Im Krieg gegen die Sowjetunion von 1941 bis 1945 bezog der Generalstab des deutschen Heeres den Großteil seiner Informationen von einem Agenten, der in der Abwehr als "der Jude Klatt" bekannt war. Der ehemalige Wiener Immobilienmakler Richard Kauder arbeitete unter dem Decknamen Klatt als V-Mann für den militärischen Geheimdienst des NS-Regimes, um sich und seine Mutter vor Verfolgung und Ermordung zu schützen. Beide galten nach den NS-Gesetzen als "Volljuden". Winfried Meyer schildert das aufregende Leben Richard Kauders in seinen wechselnden zeitgeschichtlichen Kontexten von der k. u. k.-Monarchie bis zum Österreich des Kalten Krieges. Grundlage für die umfassende Studie sind die Akten der Geheimdienste diverser Staaten. Geklärt wird u. a. die Herkunft von Klatts legendären "Max"-Meldungen, die die deutschen Generalstäbe für kriegswichtig erklärt hatten und nach deren Quellen die Geheimdienste der Alliierten bis weit in die Nachkriegszeit vergeblich fahndeten. Die Meldungen desV-Manns Klatt blieben für sie "eines der größten Rätsel des Krieges".
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Dass Geschichtswissenschaft auch im Bereich der Spionageforschung Sinn macht, erfährt Rolf-Dieter Müller durch Winfried Meyers Buch über den Spion Klatt. Beeindruckend findet Müller nicht nur den Umfang des Buches, sondern auch die Rechercheleistung des Historikers, der ihm Licht ins Dämmerlicht von Unwahrheiten und Spekulationen um die Identität und die Funktion des Juden Richard Kauder in der Geheimdienstwelt des Zweiten Weltkriegs bringt. Allein die Ordnung der unterschiedlichen sowjetischen, deutschen und alliierten Quellen scheint Müller Respekt zu verdienen. Nachdem er die Lebensgeschichte Kauders bei Meyer gelesen hat, nimmt ihn die Analyse der Meldungen, mit denen Kauder alias Klatt die Dienste sämtlicher Seiten Trab hielt, sowie der Verhörprotokolle gefangen. Ein farbiger Einblick ins Spionage-Milieu, meint der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.11.2015Der Glaube versetzt Zwerge . . .
Reinhard Gehlen, Spion "Klatt" und die exilrussischen Nachrichtenschwindler
Die Geschichte von "Klatt" geistert schon seit Jahrzehnten durch die einschlägige Literatur über Geheimdienste im Zweiten Weltkrieg. Hauptsächlich von Veteranen der "Dienste" verschiedener Seiten inspiriert, wurde bislang gerätselt, ob "der Jude Klatt", wie die militärische Abwehr des Admirals Canaris ihren wichtigsten Agenten bezeichnete, womöglich ein sowjetischer Doppelagent gewesen sei. Seine legendären "Max"-Meldungen über die Ostfront hatten deutsche Generalstäbe als kriegswichtig erklärt. Licht in das verwirrende Dunkel von Spekulationen, Halbwahrheiten, Verwechslungen, Täuschungen und Phantasiegebilden bringt jetzt ein Berliner Historiker, der sich in der Widerstandsforschung einen Namen gemacht hat und derzeit am Zentrum für Antisemitismusforschung arbeitet.
Winfried Meyer hat die verstreuten, aber erstaunlich sprudelnden Quellen aus alliierten, deutschen und sowjetischen Unterlagen ausgewertet und sich der Mühsal unterzogen, auch den zahlreichen, oft verwirrenden Desinformationen und Widersprüchen bis ins Detail nachzugehen. Er bietet in seinem ersten Teil eine breit angelegte Lebensgeschichte von Richard Kauder, Jahrgang 1900, einem Wiener Lebenskünstler jüdischer Abstammung, Sohn eines konvertierten k. u. k. Militärarztes, vom Klosterschüler zum Kaufmann. Der unstete Lebemann, im Sinne der Nazis ein "Volljude", flüchtete 1938 nach Budapest, wurde Anfang 1940 abgeschoben, kam in Gestapo-Haft und erklärte sich bereit, für die Wiener Außenstelle der militärischen Abwehr als V-Mann zu arbeiten (Deckname: Klatt). Es schützte ihn und seine Mutter vor dem Holocaust, ermöglichte ihm freilich auch ein ungewöhnlich privilegiertes Leben als wichtigster Mitarbeiter des "Luftmeldekopfes Südost" in Sofia. Von dort knüpfte er ein Netz von Verbindungen zur bulgarischen Polizei, zu japanischen Journalisten und vielen anderen Informanten, die ihn mit Nachrichten und Gerüchten versorgten.
Seine wichtigsten Lieferanten kamen aus dem Milieu exilrussischer Ex-Militärs. General Anton Turkul und der ehemalige Kornett Longin Ira behaupteten, Zugang zu einem Netzwerk von Stalin-Gegnern innerhalb der Sowjetunion zu haben. Deren Funkstellen berichteten aus dem Hinterland der Roten Armee sogar von Beratungen im obersten Kriegsrat. Mit Beginn des deutsch-sowjetischen Krieges fanden die "Max"-Meldungen, die Kauder in Sofia zusammenstellte und nach Wien funkte, im deutschen Hauptquartier größte Beachtung. Ihre verschleierte Herkunft, die Kauder sorgsam bewahrte, weckte zwar vereinzelt Misstrauen. Aber Abwehrchef Canaris setzte auf seine beste Quelle im Osten, obwohl sein Regionalchef in Bulgarien, von Konkurrenzneid und Antisemitismus getrieben, nicht müde wurde, Kauder nachweisen zu wollen, dass er mit seinem erstaunlich produktiven Netzwerk nur das Werkzeug des sowjetischen Geheimdienstes sei.
Die Flut an "Max"-Meldungen schwoll ständig an. 1943 erreichte sie die Zahl von 3700. Sie kosteten die Abwehr ein Vermögen, aber im Oberkommando des Heeres war man beeindruckt von fast täglichen Informationen über sowjetische Truppenbewegungen und anderen Details der Kriegführung Stalins. Da schien nicht weiter ins Gewicht zu fallen, dass die Meldungen zwar den Eindruck vermittelten, es müsse einen Agenten vor Ort geben, der noch am selben Tag "Klatt" informierte, wenn einzelne Schiffe den Hafen von Sewastopol am Morgen verlassen hatten; aber es waren oft Meldungen, die nicht überprüfbar oder allzu vage beziehungsweise eindeutig falsche Angaben enthielten. An der Front, bei den Heeresgruppen, kamen Zweifel über den Wert der Quelle auf, doch es gab einen im Oberkommando des Heeres, der jeden Zweifel beiseiteschob.
Reinhard Gehlen, Chef der Abteilung Fremde Heere Ost (FHO), als vermeintlich bester Kenner der Roten Armee später Schöpfer und erster Präsident des Bundesnachrichtendienstes, vertraute nach anfänglichem Zögern den "Max"-Meldungen. Sein Lagebild und seine Prognosen über die Absichten und Möglichkeiten der Sowjetarmee belegte er bis zum Ende des Krieges hauptsächlich mit Agentenmeldungen, die vermutlich bei bulgarischem Wein in Sofia, später in Budapest entstanden. Meyers sorgfältige Analyse liefert hier ihren größten Gewinn. Die "Max"-Meldungen wurden zu Hunderten vom britischen Geheimdienst mitgehört und entschlüsselt. So kann Meyer zeigen, in welchem Ausmaß Gehlen von den exilrussischen Nachrichtenschwindlern beeinflusst worden ist. Da Gehlen an "Max" glaubte, folgten ihm auch andere Generale, die gespannt auf die neuesten Meldungen warteten. So narrte ein russischer Kürassier-Leutnant mit seinem militärischen Allgemeinwissen und viel Phantasie die Elite des deutschen Generalstabs.
Das ist umso erstaunlicher, weil Kauder neben den "Max"- auch "Moritz"-Meldungen an die Abwehr weitergab und damit seinen schwunghaften Schwarzhandel finanzierte. Seine Informationen betreffend Mittelmeer und Naher Osten - das erkannten nicht nur die mitlesenden Briten, sondern bald auch die Kriegsmarine und die Luftwaffenführung - waren meist vieldeutig und wenig erhellend. Das zuständige Referat in der Abwehr schätzte sie als "unzuverlässig, wenn nicht sogar vollkommen wertlos" oder gar als "vollkommen erfunden" ein. Aber es gab keinen Hinweis darauf, dass Klatt ein alliierter Doppelagent sein könnte. So verständigte man sich darauf, die "Max"-Meldung aus dem sowjetischen Hinterland als "zuverlässig" und die "Moritz"-Meldungen aus dem Westen als "äußerst zweifelhaft" einzustufen.
Aus dem Funkverkehr Kauders wurden freilich die Briten auch nicht ganz schlau. Für sie blieb es ein "geheimnisvolles Rätsel". Sie hielten ein Netzwerk antisowjetischer Agenten auf dem Boden der Sowjetunion für durchaus möglich, zögerten allerdings, Stalin über mögliche Schwachstellen seiner Geheimhaltung zu informieren. Der Verdacht kam auf, der deutsche Agent "Max" könnte ein sowjetischer Doppelagent sein. Doch fand sich kein Beweis. Während Klatt 1943 sogar versuchte, sich vom Reichssippenamt eine arische Abstammung zu beschaffen, untersagte Hitler die weitere Zusammenarbeit mit jüdischen Agenten. Bei seinen Vorgesetzten fand Kauder Unterstützung für eine neue Identität als Agent des ungarischen Militärgeheimdienstes, auch die Hilfe Gehlens. Als "Karmany" belieferte er das deutsche Oberkommando 1944/45 mit Nachrichten, nachdem es ihm gelungen war, Walter Schellenberg, Himmler Geheimdienstchef, der Canaris beerbt hatte, für sich einzunehmen. Noch in seinen Memoiren pries der SS-Brigadeführer Schellenberg den sensationellen Wert der "Max"-Berichte.
Als die Alliierten nach Kriegsende auf der Suche nach "Klatt" dessen ganzes persönliches und dienstliches Umfeld absuchten, um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, entstanden jene zahlreichen Verhörprotokolle, deren Auswertung für Meyer eine wichtige Hilfe gewesen sind. In seinem Buch nutzte er sie auch zu Kurzbiographien, farbige Einblicke in das zwielichtige Milieu von Agenten, Schiebern, gescheiterten Existenzen und Geheimdienstlern, die, im Kompetenzstreit gefangen, glauben, was sie glauben wollen. Kauder bot sich für Operationen der amerikanischen Gegenspionage an, wurde fast vom sowjetischen Geheimdienst entführt, der selbst dem Mythos "Max" verfiel. Richard Kauder starb 1960 in Salzburg, verarmt, krank, am Ende dem Wahnsinn nahe.
Das Buch ist trotz seines Umfangs gut lesbar, eine beeindruckende Leistung, die das Plädoyer des Autors für die Tauglichkeit des geschichtswissenschaftlichen Instrumentariums auch in der Welt des geheimen Krieges unterstreicht.
ROLF-DIETER MÜLLER.
Winfried Meyer: Klatt. Hitlers jüdischer Meisteragent gegen Stalin: Überlebenskunst in Holocaust und Geheimdienstkrieg. Metropol Verlag, Berlin 2015. 1287 S., 49,90 [Euro].
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Reinhard Gehlen, Spion "Klatt" und die exilrussischen Nachrichtenschwindler
Die Geschichte von "Klatt" geistert schon seit Jahrzehnten durch die einschlägige Literatur über Geheimdienste im Zweiten Weltkrieg. Hauptsächlich von Veteranen der "Dienste" verschiedener Seiten inspiriert, wurde bislang gerätselt, ob "der Jude Klatt", wie die militärische Abwehr des Admirals Canaris ihren wichtigsten Agenten bezeichnete, womöglich ein sowjetischer Doppelagent gewesen sei. Seine legendären "Max"-Meldungen über die Ostfront hatten deutsche Generalstäbe als kriegswichtig erklärt. Licht in das verwirrende Dunkel von Spekulationen, Halbwahrheiten, Verwechslungen, Täuschungen und Phantasiegebilden bringt jetzt ein Berliner Historiker, der sich in der Widerstandsforschung einen Namen gemacht hat und derzeit am Zentrum für Antisemitismusforschung arbeitet.
Winfried Meyer hat die verstreuten, aber erstaunlich sprudelnden Quellen aus alliierten, deutschen und sowjetischen Unterlagen ausgewertet und sich der Mühsal unterzogen, auch den zahlreichen, oft verwirrenden Desinformationen und Widersprüchen bis ins Detail nachzugehen. Er bietet in seinem ersten Teil eine breit angelegte Lebensgeschichte von Richard Kauder, Jahrgang 1900, einem Wiener Lebenskünstler jüdischer Abstammung, Sohn eines konvertierten k. u. k. Militärarztes, vom Klosterschüler zum Kaufmann. Der unstete Lebemann, im Sinne der Nazis ein "Volljude", flüchtete 1938 nach Budapest, wurde Anfang 1940 abgeschoben, kam in Gestapo-Haft und erklärte sich bereit, für die Wiener Außenstelle der militärischen Abwehr als V-Mann zu arbeiten (Deckname: Klatt). Es schützte ihn und seine Mutter vor dem Holocaust, ermöglichte ihm freilich auch ein ungewöhnlich privilegiertes Leben als wichtigster Mitarbeiter des "Luftmeldekopfes Südost" in Sofia. Von dort knüpfte er ein Netz von Verbindungen zur bulgarischen Polizei, zu japanischen Journalisten und vielen anderen Informanten, die ihn mit Nachrichten und Gerüchten versorgten.
Seine wichtigsten Lieferanten kamen aus dem Milieu exilrussischer Ex-Militärs. General Anton Turkul und der ehemalige Kornett Longin Ira behaupteten, Zugang zu einem Netzwerk von Stalin-Gegnern innerhalb der Sowjetunion zu haben. Deren Funkstellen berichteten aus dem Hinterland der Roten Armee sogar von Beratungen im obersten Kriegsrat. Mit Beginn des deutsch-sowjetischen Krieges fanden die "Max"-Meldungen, die Kauder in Sofia zusammenstellte und nach Wien funkte, im deutschen Hauptquartier größte Beachtung. Ihre verschleierte Herkunft, die Kauder sorgsam bewahrte, weckte zwar vereinzelt Misstrauen. Aber Abwehrchef Canaris setzte auf seine beste Quelle im Osten, obwohl sein Regionalchef in Bulgarien, von Konkurrenzneid und Antisemitismus getrieben, nicht müde wurde, Kauder nachweisen zu wollen, dass er mit seinem erstaunlich produktiven Netzwerk nur das Werkzeug des sowjetischen Geheimdienstes sei.
Die Flut an "Max"-Meldungen schwoll ständig an. 1943 erreichte sie die Zahl von 3700. Sie kosteten die Abwehr ein Vermögen, aber im Oberkommando des Heeres war man beeindruckt von fast täglichen Informationen über sowjetische Truppenbewegungen und anderen Details der Kriegführung Stalins. Da schien nicht weiter ins Gewicht zu fallen, dass die Meldungen zwar den Eindruck vermittelten, es müsse einen Agenten vor Ort geben, der noch am selben Tag "Klatt" informierte, wenn einzelne Schiffe den Hafen von Sewastopol am Morgen verlassen hatten; aber es waren oft Meldungen, die nicht überprüfbar oder allzu vage beziehungsweise eindeutig falsche Angaben enthielten. An der Front, bei den Heeresgruppen, kamen Zweifel über den Wert der Quelle auf, doch es gab einen im Oberkommando des Heeres, der jeden Zweifel beiseiteschob.
Reinhard Gehlen, Chef der Abteilung Fremde Heere Ost (FHO), als vermeintlich bester Kenner der Roten Armee später Schöpfer und erster Präsident des Bundesnachrichtendienstes, vertraute nach anfänglichem Zögern den "Max"-Meldungen. Sein Lagebild und seine Prognosen über die Absichten und Möglichkeiten der Sowjetarmee belegte er bis zum Ende des Krieges hauptsächlich mit Agentenmeldungen, die vermutlich bei bulgarischem Wein in Sofia, später in Budapest entstanden. Meyers sorgfältige Analyse liefert hier ihren größten Gewinn. Die "Max"-Meldungen wurden zu Hunderten vom britischen Geheimdienst mitgehört und entschlüsselt. So kann Meyer zeigen, in welchem Ausmaß Gehlen von den exilrussischen Nachrichtenschwindlern beeinflusst worden ist. Da Gehlen an "Max" glaubte, folgten ihm auch andere Generale, die gespannt auf die neuesten Meldungen warteten. So narrte ein russischer Kürassier-Leutnant mit seinem militärischen Allgemeinwissen und viel Phantasie die Elite des deutschen Generalstabs.
Das ist umso erstaunlicher, weil Kauder neben den "Max"- auch "Moritz"-Meldungen an die Abwehr weitergab und damit seinen schwunghaften Schwarzhandel finanzierte. Seine Informationen betreffend Mittelmeer und Naher Osten - das erkannten nicht nur die mitlesenden Briten, sondern bald auch die Kriegsmarine und die Luftwaffenführung - waren meist vieldeutig und wenig erhellend. Das zuständige Referat in der Abwehr schätzte sie als "unzuverlässig, wenn nicht sogar vollkommen wertlos" oder gar als "vollkommen erfunden" ein. Aber es gab keinen Hinweis darauf, dass Klatt ein alliierter Doppelagent sein könnte. So verständigte man sich darauf, die "Max"-Meldung aus dem sowjetischen Hinterland als "zuverlässig" und die "Moritz"-Meldungen aus dem Westen als "äußerst zweifelhaft" einzustufen.
Aus dem Funkverkehr Kauders wurden freilich die Briten auch nicht ganz schlau. Für sie blieb es ein "geheimnisvolles Rätsel". Sie hielten ein Netzwerk antisowjetischer Agenten auf dem Boden der Sowjetunion für durchaus möglich, zögerten allerdings, Stalin über mögliche Schwachstellen seiner Geheimhaltung zu informieren. Der Verdacht kam auf, der deutsche Agent "Max" könnte ein sowjetischer Doppelagent sein. Doch fand sich kein Beweis. Während Klatt 1943 sogar versuchte, sich vom Reichssippenamt eine arische Abstammung zu beschaffen, untersagte Hitler die weitere Zusammenarbeit mit jüdischen Agenten. Bei seinen Vorgesetzten fand Kauder Unterstützung für eine neue Identität als Agent des ungarischen Militärgeheimdienstes, auch die Hilfe Gehlens. Als "Karmany" belieferte er das deutsche Oberkommando 1944/45 mit Nachrichten, nachdem es ihm gelungen war, Walter Schellenberg, Himmler Geheimdienstchef, der Canaris beerbt hatte, für sich einzunehmen. Noch in seinen Memoiren pries der SS-Brigadeführer Schellenberg den sensationellen Wert der "Max"-Berichte.
Als die Alliierten nach Kriegsende auf der Suche nach "Klatt" dessen ganzes persönliches und dienstliches Umfeld absuchten, um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, entstanden jene zahlreichen Verhörprotokolle, deren Auswertung für Meyer eine wichtige Hilfe gewesen sind. In seinem Buch nutzte er sie auch zu Kurzbiographien, farbige Einblicke in das zwielichtige Milieu von Agenten, Schiebern, gescheiterten Existenzen und Geheimdienstlern, die, im Kompetenzstreit gefangen, glauben, was sie glauben wollen. Kauder bot sich für Operationen der amerikanischen Gegenspionage an, wurde fast vom sowjetischen Geheimdienst entführt, der selbst dem Mythos "Max" verfiel. Richard Kauder starb 1960 in Salzburg, verarmt, krank, am Ende dem Wahnsinn nahe.
Das Buch ist trotz seines Umfangs gut lesbar, eine beeindruckende Leistung, die das Plädoyer des Autors für die Tauglichkeit des geschichtswissenschaftlichen Instrumentariums auch in der Welt des geheimen Krieges unterstreicht.
ROLF-DIETER MÜLLER.
Winfried Meyer: Klatt. Hitlers jüdischer Meisteragent gegen Stalin: Überlebenskunst in Holocaust und Geheimdienstkrieg. Metropol Verlag, Berlin 2015. 1287 S., 49,90 [Euro].
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