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Das Fach Religionswissenschaft blickt auf 120 Jahre seiner Geschichte zurück. Dieser Band stellt in Kurzmonographien dreiundzwanzig Klassiker der Religionswissenschaft - ihr Leben, ihr Werk und ihre Wirkung - vor.

Produktbeschreibung
Das Fach Religionswissenschaft blickt auf 120 Jahre seiner Geschichte zurück. Dieser Band stellt in Kurzmonographien dreiundzwanzig Klassiker der Religionswissenschaft - ihr Leben, ihr Werk und ihre Wirkung - vor.
Autorenporträt
Axel Michaels ist Religionswissenschaftler und Indologe. Er lehrt als Professor für Klassische Indologie an der Universität Heidelberg. Erschienen sind von ihm bisher "Der Hinduismus" (1998) sowie "Klassiker der Religionswissenschaft"(1997).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.11.1997

Nothelfer der Ungläubigen
Der Heiligenkalender einer antidogmatischen Disziplin

Der erste Lehrstuhl für Allgemeine Religionswissenschaft wurde 1873 an der Genfer Universität errichtet. Vier Jahre später folgten konfessionsunabhängige Lehrstühle in Leiden und Amsterdam. Kritische Intellektuelle hofften, Religion nun frei von Dogma und Theologie erforschen zu können. Doch die Genfer wiesen die Religionswissenschaft der Theologischen Fakultät zu, und die Holländer beriefen zwei religionshistorisch arbeitende Theologen auf die neuen Professuren. Bis heute läßt sich die Emanzipation von der Theologie leichter fordern als durchführen. Noch immer gewinnen viele Religionswissenschaftler ihre Identität primär aus der Haßliebe zur Theologie.

Ein neuer Klassikerkult kann die theologische Herkunft der Religionswissenschaft nicht vergessen machen. Als Gründervater des Faches wird Friedrich Schleiermacher, der Ahnherr der Kulturprotestanten, präsentiert. Mit Nathan Söderblom, Rudolf Otto, Friedrich Heiler und Pater Wilhelm Schmidt werden weitere Theologen zur Ehre der religionswissenschaftlichen Klassikeraltäre erhoben. Selbst William Robertson Smith, der 1881 wegen historisch-kritischer Exegese seinen alttestamentlichen Lehrstuhl verlor, verfolgte in seinen ethnologischen Analysen der gemeinschaftsstiftenden Kraft rituellen Handelns theologische Ziele.

Auch andere Klassiker hatten keine religionswissenschaftlichen Lehrstühle inne und sahen sich primär als Ethnologen, Psychologen oder Soziologen. So spiegelt der von dem Indologen Axel Michaels und seinen Mitautoren erfundene Himmel der Fachheiligen nur die schwierige Lage einer Wissenschaft, die im Vergleich heterogener Phänomene ein einheitliches Wesen der Religion finden will. Dazu muß sie zwischen Begriff und Erscheinung, Religion und Religionen unterscheiden. Empirisch läßt sich ein allgemeines Wesen der Religion aber nicht begründen. Um menschliche Handlungen oder Bewußtseinsformen als religiös qualifizieren zu können, braucht die Religionswissenschaft ein normatives Religionskonzept. Einen für alle Kulturen gültigen Religionsbegriff gibt es nicht.Wer jenseits bestimmter Religionen vorurteilsfrei das Religiöse überhaupt erkunden will, hängt fachspezifischen Illusionen an.

Die Erforschung religiöser Deutungskulturen verband sich gern mit dem kritischen Interesse, alten Aberglauben durch neue Rationalität zu überwinden. Traumatisiert von der harten Sozialisation in einer Quäkerfamilie, wollte Edward Burnett Tylor Frömmigkeit als "Überlebsel" erweisen. Seine autodidaktischen Studien über Animismus und primitive Kulturen brachten ihm neben der Befreiung vom Kinderglauben 1896 den ersten Ethnologie-Lehrstuhl Großbritanniens ein. Andere Religionshistoriker wollten umgekehrt durch Beschreibung fremder Religionen ihren christlichen Glauben rechtfertigen oder neue Religionen stiften. Otto schrieb über "Das Heilige" und Heiler über "Das Gebet", um Europa vom konfessionellen Hader zu befreien und die Welt mit einem "religiösen Menschheitsbund" zu beglücken. Selbst der religiös unmusikalische Max Weber erklärte in vergleichenden Studien zur "Wirtschaftsethik der Weltreligionen" mit protestantischem Kulturstolz, Askese sei besser als Magie und Mystik.

In teils brillanten, teils oberflächlichen Porträts werden Leben, Werk und Wirkung so unterschiedlicher Religionsdeuter wie Sigmund Freud und Carl Gustav Jung, Marcel Mauss und Joachim Wach, Emile Durkheim und Kaspar Malinowski dargestellt. Die Auswahl bleibt dunkel. Kritische Religionshistoriker haben für die heiligen Textsammlungen der Schriftreligionen gezeigt, daß alle Kanonisierung dogmatischen Kriterien folgt. Auch ihrer akademischen Kanonbildung liegen dogmatische Prämissen zugrunde. William James, dem Autor der bahnbrechenden "Varieties of religious experience", wird kein wissenschaftsgeschichtlicher Altar errichtet. Ein Klassikerkanon verbürgt noch keine stabile Identität. So will Michaels die allgemeine Religionswissenschaft auf festere Grundlagen stellen und mit Genetikern "ererbte Dispositionen für religiöse Gefühle" entdecken. Auch durch Biologisierung können Kulturwissenschaftler aber die Konstruktivität ihrer Deutungsmuster nicht abblenden.

Alle Protagonisten der allgemeinen Religionswissenschaft lebten in Europa und den Vereinigten Staaten. In Zustimmung oder Kritik blieben sie auf ihre jüdische oder christliche Herkunft bezogen. Nur im Abendland entstand eine Religionswissenschaft, die sich durch Erforschung fremder Religionen des Eigenen vergewissern wollte. Religionswissenschaft ist ein kulturspezifisches Erzeugnis moderner okzidentaler Rationalität. Indem sie sich gleichwohl für allgemein hält, bleibt sie den theologischen Dogmen treu, von denen sie sich fortwährend befreien will. FRIEDRICH WILHELM GRAF

"Klassiker der Religionswissenschaft". Von Friedrich Schleiermacher bis Mircea Eliade. Hrsg. von Axel Michaels. Verlag C. H. Beck, München 1997. 427 S., Abb., br., 48,- DM.

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