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Diese pastoraltheologische Studie mit zeitgeschichtlicher Tiefenschärfe befragt die jüngste Vergangenheit der deutschen Kirche um der Chancen der Kirche in Gegenwart und Zukunft willen. Nach welchen Prinzipien bildete sich Kirche in diesem mit Katastrophen geschlagenen und doch an Aufbrüchen reichen Jahrhundert? Welche Hoffnungen zeigten sich als Irrwege und welche Wege stehen ihr noch offen? Bucher plädiert für eine "Ordnung des Pluralen", für die Mühe der angemessenen Qualifikation real kirchenbildender Prozesse, für deren Vernetzung und für Prozesse der wechselseitigen Anerkennung als Orte…mehr

Produktbeschreibung
Diese pastoraltheologische Studie mit zeitgeschichtlicher Tiefenschärfe befragt die jüngste Vergangenheit der deutschen Kirche um der Chancen der Kirche in Gegenwart und Zukunft willen. Nach welchen Prinzipien bildete sich Kirche in diesem mit Katastrophen geschlagenen und doch an Aufbrüchen reichen Jahrhundert? Welche Hoffnungen zeigten sich als Irrwege und welche Wege stehen ihr noch offen? Bucher plädiert für eine "Ordnung des Pluralen", für die Mühe der angemessenen Qualifikation real kirchenbildender Prozesse, für deren Vernetzung und für Prozesse der wechselseitigen Anerkennung als Orte des Volkes Gottes. Zielgruppen/Target groups: TheologInnen, Kirchliche MitarbeiterInnen
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.06.1998

Hitler litt auch an der Amtskirche
Rainer Bucher modernisiert den Katholizismus

Im Dezember 1939 sprach der Dogmatiker Karl Adam in Aachen über "Die geistige Lage des deutschen Katholizismus". Der charismatische Erneuerer der Theologie forderte eine umfassende Kirchenreform. Durch deutschsprachige Messen und volksnahe Predigten sollten die Priester den Laien näherkommen. Kritische Theologie müsse die Geschichtlichkeit der Dogmen ernst nehmen, zwischen absolutem Gehalt und zeitlich relativer Form der Wahrheit unterscheiden und künstliche Begriffsklauberei zugunsten des konkreten Lebens überwinden. Der kirchliche Gehorsam sei durch Liebe und Roms kasuistische Zwangsmoral durch eine Situationsethik abzulösen, die der Autonomie des christlichen Gewissens entspreche. Der Autor der 1924 erschienenen Monographie über "Das Wesen des Katholizismus", die 1954 in dreizehnter Auflage vorlag, suchte auch die geschwisterliche Nähe zu den evangelischen Mitchristen.

Karl Adam wird als Wegbereiter des Zweiten Vatikanischen Konzils verehrt. Von den Kontexten seiner Theologie muß dabei abstrahiert werden. Denn die Heiligenbilder vom theologischen Modernisierer passen schlecht zum braunen Rahmen, den Adam in den dreißiger Jahren selbst gewählt hat. Seine Kritik an der römischen Scholastik war eng verknüpft mit einer entschiedenen Zustimmung zur "deutschen Revolution" der Nationalsozialisten. Der sensible Zeitdiagnostiker litt unter der Abschaffung einer ultramontanen Amtskirche, die auf die Freisetzung des Individuums aus traditionalen Bindungen nur restaurativ, durch alte Absolutheitsansprüche und steile Amtstheologien, reagiert habe. Von der "nationalen Revolution" erhoffte er sich eine Dynamisierung der Kirche und von einer christlichen Durchdringung des Nationalsozialismus die wahre, religiös fundierte Volksgemeinschaft.

Rainer Bucher will in seiner Bamberger Habilitationsschrift die Affinitäten der prominenten katholischen Theologen Adam, Michael Schmaus und Joseph Lortz zum Nationalsozialismus aus inneren Beweggründen ihrer Theologie deuten. In praktischer Absicht, zur Erneuerung des deutschen Gegenwartskatholizismus, beschreibt er die Konstitutionsbedingungen authentischen Kircheseins im Horizont der pluralistischen Moderne. Das historische Material wird in einer "Basis-perspektive" präsentiert, die durch klare dogmatische Wertungen hohe Übersichtlichkeit zu erzeugen erlaubt. Bucher mißt die von ihm vorgestellten Ekklesiologien ausnahmslos an der Kirchenkonstitution des zweiten Vaticanums, das er als epochale Befreiung der Weltkirche aus ihrer antimodernen Gefangenschaft lobt. Das Erste Vatikanische Konzil dient ihm als Negativfolie. Damals habe Rom der modernen Beschleunigung der Zeit nur ein starres "Diapositiv der Dauer" entgegengesetzt und das mündige neuzeitliche Subjekt in neogotische Sakralbauten eingesperrt. Der Ausbruchsversuch der Modernisten der Jahrhundertwende ist nach Bucher am bornierten Widerstand römischer Autoritätshüter gescheitert. Dies mache die Versuche von Adam, Schmaus und Lortz verständlich, die dogmatisch petrifizierte Amtskirche mit Hilfe des Laientheologen aus Braunau zu erneuern. Hitlers "theologischer Diskurs" habe die Konstitutionsprobleme der römisch-katholischen Kirche in der Moderne zu lösen versprochen. Der Führer habe die soziale Nützlichkeit der Religion betont und den liberalistisch egozentrischen Verstandesmenschen durch das ganzheitliche Liebessubjekt der konkreten Volksgemeinschaft überwinden wollen: die Einheit von totalem Staat, rassisch homogenem Volk und "positiver Christlichkeit" sollte die alten Konfessionsgegensätze zum Verschwinden bringen.

Bucher sieht in Schmaus, Adam und Lortz "völkische Inkulturationstheologen", die sich für die spezifische Modernisierungsdynamik des "nationalsozialistischen Gesellschaftsprojekts" begeisterten. Sie wollten ein starkes, heroisches Subjekt feiern, ohne den liberalen bourgeoisen Individualismus zu sanktionieren, und im heftig pulsierenden deutschen Blute elementare Ursprungsmächte erleben, durch die der freie einzelne immer schon in den bergenden Volkskörper eingebunden sei. In ihrer Offenheit für neue Wissenschaften rezipierten sie biologistische Denkformen. Die Ausgrenzung der Juden aus dem deutschen Volkstum begründeten Adam und Schmaus auch exegetisch, indem sie die hebräische Bibel als Zeugnis der Nationalreligion Israels auslegten.

Leider verspielt Bucher den analytischen Ertrag seiner "Erinnerungsarbeit" durch wohlfeilen Moralismus. Das moderne Subjekt aus klerikalen Zwängen zu befreien, um es sogleich wieder in rassistisch konstruierte Kerker zu werfen, erklärt er zu einer theologischen "Perversität". Er selbst will demgegenüber aus der "Perspektive der Opfer" schreiben. Sein extensiver theologischer Deutungsanspruch sieht Machtphantasien eines Karl Adam nicht unähnlich.

Buchers kirchenpolitische Botschaft ist ebenso simpel wie widersprüchlich. Das zweite Vaticanum habe im Bilde vom "Volke Gottes" endlich ein modernitätsadäquates, subjektzentriertes "Kirchenprojekt" entwickelt. Allerdings falle es der Amtskirche noch schwer, die Freiheit der Laien sowie die Vielfalt gelebter Frömmigkeit anzuerkennen. Überzeugend kritisiert Bucher eine Verkündigung, die in leeren dogmatischen Begriffen ein regressives Leiden an der pluralistischen Moderne inszeniert. Doch gewinnt er Lebensnähe nur durch vage Appelle an den "ganzen Menschen . . . aus Fleisch und Blut". Er setzt auf religiöse Individualisierungsprozesse und hat doch Angst, daß die Leute lieber ins Kino als zur Kirche gehen. Flugs erklärt er seine eigene, kommunitäre Auslegung von Freiheit zu der Freiheit des Evangeliums. Hedonistische Ego-Tripler, die Lustgewinn maximieren, dürfen in seinem Gottesvolk nicht mitwandern.

Jede Theologie muß Grenzen der Kirche formulieren. Deshalb ist Buchers These unzutreffend, die Theologie müsse die Freisetzung des Subjekts aus alten Bindungen anerkennen. Sein Begriff der Moderne ist zu eng, um zeitgemäße Konstitutionsbedingungen der Kirche erläutern zu können. Denn im christlichen Glauben geht es nun einmal um eine elementare Gottesbindung des Menschen, die Autonomie erst ermöglicht. Diese religiöse Bindung ist von allen innerweltlichen Bindungen strikt zu unterscheiden. Sonst droht die unsichtbare Gemeinschaft der Heiligen mit irgendwelchen empirischen Gemeinschaften gleichgeschaltet und die libertas christiana verspielt zu werden. Den Heiligen Geist zur Inkarnation im deutschen Volkstum zu verführen war theologisch wie politisch falsch. Ihn nun auf konziliare Netzwerke und katholische Verbände festzulegen ist nur ein marginaler theologischer Fortschritt. Modernitätskritische Feindbilder werden hier wie dort benötigt. Den systematischen Ort von Adams mammonistischen Juden besetzen bei seinem zivilisationsmüden Kritiker nun young urban professionals, die ihre Freiheit "in der Banalität eines konsumistisch verflachten Lebens" verspielen. Doch wer eine exklusive theologische Deutungskompetenz zur Unterscheidung von wahrer und falscher Freiheit, echtem und flachem Leben beansprucht, denkt kaum weniger absolutistisch als die Väter des Ersten Vatikanischen Konzils. FRIEDRICH WILHELM GRAF

Rainer Bucher: "Kirchenbildung in der Moderne." Eine Untersuchung der Konstitutionsprinzipien der deutschen katholischen Kirche im zwanzigsten Jahrhundert. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1998. 302 S., br., 49,80 DM.

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