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Mehr als Freundschaft, fast so etwas wie Wahlbrüderschaft verbindet Frank Kober und Julian Nagel, die an der Universität in Frankfurt am Main studieren. Kein Fachgebiet scheint sie zu beschäftigen, sondern ganz prinzipiell die Frage, wie falsches und wahres Leben zu unterscheiden sind. Während Kober in jüngster Zeit still, ja beunruhigend schweigsam geworden ist, hält Julians Erregung ihn selbst und den Freundeskreis, zu dem neuerdings einige Russinnen und Russen gehören, mit Überraschungen und Provokationen in Atem. Von einem Andrej Kirillow im fernen Chabarowsk, der Julian, mehr noch Kober…mehr

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Produktbeschreibung
Mehr als Freundschaft, fast so etwas wie Wahlbrüderschaft verbindet Frank Kober und Julian Nagel, die an der Universität in Frankfurt am Main studieren. Kein Fachgebiet scheint sie zu beschäftigen, sondern ganz prinzipiell die Frage, wie falsches und wahres Leben zu unterscheiden sind. Während Kober in jüngster Zeit still, ja beunruhigend schweigsam geworden ist, hält Julians Erregung ihn selbst und den Freundeskreis, zu dem neuerdings einige Russinnen und Russen gehören, mit Überraschungen und Provokationen in Atem. Von einem Andrej Kirillow im fernen Chabarowsk, der Julian, mehr noch Kober ähneln soll, kursiert ein Manifest über den Zustand der Gesellschaft, das eifrig verteilt und besprochen wird. "Die Menschheit funktioniert wie ein Krebsgeschwür, und ihr Wachstumsauslöser ist das Streben nach Glück und Wohlbefinden." Bei einem Ausflug bringt Julian als Ausweg die Selbsttötung ins Spiel. Wenig später bricht die Gruppe zur alljährlichen Demonstration gegen die Castortransporte ins Wendland auf. Dort startet Julian zu einer verwegenen, nächtlichen Einzelaktion.

Unversehens - leichter noch als in den ersten beiden Romanen - verstrickt uns Andreas Maier mit Kirillow in das Beziehungs- und Redegeflecht einer Gruppe junger Leute, die ständig in Bewegung ist: auf der Suche nach Erleuchtung, einem Lebensziel, einem Partner, Anerkennung, mehr Alkohol und mehr Würstchen und einem Schlafplatz für den Rest der Nacht. Ebenso unterhaltend wie bestechend wirkt die Komik, mit der Maier den Ernst der Krankheit Jugend zum Gegenstand seines Erzählens macht, ohne die kleinste Konzession an den Jux.

Autorenporträt
1967 in Bad Nauheim geboren. Er studierte in Frankfurt am Main und lebte wechselweise in der Wetterau und in Südtirol. Heute wohnt er in Frankfurt. Beim Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 2000 wurde Andreas Maier mit dem Ernst-Willner-Preis ausgezeichnet. Für sein literarisches Debüt Wäldchestag wurde ihm der Literaturförderpreis 2000 der Jürgen Ponto-Stiftung verliehen. Im Herbst 2000 erhielt er den ZDF-»aspekte«-Literaturpreis, 2003 den Clemens-Brentano-Preis und den ersten Mindener Candide-Preis. 2006 war Andreas Maier ein Jahr zu Gast in der Villa Massimo in Rom. Im selben Jahr hielt er die Frankfurter Poetikvorlesungen. Von ihm sind erschienen: Bullau. Versuch über Natur; Ich; Kirillow; Klausen; Wäldchestag . . .
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.02.2005

Auf der Suche nach dem wahren Leben
Studenten und der Weltzustand: Andreas Maier hat mit "Kirillow" auch einen Frankfurt-Roman geschrieben

VON CLAUDIA SCHÜLKE

FRANKFURT. "Wahrheit hat mit Sprache nichts zu tun." Man glaubt sich verhört zu haben. Hatte Andreas Maier nicht vor einem Jahr im Feuilleton dieser Zeitung behauptet, die Themen der Literatur ergäben sich aus einem absoluten Wahrheitsanspruch? Aber der junge Schriftsteller nippt seelenruhig an seinem Bier und fährt fort: "Die Wahrheit langweilt jeden."

Auch Frank Kober, eine der Hauptfiguren seines neuen Romans, findet keine wahren Sätze. "Der Wahrheitsanspruch steckt nicht in einzelnen Formulierungen", erläutert Maier, "sondern im Ganzen des Textes." Um ihm auf die Spur zu kommen, muß man also den gesamten "Kirillow" lesen, aus dem Maier morgen, am 28. Februar, um 20 Uhr einige Passagen im Frankfurter Literaturhaus vorstellen wird.

Mit dem Leitwort der 350 Seiten schließt der Autor an den letzten Satz seines voraufgehenden Romans "Klausen" an: "Halt! Ich will darüber eine Fratze malen, mit herausgestreckter Zunge." Ein Zitat aus Dostojewskis "Dämonen", das Julian Nagel, die zweite Hauptfigur neben Kober und dessen Studienfreund, später wiederholt.

"Auch meine anderen Bücher beziehen sich auf Dostojewski", sagt Maier. Das ist neu. Hatten die Rezensenten nicht Thomas Bernhard in den Texten ausfindig gemacht, für die er mit dem Ponto-Förderpreis und dem "Aspekte"-Literaturpreis ausgezeichnet wurde? Maier lacht. "Ja, und ich habe eine Wette darauf abgeschlossen, daß Bernhard auch diesmal wieder in einem größeren Feuilleton vorkommt."

Über Thomas Bernhard hat der Autor, der 1967 in Bad Nauheim geboren wurde und in Friedberg aufwuchs, immerhin promoviert. "Aber wer meint, ich sei ein Bernhard-Epigone, ist ein ungenauer Bernhard-Leser", wiegelt er ab. Der exzessive Gebrauch des Konjunktivs und die Absatzlosigkeit seiner Texte verdankten sich zwar Bernhards Stilistik, aber Bernhard sei nur eine unter vielen Bezugspersonen für sein eigenes Schreiben. In seiner Dissertation, die voriges Jahr unter dem Titel "Die Verführung" im Wallstein-Verlag erschien, hat Maier den österreichischen Schriftsteller als fragwürdiges Genie der Redundanz und Suggestion entlarvt.

Mit "Kirillow" hat Maier einen Roman über Studenten in Frankfurt geschrieben, der mit seiner eigenen Studienzeit an der Goethe-Universität aber wenig zu tun hat. Damals hatte der angehende Philosoph und Altphilologe vor allem Latein und Griechisch gebüffelt und keine Zeit, Castor-Transporte zu belagern oder mit Rußlanddeutschen durch die Frankfurter Kneipen zu ziehen. Im Prolog schließt er mit der Technik der indirekten Rede poetologisch ab. Sie hatte seine beiden ersten Romane geprägt, die bei Suhrkamp erschienen sind: die Wetterauer Gerüchteküche im "Wäldchestag" (2000) und das öffentliche Geraune der Südtiroler in "Klausen" (2002). Diesmal ist es eine Ginnheimer Hausgemeinschaft, die sich über den Mitmieter Kober das Maul zerreißt.

Denn Kober ist schweigsam und daher undurchschaubar geworden, sogar für seine geschwätzigen Freunde. Fünf Jahre älter als Julian, scheint er über dessen Weltschmerz und Lebensverdrossenheit hinausgewachsen zu sein. Oder ist er in sich zusammengeschrumpft? Was die beiden studieren, ist für Maier kein Thema. Thema ist das "Kirillowsche Gesetz". Dieses ominöse Manifest eines Russen aus Chabarowsk, das mehr Gerücht als Tatsache ist, wirft den ohnehin überspannten Julian vollends aus der Bahn. Denn dieser virtuelle "Traktat über den Weltzustand" besagt in Julians Lesart, daß der glücksbegierige Mensch kraft seiner Vorhandenheit schuldig ist am verfahrenen Zustand der Welt.

Die schuldhafte Verstrickung des einzelnen ahnt der Leser schon, wenn er das Buch nur in Händen hält. Da springt ihm der bewaffnete Leviathan vom Umschlag fast ins Gesicht. Der sibirische Kirillow, der in Julian Selbstmordgelüste weckt, hat seinen Hobbes gründlich studiert. Aber Maier spielt mit seinem Titelhelden vor allem auf den gleichnamigen Selbstmörder in Dostojewskis "Dämonen" an, der aus mystischer Verblendung sterben will, um dem Sein als vergöttlichter Mensch neue Impulse zu geben und dabei doch nur zum Alibi politischer Verschwörer verkommt. Julian bringt sich nicht um. Er demonstriert nur mit den anderen gegen den Castor-Transport und fährt Amok mit einem Traktor, der später Kober überrollt.

"Kober badet Julian aus", sagt Maier. In drei Kapiteln mit so wenig Absätzen wie möglich erzählt er von einem fast permanent zugedröhnten Julian, der sich wirre Gedanken über die Wahrheit macht, während seine russischen Freunde Würstchen abpellen oder mit den Frankfurter Studenten Gullydeckel im Nordend abheben.

Mitten im dicksten Tabaksqualm des Cafés Ausweg kommt ihm die Erleuchtung: "Die Menschheit funktioniert wie ein Krebsgeschwür, und ihr Wachstumsauslöser ist das Streben nach Glück und Wohlbefinden. Die Menschen sind der Indikativ, die Wahrheit findet nur in der Wunschform statt. Kurz: Sie findet nicht statt. Nie, nirgends. Denn der Optativ fällt bei uns mit dem Konjunktiv zusammen."

Als Maier vor dem Abitur zu schreiben begann, hatte er sich noch an Thomas Mann orientiert. "Ich wollte einen Roman schreiben können, um den epischen Autoren meine Reverenz zu erweisen", erinnert er sich.

Aber er baut und konstruiert seine Sätze nicht wie Thomas Mann. Er wirft sie aufs Papier, "wie ein Maulwurf, der sich einzugraben versucht und dabei manchmal auf Steine trifft".

Die Konstruktion ergebe sich erst beim Schreiben, beteuert er. Drei Jahre hat er am "Kirillow" gearbeitet, in Bad Nauheim, Frankfurt-Bockenheim und Brixen. Vielleicht wird er sein "absichtsloses Schreiben" demnächst in Potsdam fortsetzen, denn die dortigen Bürger haben Geld für ein Stipendium gesammelt, um das Versagen ihrer Kultur-Administration vom vergangenen Herbst wiedergutzumachen. Und Maier hat zugesagt.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die Protagonisten des Buchs haben Rezensent Holger Noltze mit ihrer Neigung zum Schwadronieren einige Nerven gekostet. Doch Rettung für Buch und Rezensenten naht schon recht bald, wenn Noltze zu einem Traktat hinleitet, das dem Streben nach Glück die Schuld am Unglück der ganzen Welt gibt. In diesem Zusammenhang wird den Informationen des Rezensenten zufolge in Andreas Maiers Roman "viel geredet, geraucht und getrunken, letzteres mit echt russischer Entschlossenheit". Worin die von Noltze beschworene "Formkunst" dieses Buchs besteht, geht aus der Rezension leider nicht hervor.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Maiers Roman führt vor, in welch gut getarnten Figuren das Politische auch in Gesellschaften überlebt, die glauben, ihre grundlegenden Konflikte gelöst zu haben. Er schreibt darüber hinaus eine Prosa, die so intensiv ist, dass am Ende der Lektüre die Ohren dröhnen. Dies ist ein großartiger und kluger Roman.« Falter