So treffen wir bessere Entscheidungen
Psychologieprofessorin Woo-kyoung Ahn untersucht seit vielen Jahren, wie unsere mentalen Strukturen arbeiten. In ihrem wegweisenden Buch präsentiert sie nun erstmals ihre wichtigsten Erkenntnisse und zeigt, wie gutes Denken funktioniert und wie wir zukünftig klügere und reflektiertere Entscheidungen treffen können. Im Alltag lassen wir uns von vertrauten Denkmustern leiten. Auch drängende gesellschaftliche Ungerechtigkeiten, Verschwörungstheorien oder Vorurteile sind geprägt von solchen Mustern. Doch oft führen sie uns in die Irre.
Woo-kyoung Ahn ist ein Phänomen: Ihre Vorlesung an der Yale University über das Denken ist eine der meistbesuchten, inzwischen müssen sie in den größten Hörsälen der Universität stattfinden. Warum? Weil ihre Ansätze und Thesen den Studierenden ganz konkret weiterhelfen, weil sie sich auf den Alltag jedes Einzelnen beziehen und in ihrer Klarheit überzeugen. Sie zeigt, wie wir uns selbst mehr zutrauen und uns weniger von äußeren Zuschreibungen und gesellschaftlichen Prägungen beeinflussen lassen. Durch Beispiele erläutert sie, wie wir systematische Fehler beim Denken machen.
Acht ihrer grundlegenden Thesen über das Denken hat Ahn nun für dieses Buch zusammengefasst - konzis, fundiert und humorvoll: ein bahnbrechendes Buch über das Denken.
Psychologieprofessorin Woo-kyoung Ahn untersucht seit vielen Jahren, wie unsere mentalen Strukturen arbeiten. In ihrem wegweisenden Buch präsentiert sie nun erstmals ihre wichtigsten Erkenntnisse und zeigt, wie gutes Denken funktioniert und wie wir zukünftig klügere und reflektiertere Entscheidungen treffen können. Im Alltag lassen wir uns von vertrauten Denkmustern leiten. Auch drängende gesellschaftliche Ungerechtigkeiten, Verschwörungstheorien oder Vorurteile sind geprägt von solchen Mustern. Doch oft führen sie uns in die Irre.
Woo-kyoung Ahn ist ein Phänomen: Ihre Vorlesung an der Yale University über das Denken ist eine der meistbesuchten, inzwischen müssen sie in den größten Hörsälen der Universität stattfinden. Warum? Weil ihre Ansätze und Thesen den Studierenden ganz konkret weiterhelfen, weil sie sich auf den Alltag jedes Einzelnen beziehen und in ihrer Klarheit überzeugen. Sie zeigt, wie wir uns selbst mehr zutrauen und uns weniger von äußeren Zuschreibungen und gesellschaftlichen Prägungen beeinflussen lassen. Durch Beispiele erläutert sie, wie wir systematische Fehler beim Denken machen.
Acht ihrer grundlegenden Thesen über das Denken hat Ahn nun für dieses Buch zusammengefasst - konzis, fundiert und humorvoll: ein bahnbrechendes Buch über das Denken.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.10.2022Denken
für Anfänger
Die Psychologin Woo-kyung Ahn
erklärt in ihrem Buch die häufigsten
Denkfehler. Das ist nicht ganz neu, aber
wichtig. Und verdammt ernüchternd
Für Menschen, die so etwas komisch finden, gibt es im neuen Buch von Richard David Precht und Harald Welzer eine enorm komische Stelle. Im zweiten Kapitel, als Erläuterung dessen, was es zu schützen gilt, erzählen die Autoren eine kleine Geschichte der Öffentlichkeit. „Öffentlichkeit ist“, definieren die Autoren, „wenn viele frei über das Gleiche reden, einen gemeinsamen Debattenraum schaffen und dabei ungestraft von ihrer Meinungsfreiheit Gebrauch machen können.“ Eine Teilöffentlichkeit, so führen sie im nächsten Absatz aus, und jetzt kommt das Komische, habe es bereits im antiken Griechenland gegeben, denn hier hätte sich „der freie griechische Mann, wohlhabend und Nutznießer der Arbeit der Unfreien“, mit anderen getroffen um „Gleicher unter Gleichen, frei und kontrovers über Gleiches zu reden“. Was nicht erwähnt wird, ist der Schierlingsbecher, mit dem Sokrates für seine Meinungsäußerung hingerichtet wurde. Precht und Welzer machen also eine „Öffentlichkeit“ zur „Blaupause“, deren wichtigster Intellektueller für seine freie Meinungsäußerung zu Tode gecancelt wurde, ein Schicksal, welches deutschen Intellektuellen bislang erspart blieb.
Es stellen sich in diesem Zusammenhang ja gerade viele Fragen, zum Beispiel, ob es eigentlich jemals eine freie Öffentlichkeit gab, oder ob es für eine freie Öffentlichkeit überhaupt vonnöten ist, dass ihre Teilnehmer „ungestraft“ bleiben, oder lediglich, dass sie die Strafe mit sokratischer Gleichmut hinnehmen, anstatt sich in Selbstgerechtigkeit zu suhlen, aber um all das soll es hier in diesem Text nicht gehen, sondern um etwas, das zuvor nötig ist: die Fähigkeit zum klaren Denken – und was dieser im Weg steht.
Die Psychologie-Professorin Woo-kyung Ahn hat dem Thema ein Buch gewidmet, es heißt „Klar denken. Eine Anleitung“. Sie erläutert darin die gängigsten Denkfehler. Zum Beispiel den „Fluency-Effekt“, das Phänomen, bei dem Menschen, die etwas perfekt Ausgeführtes häufig beobachten, denken, sie könnten das auch selbst ausführen. Studenten zum Beispiel, denen ein Michael-Jackson-Video zwanzig Mal gezeigt wurde, schätzen ihre Fähigkeit, den Moonwalk selbst auszuführen, deutlich höher ein, als solche, die das Video nur einmal schauten – wenn sie dann gebeten werden, das Gesehene nachzutanzen, scheitern beide Gruppen gleichermaßen grandios. Etwas zu beobachten führt selten zu größerer Fähigkeit, dafür zu großer Selbstüberschätzung. Dieser Effekt ist auch bei Fußballfans zu diagnostizieren, die denken, besser spielen oder coachen zu können als die Spieler oder Trainer ihres Lieblingsvereins, oder bei Politik-Beobachtern, die wissen, was der Kanzler eigentlich tun sollte, oder bei Feuilletonisten, die viele Streitschriften lesen und Denkfehler bei Autoren aufdecken, von denen sie meinen, sie wären ihnen selbst nie unterlaufen, ohne sich selber in der Disziplin „Streitschrift“ zu testen. Kurzum, bei allen, die etwas intensiv beobachten, ohne in die Verlegenheit zu kommen, es selbst unter Beweis stellen zu müssen. Was bedeutet, bei allen.
Das Herzstück von „Klar denken“ – der zentrale Denkfehler, der Menschen immer wieder unterläuft – ist der Bestätigungsfehler. Er bezeichnet „unsere Neigung, Belege für etwas zu finden, was wir ohnehin schon glauben“. Um genau so einen Bestätigungsfehler handelt es sich im eingangs erwähnten Beispiel. Die Autoren, so lässt sich vermuten, hatten eine These, „Die freie Öffentlichkeit ist in Gefahr“, und suchen nun Argumente in einer idealisierten Öffentlichkeit der Vergangenheit, ohne dabei zu bemerken, dass genau dieses Beispiel das Gegenteil andeutet, nämlich dass unsere Öffentlichkeit bedeutend straffreier ist als die meisten Öffentlichkeiten der Vergangenheit.
Das Mittel, um diesem Denkfehler aus dem Weg zu gehen, erklärt Ahn, ist, zu versuchen, die Gegenthese zu belegen. Und wer versucht zu belegen, dass die antike Öffentlichkeit nicht etwa freier, sondern unfreier war, landet schnell bei Sokrates. Eine These ist immer nur so stark wie die Gegenthese, die man sich zwingt mitzudenken. Aber damit ist die Sache mit dem Bestätigungsfehler leider noch nicht durch: Man muss sich nämlich an dieser Stelle fragen, warum ein Artikel über das Buch einer amerikanischen Psychologin sein Beispiel ausgerechnet bei deutschen Populär-Intellektuellen sucht, und stößt dabei, Sie ahnen es, auf Bestätigungsfehler. Wer bereits vorher glaubt, dass Precht und Welzer schlampig denken, entweder, weil er ihre Position für untragbar hält, oder aber, weil er ihre Thesen für so wichtig hält, dass es ihn um den Verstand bringt, dass sie sie nicht besser vortragen, wird auf der Suche nach Beispielen für Denkfehler eher bei Precht anfangen als, sagen wir, bei Habermas und damit Bestätigung für das finden, was er sowieso schon glaubt. Klares Denken wäre es, an dieser Stelle das Gegenteil zu tun: Belege für die Gegenthese – also gutes Denken – bei Precht und Welzer zu suchen (findet man). Aber auch das wäre nicht ausreichend (blinde Hühner, Körner und so weiter). Klar gedacht wäre es, sich zu fragen, ob die beiden Autoren tatsächlich mehr Denkfehler machen als, sagen wir, andere Polit-Talkshow-Teilnehmer.
Dafür reicht es allerdings nicht, mal bei „Lanz“ reinzuschalten und zu merken, dass auch ein Robin Alexander oder eben ein Markus Lanz nicht ohne Bestätigungsfehler auskommen, dass eine politische Talkshow im Grunde auch nur „Best of: unklares Denken“ ist.
Um aus den eigenen Bestätigungsfehlern rauszukommen, empfiehlt Ahn das „Gesetz der großen Zahlen“ – will heißen, ein Beispiel sagt gar nichts, man muss eine große Menge Daten auswerten und dann mit anderen Daten in Vergleich setzen. Man müsste also Bücher und Talkshows nach Denkfehlern untersuchen und zwar für eine möglichst große Zahl Teilnehmer, gerade auch für solche, die man für besonders klare Denker hält, eine Studie anlegen, das alles auswerten (grundständig Statistik lernen, scheint kompliziert zu sein), um dann sagen zu können: Ja, diese beiden denken (vergleichsweise) schlecht. Ohne diese Arbeit – darauf läuft’s beim Klar-Denken nämlich leider hinaus, auf jede Menge Arbeit – kann man nur sagen: Menschen machen Denkfehler. Und das ist leider keine besonders steile These.
Es ist aber die These von Ahns Buch. Man kennt sie in der jüngeren Vergangenheit auch schon von dem Nobelpreisträger Daniel Kahneman, der darüber mehrere Bücher geschrieben hat. Dafür allerdings ist sie wirklich wichtig für alle, die ab und zu denken. Ahn hat sie in anekdotischen Kapiteln zusammengetragen, immer wieder mit der Erinnerung gespickt, dass es leider nicht vor Denkfehlern schützt zu wissen, dass es sie gibt. Viele der Anekdoten handeln von Ahns eigenen Fehlern – und es hätte dem Schwung des Buchs und Ahns Denken hier und da genützt, wenn sich ihre Beispiele nicht zu großen Teilen als „Konservative Menschen denken unklar“ zusammenfassen ließen, wenn Ahn, die ihr Buch nach eigener Aussage schreibt, um die Welt mit den Mitteln der kognitiven Psychologie etwas besser zu machen, auch progressive Annahmen auf Denkfehler untersucht hätte, also versuchte, ihre eigenen Annahmen zu falsifizieren.
„Klar denken“ ging aus Ahns Yale-Vorlesung hervor und heißt im Englischen folgerichtig „Thinking 101“ – „101“ ist die Bezeichnung für Einführungskurse. Ein mutigerer Verlag hätte das Buch „Denken für Anfänger“ genannt. Denn das ist es: Ein guter Leitfaden für alle, die Denkfehler erkennen wollen, verbunden mit der Hoffnung, dass diese Fähigkeit nicht dafür genutzt wird, Positionen, die man selbst nicht teilt, zu desavouieren, sondern dafür, das eigene Denken etwas klarer zu machen, auch wenn das mit viel Arbeit verbunden ist und nie ganz glücken wird. Anders gesagt: „Klar denken“ ist eine nützliche Einführung für Denkanfänger. Und eine ernüchternde Erinnerung: Anfänger sind wir alle. Traue keinem Gedanken, den du selbst gedacht hast.
NELE POLLATSCHEK
Der Trick dabei: Falsifizieren,
also das Gegenteil von dem
beweisen, was man glaubt
Woo-kyoung Ahn:
Klar denken –
Eine Anleitung.
Aus dem Englischen
von Elisabeth Liebl. Rowohlt, 2022.
288 Seiten, 22 Euro.
Was war der Zufallsbuchkauf, der den größten Eindruck bei Ihnen hinterlassen hat, Sasha Marianna Salzmann? Ich stand einmal mit sechzehn in einem Antiquariat vor dem Buchstaben B und wollte nach James Baldwin greifen, zog aber stattdessen aus Versehen Ingeborg Bachmann aus dem Regal. Das war wohl die prägendste Zufallsentdeckung meines Lebens. Sasha Marianna Salzmann („Im Menschen muss alles herrlich sein“)
in der Buchhandlung InterKontinental in Berlin
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
für Anfänger
Die Psychologin Woo-kyung Ahn
erklärt in ihrem Buch die häufigsten
Denkfehler. Das ist nicht ganz neu, aber
wichtig. Und verdammt ernüchternd
Für Menschen, die so etwas komisch finden, gibt es im neuen Buch von Richard David Precht und Harald Welzer eine enorm komische Stelle. Im zweiten Kapitel, als Erläuterung dessen, was es zu schützen gilt, erzählen die Autoren eine kleine Geschichte der Öffentlichkeit. „Öffentlichkeit ist“, definieren die Autoren, „wenn viele frei über das Gleiche reden, einen gemeinsamen Debattenraum schaffen und dabei ungestraft von ihrer Meinungsfreiheit Gebrauch machen können.“ Eine Teilöffentlichkeit, so führen sie im nächsten Absatz aus, und jetzt kommt das Komische, habe es bereits im antiken Griechenland gegeben, denn hier hätte sich „der freie griechische Mann, wohlhabend und Nutznießer der Arbeit der Unfreien“, mit anderen getroffen um „Gleicher unter Gleichen, frei und kontrovers über Gleiches zu reden“. Was nicht erwähnt wird, ist der Schierlingsbecher, mit dem Sokrates für seine Meinungsäußerung hingerichtet wurde. Precht und Welzer machen also eine „Öffentlichkeit“ zur „Blaupause“, deren wichtigster Intellektueller für seine freie Meinungsäußerung zu Tode gecancelt wurde, ein Schicksal, welches deutschen Intellektuellen bislang erspart blieb.
Es stellen sich in diesem Zusammenhang ja gerade viele Fragen, zum Beispiel, ob es eigentlich jemals eine freie Öffentlichkeit gab, oder ob es für eine freie Öffentlichkeit überhaupt vonnöten ist, dass ihre Teilnehmer „ungestraft“ bleiben, oder lediglich, dass sie die Strafe mit sokratischer Gleichmut hinnehmen, anstatt sich in Selbstgerechtigkeit zu suhlen, aber um all das soll es hier in diesem Text nicht gehen, sondern um etwas, das zuvor nötig ist: die Fähigkeit zum klaren Denken – und was dieser im Weg steht.
Die Psychologie-Professorin Woo-kyung Ahn hat dem Thema ein Buch gewidmet, es heißt „Klar denken. Eine Anleitung“. Sie erläutert darin die gängigsten Denkfehler. Zum Beispiel den „Fluency-Effekt“, das Phänomen, bei dem Menschen, die etwas perfekt Ausgeführtes häufig beobachten, denken, sie könnten das auch selbst ausführen. Studenten zum Beispiel, denen ein Michael-Jackson-Video zwanzig Mal gezeigt wurde, schätzen ihre Fähigkeit, den Moonwalk selbst auszuführen, deutlich höher ein, als solche, die das Video nur einmal schauten – wenn sie dann gebeten werden, das Gesehene nachzutanzen, scheitern beide Gruppen gleichermaßen grandios. Etwas zu beobachten führt selten zu größerer Fähigkeit, dafür zu großer Selbstüberschätzung. Dieser Effekt ist auch bei Fußballfans zu diagnostizieren, die denken, besser spielen oder coachen zu können als die Spieler oder Trainer ihres Lieblingsvereins, oder bei Politik-Beobachtern, die wissen, was der Kanzler eigentlich tun sollte, oder bei Feuilletonisten, die viele Streitschriften lesen und Denkfehler bei Autoren aufdecken, von denen sie meinen, sie wären ihnen selbst nie unterlaufen, ohne sich selber in der Disziplin „Streitschrift“ zu testen. Kurzum, bei allen, die etwas intensiv beobachten, ohne in die Verlegenheit zu kommen, es selbst unter Beweis stellen zu müssen. Was bedeutet, bei allen.
Das Herzstück von „Klar denken“ – der zentrale Denkfehler, der Menschen immer wieder unterläuft – ist der Bestätigungsfehler. Er bezeichnet „unsere Neigung, Belege für etwas zu finden, was wir ohnehin schon glauben“. Um genau so einen Bestätigungsfehler handelt es sich im eingangs erwähnten Beispiel. Die Autoren, so lässt sich vermuten, hatten eine These, „Die freie Öffentlichkeit ist in Gefahr“, und suchen nun Argumente in einer idealisierten Öffentlichkeit der Vergangenheit, ohne dabei zu bemerken, dass genau dieses Beispiel das Gegenteil andeutet, nämlich dass unsere Öffentlichkeit bedeutend straffreier ist als die meisten Öffentlichkeiten der Vergangenheit.
Das Mittel, um diesem Denkfehler aus dem Weg zu gehen, erklärt Ahn, ist, zu versuchen, die Gegenthese zu belegen. Und wer versucht zu belegen, dass die antike Öffentlichkeit nicht etwa freier, sondern unfreier war, landet schnell bei Sokrates. Eine These ist immer nur so stark wie die Gegenthese, die man sich zwingt mitzudenken. Aber damit ist die Sache mit dem Bestätigungsfehler leider noch nicht durch: Man muss sich nämlich an dieser Stelle fragen, warum ein Artikel über das Buch einer amerikanischen Psychologin sein Beispiel ausgerechnet bei deutschen Populär-Intellektuellen sucht, und stößt dabei, Sie ahnen es, auf Bestätigungsfehler. Wer bereits vorher glaubt, dass Precht und Welzer schlampig denken, entweder, weil er ihre Position für untragbar hält, oder aber, weil er ihre Thesen für so wichtig hält, dass es ihn um den Verstand bringt, dass sie sie nicht besser vortragen, wird auf der Suche nach Beispielen für Denkfehler eher bei Precht anfangen als, sagen wir, bei Habermas und damit Bestätigung für das finden, was er sowieso schon glaubt. Klares Denken wäre es, an dieser Stelle das Gegenteil zu tun: Belege für die Gegenthese – also gutes Denken – bei Precht und Welzer zu suchen (findet man). Aber auch das wäre nicht ausreichend (blinde Hühner, Körner und so weiter). Klar gedacht wäre es, sich zu fragen, ob die beiden Autoren tatsächlich mehr Denkfehler machen als, sagen wir, andere Polit-Talkshow-Teilnehmer.
Dafür reicht es allerdings nicht, mal bei „Lanz“ reinzuschalten und zu merken, dass auch ein Robin Alexander oder eben ein Markus Lanz nicht ohne Bestätigungsfehler auskommen, dass eine politische Talkshow im Grunde auch nur „Best of: unklares Denken“ ist.
Um aus den eigenen Bestätigungsfehlern rauszukommen, empfiehlt Ahn das „Gesetz der großen Zahlen“ – will heißen, ein Beispiel sagt gar nichts, man muss eine große Menge Daten auswerten und dann mit anderen Daten in Vergleich setzen. Man müsste also Bücher und Talkshows nach Denkfehlern untersuchen und zwar für eine möglichst große Zahl Teilnehmer, gerade auch für solche, die man für besonders klare Denker hält, eine Studie anlegen, das alles auswerten (grundständig Statistik lernen, scheint kompliziert zu sein), um dann sagen zu können: Ja, diese beiden denken (vergleichsweise) schlecht. Ohne diese Arbeit – darauf läuft’s beim Klar-Denken nämlich leider hinaus, auf jede Menge Arbeit – kann man nur sagen: Menschen machen Denkfehler. Und das ist leider keine besonders steile These.
Es ist aber die These von Ahns Buch. Man kennt sie in der jüngeren Vergangenheit auch schon von dem Nobelpreisträger Daniel Kahneman, der darüber mehrere Bücher geschrieben hat. Dafür allerdings ist sie wirklich wichtig für alle, die ab und zu denken. Ahn hat sie in anekdotischen Kapiteln zusammengetragen, immer wieder mit der Erinnerung gespickt, dass es leider nicht vor Denkfehlern schützt zu wissen, dass es sie gibt. Viele der Anekdoten handeln von Ahns eigenen Fehlern – und es hätte dem Schwung des Buchs und Ahns Denken hier und da genützt, wenn sich ihre Beispiele nicht zu großen Teilen als „Konservative Menschen denken unklar“ zusammenfassen ließen, wenn Ahn, die ihr Buch nach eigener Aussage schreibt, um die Welt mit den Mitteln der kognitiven Psychologie etwas besser zu machen, auch progressive Annahmen auf Denkfehler untersucht hätte, also versuchte, ihre eigenen Annahmen zu falsifizieren.
„Klar denken“ ging aus Ahns Yale-Vorlesung hervor und heißt im Englischen folgerichtig „Thinking 101“ – „101“ ist die Bezeichnung für Einführungskurse. Ein mutigerer Verlag hätte das Buch „Denken für Anfänger“ genannt. Denn das ist es: Ein guter Leitfaden für alle, die Denkfehler erkennen wollen, verbunden mit der Hoffnung, dass diese Fähigkeit nicht dafür genutzt wird, Positionen, die man selbst nicht teilt, zu desavouieren, sondern dafür, das eigene Denken etwas klarer zu machen, auch wenn das mit viel Arbeit verbunden ist und nie ganz glücken wird. Anders gesagt: „Klar denken“ ist eine nützliche Einführung für Denkanfänger. Und eine ernüchternde Erinnerung: Anfänger sind wir alle. Traue keinem Gedanken, den du selbst gedacht hast.
NELE POLLATSCHEK
Der Trick dabei: Falsifizieren,
also das Gegenteil von dem
beweisen, was man glaubt
Woo-kyoung Ahn:
Klar denken –
Eine Anleitung.
Aus dem Englischen
von Elisabeth Liebl. Rowohlt, 2022.
288 Seiten, 22 Euro.
Was war der Zufallsbuchkauf, der den größten Eindruck bei Ihnen hinterlassen hat, Sasha Marianna Salzmann? Ich stand einmal mit sechzehn in einem Antiquariat vor dem Buchstaben B und wollte nach James Baldwin greifen, zog aber stattdessen aus Versehen Ingeborg Bachmann aus dem Regal. Das war wohl die prägendste Zufallsentdeckung meines Lebens. Sasha Marianna Salzmann („Im Menschen muss alles herrlich sein“)
in der Buchhandlung InterKontinental in Berlin
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Rezensentin Katharina Granzin fühlt sich beim Lesen von Woo-kyoung Ahns "oft ertappt", so plastisch führt ihr die in Yale lehrende Psychologie-Professorin gängige und evolutionär vorprogrammierte "Denkfehler" vor Augen, die uns allen wohl oder übel immer wieder unterlaufen. So zum Beispiel der "Verfügbarkeitseffekt", gemäß dem wir fälschlicherweise annehmen, eine bestimmte Bewegung oder Tätigkeit nach mehrmaliger Beobachtung selbst ausführen zu können; oder der für Granzin besonders erschreckenden Mechanismus, dass wir nach einer einmal gefassten Annahme nur noch selektiv die Informationen aufnehmen, die diese Annahme bestätigen. Bewundernswert findet die Kritikerin dabei Ahns "Anekdotenreigen", mit dem sie ihre Erklärungen sehr anschaulich mache. Zum Glück halte die Autorin auch fest, dass die präsentierten Denkfehler, nicht unsere Schuld sind, sondern beispielsweise auch Vögeln unterlaufen, liest Granzin erleichtert. Ein lehrreiches, mit Beispielen ausführlich illustriertes Buch "mitten aus der akademischen Praxis", lobt sie.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Die Professorin aus Yale entschlüsselt irrige Denkmuster und zeigt, wie wir sie durchbrechen können. Anschaulich und anspruchsvoll. HÖRZU 20221125
Rezensentin Katharina Granzin fühlt sich beim Lesen von Woo-kyoung Ahns "oft ertappt", so plastisch führt ihr die in Yale lehrende Psychologie-Professorin gängige und evolutionär vorprogrammierte "Denkfehler" vor Augen, die uns allen wohl oder übel immer wieder unterlaufen. So zum Beispiel der "Verfügbarkeitseffekt", gemäß dem wir fälschlicherweise annehmen, eine bestimmte Bewegung oder Tätigkeit nach mehrmaliger Beobachtung selbst ausführen zu können; oder der für Granzin besonders erschreckenden Mechanismus, dass wir nach einer einmal gefassten Annahme nur noch selektiv die Informationen aufnehmen, die diese Annahme bestätigen. Bewundernswert findet die Kritikerin dabei Ahns "Anekdotenreigen", mit dem sie ihre Erklärungen sehr anschaulich mache. Zum Glück halte die Autorin auch fest, dass die präsentierten Denkfehler, nicht unsere Schuld sind, sondern beispielsweise auch Vögeln unterlaufen, liest Granzin erleichtert. Ein lehrreiches, mit Beispielen ausführlich illustriertes Buch "mitten aus der akademischen Praxis", lobt sie.
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