Klara hat 29 Monate im Konzentrationslager Auschwitz verbracht, bevor sie im Pariser Hotel Lutetia von ihrer Schwägerin Angelika aufgegriffen wird. In einer Irrfahrt hatte sie halb Europa durchquert, und nach Dresden, Linz, Prag und Krakau schließlich für drei Wochen in ihrer in Trümmern liegenden Geburtsstadt Berlin Station gemacht.
Ende Juli 1945 - Klara ist unter den letzten heimgekehrten Überlebenden, bis zur Unkenntlichkeit abgemagert - beginnt Angelika ein Tagebuch, um festzuhalten, wie sie die Freundin, eine aus Frankreich deportierte Deutsche, nach ihrer Rückkehr erlebt. Sie notiert, was diese sagt, was ihr auffällt, und es ist das Unsagbare, das Unaussprechliche, das sich durch Klaras Stimme, in Bruchstücken und unter größter Anstrengung, nach und nach mitteilt.
In einem stockenden Monolog, gleichwohl mit schneidender Klarheit, erklärt Klara am Ende ihre "Weigerung innerhalb der großen Verwüstung". Als Augenzeugin ist ihr die Rückkehr unmöglich, sie erklärt sich selbst für tot, bevor sie schließlich nach Amerika abreist, Europa den Rücken kehrt, ihren Namen ändert und sich einer ungewissen Zukunft überlässt.
Diese Verweigerung schließt auch Klaras eigene vierjährige Tochter Victoire ein, geboren kurz vor der Deportation und zurück gelassen und aufgezogen von Angelika und Agathe. Klara sieht sich als ansteckende Gefahr für das Kind Victoire, "als Verkörperung der Gefahr von Auschwitz", nichts als "ein Minenfeld". Kompromisslos weigert sie sich, das Mädchen wiederzusehen.
»Ein unglaublich sensibles und erschütterndes Buch.«
(Elke Heidenreich)
Ende Juli 1945 - Klara ist unter den letzten heimgekehrten Überlebenden, bis zur Unkenntlichkeit abgemagert - beginnt Angelika ein Tagebuch, um festzuhalten, wie sie die Freundin, eine aus Frankreich deportierte Deutsche, nach ihrer Rückkehr erlebt. Sie notiert, was diese sagt, was ihr auffällt, und es ist das Unsagbare, das Unaussprechliche, das sich durch Klaras Stimme, in Bruchstücken und unter größter Anstrengung, nach und nach mitteilt.
In einem stockenden Monolog, gleichwohl mit schneidender Klarheit, erklärt Klara am Ende ihre "Weigerung innerhalb der großen Verwüstung". Als Augenzeugin ist ihr die Rückkehr unmöglich, sie erklärt sich selbst für tot, bevor sie schließlich nach Amerika abreist, Europa den Rücken kehrt, ihren Namen ändert und sich einer ungewissen Zukunft überlässt.
Diese Verweigerung schließt auch Klaras eigene vierjährige Tochter Victoire ein, geboren kurz vor der Deportation und zurück gelassen und aufgezogen von Angelika und Agathe. Klara sieht sich als ansteckende Gefahr für das Kind Victoire, "als Verkörperung der Gefahr von Auschwitz", nichts als "ein Minenfeld". Kompromisslos weigert sie sich, das Mädchen wiederzusehen.
»Ein unglaublich sensibles und erschütterndes Buch.«
(Elke Heidenreich)
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Die Rezensentin Ruth Spietschka gefällt dieses Buch sehr gut, auch wenn sie angesichts der Präsentationsform als Tagebuch zunächst "ein weiteres Kapitel in der endlosen Geschichte der Erinnerungsliteratur" über den Holocaust erwartet. Doch dem ist nicht so. Das Buch ist Fiktion und es geht darin auch weniger um die Zeit ins Auschwitz als darum "was diese Ereignisse aus den Überlebenden gemacht haben". Die Authentizitätsdebatten zum Thema will die Rezensentin hier deshalb gar nicht aufgreifen, sie ist einfach nur beeindruckt von dieser fiktionalen Abhandlung, die "Überzeugungskraft durch literarische Verdichtung gewinnt, ohne je platt zu werden oder in Kitsch abzurutschen". Im Mittelpunkt des Romans steht ihrer Meinung nach die Frage, wie man das Geschehene überhaupt nur kommunizieren kann.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2004Erstickte Worte machen sich Luft
Es heißt "da unten": Soazig Aarons Roman über Auschwitz
Klara ist doch noch zurückgekehrt. Während der Besatzungszeit hatte sich die aus Deutschland stammende Klara Schwarz-Roth geweigert, wie ihre Freunde und Angehörigen ihrem Namen eine französisch klingende Form zu geben. Sie wurde als ausländische Jüdin erkannt und deportiert. Im Juli 1945 trifft sie im Pariser Hotel Lutétia ein, in dem die Überlebenden der Konzentrationslager empfangen werden. Seit Wochen hat ihre Schwägerin Angelika auf sie gewartet, Adresse und Foto der sehnlichst Erwarteten hinterlassen und wird trotzdem nicht benachrichtigt: Klara meldet sich bei ihrer Rückkehr aus Auschwitz im Lutétia unter einem falschen Namen an - dem deutschen Namen ihres deutschen Vaters Ulrich Adler: als Sarah Adler. "Es gab nicht mehr viel Hoffnung", aber noch einmal schaut Angelika im Hotel vorbei. Über ein paar Wochen hinweg protokolliert sie die unglaubliche Geschichte der Frau, die ihr immer fremder wird.
Es handelt sich hier um Literatur, um eine Fiktion über Auschwitz. Ein paar Jahre nach dem Krieg erschienen die ersten und bis heute maßgebenden Bücher der französischen Literatur über die Schoa. David Rousset nannte seinen Bericht einen Roman, Robert Antelme wählte die Bezeichnung Erzählung - beide Werke waren autobiographisch. Sie bezogen ihre Legitimität aus der persönlichen Erfahrung, die Gattungsbezeichnungen waren reine Selbstschutzmaßnahmen. Später kamen die großartigen Bücher von Jorge Semprun, der erst nach Jahrzehnten des Schweigens über sein Leben in Buchenwald zu schreiben begann - aber in der Literarisierung der Ereignisse schon sehr viel weiter ging.
Semprun verfaßte zu "Klaras NEIN" ein Vorwort: "Wir können ruhig sterben." Er schreibt über die Frage, was mit der Erinnerung an die Vernichtung geschehen werde, wenn die letzten Überlebenden ausgestorben seien. Ist der Verlust der Erinnerung unausweichlich? Oder tritt, vielleicht noch schlimmer, ihre "Sterilisierung durch Heiligung" ein? Semprun glaubt eher an diese zweite Gefahr: "Es sei denn, daß die Romanschriftsteller, die Dichter der neuen Generation den Mut finden, sich an dieses Gebiet der vergangenen Realität heranzuwagen, die unerschöpfliche Wahrheit der Vernichtungslager mit den Mitteln der Fiktion herauszuarbeiten." Soazig Aaron, Jahrgang 1949, hat es gewagt - in ihrem kühnen Erstling, der ein großer Wurf geworden ist: "Es ist der Roman, auf den ich gewartet habe", schwärmt Semprun, "unsere Stimme, die Stimme der Zeugen wird in dieser wunderbaren Fiktion weitergegeben und bewahrt."
Ulrich Adler war Soldat - "Oberführer". Er hatte eine Jüdin geheiratet und fürchtete, die Armee verlassen zu müssen. "Im Spaß" soll Klaras Mutter die Scheidung angeboten haben. In allem Anstand wurde sie durchgezogen. Adler überließ den Seinen das ganze Geld und die Wohnung in Berlin. Noch als er wieder verheiratet war und weitere Kinder hatte, kümmerte er sich um sie und berichtete ihnen lange von seinem neuen Leben und seiner neuen Familie. Seine schützende Hand wurde machtlos, als sich die halbjüdische Tochter Klara mit einem Volljuden verheiratete - noch rechtzeitig flüchteten sie 1938 ins französische Exil. Bei ihrer Rückkehr in Paris muß Klara erfahren, daß ihr Mann im Widerstand umgekommen ist: "Ich werde keinen Helden beweinen ... die Gnade, getötet zu werden ... er hatte gute Gründe zu sterben ... nicht jeder hat dieses Glück."
Neunundzwanzig Monate hatte Klara in Auschwitz verbracht, "wo es ein Unglück war, Augen zu haben". Sie benutzt ausschließlich die polnische Ortsbezeichnung: "Da unten. Es heißt da unten. Es hieß Oswiecim. Auf deutsch haben sie sich einen anderen Namen ausgesucht. Es war ein Ort für Heilige und Tiere." Das Verhalten der Heimkehrenden gibt Rätsel auf. "Im Eintrag steht Montag, 16. Juli, sie kommt aus Auschwitz, aber es reimt sich bei ihr nichts, normalerweise hätte sie mindestens seit zwei Monaten hier sein müssen, sie ist nicht sehr kooperativ, und wenn sie obendrein gelogen hat, was ihren Personenstand betrifft, ist das auch nicht gerade hilfreich", wird Angelika beschieden. Sie darf Klara dennoch mitnehmen. Klara weigert sich, ihre Tochter Victoire zu sehen. Daran ändert sich auch nach ein paar Tagen nichts. "Da unten habe ich nie Albträume gehabt. Jetzt, hier, ständig. Die Albträume sind hier gekommen und auf meiner ganzen Reise seit Polen. Ich wohne jede Nacht mitten im Albtraum." Klara, deren Augen Auschwitz gesehen haben, will als Fotografin nach New York.
Von Anfang an liegt ein Geheimnis über dieser raffiniert inszenierten Geschichte. Die Handlung spielt im Sommer 1945. Paris ist seit einem Jahr befreit und will zur Normalität zurückkehren. In einer Kneipe wird Klara verprügelt, weil man sie wegen der geschorenen Haare für ein Feindsliebchen hält. Eher klischeehaft und allzu politisch korrekt wirkt ein Antisemit, der von ihrem Schicksal erfährt und sich weinend bei ihr zu entschuldigen versucht. Übertrieben idealisierend sind die Reaktionen auf Hiroshima und Nagasaki geschildert: Frankreichs Öffentlichkeit war eher gleichgültig, und die wahre Tragweite begriffen nur wenige. Unglaubwürdig wirkt die Prophezeiung des israelischen Fluchs - vor allem weil er sich bewahrheitet hat: "Auch die Juden werden töten. Daran wird man sich gewöhnen müssen. Bellen und töten können auch sie. Wenn die Juden ein Volk geworden sind, das ein Land, einen Heimatboden hat, dann wird dieser Krieg ein mörderisches Volk mehr fabriziert haben. Es gibt keinen Grund, warum es nicht ebenso dumm wäre wie die anderen Völker auch, das ist alles schlechtes Getue, was ich ihnen wünsche" - wohlverstanden im Sommer 1945.
Das zentrale Thema des Buchs von Soazig Aaron ist nicht der erste Nachkriegssommer in Paris: Es geht um das Leben im Lager. In den Gesprächen, die Angelika aufzeichnet, entstehen aus Worten und stockenden Sätzen konkrete - erfundene - Szenen der Zerstörung und der Vernichtung. Sie entwerfen eine Realität der Entfremdung und der absoluten Entmenschlichung, die so provozierend und unerträglich ist, daß sich der deutsche Verlag auf dem Klappentext zur Warnung veranlaßt sieht, es werde "weder kaschiert noch moralisch gewertet". Auch sei der Text keine "Rechtfertigung oder Erklärung".
Mit "Klaras NEIN" beginnt tatsächlich ein neues Kapitel der Auschwitzliteratur. Der Name der Autorin ist ein Pseudonym. Sie hat als Zwanzigjährige ein Jahr in Israel verbracht, in Paris Geschichte studiert und in einer Buchhandlung gearbeitet. Sie lebt mit ihrem Mann weit ab vom Medienbetrieb, dem sie sich konsequent entzieht, in der Bretagne. Für ihre bislang einzige Veröffentlichung bekam sie vor zwei Jahren in Paris einen Literaturpreis der dritten Kategorie und das Goncourt-Stipendium für Anfänger. Sehr genau hat Grete Osterwald dieses subtile, sprachlich hochstehende Werk übersetzt, dessen französischer Titel "Le non de Klara" im Klang auch auf Klaras Namen - "nom" - anspielt. Soazig Aaron hat auf eine Gattungsbezeichnung verzichtet, in der deutschen Übersetzung ist von einer "Tagebuch-Erzählung" die Rede.
So bricht die Autorin radikal mit der Ästhetik der Erinnerungsliteratur. Sie reißt die Mauern ein, welche die Überlebenden der Lager auch im Schreiben danach nicht überwinden konnten: Was hätten die Lagerinsassen denn auch noch erfinden sollen. Die Sprache hatte es ihnen verschlagen, und schon das Berichten forderte ihnen übermenschliche Anstrengungen ab. Ihre Phantasie und ihre Freiheit waren gestorben - weit über 1945 hinaus.
Die Möglichkeiten der Fiktion sind grenzenlos, auch sie kann das Unsagbare aussprechen und gestalten - vielleicht noch besser. Mit jedem Satz wird Soazig Aaron der Freiheit, die sie sich herausnimmt, gerecht. Die "erstickten Worte" (Sarah Kofman) machen sich Luft. Die "erfundene Wahrheit" ist nicht weniger authentisch als das existentiell legitimierte und exakt dokumentierte "nackte Grauen". Soazig Aaron erreicht eine Intensität, die den besten Schilderungen über jene, die "wirklich" starben, in nichts nachsteht. Die Vitalität dieser Fiktion ist wohl auch das beste Mittel gegen das Gift der Auschwitz-Lügner, die gegen Dokumente komplottieren, aber gegen künstlerische Darstellungen mit ihren Verschwörungstheorien ins Leere laufen.
Klaras frei erfundene Geschichte nimmt eine Wendung, die es nur in der Literatur geben kann. Kommt es zum Vatermord durch die Tochter, die in der Stunde der unmöglichen Rettung ihr eigenes Kind verstößt? Im Konzentrationslager blitzt diese Möglichkeit während ein paar Schrecksekunden auf. Doch das viel zu klassische Motiv paßt nicht zu Klara. In Paris traf sie verspätet ein, weil sie durch das zusammenbrechende Reich - Krakau, Dresden, Linz, Prag - geirrt war. Die Blitze der Bomben genoß sie als reinigendes Strafgewitter. "Die anderen hatten es eilig mit der Rückkehr, ich nicht. Sie finden ein Land wieder, ich habe meines verlassen, ein letztes Mal. Jetzt bin ich hier."
Während ihrer Reise durch die zerstörte und verlorene Heimat besuchte Klara in Berlin auch die Wohnung der Eltern. Hier hatte sich die Mutter 1938 nach dem Wegzug der Tochter ins Exil das Leben genommen. Wildfremde Leute lebten jetzt in dem Haus. "Sie haben mich Sarah genannt, stell dir das vor!" Nicht aus Rache - in der Logik dieses absoluten Romans des Absurden hat Klara zwei Menschen erschossen. Als der jüdische Name fiel, lösten sich die Schüsse ganz von selbst. "Wenn ich etwas bereue", sagt sie kurz vor der Abreise nach New York zu Angelika, "ist es der fehlende Vorsatz."
JÜRG ALTWEGG
Soazig Aaron: "Klaras NEIN". Tagebuch-Erzählung. Aus dem Französischen übersetzt von Grete Osterwald. Mit einem Vorwort von Jorge Semprun. Friedenauer Presse, Berlin 2003. 188 S., geb., 19,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Es heißt "da unten": Soazig Aarons Roman über Auschwitz
Klara ist doch noch zurückgekehrt. Während der Besatzungszeit hatte sich die aus Deutschland stammende Klara Schwarz-Roth geweigert, wie ihre Freunde und Angehörigen ihrem Namen eine französisch klingende Form zu geben. Sie wurde als ausländische Jüdin erkannt und deportiert. Im Juli 1945 trifft sie im Pariser Hotel Lutétia ein, in dem die Überlebenden der Konzentrationslager empfangen werden. Seit Wochen hat ihre Schwägerin Angelika auf sie gewartet, Adresse und Foto der sehnlichst Erwarteten hinterlassen und wird trotzdem nicht benachrichtigt: Klara meldet sich bei ihrer Rückkehr aus Auschwitz im Lutétia unter einem falschen Namen an - dem deutschen Namen ihres deutschen Vaters Ulrich Adler: als Sarah Adler. "Es gab nicht mehr viel Hoffnung", aber noch einmal schaut Angelika im Hotel vorbei. Über ein paar Wochen hinweg protokolliert sie die unglaubliche Geschichte der Frau, die ihr immer fremder wird.
Es handelt sich hier um Literatur, um eine Fiktion über Auschwitz. Ein paar Jahre nach dem Krieg erschienen die ersten und bis heute maßgebenden Bücher der französischen Literatur über die Schoa. David Rousset nannte seinen Bericht einen Roman, Robert Antelme wählte die Bezeichnung Erzählung - beide Werke waren autobiographisch. Sie bezogen ihre Legitimität aus der persönlichen Erfahrung, die Gattungsbezeichnungen waren reine Selbstschutzmaßnahmen. Später kamen die großartigen Bücher von Jorge Semprun, der erst nach Jahrzehnten des Schweigens über sein Leben in Buchenwald zu schreiben begann - aber in der Literarisierung der Ereignisse schon sehr viel weiter ging.
Semprun verfaßte zu "Klaras NEIN" ein Vorwort: "Wir können ruhig sterben." Er schreibt über die Frage, was mit der Erinnerung an die Vernichtung geschehen werde, wenn die letzten Überlebenden ausgestorben seien. Ist der Verlust der Erinnerung unausweichlich? Oder tritt, vielleicht noch schlimmer, ihre "Sterilisierung durch Heiligung" ein? Semprun glaubt eher an diese zweite Gefahr: "Es sei denn, daß die Romanschriftsteller, die Dichter der neuen Generation den Mut finden, sich an dieses Gebiet der vergangenen Realität heranzuwagen, die unerschöpfliche Wahrheit der Vernichtungslager mit den Mitteln der Fiktion herauszuarbeiten." Soazig Aaron, Jahrgang 1949, hat es gewagt - in ihrem kühnen Erstling, der ein großer Wurf geworden ist: "Es ist der Roman, auf den ich gewartet habe", schwärmt Semprun, "unsere Stimme, die Stimme der Zeugen wird in dieser wunderbaren Fiktion weitergegeben und bewahrt."
Ulrich Adler war Soldat - "Oberführer". Er hatte eine Jüdin geheiratet und fürchtete, die Armee verlassen zu müssen. "Im Spaß" soll Klaras Mutter die Scheidung angeboten haben. In allem Anstand wurde sie durchgezogen. Adler überließ den Seinen das ganze Geld und die Wohnung in Berlin. Noch als er wieder verheiratet war und weitere Kinder hatte, kümmerte er sich um sie und berichtete ihnen lange von seinem neuen Leben und seiner neuen Familie. Seine schützende Hand wurde machtlos, als sich die halbjüdische Tochter Klara mit einem Volljuden verheiratete - noch rechtzeitig flüchteten sie 1938 ins französische Exil. Bei ihrer Rückkehr in Paris muß Klara erfahren, daß ihr Mann im Widerstand umgekommen ist: "Ich werde keinen Helden beweinen ... die Gnade, getötet zu werden ... er hatte gute Gründe zu sterben ... nicht jeder hat dieses Glück."
Neunundzwanzig Monate hatte Klara in Auschwitz verbracht, "wo es ein Unglück war, Augen zu haben". Sie benutzt ausschließlich die polnische Ortsbezeichnung: "Da unten. Es heißt da unten. Es hieß Oswiecim. Auf deutsch haben sie sich einen anderen Namen ausgesucht. Es war ein Ort für Heilige und Tiere." Das Verhalten der Heimkehrenden gibt Rätsel auf. "Im Eintrag steht Montag, 16. Juli, sie kommt aus Auschwitz, aber es reimt sich bei ihr nichts, normalerweise hätte sie mindestens seit zwei Monaten hier sein müssen, sie ist nicht sehr kooperativ, und wenn sie obendrein gelogen hat, was ihren Personenstand betrifft, ist das auch nicht gerade hilfreich", wird Angelika beschieden. Sie darf Klara dennoch mitnehmen. Klara weigert sich, ihre Tochter Victoire zu sehen. Daran ändert sich auch nach ein paar Tagen nichts. "Da unten habe ich nie Albträume gehabt. Jetzt, hier, ständig. Die Albträume sind hier gekommen und auf meiner ganzen Reise seit Polen. Ich wohne jede Nacht mitten im Albtraum." Klara, deren Augen Auschwitz gesehen haben, will als Fotografin nach New York.
Von Anfang an liegt ein Geheimnis über dieser raffiniert inszenierten Geschichte. Die Handlung spielt im Sommer 1945. Paris ist seit einem Jahr befreit und will zur Normalität zurückkehren. In einer Kneipe wird Klara verprügelt, weil man sie wegen der geschorenen Haare für ein Feindsliebchen hält. Eher klischeehaft und allzu politisch korrekt wirkt ein Antisemit, der von ihrem Schicksal erfährt und sich weinend bei ihr zu entschuldigen versucht. Übertrieben idealisierend sind die Reaktionen auf Hiroshima und Nagasaki geschildert: Frankreichs Öffentlichkeit war eher gleichgültig, und die wahre Tragweite begriffen nur wenige. Unglaubwürdig wirkt die Prophezeiung des israelischen Fluchs - vor allem weil er sich bewahrheitet hat: "Auch die Juden werden töten. Daran wird man sich gewöhnen müssen. Bellen und töten können auch sie. Wenn die Juden ein Volk geworden sind, das ein Land, einen Heimatboden hat, dann wird dieser Krieg ein mörderisches Volk mehr fabriziert haben. Es gibt keinen Grund, warum es nicht ebenso dumm wäre wie die anderen Völker auch, das ist alles schlechtes Getue, was ich ihnen wünsche" - wohlverstanden im Sommer 1945.
Das zentrale Thema des Buchs von Soazig Aaron ist nicht der erste Nachkriegssommer in Paris: Es geht um das Leben im Lager. In den Gesprächen, die Angelika aufzeichnet, entstehen aus Worten und stockenden Sätzen konkrete - erfundene - Szenen der Zerstörung und der Vernichtung. Sie entwerfen eine Realität der Entfremdung und der absoluten Entmenschlichung, die so provozierend und unerträglich ist, daß sich der deutsche Verlag auf dem Klappentext zur Warnung veranlaßt sieht, es werde "weder kaschiert noch moralisch gewertet". Auch sei der Text keine "Rechtfertigung oder Erklärung".
Mit "Klaras NEIN" beginnt tatsächlich ein neues Kapitel der Auschwitzliteratur. Der Name der Autorin ist ein Pseudonym. Sie hat als Zwanzigjährige ein Jahr in Israel verbracht, in Paris Geschichte studiert und in einer Buchhandlung gearbeitet. Sie lebt mit ihrem Mann weit ab vom Medienbetrieb, dem sie sich konsequent entzieht, in der Bretagne. Für ihre bislang einzige Veröffentlichung bekam sie vor zwei Jahren in Paris einen Literaturpreis der dritten Kategorie und das Goncourt-Stipendium für Anfänger. Sehr genau hat Grete Osterwald dieses subtile, sprachlich hochstehende Werk übersetzt, dessen französischer Titel "Le non de Klara" im Klang auch auf Klaras Namen - "nom" - anspielt. Soazig Aaron hat auf eine Gattungsbezeichnung verzichtet, in der deutschen Übersetzung ist von einer "Tagebuch-Erzählung" die Rede.
So bricht die Autorin radikal mit der Ästhetik der Erinnerungsliteratur. Sie reißt die Mauern ein, welche die Überlebenden der Lager auch im Schreiben danach nicht überwinden konnten: Was hätten die Lagerinsassen denn auch noch erfinden sollen. Die Sprache hatte es ihnen verschlagen, und schon das Berichten forderte ihnen übermenschliche Anstrengungen ab. Ihre Phantasie und ihre Freiheit waren gestorben - weit über 1945 hinaus.
Die Möglichkeiten der Fiktion sind grenzenlos, auch sie kann das Unsagbare aussprechen und gestalten - vielleicht noch besser. Mit jedem Satz wird Soazig Aaron der Freiheit, die sie sich herausnimmt, gerecht. Die "erstickten Worte" (Sarah Kofman) machen sich Luft. Die "erfundene Wahrheit" ist nicht weniger authentisch als das existentiell legitimierte und exakt dokumentierte "nackte Grauen". Soazig Aaron erreicht eine Intensität, die den besten Schilderungen über jene, die "wirklich" starben, in nichts nachsteht. Die Vitalität dieser Fiktion ist wohl auch das beste Mittel gegen das Gift der Auschwitz-Lügner, die gegen Dokumente komplottieren, aber gegen künstlerische Darstellungen mit ihren Verschwörungstheorien ins Leere laufen.
Klaras frei erfundene Geschichte nimmt eine Wendung, die es nur in der Literatur geben kann. Kommt es zum Vatermord durch die Tochter, die in der Stunde der unmöglichen Rettung ihr eigenes Kind verstößt? Im Konzentrationslager blitzt diese Möglichkeit während ein paar Schrecksekunden auf. Doch das viel zu klassische Motiv paßt nicht zu Klara. In Paris traf sie verspätet ein, weil sie durch das zusammenbrechende Reich - Krakau, Dresden, Linz, Prag - geirrt war. Die Blitze der Bomben genoß sie als reinigendes Strafgewitter. "Die anderen hatten es eilig mit der Rückkehr, ich nicht. Sie finden ein Land wieder, ich habe meines verlassen, ein letztes Mal. Jetzt bin ich hier."
Während ihrer Reise durch die zerstörte und verlorene Heimat besuchte Klara in Berlin auch die Wohnung der Eltern. Hier hatte sich die Mutter 1938 nach dem Wegzug der Tochter ins Exil das Leben genommen. Wildfremde Leute lebten jetzt in dem Haus. "Sie haben mich Sarah genannt, stell dir das vor!" Nicht aus Rache - in der Logik dieses absoluten Romans des Absurden hat Klara zwei Menschen erschossen. Als der jüdische Name fiel, lösten sich die Schüsse ganz von selbst. "Wenn ich etwas bereue", sagt sie kurz vor der Abreise nach New York zu Angelika, "ist es der fehlende Vorsatz."
JÜRG ALTWEGG
Soazig Aaron: "Klaras NEIN". Tagebuch-Erzählung. Aus dem Französischen übersetzt von Grete Osterwald. Mit einem Vorwort von Jorge Semprun. Friedenauer Presse, Berlin 2003. 188 S., geb., 19,50 [Euro].
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"... hier durchschaut einer Lügen, Spießertum .... All ihr ruhelosen Männer, das ist was für euch!" (LESEN, Elke Heidenreich)