Produktdetails
- Klassische Texte der Wiener Schule der Kunstgeschichte
- Verlag: Facultas
- 1998.
- Seitenzahl: 368
- Deutsch
- Abmessung: 230mm x 156mm
- Gewicht: 670g
- ISBN-13: 9783851144154
- ISBN-10: 3851144155
- Artikelnr.: 07797962
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.1999Hubert blieb brav, Jan trieb es bunt
Max Dvorák kannte doch die Brüder / Von Günter Metken
Eigentlich sind es, um den Titel zu präzisieren, mehrere Rätsel: Wer waren jene Brüder van Eyck, die die Kunst des Nordens gleichsam aus dem Stand vom Herbst des Mittelalters in die frühe Neuzeit katapultierten, ihr ein Figuren- und Raumkontinuum schufen und Menschen als Individuen glaubhaft machten; was befähigte sie zu einem solchen Epochensprung, und welches war der Anteil eines jeden von ihnen daran? Denn sie waren ihrer zwei, wie aus der berühmten Inschrift am gemeinsamen Hauptwerk, dem Allerheiligenretabel mit der Anbetung des Lammes in der Kirche St. Bavo, gemeinhin als Genter Altar bekannt, hervorgeht: Hubert als der bedeutendere, der ihn begonnen, und Jan, "in der Kunst der zweite", der ihn vollendet habe.
Solche Fragen waren es, welche die Kunsthistoriker des späten neunzehnten Jahrhunderts bewegten. Giorgio Vasari und seinen holländischen Adepten Carel van Mander beim Wort nehmend, ohne das Strategisch-Propagandahafte ihrer Künstlerviten gebührend einzuschätzen, suchte man dem "Ursprung" der neuen Kunst auf jede denkbare Weise nahe zu kommen: genieästhetisch ohne Zwischenstufen; ökonomisch durch den Hinweis auf die mit dem wirtschaftlichen Aufschwung gekoppelte Kunstblüte der südlichen Niederlande; psychologisch, indem man Bezüge sah zwischen dem Banken- und Kontorwesen des mit Italien durch enge Geschäfte verbundenen flämischen Handelspatriziats und dem modernen Stil einer analytisch-wahrheitlichen, der Welt aufgeschlossen begegnenden Malerei.
Es ist das Verdienst Max Dvoráks, mit seiner nun wieder vorliegenden Schrift von 1904 die Van-Eyck-Debatte sozusagen verschlankt, entschlackt und auf die Höhe seiner Zeit gebracht zu haben. Dabei kam dem noch jungen Gelehrten der universalhistorische Zug der Wiener Schule der Kunstwissenschaft, zu deren Hauptvertretern er bald selber gehören sollte, ebenso zugute wie die von seinen Lehrern Alois Riegl und Franz Wickhoff übernommenen entwicklungsgeschichtlichen und stilkritischen Parameter. Denn die van Eycks waren ja keineswegs vom Himmel gefallen. Ihre Raum- und Körpervorstellung, die naturalistische Beobachtung und psychologische Vertiefung wurzelten, so Dvorák, in der italienischen Kunst seit Giotto. Sie wurden dem Norden durch Kathedralplastiken, vor allem aber durch die burgundisch-französische Buchmalerei vermittelt, an der die van Eycks auch selber mit den Miniaturen des sogenannten Turin-Mailänder Stundenbuchs teilnahmen.
Was ist aber unter solchen Auspizien von der doppelköpfigen, oder genauer, der janushäuptigen Bruderschaft van Eyck zu halten? Dvorák glaubt nicht an die dem geheimnisvollen Hubert zugewiesene Rolle als Kopf und Konzeptor der Firma. Er vergleicht die gesicherten Werke des Jan van Eyck mit dem anerkannten oder glaubhaft zugeschriebenen Gesamtoeuvre der Brüder. Dabei werden von Giovanni Morelli als Urheber der Kennerschaft in Anlehnung an die Kriminalistik eingeführte invariable Erkennungsmerkmale wie Augen, Ohren, Lippen, Blick, Bewegung, Arme, Hände überprüft, eine Methode, die auch Franz Wickhoff zur Identifizierung von Meistern angewandt hatte. In unserm Fall ist das Ergebnis ebenso konzise wie ernüchternd; am Genter Altar kommen für die Hand Huberts nur drei große Gestalten von Gott Vater, Maria und Johannes dem Täufer in Frage, dazu einzelne Gruppen des Aufzugs um das Lamm - also die altertümlichen oder, wie Dvorák meint, "byzantinischen" Teile des gemeinsamen Werks. Damit war eine Basis für die weitere Forschung gewonnen, von der noch Erwin Panofsky fünfzig Jahre später in "Early Netherlandish Painting" ausgehen sollte.
Es hatte sich aber auch ein kunsthistorischer Autor profiliert, den zu lesen immer noch lohnt, trotz der Widersprüche, die er provoziert. Denn der glänzende Stilist und Erzähler Max Dvorák begnügt sich ja nicht mit der quasi genetischen Herleitung und steckbriefähnlichen Attribution. Er bettet seine Argumente in ein hier noch recht eckiges kulturelles Panorama ein, das er später zu der von Hans Seldmayr so gern angeführten "Kunstgeschichte als Geistesgeschichte" abrunden sollte. Hier liegen bei allen manchmal etwas weitschweifigen, wo nicht willkürlichen Parallelisierungen die besonderen Reize dieses Reprints.
Was die Brüder van Eyck angeht, so versucht man inzwischen weniger, das Rätsel ihrer Herkunft, Singularität oder Doppelheit zu erklären. Eher fasziniert heute, dass, von ihnen mitverursacht, mit dem Tafelbild ein neues Medium entsteht und wie sowohl der alte Feudaladel als auch das aufsteigende Bürgertum dies Instrument als Repräsentation oder Spiegel der Bewusstwerdung nutzen. Auch die Religion bleibt von dem Wandel nicht ausgenommen; Bilder sind nun nicht länger Gegenstände des Glaubens, sondern sollen glauben machen.
Max Dvorák: "Das Rätsel der Kunst der Brüder van Eyck". Mit einem Anhang über die Anfänge der holländischen Malerei. Klassische Texte der Wiener Schule der Kunstgeschichte. Herausgegeben von Artur Rosenauer. WUV Universitätsverlag, Wien 1999. 247 S., 68 Abb., br., 55,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Max Dvorák kannte doch die Brüder / Von Günter Metken
Eigentlich sind es, um den Titel zu präzisieren, mehrere Rätsel: Wer waren jene Brüder van Eyck, die die Kunst des Nordens gleichsam aus dem Stand vom Herbst des Mittelalters in die frühe Neuzeit katapultierten, ihr ein Figuren- und Raumkontinuum schufen und Menschen als Individuen glaubhaft machten; was befähigte sie zu einem solchen Epochensprung, und welches war der Anteil eines jeden von ihnen daran? Denn sie waren ihrer zwei, wie aus der berühmten Inschrift am gemeinsamen Hauptwerk, dem Allerheiligenretabel mit der Anbetung des Lammes in der Kirche St. Bavo, gemeinhin als Genter Altar bekannt, hervorgeht: Hubert als der bedeutendere, der ihn begonnen, und Jan, "in der Kunst der zweite", der ihn vollendet habe.
Solche Fragen waren es, welche die Kunsthistoriker des späten neunzehnten Jahrhunderts bewegten. Giorgio Vasari und seinen holländischen Adepten Carel van Mander beim Wort nehmend, ohne das Strategisch-Propagandahafte ihrer Künstlerviten gebührend einzuschätzen, suchte man dem "Ursprung" der neuen Kunst auf jede denkbare Weise nahe zu kommen: genieästhetisch ohne Zwischenstufen; ökonomisch durch den Hinweis auf die mit dem wirtschaftlichen Aufschwung gekoppelte Kunstblüte der südlichen Niederlande; psychologisch, indem man Bezüge sah zwischen dem Banken- und Kontorwesen des mit Italien durch enge Geschäfte verbundenen flämischen Handelspatriziats und dem modernen Stil einer analytisch-wahrheitlichen, der Welt aufgeschlossen begegnenden Malerei.
Es ist das Verdienst Max Dvoráks, mit seiner nun wieder vorliegenden Schrift von 1904 die Van-Eyck-Debatte sozusagen verschlankt, entschlackt und auf die Höhe seiner Zeit gebracht zu haben. Dabei kam dem noch jungen Gelehrten der universalhistorische Zug der Wiener Schule der Kunstwissenschaft, zu deren Hauptvertretern er bald selber gehören sollte, ebenso zugute wie die von seinen Lehrern Alois Riegl und Franz Wickhoff übernommenen entwicklungsgeschichtlichen und stilkritischen Parameter. Denn die van Eycks waren ja keineswegs vom Himmel gefallen. Ihre Raum- und Körpervorstellung, die naturalistische Beobachtung und psychologische Vertiefung wurzelten, so Dvorák, in der italienischen Kunst seit Giotto. Sie wurden dem Norden durch Kathedralplastiken, vor allem aber durch die burgundisch-französische Buchmalerei vermittelt, an der die van Eycks auch selber mit den Miniaturen des sogenannten Turin-Mailänder Stundenbuchs teilnahmen.
Was ist aber unter solchen Auspizien von der doppelköpfigen, oder genauer, der janushäuptigen Bruderschaft van Eyck zu halten? Dvorák glaubt nicht an die dem geheimnisvollen Hubert zugewiesene Rolle als Kopf und Konzeptor der Firma. Er vergleicht die gesicherten Werke des Jan van Eyck mit dem anerkannten oder glaubhaft zugeschriebenen Gesamtoeuvre der Brüder. Dabei werden von Giovanni Morelli als Urheber der Kennerschaft in Anlehnung an die Kriminalistik eingeführte invariable Erkennungsmerkmale wie Augen, Ohren, Lippen, Blick, Bewegung, Arme, Hände überprüft, eine Methode, die auch Franz Wickhoff zur Identifizierung von Meistern angewandt hatte. In unserm Fall ist das Ergebnis ebenso konzise wie ernüchternd; am Genter Altar kommen für die Hand Huberts nur drei große Gestalten von Gott Vater, Maria und Johannes dem Täufer in Frage, dazu einzelne Gruppen des Aufzugs um das Lamm - also die altertümlichen oder, wie Dvorák meint, "byzantinischen" Teile des gemeinsamen Werks. Damit war eine Basis für die weitere Forschung gewonnen, von der noch Erwin Panofsky fünfzig Jahre später in "Early Netherlandish Painting" ausgehen sollte.
Es hatte sich aber auch ein kunsthistorischer Autor profiliert, den zu lesen immer noch lohnt, trotz der Widersprüche, die er provoziert. Denn der glänzende Stilist und Erzähler Max Dvorák begnügt sich ja nicht mit der quasi genetischen Herleitung und steckbriefähnlichen Attribution. Er bettet seine Argumente in ein hier noch recht eckiges kulturelles Panorama ein, das er später zu der von Hans Seldmayr so gern angeführten "Kunstgeschichte als Geistesgeschichte" abrunden sollte. Hier liegen bei allen manchmal etwas weitschweifigen, wo nicht willkürlichen Parallelisierungen die besonderen Reize dieses Reprints.
Was die Brüder van Eyck angeht, so versucht man inzwischen weniger, das Rätsel ihrer Herkunft, Singularität oder Doppelheit zu erklären. Eher fasziniert heute, dass, von ihnen mitverursacht, mit dem Tafelbild ein neues Medium entsteht und wie sowohl der alte Feudaladel als auch das aufsteigende Bürgertum dies Instrument als Repräsentation oder Spiegel der Bewusstwerdung nutzen. Auch die Religion bleibt von dem Wandel nicht ausgenommen; Bilder sind nun nicht länger Gegenstände des Glaubens, sondern sollen glauben machen.
Max Dvorák: "Das Rätsel der Kunst der Brüder van Eyck". Mit einem Anhang über die Anfänge der holländischen Malerei. Klassische Texte der Wiener Schule der Kunstgeschichte. Herausgegeben von Artur Rosenauer. WUV Universitätsverlag, Wien 1999. 247 S., 68 Abb., br., 55,- DM.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Günter Metken lobt Max Dvorák anlässlich des Wiedererscheinens seines Buchs von 1904 als "glänzenden Stilisten und Erzähler". Dvorak habe die Debatte um das Rätsel der Brüder van Eyck, die das neuzeitliche Raum- und Personenkontinuum in die Malerei des europäischen Nordens gebracht hätten, "verschlankt, entschlackt und auf die Höhe seiner Zeit gebracht". Dvorák habe als einer der ersten Kunsthistoriker die von Hans Sedlmayer geforderte "Kunstgeschichte als Geistesgeschichte" betrieben.
© Perlentaucher Medien GmbH
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