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Burghart Klaußner ist ein eigenwilliger Kopf. Hineingeboren in die Nachkriegswirren Berlins, sagt er über sich selbst: "Ich bin ja mitten in eine Rabauken-Zeit hineingewachsen und habe mir auch nichts sagen lassen wollen. Das ist geblieben: Ich lasse mir nicht gern Vorschriften machen." Sein Drang nach Unabhängigkeit hat seiner Karriere nicht geschadet, im Gegenteil: Burghart Klaußner gilt als einer der besten und originellsten Schauspieler unserer Zeit. Er ist seit Jahrzehnten erfolgreich auf der Bühne und im Film und führt darüber hinaus Regie, singt und hat sich jüngst auch als…mehr

Produktbeschreibung
Burghart Klaußner ist ein eigenwilliger Kopf. Hineingeboren in die Nachkriegswirren Berlins, sagt er über sich selbst: "Ich bin ja mitten in eine Rabauken-Zeit hineingewachsen und habe mir auch nichts sagen lassen wollen. Das ist geblieben: Ich lasse mir nicht gern Vorschriften machen." Sein Drang nach Unabhängigkeit hat seiner Karriere nicht geschadet, im Gegenteil: Burghart Klaußner gilt als einer der besten und originellsten Schauspieler unserer Zeit. Er ist seit Jahrzehnten erfolgreich auf der Bühne und im Film und führt darüber hinaus Regie, singt und hat sich jüngst auch als Schriftsteller einen Namen gemacht.

Anlässlich seines 70. Geburtstags erzählt Burghart Klaußner im Gespräch mit Thomas Irmer von seinem Leben und seiner künstlerischen Arbeit. Das Theater ist ihm Heimat, Film Begegnung, sagt er. Er berichtet über seine Anfänge an der Berliner Schaubühne am Halleschen Ufer und am Schiller-Theater Anfang der siebziger Jahre und seinen Weg zu allen wichtigen deutschsprachigen Schauspielhäusern, u. a. in Berlin, Köln, Hamburg, Düsseldorf, Dresden, Bochum und Zürich. Und er spricht über seine Film- und Fernsehrollen, etwa als Pastor in "Das weiße Band" von Michael Haneke oder als Brecht im gleichnamigen Dokudrama von Heinrich Breloer.
Autorenporträt
Irmer, Thomas
geboren 1962, deutscher Theatertheoretiker und -kritiker sowie Autor von Büchern und Fernsehdokumentarfilmen über das deutsche Theater in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er lehrt derzeit (2014) außerdem am Zentrum für Europäische Studien an der Universität Osnabrück.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.09.2019

Nur immer ruhiger, je höher die Wellen schlagen
Und stets nach neuen theatralischen Ufern Ausschau haltend: Der Schauspieler Burghart Klaußner erzählt in einem Gesprächsband von seiner Karriere

Seine Großmutter war eine der ersten segelnden Frauen Deutschlands. Allein fuhr sie mit dem Segelboot auf hohe See und erregte landesweit Aufsehen. 1910 traten die Großeltern von Burghart Klaußner in den Segelklub am Wannsee ein, später übernahm sein Vater den Vorsitz, baute den Verein nach dem Krieg wieder auf und brachte seinem kleinen Sohn dort das Segeln bei. Noch heute fährt der inzwischen berühmt gewordene Schauspieler so oft es geht zu diesem Segelclub, parkt seinen schicken Chevrolet am Abhang und begrüßt den Verwalter mit Handschlag. Das Segeln ist für Klaußner seit eh und je mehr ernste Lebensphilosophie als lässiger Freizeitsport. Es ist ihm ein Versprechen von Freiheit, eine Beruhigung des Geistes. Der erste Schritt auf den Steg fühle sich an "wie das Auslöschen aller Probleme", sagt er, die Fahrt übers Meer sei "nahezu ein antizivilisatorischer Akt".

So schwärmt der Schauspieler vom Segeln in einem rechtzeitig zu seinem heutigen siebzigsten Geburtstag erschienenen Gesprächsband mit dem Theaterwissenschaftler Thomas Irmer. Es gibt in Klaußners Leben viele Verbindungen und Rückkopplungen zu dieser Leidenschaft: sein Durchbruch als Filmschauspieler, der ihm 1984 in "Das Rätsel der Sandbank" gelang, einer Fernsehserie, die eine Abenteuergeschichte im Wattenmeer erzählt und auf einem Segelboot spielt; die Sehnsucht nach Unabhängigkeit, die ihn schon in jungen Jahren von Theater zu Theater trieb und noch heute ständig nach neuen Ufern Ausschau halten lässt; sein schauspielerisches Auftreten überhaupt, nie mit Kraft oder Überlegenheit protzend, sondern stets von feiner Autorität, eben von der Ausstrahlung eines guten Kapitäns getragen, der immer ruhiger und entschiedener wird, je höher die Wellen schlagen..

1949 in eine Berliner Gastwirtsfamilie hineingeboren, in Dahlem aufgewachsen und in Steglitz zur Schule gegangen, war der junge Klaußner fasziniert von der lässigen Männlichkeit der amerikanischen Besatzer. Ihnen und ihrem Soldatensender AFN verdankte er seine ersten Berührungen mit Popmusik. Während der Vater im Esplanade große Filmbälle ausrichtete, lag der Sohn zu Hause mit dem Ohr dicht am Lautsprecher und versuchte die Stimmlage von Paul McCartney nachzuahmen. Später, als die Familie in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet und nach Bayern umziehen musste, sprang der sechzehnjährige Klaußner bei einem Konzert der Beatles in München vorn an der Bühne wild umher und brüllte John Lennnon seine Titelwünsche zu.

Lange hielt es den hübschen Jungen mit dem schmalen, fast strichdünnen Mund nicht im bayrischen Land. Zum Studium der Germanistik und Theaterwissenschaften kehrte er nach Berlin zurück und saß bald gebannt in jeder Aufführung der neugegründeten Berliner Schaubühne. Von Peter Steins "Peer Gynt"-Inszenierung als einem entscheidenden theatralischen Erweckungserlebnis kann er heute noch schwärmen.

Schnell war Klaußner dann auch an der "Max-Reinhardt-Schule", der heutigen Universität der Künste, zum Schauspielstudium eingeschrieben, und ehe er sich versah, probte er schon unter der Regie von George Tabori ein Stück gegen den Vietnam-Krieg. Im Studentendorf Schlachtensee lernte er gleichzeitig die neuen Bedingungen der sexuellen Emanzipation kennen: Geteilte Badezimmer, selbstverständliche Promiskuität und die stets proklamierte Verbindung von Politik und Eros. Als knapp zu spät geborener Nachkömmling der politischen Anführer lag trotzdem immer noch genug Utopielust in der Luft, um die Gesellschaft mit einem angeblich befreiten Sexualleben in die Moralecke zu drängen. "Anpolitisiert und anerotisiert", nennt Klaußner seine Generation heute rückblickend.

Nach ersten Schauspielerfolgen bekommt er am Berliner Schillertheater ein Engagement, wird aber wegen einer Flugblattaktion gegen den Intendanten bald wieder gekündigt. Danach folgen eher magere Jahre der Wanderschaft: "Wie eine Billardkugel" schießt er durchs ganze Land, spielt kleine bis mittlere Rollen, macht Station bei Peter Palitzsch in Frankfurt, bei Jürgen Flimm in Köln, schließlich bei Niels-Peter Rudolph in Hamburg. Zu seinen wichtigsten Regisseuren zählen Ernst Wendt, Wilfried Minks und Dieter Giesing. Eine Zeitlang schließt er sich der Gruppe um Christof Nel an, die in den späten siebziger Jahren wichtige Inszenierungen von Thomas Braschs "Rotter" und Sophokles' "Antigone" zeigt. Später spielt er viel in Zürich. Ein Star ist Klaußner damals noch nicht. Aber wer immer ihn auf der Bühne sieht, der fühlt in seinem Spiel ein besonderes Drängen. Eine Hoffnung auf mehr. Eine seglerische Sehnsucht nach Freiheit eben.

1987 steigt er aus dem Theaterbetrieb aus und wendet sich dem Film zu. "Kinderspiele" von Wolfgang Becker ist 1992 sein erster großer Erfolg, zehn Jahre später tritt er in dem Erfolgsfilm "Goodbye Lenin" auf. In den späten neunziger Jahren beginnt die Zusammenarbeit mit Hans-Christian Schmid, der ihn in "Crazy" und "Requiem" als verschlossen-tiefgründige Vaterfigur auftreten lässt. Auch in Michael Hanekes "Weißem Band" spielt Klaußner einen streng autoritären Pastorenvater, der seinen im aufziehenden Nationalsozialismus aufwachsenden Kindern die Gewalt angeblich seelisch eingepflanzt haben soll. Im Gespräch erinnert sich Klaußner an einen Dissens, der mit Haneke über die Frage entstand, ob dieser Pfarrer wirklich keinen Funken Humor besitzen dürfe. Nein, habe Haneke gesagt, er wolle davon in seinem Film keinerlei Spur sehen.

Neben strengen Vätern spielte Klaußner immer wieder auch Figuren der Zeitgeschichte wie Fritz Bauer oder Bertolt Brecht. Das besondere Vergnügen an solchen Rollen erklärt er mit seiner frühen Leidenschaft für das "politische Kabarett" und einer "inneren Kenntnis von Machtfiguren". Dass Klaußner nicht nur ein ungewöhnlich belesener, sondern auch begabt schreibender Schauspieler ist, hat er unlängst mit der Veröffentlichung seines autobiographisch gefärbten Romans "Vor dem Anfang" über die letzten Berliner Kriegstage bewiesen. Der auf viele Weise berührende Gesprächsband endet mit einer fulminanten Suada gegen die "Entpathetisierung des deutschen Theaters" und die flächendeckende Verwendung des zwischentonlosen Mikroports. Und mit einem emphatischen Bekenntnis: "Ich bin ein Romantiker, die Dinge wirken sehr stark auf mich." Zu seinem heutigen Geburtstag möchte man ihm und auch uns wünschen, dass sie das noch sehr lange tun mögen.

SIMON STRAUSS

Thomas Irmer:

"Klaussner backstage".

Mit einem Essay von

Burghart Klaußner.

Verlag Theater der Zeit, Berlin 2019. 157 S. Abb., br., 18,- [Euro].

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