungers, von der Lust auf Früchte, die Nase und Gaumen entzücken, bis zur wilden Freßgier, die auf unterschiedslose Einverleibung aus ist. Gauvin malt alle Nuancen des Essens, der Mahlzeiten und Tischgewohnheiten. Auf der Zunge sind sie zu schmecken: der Reis als einzige den ewig leeren Magen füllende, sättigende Masse, die Pimentpaste aus Gewürzen und Knoblauch, die fades Essen erträglich macht, das luftige französische Weißbrot mit der knusprigen Kruste und der süße Saft des Zuckerrohrs - beide machen nicht satt -, das weiche, ölige, schwere Fruchtfleisch der Jackfrucht, an der sich die Geschmäcker scheiden, die sauren Tamarindenschoten, die für die Inder Köstlichkeiten sind und Heilmittel nach Magenverstimmungen.

Mahlzeiten verbinden Menschen und trennen sie. Sie bringen sie einander nahe - im guten und im schlechten Sinn. Nirgends lernt der indische Junge Soubaya, der von der Stadt aufs Dorf gekommen ist, seinen neuen kreolischen Schulkameraden gründlicher kennen als beim Essen. Während der Mahlzeiten deuten sich Keime erster Liebe an, wird seine fürsorgliche Zuneigung zum behinderten Tischgenossen geweckt, aber auch Haß begründet, und Gemeinheiten bis zur unerbittlichen, nadelgespickten Rache entstehen dort. Religiös fundierte und kulturell tief verankerte Speisetabus, so das hinduistische über dem Rindfleisch, stoßen, wie alle Eigenheiten von Minderheiten, auf Ablehnung und Verachtung durch die Mehrheit. Quer zu den Konflikten zwischen den Ethnien liegt die Kluft, die die Kolonialkultur der europäischen Franzosen von der Lebenswelt der sozial benachteiligten Kreolen und Inder trennt. Das Weißbrot ist Symbol Frankreichs, einer fernen Welt der Besitzenden und Mächtigen. Es bleibt so fremd wie die Marseillaise.

Das Drama des Leibes zwischen Essen und Ausscheiden und sein historisches und gesellschaftliches Schicksal sind selten so faszinierend aufgeführt worden wie hier. Es spiegelt die Weltgeschichte und genügt, um allen menschlichen Leidenschaften Ausdruck zu geben, von den sexuellen zu den politischen. Kein Schimpfwort und keine unflätige Geste, die nicht im Zusammenhang dieses Dramas stünden, und kein zärtlicher Wink, keine geheime Botschaft zwischen den jungen Liebenden, die nicht in der Zeichensprache des Essens und der Mahlzeit formuliert werden. Indem Gauvin sich auf dieses einzige Drama und diese eine Sprache beschränkt, wird die schäbige Schulkantine in Réunion zum Weltsymbol. Sein Tagebuch eines Fünfzehnjährigen zeichnet sich aus durch aromatische Sinnlichkeit und eine Erkenntnisklarheit von der Schärfe des Piments, bei der gleichwohl auch die heftigen und anrührenden Temperaturschwankungen des Verliebten nicht zu kurz kommen. Ein neuer literarischer Akzent und ein aufklärerisches Licht in der allzuoft dumpfen Jugendliteraturszene.

GUNDEL MATTENKLOTT Axel Gauvin: "Kindheitshunger". Roman aus Réunion. Aus dem Französischen von Heinrich Raatschen. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 1995. 180 S., geb., 19,80 DM. Ab 12 J.

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