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Sie schienen lange Zeit unzertrennlich, traten als "literarische Zwillinge" auf und faszinierten das Publikum mit ihren frechen Texten. Erika löste sich zunehmend aus der engen geschwisterlichen Bindung, war Mitbegründerin des legendären Kabaretts "Die Pfeffermühle", arbeitete als Kriegsberichtserstatterin und schrieb Kinderbücher. Klaus Mann wandelte sich vom Dandy und Ästheten zu einem der kritischsten Autoren seiner Zeit. Die ältesten Kinder Thomas Manns trennte ein Jahr: 2005 jährt sich Erika Geburtstag zum 100. Mal, 2006 der von Klaus.

Produktbeschreibung
Sie schienen lange Zeit unzertrennlich, traten als "literarische Zwillinge" auf und faszinierten das Publikum mit ihren frechen Texten. Erika löste sich zunehmend aus der engen geschwisterlichen Bindung, war Mitbegründerin des legendären Kabaretts "Die Pfeffermühle", arbeitete als Kriegsberichtserstatterin und schrieb Kinderbücher. Klaus Mann wandelte sich vom Dandy und Ästheten zu einem der kritischsten Autoren seiner Zeit.
Die ältesten Kinder Thomas Manns trennte ein Jahr: 2005 jährt sich Erika Geburtstag zum 100. Mal, 2006 der von Klaus.
Autorenporträt
Armin Strohmeyr, geboren 1966. Studium der deutschen und französischen Literaturwissenschaft und der Musikwissenschaft, promovierte über den androgynen Geschwisterkomplex im Werk Klaus Manns. Lebt als Autor und Publizist in Berlin.
Kultur- und literaturgeschichtliche Features für verschiedene Rundfunkanstalten.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.11.2000

Dichters Kinder, frech wie nie
Armin Strohmeyr über das Leben von Klaus und Erika Mann

Als "literarische Zwillinge" angekündigt, treffen sie mit dem Passagierdampfer "Hamburg" im Oktober 1927 in New York ein, um eine Tournee quer durch Amerika zu starten. Fast noch ein Fall von Kinderarbeit. Erika ist mit 21 Jahren gerade volljährig geworden, ihr Bruder Klaus ein Jahr jünger. Ein Foto bei der Ankunft zeigt ein strahlendes Paar im Doppelgänger-Look, die angebissenen Hälften ihres ersten Muffins (oder eines paradiesischen Apfels, wie Armin Strohmeyr assoziiert) in Händen. Das grelle, ein wenig hochstaplerische Auftreten als "literary Mann-Twins" im Sog des berühmten Vaters überrumpelt selbst einen abgebrühten New Yorker Literaturagenten, der sie mit einem erklecklichen Vorschuß unter Vertrag nimmt. Wer wagt, gewinnt - diese Lebensweisheit der Altvordern hieß bei Erika: "Wer nicht telegrafiert, kriegt nichts." Immerhin konnten sie trotz ihres zarten Alters schon auf beträchtliche Publizität in Deutschland verweisen: Erika als Schauspielerin, Klaus als Dramenautor, beide als Mitspieler eines bisexuell aufgeladenen Vierecksverhältnisses mit Gustaf Gründgens und Pamela Wedekind. Als Klaus diese Konstellation 1926 mit den Stücken "Anja und Esther" und "Revue zu Vieren" kaum verschlüsselt und nach dem Motto "Jede(r) spielt sich selbst" auf deutsche Bühnen brachte, war der Skandal perfekt und bald auch das Ende der exogamen Verbindungen erreicht. Nun hatten die Geschwister einander für sich alleine.

Kein Zweifel, die Wochen in New York und Kalifornien und die anschließende Weltreise waren ihre beste gemeinsame Zeit. Ausgelassen, lasterhaft, verheißungsvoll und vor allem: rasend schnell. Strohmeyrs Porträt der beiden prominentesten Kinder Thomas Manns, in der Reihe der "Lebensläufe zu zweit" erschienen, tut gut daran, dieser Eskapade einen Ehrenplatz einzuräumen. Nur selten bewegten sich beider Lebenskurven so synchron. Stets war es Erika, die aufs Tempo drückte. "Geschwindigkeit ist ihr alles, am liebsten würde sie Autorennen fahren" (was sie bald tat). Auch dazu gibt es ein schnittiges Foto am Volant ihres Wagens, ganz im Stile der "neuen Frau". Kaum mag man sich daneben Vaters morgendliche Spaziergänge mit dem Pudel durch das stille Villenviertel am Münchner Herzogpark vorstellen. Und doch ist Erika später diejenige, die sich restlos in den "Dienst" des väterlichen Werkes stellt. Auch den Nachlaß des Bruders hat sie zu betreuen, nachdem Klaus, von Drogenabhängigkeit und suizidalen Impulsen geschwächt, sich am 21. Mai 1949 in Cannes das Leben nahm.

So bekannt die Fakten, so wenig überraschend sind die Bewertungen, die Strohmeyr austeilt. Erika ist die Stärkere, Klaus der Abhängige, dessen "Lebenskraft angeknaxt" ist schon in der Adoleszenz, wie ein ablehnendes Gutachten der Internatsleitung von Schloß Salem festhält. Woran das liegen könnte, läßt Strohmeyr offen. Weitgehend folgt er den stilisierten Jugenderinnerungen der Betroffenen, die im Tonfall übertriebener Munterkeit von den Streichen der "Herzogpark-Bande" und von ambitioniertem Theaterspiel berichten.

Diese "enfants terribles" hatten es schwer, alles fiel ihnen so leicht. Sie sind frühreif, aber werden nicht selbständig. Unversehens "stolpert" Erika in die Ehe mit dem ehrgeizigen Gründgens, während es Klaus nicht gelingt, zur Revanche die gemeinsame Freundin Pamela Wedekind zu heiraten. Als sie vor dem Standesamt erscheinen, schickt der Beamte sie nach Hause mit dem trockenen Bescheid, doch bitte schön nach Erreichen der Volljährigkeit wiederzukommen.

"Innere Unruhe" treibt Klaus zu einer Reise nach Nordafrika, die zum Initiationserlebnis wird und mit dem Roman "Der fromme Tanz" einen "der ersten offen homosexuellen Romane der deutschen Literatur" hervorbringt. Nach der Amerika-Tour mit Erika folgen die ersten gemeinsam verfaßten Arbeiten. Mit literarischen Projekten versucht Klaus, die Schwester an sich zu binden. Er braucht sie nötiger als umgekehrt; "frei" ist Erika dennoch nicht, denn er zwingt sie durch die einseitige Abhängigkeit in eine Loyalität, die er seinerseits nicht aufzubringen vermag.

Die rastlose Betriebsamkeit, mit der sich Erika in den publizistischen Kampf gegen die Nazis stürzt, zwischen Amerika und Europa pendelnd, wird ihr zu einer zweiten Heimat, wie sie Klaus im Exil nirgends findet. Unter Drogen und mit spärlichsten Einkünften schreibt er Ende der dreißiger Jahre seine stärksten Romane. Seine Werke sind ohne Publikum, seine Zeitschriftenprojekte erfolglos, obwohl sich mit Cocteau und Gide die von ihm favorisierte Literatur international durchzusetzen beginnt. Um nicht länger ein Außenseiter zu sein, meldet sich Klaus Mann zur amerikanischen Armee. Daß er, vom soldatischen Typus denkbar weit entfernt, nach dem Krieg das Ende seiner Dienstzeit als erneutes "Entwurzeltsein" empfindet, ist symptomatisch für die unerfüllte Sehnsucht nach einer wirklichen Aufgabe.

Freiheit, dein Schatten heißt Überdruß. In den Geschwistern löst sich des Vaters prekäre Balance von bürgerlichem Ordnungssinn und künstlerischer Décadence zu gegenläufigen Extremen. Erika arbeitet verläßlich bis zur Selbstverleugnung, ungeachtet ihres respektlosen Temperaments. Klaus, der Anhängliche, begeht die Pietätlosigkeit, seiner Mutter und seiner Lieblingsschwester abhanden zu kommen. "Er hätte es ihnen nicht antun dürfen", notierte Thomas Mann am Abend der Todesnachricht in England, wo er kurz zuvor die Ehrendoktorwürde der Universität Oxford empfangen hatte. Der Beerdigung des Erstgeborenen in Südfrankreich blieb er fern, auf Anraten seiner "Tochter und Managerin", wie Strohmeyr lapidar vermerkt.

Der Autor, der über den "Geschwisterkomplex" bei Klaus und Erika Mann promovierte, läßt beider Stimmen aus dem bislang unpublizierten Briefwechsel sprechen. Er tritt hinter seine Figuren zurück, zum Teil leider auch hinter die Phrasen einer flauen Conférence, die bestimmte Schlüsselwörter aufschnappt, zweideutig macht und daraus gefällige, nichtssagende Überleitungen bastelt. Nachdem ein Brief Erikas vom Badeurlaub an der Ostsee zitiert wurde, setzt Strohmeyr fort: "Ein gefährliches Spiel mit den Wogen der Gefühle trieb auch Klaus." Derlei stimmungsvolle Beleuchtung stünde einer "soap opera" wohl an. Wer aber als Freund des Trivialen gerne mehr über diesen Geschwisterkomplex und die "verbotene Liebe" im Hause Mann gewußt hätte, wird mit der betulichen Floskel abgespeist, daß Klaus "im wirklichen Leben eine idealische Einswerdung mit der Schwester versagt war". Was immer das heißen mag. Die Chronik eines turbulenten Wechsels der Schauplätze und Beziehungen, von Strohmeyr mit leichter Hand skizziert, gibt über das innere Kraftzentrum dieses Paarlaufs nur wenig Aufschluß. Belassen wir es dabei.

ALEXANDER HONOLD

Armin Strohmeyr: "Klaus und Erika Mann. Les enfants terribles". Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2000. 186 S., geb., 34,- DM.

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