Stellen Sie sich vor, Sie geben die Kontrolle über große Teile Ihres Lebens an ein Computerprogramm ab, von dem es heißt, es regele das Zusammenleben effektiver als jeder Staat. Was vielen als undenkbar erscheinen mag, erweist sich als bittere Realität, wenn man »Computerprogramm« durch »Markt« ersetzt. Ging der Kapitalismus bislang mit liberalen Freiheitsrechten einher, so nimmt er unter Herrschern wie Putin oder Trump zunehmend autoritäre Züge an. Können diese nun auch noch auf die Möglichkeiten künstlicher Intelligenz und digitaler Überwachung zurückgreifen, ist der Mensch als autonomes Wesen in Gefahr.
Um die Werte der Aufklärung in die Zukunft zu retten, legt Paul Mason eine radikale Verteidigung des Humanismus vor. Ausgehend von Karl Marx' Frühschriften entwirft er ein Bild vom Menschen, das ihn als ein selbstbestimmtes und zugleich gemeinschaftliches Wesen zeigt. Mason begleitet uns an die Orte vergangener und gegenwärtiger Kämpfe um Würde und Gerechtigkeit, vonder Pariser Kommune über das von der Sparpolitik gebeutelte Griechenland bis hin zum Protest indigener Aktivisten auf der Inselgruppe Neukaledonien. Die Erben der Frauen und Männer auf den Barrikaden von damals, so Mason, sind die vernetzten Individuen von heute.
Um die Werte der Aufklärung in die Zukunft zu retten, legt Paul Mason eine radikale Verteidigung des Humanismus vor. Ausgehend von Karl Marx' Frühschriften entwirft er ein Bild vom Menschen, das ihn als ein selbstbestimmtes und zugleich gemeinschaftliches Wesen zeigt. Mason begleitet uns an die Orte vergangener und gegenwärtiger Kämpfe um Würde und Gerechtigkeit, vonder Pariser Kommune über das von der Sparpolitik gebeutelte Griechenland bis hin zum Protest indigener Aktivisten auf der Inselgruppe Neukaledonien. Die Erben der Frauen und Männer auf den Barrikaden von damals, so Mason, sind die vernetzten Individuen von heute.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.08.2019Wer denkt denn hier an Selbstabdankung?
Sympathie für Globalisierungsgegner trifft altmodische Moralpredigt: Der englische Aktivist Paul Mason verteidigt den Humanismus - inkoheränt und doch sehr bedenkenswert.
An einer Stelle erklärt der Autor, es sei ihm bewusst, "dass ich den Leser einlade, das Projekt des radikalen Humanismus als quasireligiöses Anliegen zu betrachten". Denn es gehe hier und heute um eine Gewissensfrage: "Wollen Sie die Kontrolle der Menschen durch die Maschine akzeptieren oder sich ihr widersetzen?" Man darf das wohl eine Suggestivfrage nennen. Untriftig ist sie deshalb nicht.
Dass Mason, der sich als "Journalist und Aktivist" bezeichnet, "den Leser" (generisches Maskulinum) mit "Sie" anspricht, mag der Übersetzung aus dem Englischen geschuldet sein, aber trifft durchaus Ton und Tenor. Selten las man einen Text, in dem die Sympathie mit der "Krawallmusik" der anarchischen Globalisierungsgegner in schwarzer Kampfmontur sich so unvermittelt mit einer betont altmodischen Moralpredigt verknüpft; wie überhaupt in dieser katechetischen Kampfschrift mit dem anachronistischen Titel "Klare, lichte Zukunft" das Gute und das Böse, Licht und Finsternis deutlich geschieden sind.
Das Weltübel schlechthin ist der kollabierende und dennoch mit Gewalt und skrupellosen Finanztricks sich fortzeugende Kapitalismus im Stadium des entfesselten "Neoliberalismus", der mittlerweile - ähnlich, aber anders als in den zwanziger und dreißiger Jahren - zu einem neuen populistisch-technoid-faschistoiden Projekt degeneriert ist, dessen zeitgenössische Inkarnation Donald Trump heißt. Überwinden lässt diese politische Reaktion sich laut Mason aber nicht mehr mit einem wie auch immer definierten "Sozialismus", sondern nur mit einem "radikalen Humanismus", dessen revolutionäres Subjekt keine "Arbeiterklasse" mehr, sondern "das freie, vernetzte Individuum" ist.
Über die grobschlächtigen Begriffswerkzeuge und fragwürdigen Aprioris, mit denen Mason hantiert, ließe sich noch viel Kritisches oder auch Spöttisches sagen. Aber dann nimmt einen das Buch durch seine Ernsthaftigkeit und Leidenschaft doch für sich ein - und man beginnt, es auf seine substantielleren Argumente und Überlegungen hin zu lesen. Und die Fragen, die es anspricht, könnten aktueller und drängender ja kaum sein.
Unter dem etwas pompösen Titel "Eine allgemeine Theorie von Trump" fragt sich der Autor eingangs, wie sich die Wendung eines Gutteils der amerikanichen Wirtschafts- und Finanzelite zu einer Politik erklärt, die alle Säulen eines auf Verträgen und Institutionen basierten, multilateralen Weltsystems zielstrebig einreißt und nach innen einer reaktionären Rhetorik eines hypertrophen Nationalismus und weißen Suprematismus, begleitet von einer kaum versteckten Misogynie, huldigt. Mason findet die Erklärung darin, dass die um 1990 global durchgesetzte neoliberale Wirtschafts- und Sozialordnung nach zwei Jahrzehnten spektakulärer Erfolge, die sich vor allem ihrer Ausdehnung auf die vormals kommunistischen Länder und große Teile der ehemaligen "Dritten Welt" verdankt hat, mit der Finanzkrise von 2008/09 an ihre historischen Grenzen gestoßen sei. Mit den modernen Informationstechniken und den jungen "digital natives" aller Länder habe sie zugleich ihre eigenen Totengräber geschaffen - wie die Welle globaler Unruhen und Aufstände zwischen 2009 und 2014 zumindest angedeutet habe.
Diese These, die Mason in einem vorangegangenen Buch "Postkapitalismus" (2016) bereits systematischer vorgetragen hat, versteht sich als eine Aktualisierung der Marx'schen Krisentheorie, wonach die kapitalistische Produktions- und Gesellschaftsordnung die technischen Mittel und die objektiven Zwänge wie die subjektiven Träger ihrer Überwindung selbst hervorbringe.
Wieder ist man versucht, die spekulativen, sachlich fragwürdigen Elemente der Argumentationskette Masons herauszupicken. Wenn die neoliberale Weltwirtschaft vor zehn Jahren "zusammengebrochen" ist, wie hat sich ein neuer, sozial und ökologisch fragwürdiger, aber bis heute robust andauernder neuer Expansionszyklus entwickeln können? Warum sind die Hauptakteure dieser immer dichter vernetzten Weltwirtschaft an vorderster Stelle global agierende Staatskonzerne und Investmentfonds von China bis zum Golf, dirigiert von einer Partei oder Dynastie, die sich entgegen allen Erwartungen von 1989 auf eine rigorose politische und soziale Kontrolle und geistige Konditionierung ihrer Subjekte stützen, ohne deshalb von ihrer ökonomischen Dynamik zu verlieren, fast (möchte man befürchten) im Gegenteil? Ist "Neoliberalismus" dann wirklich die zentrale Kategorie, von der aus die Metamorphosen und Peripetien unserer gegenwärtigen Welt sich erklären lassen? Folgt Trump nicht eher den Spuren eines Putin oder Xi - über die Mason sich nicht die geringsten Illusionen macht - als umgekehrt?
Statt dieser und anderer Inkonsistenzen lohnt es, die wertvolleren und brauchbareren Argumente des Autors herauszuschürfen. Wie Marx, sein stets und recht frei in Anspruch genommener Kronzeuge, entwirft Mason kein reines Katastrophenszenario der gegenwärtigen Welt und keine bloße Utopie einer "ganz anderen". Er versucht vielmehr, die materialen und mentalen Elemente einer sozialen Befreiung in den allermodernsten Entwicklungen selbst zu finden - hier vor allem den Informationstechnologien.
In einer philosophisch ausholenden, durchaus plausiblen Darlegung besteht er darauf, dass Computer, Software oder das 4G-Netz ebenfalls Maschinen sind, in denen der "general intellect" (Marx), das Allgemeinwissen der Gesellschaft sich kondensiert und materialisiert. Aber diese Maschinen haben die wunderbare Eigenschaft, "Dinge, die früher teuer waren - darunter vor allem Informationsgüter -, kostenlos oder so billig" zu machen, dass ihr Preis kaum noch eine Rolle spielt. Dieser "Null-Grenzkosten-Effekt" bedeute eine (potentiell unendliche) Erhöhung der Gebrauchswerte bei drastischer Verringerung der sachlich gerechtfertigten Tauschwerte.
Weil das die Grundlagen des kapitalistischen Wirtschaftens untergräbt, bildeten gerade die modernen Informationsunternehmen - im engen Verbund mit den globalen "Finanzindustrien" - Weltmonopole bisher unbekannten Formats und Charakters, die zum Zentrum einer auf Abschöpfung von Renten, Zinsen und Mieten statt auf genuine Wertschöpfung orientierten Super-Ökonomie geworden seien. Die großartigsten Entwicklungen wie die selbstlernende "Künstliche Intelligenz" verwandelten sich unter ihren Händen statt in Instrumente der Befreiung in solche einer potentiellen Versklavung der Gesellschaft und Kolonisierung aller persönlichen Lebensäußerungen - wie latent im China Xis, das sich auf seine Weise der Geschäftsmodelle von Facebook bediene.
Das alles lässt die Eingangsfrage Masons, ob wir uns der Kontrolle durch Maschinen unterwerfen oder widersetzen wollen, etwas weniger suggestiv erscheinen - und sein Plädoyer für einen "radikalen Humanismus" etwas weniger idealistisch aufgesetzt. So naiv oder so nervig man das Stakkato seiner Appelle an die "freien, vernetzten Individuen" aller Länder finden mag ("Wir dürfen uns nie geschlagen geben", "Wir müssen das antifaschistische Leben führen"), so beherzigenswert sind einige der anthropologischen Betrachtungen, die ihnen zugrunde liegen.
Entgegen den Thesen eines zeitgenössischen Post- oder Transhumanismus beharrt Mason darauf, dass wir als mit Sprache, Vernunft und freiem Willen begabte soziale Wesen in der Lage sind, unsere Umwelt zu erkennen, zu gestalten und uns selbst mit ihr zu entwickeln. Und es wäre auch tatsächlich der Gipfel der Absurdität, würden wir gerade heute, da "alles da ist", um die dringendsten materiellen Bedürfnisse aller Lebenden zu stillen, und da uns das Wissen der Menschheit fast unbegrenzt zur Verfügung steht, unsere demokratische, geistige und moralische Selbstabdankung unterschreiben. So viel selbstbewusster Optimismus gegenüber den vor uns stehenden Herausforderungen darf sein. Eine "klare, lichte Zukunft", gar noch zum Nulltarif, braucht man uns dafür nicht zu versprechen.
GERD KOENEN
Paul Mason: "Klare, lichte Zukunft". Eine radikale Verteidigung des Humanismus.
Aus dem Englischen von
Stephan Gebauer.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 415 S., geb., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sympathie für Globalisierungsgegner trifft altmodische Moralpredigt: Der englische Aktivist Paul Mason verteidigt den Humanismus - inkoheränt und doch sehr bedenkenswert.
An einer Stelle erklärt der Autor, es sei ihm bewusst, "dass ich den Leser einlade, das Projekt des radikalen Humanismus als quasireligiöses Anliegen zu betrachten". Denn es gehe hier und heute um eine Gewissensfrage: "Wollen Sie die Kontrolle der Menschen durch die Maschine akzeptieren oder sich ihr widersetzen?" Man darf das wohl eine Suggestivfrage nennen. Untriftig ist sie deshalb nicht.
Dass Mason, der sich als "Journalist und Aktivist" bezeichnet, "den Leser" (generisches Maskulinum) mit "Sie" anspricht, mag der Übersetzung aus dem Englischen geschuldet sein, aber trifft durchaus Ton und Tenor. Selten las man einen Text, in dem die Sympathie mit der "Krawallmusik" der anarchischen Globalisierungsgegner in schwarzer Kampfmontur sich so unvermittelt mit einer betont altmodischen Moralpredigt verknüpft; wie überhaupt in dieser katechetischen Kampfschrift mit dem anachronistischen Titel "Klare, lichte Zukunft" das Gute und das Böse, Licht und Finsternis deutlich geschieden sind.
Das Weltübel schlechthin ist der kollabierende und dennoch mit Gewalt und skrupellosen Finanztricks sich fortzeugende Kapitalismus im Stadium des entfesselten "Neoliberalismus", der mittlerweile - ähnlich, aber anders als in den zwanziger und dreißiger Jahren - zu einem neuen populistisch-technoid-faschistoiden Projekt degeneriert ist, dessen zeitgenössische Inkarnation Donald Trump heißt. Überwinden lässt diese politische Reaktion sich laut Mason aber nicht mehr mit einem wie auch immer definierten "Sozialismus", sondern nur mit einem "radikalen Humanismus", dessen revolutionäres Subjekt keine "Arbeiterklasse" mehr, sondern "das freie, vernetzte Individuum" ist.
Über die grobschlächtigen Begriffswerkzeuge und fragwürdigen Aprioris, mit denen Mason hantiert, ließe sich noch viel Kritisches oder auch Spöttisches sagen. Aber dann nimmt einen das Buch durch seine Ernsthaftigkeit und Leidenschaft doch für sich ein - und man beginnt, es auf seine substantielleren Argumente und Überlegungen hin zu lesen. Und die Fragen, die es anspricht, könnten aktueller und drängender ja kaum sein.
Unter dem etwas pompösen Titel "Eine allgemeine Theorie von Trump" fragt sich der Autor eingangs, wie sich die Wendung eines Gutteils der amerikanichen Wirtschafts- und Finanzelite zu einer Politik erklärt, die alle Säulen eines auf Verträgen und Institutionen basierten, multilateralen Weltsystems zielstrebig einreißt und nach innen einer reaktionären Rhetorik eines hypertrophen Nationalismus und weißen Suprematismus, begleitet von einer kaum versteckten Misogynie, huldigt. Mason findet die Erklärung darin, dass die um 1990 global durchgesetzte neoliberale Wirtschafts- und Sozialordnung nach zwei Jahrzehnten spektakulärer Erfolge, die sich vor allem ihrer Ausdehnung auf die vormals kommunistischen Länder und große Teile der ehemaligen "Dritten Welt" verdankt hat, mit der Finanzkrise von 2008/09 an ihre historischen Grenzen gestoßen sei. Mit den modernen Informationstechniken und den jungen "digital natives" aller Länder habe sie zugleich ihre eigenen Totengräber geschaffen - wie die Welle globaler Unruhen und Aufstände zwischen 2009 und 2014 zumindest angedeutet habe.
Diese These, die Mason in einem vorangegangenen Buch "Postkapitalismus" (2016) bereits systematischer vorgetragen hat, versteht sich als eine Aktualisierung der Marx'schen Krisentheorie, wonach die kapitalistische Produktions- und Gesellschaftsordnung die technischen Mittel und die objektiven Zwänge wie die subjektiven Träger ihrer Überwindung selbst hervorbringe.
Wieder ist man versucht, die spekulativen, sachlich fragwürdigen Elemente der Argumentationskette Masons herauszupicken. Wenn die neoliberale Weltwirtschaft vor zehn Jahren "zusammengebrochen" ist, wie hat sich ein neuer, sozial und ökologisch fragwürdiger, aber bis heute robust andauernder neuer Expansionszyklus entwickeln können? Warum sind die Hauptakteure dieser immer dichter vernetzten Weltwirtschaft an vorderster Stelle global agierende Staatskonzerne und Investmentfonds von China bis zum Golf, dirigiert von einer Partei oder Dynastie, die sich entgegen allen Erwartungen von 1989 auf eine rigorose politische und soziale Kontrolle und geistige Konditionierung ihrer Subjekte stützen, ohne deshalb von ihrer ökonomischen Dynamik zu verlieren, fast (möchte man befürchten) im Gegenteil? Ist "Neoliberalismus" dann wirklich die zentrale Kategorie, von der aus die Metamorphosen und Peripetien unserer gegenwärtigen Welt sich erklären lassen? Folgt Trump nicht eher den Spuren eines Putin oder Xi - über die Mason sich nicht die geringsten Illusionen macht - als umgekehrt?
Statt dieser und anderer Inkonsistenzen lohnt es, die wertvolleren und brauchbareren Argumente des Autors herauszuschürfen. Wie Marx, sein stets und recht frei in Anspruch genommener Kronzeuge, entwirft Mason kein reines Katastrophenszenario der gegenwärtigen Welt und keine bloße Utopie einer "ganz anderen". Er versucht vielmehr, die materialen und mentalen Elemente einer sozialen Befreiung in den allermodernsten Entwicklungen selbst zu finden - hier vor allem den Informationstechnologien.
In einer philosophisch ausholenden, durchaus plausiblen Darlegung besteht er darauf, dass Computer, Software oder das 4G-Netz ebenfalls Maschinen sind, in denen der "general intellect" (Marx), das Allgemeinwissen der Gesellschaft sich kondensiert und materialisiert. Aber diese Maschinen haben die wunderbare Eigenschaft, "Dinge, die früher teuer waren - darunter vor allem Informationsgüter -, kostenlos oder so billig" zu machen, dass ihr Preis kaum noch eine Rolle spielt. Dieser "Null-Grenzkosten-Effekt" bedeute eine (potentiell unendliche) Erhöhung der Gebrauchswerte bei drastischer Verringerung der sachlich gerechtfertigten Tauschwerte.
Weil das die Grundlagen des kapitalistischen Wirtschaftens untergräbt, bildeten gerade die modernen Informationsunternehmen - im engen Verbund mit den globalen "Finanzindustrien" - Weltmonopole bisher unbekannten Formats und Charakters, die zum Zentrum einer auf Abschöpfung von Renten, Zinsen und Mieten statt auf genuine Wertschöpfung orientierten Super-Ökonomie geworden seien. Die großartigsten Entwicklungen wie die selbstlernende "Künstliche Intelligenz" verwandelten sich unter ihren Händen statt in Instrumente der Befreiung in solche einer potentiellen Versklavung der Gesellschaft und Kolonisierung aller persönlichen Lebensäußerungen - wie latent im China Xis, das sich auf seine Weise der Geschäftsmodelle von Facebook bediene.
Das alles lässt die Eingangsfrage Masons, ob wir uns der Kontrolle durch Maschinen unterwerfen oder widersetzen wollen, etwas weniger suggestiv erscheinen - und sein Plädoyer für einen "radikalen Humanismus" etwas weniger idealistisch aufgesetzt. So naiv oder so nervig man das Stakkato seiner Appelle an die "freien, vernetzten Individuen" aller Länder finden mag ("Wir dürfen uns nie geschlagen geben", "Wir müssen das antifaschistische Leben führen"), so beherzigenswert sind einige der anthropologischen Betrachtungen, die ihnen zugrunde liegen.
Entgegen den Thesen eines zeitgenössischen Post- oder Transhumanismus beharrt Mason darauf, dass wir als mit Sprache, Vernunft und freiem Willen begabte soziale Wesen in der Lage sind, unsere Umwelt zu erkennen, zu gestalten und uns selbst mit ihr zu entwickeln. Und es wäre auch tatsächlich der Gipfel der Absurdität, würden wir gerade heute, da "alles da ist", um die dringendsten materiellen Bedürfnisse aller Lebenden zu stillen, und da uns das Wissen der Menschheit fast unbegrenzt zur Verfügung steht, unsere demokratische, geistige und moralische Selbstabdankung unterschreiben. So viel selbstbewusster Optimismus gegenüber den vor uns stehenden Herausforderungen darf sein. Eine "klare, lichte Zukunft", gar noch zum Nulltarif, braucht man uns dafür nicht zu versprechen.
GERD KOENEN
Paul Mason: "Klare, lichte Zukunft". Eine radikale Verteidigung des Humanismus.
Aus dem Englischen von
Stephan Gebauer.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 415 S., geb., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Um die Werte der Aufklärung in die Zukunft zu retten, legt Paul Mason eine radikale Verteidigung des Humanismus vor. Paul Mason ist ... bekannt durch herausragende Analysen zum Brexit.« taz. die tageszeitung 20190606