Klaus Lederer gehört zu den prägenden politischen Köpfen unserer Zeit. Er ist ein Linker mit Lebenslust, ein Theoriefreudiger mit Nerv für die Tat, ein Sach-Bearbeiter mit Fantasie.Im Gespräch mit Hans-Dieter Schütt gewährt Lederer Einblicke in seine Arbeit, seine Ansichten und auch in sein Privatleben. Der erprobte A-cappella-Sänger, Ausdauersportler und leidenschaftliche Literaturfreund zeigt sich von jenen Seiten, die ihn zum beliebtesten Politiker der Hauptstadt gemacht haben, provoziert aber zugleich mit seiner Haltung wider Normen und Biederkeit.»Klaus Lederer sieht Berührungspunkte, wo andere Unvereinbarkeiten sehen. Er ist ein Mensch, der alles, das aus dem Nichts entsteht, gedeihen lässt - wie geschaffen für ein langes politisches Leben.«Stefan Willeke, DIE ZEIT
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
In Berlin gehört Kultursenator Klaus Lederer zu den beliebtesten Politikern, klärt Rezensent Markus Wehner seine LeserInnen über die Besonderheiten der Hauptstadt auf, aber auch er selbst scheint der lokalen Galionsfigur der Linkspartei etwas abgewinnen zu können: Lederer entziehe sich Klischees und versuche öffentlich sein, ohne auffällig zu werden, befindet Wehner. Er lernt auch einiges über Lederers politische Biografie, seine DDR-Sozialisation und linke ostdeutsche Milieus. Dass der Band immer wieder ins Geschwätzige abgleitet, lastet der Rezensent dem Interviewer Hans-Dieter Schütt an, dem er als ehemaligem Junge-Welt-Chefredakteur nicht sonderlich gewogen scheint.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.05.2021Interessanter Typ, geschwätziges Buch
Der Berliner Linken-Politiker Klaus Lederer gibt Einblicke in ostdeutsche Milieus
Kennen Sie Klaus Lederer? Er ist einer der Spitzenpolitiker der deutschen Hauptstadt, die sich dadurch auszeichnen, dass sie außerhalb Berlins niemand kennt. Das gilt für die Repräsentanten sämtlicher Parteien, seit Klaus Wowereit, der ehemalige Regierende Bürgermeister, die politische Bühne verlassen hat. Ausnahmen sind allenfalls Personen wie Franziska Giffey, die durch ein bundespolitisches Amt ihren Bekanntheitsgrad steigerten. Beliebt sind Politiker bei den Berlinern nicht. Aber in der Hauptstadt, in der Politik weiter meist eine provinzielle Note hat, ist der Linken-Mann Lederer seit Monaten laut Umfragen der beliebteste Vertreter seiner Zunft.
Das hat auch damit zu tun, dass Lederer sich Klischees entzieht und bewusst entziehen will. Der hochgewachsene, jungenhaft wirkende Mann, schwarz gekleidet und mit zwei Ohrringen geschmückt, tritt zurückhaltend auf. Er bemühe sich um "Verbindlichkeit, um kontrollierte Lautstärke und eine angemessene Schrittgeschwindigkeit", sagt er im vorliegenden Interviewband über sich selbst. Es gehe darum, "öffentlich zu sein, ohne allzu auffällig zu werden". Lederer, der in diesem Jahr zum zweiten Mal als Linken-Spitzenkandidat für die Wahl zum Abgeordnetenhaus antritt, trägt diese Distanz zum Politikbetrieb demonstrativ wie eine Monstranz vor sich her, wenn ein Vergleich aus dem katholischen Leben für einen Politiker einer ehemals kommunistischen Partei zulässig ist.
Lederers Lebenslauf steht für ein kulturelles und intellektuelles Milieu in der DDR, dessen Träger systemtreu waren, sich nicht gegen die Verhältnisse auflehnten. Die Töchter und Söhne suchten einen Weg in der vereinten Bundesrepublik, ohne die alten Wurzeln zu negieren. In Westdeutschland wäre einer wie Lederer wohl zu den Grünen gegangen, in Ostdeutschland landete er bei der PDS und dann der Linken. Die Familiengeschichte erklärt das: Lederers Großvater war schon vor dem Krieg Mitglied der KPD, ging in den fünfziger Jahren mit Frau und vier Kindern freiwillig von Schleswig-Holstein in die DDR, die ihm im Kalten Krieg der richtige Ort zu sein schien. Der Vater arbeitete dann am Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften, schrieb eine Dissertation über Thomas Morus, weil der zeitlich weit genug entfernt war von der sozialistischen Gegenwart. Lederer junior besuchte die mathematisch-naturwissenschaftlich orientierte Heinrich-Hertz-Oberschule in Berlin. Er schwärmt noch heute von der Schönheit und Eleganz eines mathematischen Beweises. In Zeiten der Corona-Pandemie kam die profunde mathematische Bildung der DDR ganz Berlin zugute: Der Kultursenator ließ im Frühjahr 2020 die Theater der Stadt schließen, weil seine Mathematiklehrerin "uns die Exponentialfunktion lehrte".
In seiner Kindheit und Jugend hat Lederer all das gemacht, was man in den meisten Familien tat oder tun musste: Pionier, FDJ, Gruppenrat, Freundschaftsrat. Als nach der Wende die FDJ zerfiel, gründete er mit anderen die Marxistische Jugendvereinigung (MJV). Am runden Tisch musste er sich mit einem Vertreter einer christlichen Gruppe einigen, denn beide hatten zusammen nur eine Stimme. Lederer stürzte sich damals in die Jugendklubkultur (heute mag er auch Techno), interessierte sich dafür, was noch links sein konnte, trieb sich in Prenzlauer Berg in Kneipen wie dem "Torpedokäfer" herum, wo sich unangepasste linke Köpfe trafen. Schon früh engagierte er sich in der PDS. In dieser Szene traf er auch seinen Mann Oskar, mit dem er 2009 eine Lebenspartnerschaft einging, seit 2018 ist er verheiratet.
Lederer ist kein Ideologe. Er hat sich früh gegen die Wagenburgmentalität in seiner Partei gewandt. Mit Linken, die gleich mit der Abschaffung des Kapitalismus oder der Revolution daherkommen, kann er nichts anfangen. Die Unerbittlichkeit der Kommunistischen Plattformer oder einer Sahra Wagenknecht ist ihm zuwider, er schwärmt lieber für den früh verstorbenen westdeutschen Sänger Rio Reiser. Seine prinzipielle Solidarität mit dem Staat Israel hat er früh bekundet. Dass sich Linke-Abgeordnete vor mehr als zehn Jahren im Bundestag nicht zu Ehren des damaligen israelischen Präsidenten Shimon Peres erhoben, fand er beschämend. Lederer, der neben dem politischen Engagement Volljurist wurde und eine ausgezeichnete rechtswissenschaftliche Dissertation verfasste, stößt bei allem Pragmatismus auch an die Grenzen linker Toleranz. Dass die DDR ein Unrechtsstaat war, findet er "sehr unpräzise", auch wenn er den Stalinismus verdammt. Dass das Berliner Stadtschloss als Profanbau wieder ein Kreuz trägt, lehnt er ab, auch wenn es historisch dort gewesen ist. Zu Deutschland fallen ihm die Begriffe "Größenwahn, Gartenzäune, Selbstmitleid" ein. Das Buch hat er mit Hans-Dieter Schütt gemacht, der als Chefredakteur der FDJ-Zeitung Junge Welt einst einer der Scharfmacher und Demagogen des DDR-Regimes war. Es ist, vor allem wegen Schütts Fragen, ein zu geschwätziges Buch geworden, mit reichlich Gelaber. Für alle, die sich für ostdeutsche Milieus interessieren und sich fragen, wie alles so kam, wie es kam, finden sich dennoch manch interessante Stellen.
MARKUS WEHNER
Hans-Dieter Schütt: Klaus Lederer. Die Sterne über Berlin. Mit einem Vorwort von Gregor Gysi.
be.bra-Verlag, Berlin 2021. 271 S., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Berliner Linken-Politiker Klaus Lederer gibt Einblicke in ostdeutsche Milieus
Kennen Sie Klaus Lederer? Er ist einer der Spitzenpolitiker der deutschen Hauptstadt, die sich dadurch auszeichnen, dass sie außerhalb Berlins niemand kennt. Das gilt für die Repräsentanten sämtlicher Parteien, seit Klaus Wowereit, der ehemalige Regierende Bürgermeister, die politische Bühne verlassen hat. Ausnahmen sind allenfalls Personen wie Franziska Giffey, die durch ein bundespolitisches Amt ihren Bekanntheitsgrad steigerten. Beliebt sind Politiker bei den Berlinern nicht. Aber in der Hauptstadt, in der Politik weiter meist eine provinzielle Note hat, ist der Linken-Mann Lederer seit Monaten laut Umfragen der beliebteste Vertreter seiner Zunft.
Das hat auch damit zu tun, dass Lederer sich Klischees entzieht und bewusst entziehen will. Der hochgewachsene, jungenhaft wirkende Mann, schwarz gekleidet und mit zwei Ohrringen geschmückt, tritt zurückhaltend auf. Er bemühe sich um "Verbindlichkeit, um kontrollierte Lautstärke und eine angemessene Schrittgeschwindigkeit", sagt er im vorliegenden Interviewband über sich selbst. Es gehe darum, "öffentlich zu sein, ohne allzu auffällig zu werden". Lederer, der in diesem Jahr zum zweiten Mal als Linken-Spitzenkandidat für die Wahl zum Abgeordnetenhaus antritt, trägt diese Distanz zum Politikbetrieb demonstrativ wie eine Monstranz vor sich her, wenn ein Vergleich aus dem katholischen Leben für einen Politiker einer ehemals kommunistischen Partei zulässig ist.
Lederers Lebenslauf steht für ein kulturelles und intellektuelles Milieu in der DDR, dessen Träger systemtreu waren, sich nicht gegen die Verhältnisse auflehnten. Die Töchter und Söhne suchten einen Weg in der vereinten Bundesrepublik, ohne die alten Wurzeln zu negieren. In Westdeutschland wäre einer wie Lederer wohl zu den Grünen gegangen, in Ostdeutschland landete er bei der PDS und dann der Linken. Die Familiengeschichte erklärt das: Lederers Großvater war schon vor dem Krieg Mitglied der KPD, ging in den fünfziger Jahren mit Frau und vier Kindern freiwillig von Schleswig-Holstein in die DDR, die ihm im Kalten Krieg der richtige Ort zu sein schien. Der Vater arbeitete dann am Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften, schrieb eine Dissertation über Thomas Morus, weil der zeitlich weit genug entfernt war von der sozialistischen Gegenwart. Lederer junior besuchte die mathematisch-naturwissenschaftlich orientierte Heinrich-Hertz-Oberschule in Berlin. Er schwärmt noch heute von der Schönheit und Eleganz eines mathematischen Beweises. In Zeiten der Corona-Pandemie kam die profunde mathematische Bildung der DDR ganz Berlin zugute: Der Kultursenator ließ im Frühjahr 2020 die Theater der Stadt schließen, weil seine Mathematiklehrerin "uns die Exponentialfunktion lehrte".
In seiner Kindheit und Jugend hat Lederer all das gemacht, was man in den meisten Familien tat oder tun musste: Pionier, FDJ, Gruppenrat, Freundschaftsrat. Als nach der Wende die FDJ zerfiel, gründete er mit anderen die Marxistische Jugendvereinigung (MJV). Am runden Tisch musste er sich mit einem Vertreter einer christlichen Gruppe einigen, denn beide hatten zusammen nur eine Stimme. Lederer stürzte sich damals in die Jugendklubkultur (heute mag er auch Techno), interessierte sich dafür, was noch links sein konnte, trieb sich in Prenzlauer Berg in Kneipen wie dem "Torpedokäfer" herum, wo sich unangepasste linke Köpfe trafen. Schon früh engagierte er sich in der PDS. In dieser Szene traf er auch seinen Mann Oskar, mit dem er 2009 eine Lebenspartnerschaft einging, seit 2018 ist er verheiratet.
Lederer ist kein Ideologe. Er hat sich früh gegen die Wagenburgmentalität in seiner Partei gewandt. Mit Linken, die gleich mit der Abschaffung des Kapitalismus oder der Revolution daherkommen, kann er nichts anfangen. Die Unerbittlichkeit der Kommunistischen Plattformer oder einer Sahra Wagenknecht ist ihm zuwider, er schwärmt lieber für den früh verstorbenen westdeutschen Sänger Rio Reiser. Seine prinzipielle Solidarität mit dem Staat Israel hat er früh bekundet. Dass sich Linke-Abgeordnete vor mehr als zehn Jahren im Bundestag nicht zu Ehren des damaligen israelischen Präsidenten Shimon Peres erhoben, fand er beschämend. Lederer, der neben dem politischen Engagement Volljurist wurde und eine ausgezeichnete rechtswissenschaftliche Dissertation verfasste, stößt bei allem Pragmatismus auch an die Grenzen linker Toleranz. Dass die DDR ein Unrechtsstaat war, findet er "sehr unpräzise", auch wenn er den Stalinismus verdammt. Dass das Berliner Stadtschloss als Profanbau wieder ein Kreuz trägt, lehnt er ab, auch wenn es historisch dort gewesen ist. Zu Deutschland fallen ihm die Begriffe "Größenwahn, Gartenzäune, Selbstmitleid" ein. Das Buch hat er mit Hans-Dieter Schütt gemacht, der als Chefredakteur der FDJ-Zeitung Junge Welt einst einer der Scharfmacher und Demagogen des DDR-Regimes war. Es ist, vor allem wegen Schütts Fragen, ein zu geschwätziges Buch geworden, mit reichlich Gelaber. Für alle, die sich für ostdeutsche Milieus interessieren und sich fragen, wie alles so kam, wie es kam, finden sich dennoch manch interessante Stellen.
MARKUS WEHNER
Hans-Dieter Schütt: Klaus Lederer. Die Sterne über Berlin. Mit einem Vorwort von Gregor Gysi.
be.bra-Verlag, Berlin 2021. 271 S., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main