Der neue Roman des Nobelpreisträgers
Klara ist eine künstliche Intelligenz, entwickelt, um Jugendlichen eine Gefährtin zu sein auf dem Weg ins Erwachsenwerden. Vom Schaufenster eines Spielzeuggeschäfts aus beobachtet sie genau, was draußen vor sich geht, studiert das Verhalten der Kundinnen und Kunden und hofft, bald von einem jungen Menschen als neue Freundin ausgewählt zu werden. Als sich ihr Wunsch endlich erfüllt und ein Mädchen sie mit nach Hause nimmt, muss sie jedoch bald feststellen, dass sie auf die Versprechen von Menschen nicht allzu viel geben sollte.
KLARA UND DIE SONNE ist ein beeindruckendes, berührendes Buch und Klara eine unvergessliche Erzählerin, deren Blick auf unsere Welt die fundamentale Frage aufwirft, was es heißt zu lieben.
Klara ist eine künstliche Intelligenz, entwickelt, um Jugendlichen eine Gefährtin zu sein auf dem Weg ins Erwachsenwerden. Vom Schaufenster eines Spielzeuggeschäfts aus beobachtet sie genau, was draußen vor sich geht, studiert das Verhalten der Kundinnen und Kunden und hofft, bald von einem jungen Menschen als neue Freundin ausgewählt zu werden. Als sich ihr Wunsch endlich erfüllt und ein Mädchen sie mit nach Hause nimmt, muss sie jedoch bald feststellen, dass sie auf die Versprechen von Menschen nicht allzu viel geben sollte.
KLARA UND DIE SONNE ist ein beeindruckendes, berührendes Buch und Klara eine unvergessliche Erzählerin, deren Blick auf unsere Welt die fundamentale Frage aufwirft, was es heißt zu lieben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.05.2021Songs für Roboter
RHEIN-MAIN Kazuo Ishiguro stellt in 15 Literaturhäusern zugleich ein Buch vor
Ans Klavier setzt er sich nicht. Das Instrument mit den aufgeschlagenen Notenblättern ist hinter Kazuo Ishiguro zu sehen. Der Nobelpreisträger, der als Verfasser von Liedtexten begann, spielt aber auch so auf diversen Klaviaturen: der seiner Themen, Werke und Leser. "Je älter ich werde, desto mehr bemerke ich, dass ich das Schreiben nicht mit Romanen begonnen habe, sondern mit Songs", berichtet er seinen Zuhörern, die sich im gesamten deutschen Sprachraum vor ihren Computerbildschirmen versammelt haben.
15 Literaturhäuser aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben sich zusammengetan, im Rhein-Main-Gebiet die aus Frankfurt und Wiesbaden, um den britischen Autor, den die Königin 2019 zum Ritter schlug, seinen neuen Roman vorstellen zu lassen. Knapp 2000 Streaming-Tickets haben die Veranstalter nach Angaben des federführenden Literaturhauses München verkauft.
"Klara und die Sonne", Mitte März bei Blessing auf Deutsch erschienen, ist der achte Roman des 1954 in Nagasaki zur Welt gekommenen Schriftstellers. "Vieles, was ich gemacht habe, lässt sich auf die Prioritäten eines Songwriters zurückführen", sagt er nun. Und fügt scherzend hinzu: "Kein Stadionrock. Nur eine Akustikgitarre und ein paar Leute in einem Raum." Bei solchen Songs müsse sich fast alles unter der Oberfläche abspielen: "Zwischen den Zeilen. Denn es gibt nicht viele Zeilen." Also müsse man weglassen. Und anderes mit sparsamsten Mitteln hereinholen. Durch eine besonders sorgsame Wortwahl. Oder motivische Verknüpfungen.
Spiegel zum Beispiel, die im neuen Roman hier und da auftauchen. Ein Spiegel sei aber auch Klara, die Titelfigur, ein Roboter, konstruiert als eine Art "emotional support animal" für bedürftige Menschen. Klara sei "ein gestörter, seltsamer Spiegel menschlicher Existenz", sagt Ishiguro. Ihre Aufgabe sei es, Teenager vor der Einsamkeit zu schützen. Eine Familie kauft das schon etwas veraltete, aber fabrikneue Modell für ihre kranke Tochter. An ihrem Arbeitsplatz muss Klara, eine Künstliche Intelligenz, die rasch begreift, aber zunächst völlig unbeschrieben ist, erst lernen, was das ist - der Mensch. Aber auch, worum es sich bei der Einsamkeit handelt. Und der Liebe: "Diesem Ding, das ein Wesen an das andere zu binden scheint."
Dass Klara all das erst nach und nach versteht, ist gut für Ishiguros erzählerische Zwecke, denn darum geht es auch ihm. Abermals kreist sein Schreiben um das, was das Menschsein ausmacht. Was man tun und sein muss, um Mensch zu sein oder es zu werden, wie Stevens, der stille, erstarrte Butler in "Was vom Tage übrigblieb", wie die menschlichen Ersatzteillager in "Alles, was wir geben mussten".
Für Spiegel und Spiegelbilder hat Ishiguro sich schon früh interessiert: "Ich dachte, es wäre toll, einen Spiegel zu erfinden, der einen richtig herum zeigt." So, wie man wirklich aussieht. Bis diese unmögliche Erfindung jemand anderem gelungen ist, gibt es, ohne dass er das sagen müsste, die Literatur. Die ihren Anspruch, Menschen und Roboter so zeigen zu können, wie sie wirklich sind, hinter allem Anschein und unter sämtlichen Oberflächen, auch inmitten eines nie gesehenen Ansturms von Bildern nicht aufgegeben hat.
Die Hilfe der Maschinen wird an diesem Livestream-Abend zu Pandemie-Zeiten aber auch außerhalb des Romans benötigt. Im Literaturhaus München sitzt als Moderatorin die Anglistin Julika Griem, neben ihr die Schauspielerin Valery Tscheplanowa, zuständig für die deutsch gelesenen Textpassagen, hinter beiden ist auf einem Bildschirm Sir Kazuo zu sehen. Ish, wie Griem ihn nennen darf, ist von zu Hause aus zugeschaltet, zwischen Sesseln, Büchern und Bildern, und erklärt aus der Ferne, warum "Klara und die Sonne" in einer leicht zerrütteten Familie spielt, in der die Eltern zwischen zu viel und zu wenig Zuwendung schwanken: "Was ich brauchte, waren diese Beziehungen, um sie herum ist das Ganze strukturiert."
Beziehungen sind ihm lieber als Grenzen. An Genres halte man sich daher am besten weder als Autor noch als Leser. Stets behinderten sie die Vorstellungskraft. Für manche Leser möge "Klara und die Sonne" Science-Fiction-Elemente enthalten. Aber was heiße das heutzutage schon noch? "Das Buch enthält nur Technik, die es entweder schon gibt oder bald geben wird." Bücher für Kleinkinder seien eine wichtigere Inspirationsquelle gewesen: "Die Welt, die in ihnen geschaffen wird, hat alle Spannungen der Welt der Erwachsenen." In Bilderbüchern entdeckt er Signale des Dramas: "Um die Kinder zu warnen." So wie er nun die Menschheit vor allzu viel Technik. Bleibt die Frage: "Was passiert mit meinem Roman, wenn die Leser mit ihm fertig sind?" So wie die Familie mit Klara, wenn sie nicht mehr gebraucht wird? Ein guter Roman solle den Leser lange nach der Lektüre verfolgen: "Wie ein Song. Der soll ja auch nicht nur drei Minuten lang unterhalten, sondern sich in Herz und Hirn spielen." Ishiguro schafft das auch ohne Noten.
FLORIAN BALKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
RHEIN-MAIN Kazuo Ishiguro stellt in 15 Literaturhäusern zugleich ein Buch vor
Ans Klavier setzt er sich nicht. Das Instrument mit den aufgeschlagenen Notenblättern ist hinter Kazuo Ishiguro zu sehen. Der Nobelpreisträger, der als Verfasser von Liedtexten begann, spielt aber auch so auf diversen Klaviaturen: der seiner Themen, Werke und Leser. "Je älter ich werde, desto mehr bemerke ich, dass ich das Schreiben nicht mit Romanen begonnen habe, sondern mit Songs", berichtet er seinen Zuhörern, die sich im gesamten deutschen Sprachraum vor ihren Computerbildschirmen versammelt haben.
15 Literaturhäuser aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben sich zusammengetan, im Rhein-Main-Gebiet die aus Frankfurt und Wiesbaden, um den britischen Autor, den die Königin 2019 zum Ritter schlug, seinen neuen Roman vorstellen zu lassen. Knapp 2000 Streaming-Tickets haben die Veranstalter nach Angaben des federführenden Literaturhauses München verkauft.
"Klara und die Sonne", Mitte März bei Blessing auf Deutsch erschienen, ist der achte Roman des 1954 in Nagasaki zur Welt gekommenen Schriftstellers. "Vieles, was ich gemacht habe, lässt sich auf die Prioritäten eines Songwriters zurückführen", sagt er nun. Und fügt scherzend hinzu: "Kein Stadionrock. Nur eine Akustikgitarre und ein paar Leute in einem Raum." Bei solchen Songs müsse sich fast alles unter der Oberfläche abspielen: "Zwischen den Zeilen. Denn es gibt nicht viele Zeilen." Also müsse man weglassen. Und anderes mit sparsamsten Mitteln hereinholen. Durch eine besonders sorgsame Wortwahl. Oder motivische Verknüpfungen.
Spiegel zum Beispiel, die im neuen Roman hier und da auftauchen. Ein Spiegel sei aber auch Klara, die Titelfigur, ein Roboter, konstruiert als eine Art "emotional support animal" für bedürftige Menschen. Klara sei "ein gestörter, seltsamer Spiegel menschlicher Existenz", sagt Ishiguro. Ihre Aufgabe sei es, Teenager vor der Einsamkeit zu schützen. Eine Familie kauft das schon etwas veraltete, aber fabrikneue Modell für ihre kranke Tochter. An ihrem Arbeitsplatz muss Klara, eine Künstliche Intelligenz, die rasch begreift, aber zunächst völlig unbeschrieben ist, erst lernen, was das ist - der Mensch. Aber auch, worum es sich bei der Einsamkeit handelt. Und der Liebe: "Diesem Ding, das ein Wesen an das andere zu binden scheint."
Dass Klara all das erst nach und nach versteht, ist gut für Ishiguros erzählerische Zwecke, denn darum geht es auch ihm. Abermals kreist sein Schreiben um das, was das Menschsein ausmacht. Was man tun und sein muss, um Mensch zu sein oder es zu werden, wie Stevens, der stille, erstarrte Butler in "Was vom Tage übrigblieb", wie die menschlichen Ersatzteillager in "Alles, was wir geben mussten".
Für Spiegel und Spiegelbilder hat Ishiguro sich schon früh interessiert: "Ich dachte, es wäre toll, einen Spiegel zu erfinden, der einen richtig herum zeigt." So, wie man wirklich aussieht. Bis diese unmögliche Erfindung jemand anderem gelungen ist, gibt es, ohne dass er das sagen müsste, die Literatur. Die ihren Anspruch, Menschen und Roboter so zeigen zu können, wie sie wirklich sind, hinter allem Anschein und unter sämtlichen Oberflächen, auch inmitten eines nie gesehenen Ansturms von Bildern nicht aufgegeben hat.
Die Hilfe der Maschinen wird an diesem Livestream-Abend zu Pandemie-Zeiten aber auch außerhalb des Romans benötigt. Im Literaturhaus München sitzt als Moderatorin die Anglistin Julika Griem, neben ihr die Schauspielerin Valery Tscheplanowa, zuständig für die deutsch gelesenen Textpassagen, hinter beiden ist auf einem Bildschirm Sir Kazuo zu sehen. Ish, wie Griem ihn nennen darf, ist von zu Hause aus zugeschaltet, zwischen Sesseln, Büchern und Bildern, und erklärt aus der Ferne, warum "Klara und die Sonne" in einer leicht zerrütteten Familie spielt, in der die Eltern zwischen zu viel und zu wenig Zuwendung schwanken: "Was ich brauchte, waren diese Beziehungen, um sie herum ist das Ganze strukturiert."
Beziehungen sind ihm lieber als Grenzen. An Genres halte man sich daher am besten weder als Autor noch als Leser. Stets behinderten sie die Vorstellungskraft. Für manche Leser möge "Klara und die Sonne" Science-Fiction-Elemente enthalten. Aber was heiße das heutzutage schon noch? "Das Buch enthält nur Technik, die es entweder schon gibt oder bald geben wird." Bücher für Kleinkinder seien eine wichtigere Inspirationsquelle gewesen: "Die Welt, die in ihnen geschaffen wird, hat alle Spannungen der Welt der Erwachsenen." In Bilderbüchern entdeckt er Signale des Dramas: "Um die Kinder zu warnen." So wie er nun die Menschheit vor allzu viel Technik. Bleibt die Frage: "Was passiert mit meinem Roman, wenn die Leser mit ihm fertig sind?" So wie die Familie mit Klara, wenn sie nicht mehr gebraucht wird? Ein guter Roman solle den Leser lange nach der Lektüre verfolgen: "Wie ein Song. Der soll ja auch nicht nur drei Minuten lang unterhalten, sondern sich in Herz und Hirn spielen." Ishiguro schafft das auch ohne Noten.
FLORIAN BALKE
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Eher trocken fällt Lob dieses Romans durch Rezensent Benedikt Herber aus, aber er findet durchaus, es lohne es sich, den ersten, offenbar etwas zähen Teil hinter sich zu bringen, denn im zweiten komme endlich "Dynamik" in die Sache. Dem Kritiker hat gefallen, wie mit der Akzeptanz des Roboters Klara als Gefährtin eines kranken Kindes langsam die Problematik entwickelt wird, um die es Ishiguro gehe, nämlich dass es das Leistungs- und Algorithmusdenken der Menschen ist, dem wir am Ende selbst zum Opfer fallen. Nicht die Künstliche Intelligenz oder die aus ihr folgende Technik sei gefährlich, so nimmt es der Kritiker aus diesem Roman mit, den er "auf lakonische Weise berührend" findet, sondern es sind die Menschen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Ishiguro beschert uns ein literarisches Wunder.« NZZ am Sonntag, Markus Gasser