Das Kitzeln gehört zum Menschsein wie keine andere Empfindung. Christian Metz legt die allererste Philosophie des Kitzels vor - an der Schnittstelle von Kulturwissenschaft, Emotionsgeschichte und Lachforschung.
Der Kitzel hat nicht nur Geschichte, er macht Geschichte. Vor allem aber macht er Geschichten: Jeder Mensch hat schon einmal einen anderen gekitzelt - und für Erstaunen sorgt nicht, wer kitzlig ist, sondern wer behauptet, es nicht zu sein.
Der Kitzel ist ein merkwürdiges Phänomen. Als gemischte Empfindung erzeugt er Lust und Schmerz, Lachen und Abwehr gleichzeitig. Als Berührung ist er so flüchtig, dass er keinerlei Spuren hinterlässt. Kein Wunder, dass er bislang weder in der Humorforschung noch in der Geschichte der Gefühle beachtet worden ist. In seiner fulminanten Studie zeigt Christian Metz jedoch, dass der Kitzel sehr wohl eine bedeutende Rolle spielt. Ob als historisches Instrument der Folter, Element der Sexualität oder aufregender Nervenkitzel: VonAristoteles über Platon und Descartes, von Grimmelshausen bis Jean Paul, von Hegel bis Darwin, Nietzsche und Freud führt der Kitzel ein bedeutendes Leben in der Kulturgeschichte. Indem Metz den Kitzel methodisch aufschlüsselt und seinen Narrativen über die Jahrhunderte hinweg nachspürt, gelingt ihm ein faszinierender Blick auf dessen anthropologischen, philosophischen, kunstgeschichtlichen und - als erzählter Kitzel - literarischen Einfluss. Der Kitzel, das wird klar, ist ein unverzichtbarer Teil der Emotionsforschung und muss nach dieser Genealogie völlig neu bewertet werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Der Kitzel hat nicht nur Geschichte, er macht Geschichte. Vor allem aber macht er Geschichten: Jeder Mensch hat schon einmal einen anderen gekitzelt - und für Erstaunen sorgt nicht, wer kitzlig ist, sondern wer behauptet, es nicht zu sein.
Der Kitzel ist ein merkwürdiges Phänomen. Als gemischte Empfindung erzeugt er Lust und Schmerz, Lachen und Abwehr gleichzeitig. Als Berührung ist er so flüchtig, dass er keinerlei Spuren hinterlässt. Kein Wunder, dass er bislang weder in der Humorforschung noch in der Geschichte der Gefühle beachtet worden ist. In seiner fulminanten Studie zeigt Christian Metz jedoch, dass der Kitzel sehr wohl eine bedeutende Rolle spielt. Ob als historisches Instrument der Folter, Element der Sexualität oder aufregender Nervenkitzel: VonAristoteles über Platon und Descartes, von Grimmelshausen bis Jean Paul, von Hegel bis Darwin, Nietzsche und Freud führt der Kitzel ein bedeutendes Leben in der Kulturgeschichte. Indem Metz den Kitzel methodisch aufschlüsselt und seinen Narrativen über die Jahrhunderte hinweg nachspürt, gelingt ihm ein faszinierender Blick auf dessen anthropologischen, philosophischen, kunstgeschichtlichen und - als erzählter Kitzel - literarischen Einfluss. Der Kitzel, das wird klar, ist ein unverzichtbarer Teil der Emotionsforschung und muss nach dieser Genealogie völlig neu bewertet werden.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Der hier rezensierende Literaturwissenschaftler Manfred Koch empfiehlt das Buch seines (FAZ-) Kollegen Christian Metz mit leichten Einschränkungen. 2.500 Jahre bedächtig aufgearbeitete und nichts auslassende Geschichte des Kitzels von Aristoteles über Descartes, Hegel und Nietzsche, Kafka und Freud bis hin zu Elfriede Jelinek und Friedrich A. Kittler bekommt der Kritiker hier präsentiert: Koch erfährt von der literarischen, philosophischen und medizinhistorischen Bedeutung jener "Berührungsfigur", amüsiert sich noch einmal über Robert Musils "Lachkitzelstudie" über das Pferdelachen und bewundert nicht zuletzt Querverweise zu Renaissancemalerei und "Metaphorik von Fußballtrainern". Der ein oder andere wagemutige kulturwissenschaftliche "Brückenschlag" - etwa zum "kritzelnden Kitzeln" von Schreibpapier - geht dem Rezensenten dann allerdings doch zu weit. Und so stellt sich bei ihm während der Lektüre gelegentlich ein wenig Ermüdung ein.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.11.2020Liebkosungen mit leicht aggressiver Note
Konvulsionen überall: Christian Metz kitzelt aus einem starken Körpergefühl ziemlich viele Seiten heraus
"Kitzel (Titillatio)", so liest man in Meyers Konversationslexikon von 1908, sei "eine Empfindung, die in manchen Gegenden der Haut und der Schleimhaut infolge einer eigentümlichen Berührungsweise entsteht, meist Lachen bewirkt und den ganzen Organismus in einen Zustand von allgemeiner Konvulsion versetzen kann". Ärzte setzten das Kitzeln auch praktisch ein, beispielsweise zur Diagnose des Scheintods. Eine "starke Vitalempfindung" also, wie man mit Kant sagen könnte, die zudem ein anthropologisches Universale darstellt: Mensch sein heißt kitzlig sein. Dennoch möchte man meinen, dass eine systematische Erforschung des Kitzels eher ein randständiges Arbeitsfeld für Physiologen sein dürfte. Wie also kommt ein Literaturwissenschaftler - und regelmäßiger Mitarbeiter im Literaturblatt dieser Zeitung - dazu, ein dickes Buch über den Kitzel vorzulegen?
Christian Metz spielt souverän mit dieser skeptischen Erwartungshaltung, wenn er einleitend den Essay "Vom Kützeln" des Schriftstellers und Kammerjunkers Joseph Winkler von Mohrenfels aus dem Jahr 1789 zitiert, der damals schon überlegte, ob Reflexionen über eine solche Lappalie nicht "das allerunnötigste Ding unter dem Monde" seien. Tatsächlich kann Metz dagegen eine beeindruckende Menge von philosophischen und literarischen Texten aufbieten, die seit gut und gern 2500 Jahren den Kitzel und die damit verbundenen Ausdrucksgebärden (wie vor allem das Lachen) umkreisen.
Greifen wir exemplarisch Robert Musils kleines Prosastück "Kann ein Pferd lachen?" heraus, das Metz im vorletzten Kapitel als "treffliche Lachkitzelstudie" präsentiert. Musil beschreibt eine Alltagsszene in Rom: ein Stallknecht striegelt ein junges Pferd, das bei Berührung seiner empfindlichen Stellen - es hat ja "sozusagen vier Achseln" - unruhig wird, die Ohren zurücklegt und plötzlich "zu lachen beginnt". Striegelt der Bursche heftiger, kann das Pferdelachen aber auch übergehen in ein bedrohliches Zähnefletschen, wie bei einem Menschen, "den man dermaßen kitzelt, dass er nicht mehr lachen kann". Doch das geschieht nur "sekundenlang", als eine Art Austesten der Grenze. Denn der Betrachter in Musils Text erkennt, dass Mensch und Tier ein geradezu zärtliches Spiel miteinander treiben, in dem das Pferd seine überlegene Kraft nur behutsam einsetzt, um das Umkippen des prickelnden Kitzelgefühls ins Gewaltsam-Übergriffige zu markieren. Musils Pferd hat Sinn für das Auskosten der Ambivalenz von Lust und Unlust, von Hingabe und Gewalterleiden im Gekitzeltwerden. Eine "Liebkosung in leicht aggressivem Gewand", so nannte es Arthur Koestler. Sie setzt ein Vertrauensverhältnis zwischen den Beteiligten voraus, sonst wird der Gekitzelte nicht lachen. Bei Musils Paar ist es gegeben, so sehr, dass am Ende auch der Stallbursche "vor Lachen wiehert".
Das Beispiel verdeutlicht, was Metz meint, wenn er den Kitzel nicht einfach nur als universelle Empfindung, sondern vor allem als "Berührungsfigur" behandelt. Das Kitzeln ist eine sehr spezielle Kommunikationsform (überwiegend doch zwischen Menschen), je nach historisch-kulturellem Umfeld geprägt durch ein vorausliegendes Verständnis von Intimität und sozialer Hierarchie. Dabei spielen die zu einer bestimmten Zeit dominanten Vorstellungen vom Leib-Seele-Verhältnis, vom Umgang mit Reizen, von der Ordnung der Geschlechter und der Generationen eine entscheidende Rolle. Und so zeigt Metz in gut kulturwissenschaftlicher Manier, wie Musils Pferdetext vor dem Hintergrund medizinischer, ethologischer und philosophischer Diskurse des späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts zu lesen ist: Darwins Nachweis einer hohen Sensibilität und Intelligenz der Tiere (mit den dadurch aufgeworfenen Fragen, die Musil ironisch einspielt: Wenn die unbestreitbar kitzligen Tiere mimisch und lautlich etwas ausdrücken, was auf uns wie Lachen wirkt, ist das wirklich Lachen? Wissen Tiere, dass sie lachen? Lacht nicht doch nur der Mensch?); die Debatten über das nervöse Subjekt der Moderne, das vor heftigen, konvulsivisch machenden Reizen zu schützen sei; das männliche Phantasma von der sexuell besonders ,kitzligen' Frau und anderes mehr.
Stupend belesen im literarischen, philosophischen und medizingeschichtlichen Schrifttum, präsentiert Metz eine Fülle verblüffender Kitzelfunde im Werk kanonischer Autoren wie Aristoteles, Platon, Descartes, Spinoza, Jean Paul, Hegel, Nietzsche, Kafka, Freud, bis hinein in die Gegenwart zu Elfriede Jelinek. Hinzu kommt ein erfrischend freches Kapitel über religiöse Renaissancemalerei, in der Maria das Jesuskind sanft an der Fußsohle kitzelt, das Göttliche somit durch Lächeln humanisierend und zugleich, bedenklicherweise, ihre eigene spirituelle Befruchtung verfleischlichend: "Maria kitzelt Jesus so, wie sie zuvor von Gott gekitzelt wurde."
Das imposante Textkorpus kommt allerdings dadurch zustande, dass Metz einigermaßen unbeschwert auch den Kitzel im übertragenen Sinn - Nervenkitzel, Sinnenkitzel, geistigen Kitzel - mit einbezieht (bis hin zur Metaphorik von Fußballtrainern, die behaupten, höchste Leistungsfähigkeit aus ihren Spielern "herausgekitzelt" zu haben). Begründet wird das mit dem grundlegenden Anspruch des Buchs, die machtvolle Körperlichkeit vermeintlich rein kognitiver Akte - wie Lachen über einen Witz oder Neugier auf eine wissenschaftliche Entdeckung - "genealogisch" aufzudecken. Das in den Kulturwissenschaften seit langem angesagte Insistieren auf dem Körper und der Materialität der Sprachzeichen führt bei Metz seinerseits zu waghalsigen metaphorischen und phonetischen Brückenschlägen, die alles mit allem in Verbindung zu setzen erlauben, von der weiblichen Klitoris über das Ziegenkitz (das bei Grimmelshausen einem Gefolterten Salz von der Fußsohle schleckt) bis hin zur "basalen Kulturtechnik des kritzelnden Kitzelns" von Schreibpapier. Der Rezensent muss gestehen, dass ihm nach fünfhundert Seiten - wie einst Lichtenbergs fleißiger Leser von Homer immer "Agamemnon" statt "angenommen" las - der Medientheoretiker Friedrich A. Kittler in einer müden Minute zum "Kitzler" wurde.
MANFRED KOCH.
Christian Metz: "Kitzel". Genealogie einer menschlichen Empfindung.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2020. 636 S., geb., 32,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Konvulsionen überall: Christian Metz kitzelt aus einem starken Körpergefühl ziemlich viele Seiten heraus
"Kitzel (Titillatio)", so liest man in Meyers Konversationslexikon von 1908, sei "eine Empfindung, die in manchen Gegenden der Haut und der Schleimhaut infolge einer eigentümlichen Berührungsweise entsteht, meist Lachen bewirkt und den ganzen Organismus in einen Zustand von allgemeiner Konvulsion versetzen kann". Ärzte setzten das Kitzeln auch praktisch ein, beispielsweise zur Diagnose des Scheintods. Eine "starke Vitalempfindung" also, wie man mit Kant sagen könnte, die zudem ein anthropologisches Universale darstellt: Mensch sein heißt kitzlig sein. Dennoch möchte man meinen, dass eine systematische Erforschung des Kitzels eher ein randständiges Arbeitsfeld für Physiologen sein dürfte. Wie also kommt ein Literaturwissenschaftler - und regelmäßiger Mitarbeiter im Literaturblatt dieser Zeitung - dazu, ein dickes Buch über den Kitzel vorzulegen?
Christian Metz spielt souverän mit dieser skeptischen Erwartungshaltung, wenn er einleitend den Essay "Vom Kützeln" des Schriftstellers und Kammerjunkers Joseph Winkler von Mohrenfels aus dem Jahr 1789 zitiert, der damals schon überlegte, ob Reflexionen über eine solche Lappalie nicht "das allerunnötigste Ding unter dem Monde" seien. Tatsächlich kann Metz dagegen eine beeindruckende Menge von philosophischen und literarischen Texten aufbieten, die seit gut und gern 2500 Jahren den Kitzel und die damit verbundenen Ausdrucksgebärden (wie vor allem das Lachen) umkreisen.
Greifen wir exemplarisch Robert Musils kleines Prosastück "Kann ein Pferd lachen?" heraus, das Metz im vorletzten Kapitel als "treffliche Lachkitzelstudie" präsentiert. Musil beschreibt eine Alltagsszene in Rom: ein Stallknecht striegelt ein junges Pferd, das bei Berührung seiner empfindlichen Stellen - es hat ja "sozusagen vier Achseln" - unruhig wird, die Ohren zurücklegt und plötzlich "zu lachen beginnt". Striegelt der Bursche heftiger, kann das Pferdelachen aber auch übergehen in ein bedrohliches Zähnefletschen, wie bei einem Menschen, "den man dermaßen kitzelt, dass er nicht mehr lachen kann". Doch das geschieht nur "sekundenlang", als eine Art Austesten der Grenze. Denn der Betrachter in Musils Text erkennt, dass Mensch und Tier ein geradezu zärtliches Spiel miteinander treiben, in dem das Pferd seine überlegene Kraft nur behutsam einsetzt, um das Umkippen des prickelnden Kitzelgefühls ins Gewaltsam-Übergriffige zu markieren. Musils Pferd hat Sinn für das Auskosten der Ambivalenz von Lust und Unlust, von Hingabe und Gewalterleiden im Gekitzeltwerden. Eine "Liebkosung in leicht aggressivem Gewand", so nannte es Arthur Koestler. Sie setzt ein Vertrauensverhältnis zwischen den Beteiligten voraus, sonst wird der Gekitzelte nicht lachen. Bei Musils Paar ist es gegeben, so sehr, dass am Ende auch der Stallbursche "vor Lachen wiehert".
Das Beispiel verdeutlicht, was Metz meint, wenn er den Kitzel nicht einfach nur als universelle Empfindung, sondern vor allem als "Berührungsfigur" behandelt. Das Kitzeln ist eine sehr spezielle Kommunikationsform (überwiegend doch zwischen Menschen), je nach historisch-kulturellem Umfeld geprägt durch ein vorausliegendes Verständnis von Intimität und sozialer Hierarchie. Dabei spielen die zu einer bestimmten Zeit dominanten Vorstellungen vom Leib-Seele-Verhältnis, vom Umgang mit Reizen, von der Ordnung der Geschlechter und der Generationen eine entscheidende Rolle. Und so zeigt Metz in gut kulturwissenschaftlicher Manier, wie Musils Pferdetext vor dem Hintergrund medizinischer, ethologischer und philosophischer Diskurse des späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts zu lesen ist: Darwins Nachweis einer hohen Sensibilität und Intelligenz der Tiere (mit den dadurch aufgeworfenen Fragen, die Musil ironisch einspielt: Wenn die unbestreitbar kitzligen Tiere mimisch und lautlich etwas ausdrücken, was auf uns wie Lachen wirkt, ist das wirklich Lachen? Wissen Tiere, dass sie lachen? Lacht nicht doch nur der Mensch?); die Debatten über das nervöse Subjekt der Moderne, das vor heftigen, konvulsivisch machenden Reizen zu schützen sei; das männliche Phantasma von der sexuell besonders ,kitzligen' Frau und anderes mehr.
Stupend belesen im literarischen, philosophischen und medizingeschichtlichen Schrifttum, präsentiert Metz eine Fülle verblüffender Kitzelfunde im Werk kanonischer Autoren wie Aristoteles, Platon, Descartes, Spinoza, Jean Paul, Hegel, Nietzsche, Kafka, Freud, bis hinein in die Gegenwart zu Elfriede Jelinek. Hinzu kommt ein erfrischend freches Kapitel über religiöse Renaissancemalerei, in der Maria das Jesuskind sanft an der Fußsohle kitzelt, das Göttliche somit durch Lächeln humanisierend und zugleich, bedenklicherweise, ihre eigene spirituelle Befruchtung verfleischlichend: "Maria kitzelt Jesus so, wie sie zuvor von Gott gekitzelt wurde."
Das imposante Textkorpus kommt allerdings dadurch zustande, dass Metz einigermaßen unbeschwert auch den Kitzel im übertragenen Sinn - Nervenkitzel, Sinnenkitzel, geistigen Kitzel - mit einbezieht (bis hin zur Metaphorik von Fußballtrainern, die behaupten, höchste Leistungsfähigkeit aus ihren Spielern "herausgekitzelt" zu haben). Begründet wird das mit dem grundlegenden Anspruch des Buchs, die machtvolle Körperlichkeit vermeintlich rein kognitiver Akte - wie Lachen über einen Witz oder Neugier auf eine wissenschaftliche Entdeckung - "genealogisch" aufzudecken. Das in den Kulturwissenschaften seit langem angesagte Insistieren auf dem Körper und der Materialität der Sprachzeichen führt bei Metz seinerseits zu waghalsigen metaphorischen und phonetischen Brückenschlägen, die alles mit allem in Verbindung zu setzen erlauben, von der weiblichen Klitoris über das Ziegenkitz (das bei Grimmelshausen einem Gefolterten Salz von der Fußsohle schleckt) bis hin zur "basalen Kulturtechnik des kritzelnden Kitzelns" von Schreibpapier. Der Rezensent muss gestehen, dass ihm nach fünfhundert Seiten - wie einst Lichtenbergs fleißiger Leser von Homer immer "Agamemnon" statt "angenommen" las - der Medientheoretiker Friedrich A. Kittler in einer müden Minute zum "Kitzler" wurde.
MANFRED KOCH.
Christian Metz: "Kitzel". Genealogie einer menschlichen Empfindung.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2020. 636 S., geb., 32,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Stupend belesen im literarischen, philosophischen und medizingeschichtlichen Schrifttum, präsentiert Metz eine Fülle verblüffender Kitzelfunde im Werk kanonischer Autoren Manfred Koch Frankfurter Allgemeine Zeitung 20201110